Sonntag, 20. Juni 2010

ITER: ein Desaster bahnt sich an

Vor knapp vier Jahren wurden die Verträge für ITER unterschrieben, dem "Internationalen Thermonuklearen Experimentierreaktor". Darin soll schwerer Wasserstoff (Deuterium) mit superschwerem Wasserstoff (Tritium) zu Helium verschmolzen werden, wodurch schliesslich elektrische Energie entsteht. Da diese sogenannte Fusion erst bei einer Temperatur von hundert Millionen Grad in Gang kommt, ist eine grosse technische Anlage mit vielen hochkomplizierten Komponenten notwendig. Ein Land allein wäre mit dem Bau eines solchen Reaktors bei weitem überfordert; deshalb kooperiert die Europäische Union (EU) mit sechs weiteren Ländern, nämlich: USA, Russland, Japan, China, Indien und Südkorea. Als Standort hat man das Forschungszentrum Cadarache gewählt, welches in Südfrankreich bei dem wohlbekannten Städtchen Aix-en-Provence liegt.

Pharaonische Grabungen

Inzwischen haben die Bauleute das Areal planiert, auf dem der Iter mit seinen vielen Nebengebäuden stehen soll. Die Dimensionen sind gigantisch. Um die Plattform für die Gebäude zu errichten, wurde Erde vom Gesamtvolumen der Cheopspyramide bewegt. Das Reaktorgelände ist vier Mal so gross wie das eines normalen Atomkraftwerks. Es umfasst 42 Hektar, umgerechnet 60 Fussballfelder. (Auf dieser riesigen Fläche könnte man alle Spiele der derzeitigen Fussballweltmeisterschaft gleichzeitig austragen!).

Im Juli diesen Jahres ist symbolisch der erste Spatenstich geplant. Das 58 Meter hohe Iter-Hauptgebäude wird bald umgeben sein von einer kleinen Stadt an Nebengebäuden für die Technik und die Administration. Dafür werden mehr Eisenverstrebungen benötigt als für den Eiffelturm und eine hundert Kilometer lange Zufahrt zum Mittelmeer soll die An - und Abfahrt der Bauteile ermöglichen.


Iter-Baustelle aus der Luft

Der Faktor Pi

Derzeit herrscht allerdings tiefe Depression bei den Fans der Fusionstechnologie. Obwohl die Baustelle in Cadarache noch nicht ausgehoben ist, blickt man bereits in einen tiefen Abgrund. Das Megaprojekt wird immer teurer und die Termine laufen davon. Fünf Milliarden Euro waren für Iter bei Vertragsabschluss veranschlagt; jetzt, knapp vier Jahre später, schätzen die Projektmanager die Gesamtkosten schon auf 16 Milliarden. Das ist eine Kostensteigerung um den Faktor Pi, die bekannte Kreiszahl von 3,14. Aber damit noch nicht genug: auch die Termine laufen im rasenden Tempo davon. Wurde vorher bereits der Zeitpunkt der Inbetriebnahme von 2015 auf 2019 verschoben, so sollen jetzt die ersten Kernfusionen frühestens im Jahr 2026 zu erwarten sein.

Bei der Lenkungsbehörde Euratom in Brüssel ist man alarmiert und nicht weniger sind es die europäischen Mitgliedsstaaten, welche letztlich für den Grossteil der Finanzierung aufzukommen haben. Euratom trägt 45 Prozent der Gesamtkosten; die sechs übrigen Partner finanzieren je neun Prozent. Bundesforschungsministerin Annette Schavan kritisiert die exorbitanten Kostensteigerungen ganz offen und spricht von "Planungspannen und Missmanagement". Das Projekt Iter steht auf der Kippe. Selbst im Standortland Frankreich redet man vom "Iter-Abenteuer" und befürchtet Rückwirkungen auf die übrigen nationalen Forschungshaushalte in Form von Budgetkürzungen. Sébastian Balibar, Direktor des nationalen Forschungsinstituts CNRS raunt: "Das ist uns schon einmal mit der Internationalen Raumstation ISS passiert. Diese hat 100 Milliarden Euro gekostet und wissenschaftlich absolut nichts gebracht."

Drohender Domino-Effekt

Der Vizechef des Iter-Projekts, Norbert Holtkamp, "hält einen Teil der Kritik für berechtigt." Manches habe man bei früheren Kostenschätzungen "einfach vergessen". Weitere Zusatzkosten seien durch gestiegene Rohstoffe und ein verändertes Design hinzu gekommen. Anders als beim Teilchenbeschleuniger LHC bei CERN - der "nur" drei Milliarden Euro kostete - und wo die beteiligten Länder Bargeld an das Direktorium überweisen, das dann das Projekt ausschreibt, liefern die Iter-Partner jeweils einzelne Komponenten nach Cadarache. Das ist ein logistischer Albtraum, denn nicht immer passen die Teile zusammen und ausserdem führt dieses Management zu teueren Redundanzen. Holtkamp vergleicht es mit dem Bau eines Autos: "Normalerweise sollte man es so machen, dass einer die Reifen fertigt, der Andere den Motor und der Dritte das Chassis; aber bei Iter will jeder lernen, ein ganzes Auto zu bauen."

Alle sieben Partner haben bei Iter Zugriff auf (fast) alle Bauzeichnungen und Dokumente. Am Ende sollen die Puzzleteile ein funktionierendes Ganzes ergeben. Ineffizienz und Doppelarbeit sind bei diesem Regime die zwangsläufige Folge. So verwundert es nicht, dass es in der Kollaboration schon mächtig kriselt. Manche Asiaten werden verdächtigt, ihre Ingenieure vorzugshalber deshalb nach Europa zu schicken, um hier zu lernen und möglichst viele Zeichnungen zu kopieren - für Iter-ähnliche Projekte zuhause! Würde auch nur eines dieser Länder demnächst aus Iter aussteigen, so könnte das einen Domino-Effekt auslösen und das Projekt in Cadarache kollabieren lassen. Denn die übrigbleibenden Länder wären kaum in der Lage (und wohl auch nicht mehr willens) die dann entstehenden Mehrkosten zu schultern.

Bei Vertragsabschluss des Iter proklamierten die Fusionsforscher noch das Ziel, bis mitte dieses Jahrhunderts einen Fusionsreaktor entwickelt zu haben, der wirtschaftlich Strom erzeugen kann. Das wird immer unwahrscheinlicher, wenn man bedenkt, dass nach Iter noch mindestens zwei Demonstrationsanlagen erforderlich sind um dieser Technologie die Baureife zuerkennen zu können. Hinzu kommt noch die Bestrahlungsanlage zur Materialentwicklung. Vermutlich wird sich der Zeitpunkt der Etablierung dieser Technologie bis ins nächste Jahrhundert verschieben. Manche Kritiker sind noch skeptischer und spotten:

"Die Kernfusion ist die Energie der Zukunft - und wird es immer bleiben".

Sonntag, 6. Juni 2010

KIT - Zoff wegen Bologna

Wenig beachtet von der breiten Öffentlichkeit, vereinbarten am 19. Juni 1999 die Vertreter von 29 europäischen Staaten in der italienischen Universitätsstadt Bologna, dass sie innerhalb der nächsten zehn Jahre einen einheitlichen europäischen Hochschulraum schaffen wollen. Die Ziele waren mehr Mobilität und ein leichterer Wechsel zu den Hochschulen anderer Länder sowie die stärkere praktische Ausrichtung des Studiums mit weniger Abbrechern. Die aus dem angloamerikanischen Raum übernommenen Grade "Bachelor" und "Master" sollten die deutschen Abschlüsse "Diplom" und "Magister" ersetzen. Die Landesregierungen passten ihre Hochschulgesetze entsprechend an und bei der kürzlichen Nationalen Bologna-Konferenz in Berlin mit Bundesbildungsministerin Annette Schavan lautete die offizielle These: weiter so, wir sind auf einem guten Weg.

Logo für den Bologna-Prozess

Keine Hochschulreform der vergangenen Jahrzehnte hat die deutsche Bildungslandschaft mehr umgepflügt, als der sogenannte Bologna-Prozess. Die Kollateralschäden sind noch überall zu besichtigen. Zum Beispiel bei den Studenten, die anfangs noch nicht einmal gefragt worden waren. Sie beklagten in der Folge die übertriebene Stofffülle und die endlose Prüfungsmaschinerie: das Studium als Hamsterrad. Vergangene Weihnachten herum kam es sogar zu ausgedehnten Streiks. Auch die Universitäten legten sich quer, insbesondere die medizinischen und juristischen Fakultäten. Bei den Juristen ist die Lehre bis heute noch nicht umgestellt worden. Repetitoren und Pauker sind für die Studenten nach wie vor wichtige (und teure) Instutionen und gleichzeitig eine Bankrotterklärung für die Fakultäten.

Auch die Technische Universität Karlsruhe hatte diverse Bedenken und brachte ihre Interessen im Jahr 2006 in den Uni-Verbund TU9 ein, der aus 9 "altehrwürdigen" Technischen Hochschulen besteht, die allesamt vor 1900 gegründet worden waren. ( u.a. Aachen, Berlin, Karlsruhe, München, Stuttgart). Der Präsident dieses Zusammenschlusses war von 2006 bis 2009 der Karlsruher Rektor und spätere KIT-Präsident Professor Horst Hippler. Seit 2009 hat der Rektor der TH Aachen, Professor Ernst Schmachtenberg dieses Amt inne.

Logo der TU9-Universitäten

Hippler kritisierte während seiner Amtszeit vorallem die Abschaffung des Titels "Diplom-Ingenieur" und die unzureichende Mittelbereitstellung für die Lehre zur Umstellung der Curricula. Viele hätten sich gewünscht, dass er diese Mängel der Bologna-Reform deutlicher und vorallem gegenüber den politischen Spitzen artikuliert hätte. Aber er war wohl bis zu einem gewissen Grad befangen. In einem Disput mit der Bundesministerin Schawan und dem Landesminister Frankenberg wäre er allenfalls zweiter Sieger geworden - hätte dabei aber sein eigenes KIT-Projekt, den Zusammenschluss der TU Karlsruhe mit dem Forschungszentrum in Leopoldshafen aufs Heftigste gefährdet. Insbesondere bei der FZK hätte schon ein "Fingerschnipsen" von Frau Schavan genügt, die KIT-Fusion scheitern zu lassen. Hippler war in der genannten Dreijahresphase wohl die falsche Besetzung für den TU9-Job. Schmachtenberg in Aachen konnte - da ohne eigene Interessen - später viel unbefangener streiten.

Aber für die Rückkehr des Dipl.-Ing, des Markenzeichens deutscher Ingenieursausbildung, ist es wohl schon zu spät. Die Verbände, auch die TU9-Universitäten, haben zu lange gezögert und taktiert. Inzwischen ist der "roll-back" dieses Qualitätsprodukts schon aus juristischen Gründen fraglich geworden. Einige Landesregierungen verbieten in ihren Hochschulgesetzen sogar, das Diplom weiterhin zu vergeben und auch ein Master lässt sich juristisch nicht einfach als Diplom-Ingenieur verkaufen. Die Österreicher waren in dieser Hinsicht schlauer. Sie haben bereits im Jahr 2002 in ihrem Bundeshochschulgesetz festgelegt, dass Master und Dipl.-Ing. gleichrangig und gleichzeitig verliehen werden dürfen. Warum haben dies die deutschen Hochschulpolitiker nicht fertig gebracht?

Schwierig wird die Rückkehr zum guten alten Diplom-Ingenieur auch deswegen, weil die Industrie daran offensichtlich wenig Interesse zeigt. Bezeichnend dafür sind die öffentlichen Äusserungen von Thomas Sattelberger, der immerhin Personalvorstand der Deutschen Telekom ist. Er steht, zusammen mit der deutschen Industrie, voll hinter den Bologna-Reformen und den neuen Bachelor- und Master-Studiengängen. "Bachelor Welcome" hiess sein Statement bei der oben genannten Berliner Konferenz. Und in einer kürzlichen Radiodiskussion ("Forum", SWR2) zusammen mit Hippler, behauptete er sogar, dass schon 100 Tage nach der Einstellung eines neuen Ingenieurs in seiner Firma niemand mehr wisse, ob er einen Bachelor oder einen Master vor sich habe. Heute schon gäbe es Fachhochschulen, die deutlich besser als Universitäten seien und in Zukunft würden sich die Grenzen noch mehr verwischen. Magnifizenz seufzte. (Aber zu ernst sollte man Sattelberger & Co auch nicht nehmen: die Personalchefs der Wirtschaft haben eben ein nicht geringes Interesse daran, ihr Personal möglichst billig einzukaufen.)

Präsident Hippler löste in der genannten Radiosendung auch Erstaunen damit aus, dass er für KIT zusätzliche Finanzmittel zur Umsetzung der Bologna-Reformen einforderte. Bedenkt man, dass diese Mammuthochschule jährlich über etwa 700 Millionen Euro an Haushaltsmitteln verfügt, so ist es schlechterdings unverständlich, wieso damit nicht auch einige Curricula umgestellt werden können. (Hinzu kommt noch die Hector-Stiftung mit weiteren 200 Millionen Euro). Im Vorfeld der KIT-Diskussion wurde vor einigen Jahren noch auf das Potential an Junior-Professoren am Forschungszentrum hingewiesen. In der Zwischenzeit werden diese zum "Gehalt" von 30 Euro pro Vorlesungsstunde eingestellt, z. B. an der Universität Kaiserslautern. Dabei wird für die Vorbereitung der Lehre überhaupt kein Honorar gewährt. Eine Schande! Kein deutscher Handwerker würde für diesen Hungerlohn auch nur seinen Hammer heraus holen. Es steht zu hoffen, dass das KIT seine Juniorprofessoren deutlich besser bezahlt.

KIT hat bei der Umsetzung der Bologna-Reformen keine gute Figur gemacht. Vor vier Jahren wurde die Fusion der beiden Dickschiffe noch mit zu erwartenden Synergieeffekten begründet. Bis jetzt ist nur ein bürokratischer Corpus heraus gekommen, der noch nicht einmal in der Lage ist, die von Bologna geforderte Umstellung der Curricula einigermassen zeitgerecht hin zu bekommen. Stattdessen gibt es Streit auf allen Ebenen, von den (streikenden) Studenten bis hin zu den (frustrierten) Professoren.

Logo des KIT

Im Zuge des Bologna-Prozesses existieren noch eine Reihe weiterer offener Probleme. Soll es, beispielsweise, für die Absolventen des Bachelors einen Rechtsanspruch auf ein Masterstudium geben? Hier stehen sich Politik und Studentenvertreter noch konträr gegenüber. Damit eng verknüpft ist die Beseitigung von Zulassungsbeschränkungen durch Notenvorgaben. Und wenn man in diesem verminten Gebiet nicht höllisch aufpasst, dann ist man ganz schnell wieder bei den alten Strukturen und hätte sich den ganzen Zauber um Bologna sparen können.

Während man sich bei KIT noch am Elitestatus delektiert, haben die früheren Fachhochschulen schon seit Jahren die Bologna-Vorgaben umgesetzt. Und manche - wie Esslingen und Offenburg - verweisen mit Stolz darauf, dass sie leibhaftige Mercedes-Chefs zu ihren Absolventen zählen dürfen: Werner Niefer und Jürgen Schrempp.