Sonntag, 20. April 2014

Die missglückte Liberalisierung des Strommarktes

Etwa hundert Jahre lang waren die deutschen Stromversorger, wie RWE, Badenwerk, Bayernwerk etc. Wirtschaftsunternehmen "sui generis". Sie genossen die Exklusivrechte von Gebietsmonopolisten; keine Kartellbehörde veranlasste sie zu wettbewerblichen Handeln. Ihre eingängige Philosophie war: Strom ist ein hochwichtiges Produkt, kann immer erst zum Zeitpunkt des Verbrauchs hergestellt werden, ist nur zu geringem Teil zu speichern und kann deshalb unter Konkurrenzbedingungen nicht zuverlässig angeboten werden. Unter der Bezeichnung "Energieversorgungsunternehmen" (EVU) liess es sich in den regionalen Schutzgebieten gut leben, auch wenn die EVU immer wieder, leicht ironisch, als "unechte Industrie" bezeichnet wurden.

Das änderte sich zum Ende des vorigen Jahrhunderts. Die Skandinavier, insbesondere die Schweden, machte vor, wie man solche Strommonopolisten zu wettbewerblichem Tun veranlassen konnte. Die EU-Kommission griff diese Idee auf, legte eine Richtlinie für die nachfolgende nationale Gesetzgebung vor und schon am 26. April 1998 unterzeichnete der Bundespräsident Roman Herzog das sogenannte Energiewirtschaftsgesetz. Durch diese "Liberalisierung des Energiemarktes" (auch die Sparte Gas war dabei) sollten Millionen von Privathaushalte erstmals in die Lage versetzt werden, sich ihren Stromlieferanten selbst und frei auszuwählen. Hatten die Verbraucher bislang die Geschäftsbedingungen und Preiskalkulationen ihrer örtlichen Monopolisten ohne nennenswerten Widerspruch zu akzeptieren - weil ihnen sonst der Strom oder das Gas abgestellt worden wäre - so sollten sie sich ab jetzt für einen anderen Stromanbieter entscheiden können, falls diese ihre Energie billiger verkauften.


Die Positionierung der grossen EVU

Die grossen EVU hatten diesen mehrjährigen Gesetzgebungsprozess natürlich genauestens verfolgt und sich darauf strategisch vorbereitet. Im Wesentlichen reagierten sie auf zwei Weisen: durch den Zusammenschluss zu Grosskonzernen und durch die Bildung von Tochterunternehmen.

In Baden-Württemberg schloss sich das Badenwerk und die Energieversorgung Schwaben (EVS) zur Energie Baden-Württemberg (EnBW) zusammen. In der Folge übernahm die EnBW noch die Neckarwerke Stuttgart und das Land verkaufte seinen Anteil von 25,5 Prozent an den französischen Stromkonzern Electricité de France für 2,4 Milliarden Euro. - Die Fusion von RWE und VEW ist bereits im vorherigen Blog beschrieben worden, ebenso wie die Bildung von E.ON aus den beiden Mischkonzernen VEAG und VIAG. - Das Quartett vervollständigte der schwedische Konzern Vattenfall, der 2002 die HEW, VEAG und die Lausitzer Braunkohle übernahm. - Die vier Stromgiganten hatten damals gemeinsam einen Marktanteil von ca. 70 Prozent. Einige der noch existierenden Stadtwerke verübten daraufhin aus Angst vor dem unternehmerischen Tod "Selbstmord" und liessen sich aufkaufen, oft genug vom "grossen Bruder", dem Vorlieferanten.

Die Bildung von Tochterunternehmen

Der zweite strategische Schritt der vier Oligopolisten zur Verhinderung unliebsamer Konkurrenz im Strommarkt war die Gründung von "Billig-Töchtern". Zu nennen sind Avanca, eine Tochter des RWE-Konzerns, sowie Exprimo, ein Abkömmling der E.ON und die Gesellschaft Yello, welche von der EnBW auf den Markt gebracht wurde. In allen Fällen handelte es sich um reine Vertriebsgesellschaften, die den Strom von ihren Müttern (etwas billiger) bezogen und dem privaten Endkunden verkaufen sollten. - Auch Öko-Anbieter, wie Naturstrom, Lichtblick, EWS Schönau und Greenpeace Energy tummelten sich auf dem deutschen Strommarkt. Ihr Preise lagen aber meist über Marktniveau und der Kundenstamm war entsprechend überschaubar.



Das Logo der EnBW-Tochter  "Yello"

Besonderen Rummel veranstaltete die Vertriebsgesellschaft Yello, für welche der EnBW- Oberchef Gerhard Goll sogar den Kabarettisten Harald Schmidt werben liess. "Unser Strom ist gelb" verkündete dieser kess im Fernsehen - und nicht wenige Kunden glaubten ihm. Als Otto Normalverbraucher "Hannes" erklärte er zudem, wie einfach es ist, den Stromanbieter zu wechseln (zu Yello, selbstredend).

Aber die Euphorie an der Preisfront dauerte nur knapp zwei Jahre. Im Jahr 2000 hatten die Energieriesen die Sache wieder im Griff. Zu Hilfe kam ihnen ein Geburtsfehler des Energiewirtschaftsgesetzes: darin waren nämlich die Netzentgelte für die Durchleitung von "Fremdstrom" nicht geregelt. An dieser Preisschraube liess sich trefflich drehen, sodass für wechselbereite Interessenten letztlich kein Vorteil mehr heraussprang. Als Folge mussten viele engagierte Strommakler das Feld räumen und die Grossen waren wieder unter sich. Mit Ausnahme von Yello, die nach eigenen Angaben eine Million Kunden haben soll, wurden die übrigen Billigtöchter rasch wieder "eingedampft".

Eine Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes im Jahr 2005 sollte diese Lücke wieder schliessen. Seine wesentlichen Eckpunkte waren die Entflechtung der Stromnetze sowie die Überprüfung der Netzentgelte und der Durchleitungstarife durch die Regulierungsbehörde Bundesnetzagentur.Das brachte mehr Transparenz in das Stromgeschäft, sodass die Haushalte bald die Wahl zwischen ca. 100 Stromanbietern und ca. 30 Gasanbietern hatten. Aber der Aufschwung der frühen Jahre liess sich nicht mehr herstellen. Mit dazu beigetragen hat der Umstand, dass immer wieder unseriöse Anbieter insolvent wurden, worunter hundertausende von Kleinkunden zu leiden hatten, weil sie in finanzielle Vorleistung gegangen waren. Die bankrotten Firmen TelDaFax und Flexstrom sind dafür abschreckende Beispiele.

Im Fazit kann man heute feststellen, dass, den Statistiken zufolge, seit Beginn der Strommarkt-Liberalisierung lediglich ein Viertel aller Bundesbürger ihren Stromanbieter gewechselt hat.

Sonntag, 13. April 2014

Warum die berühmte RWE von der unbekannten E.ON überholt wurde

Wenn die Aktionäre der Rheinisch-Westfälischen Energiewerke AG (RWE) am kommenden Mittwoch (16. April) in der Essener Gruga-Halle zu ihrer Hauptversammlung zusammen kommen, dann wird Trübsal angezeigt sein. Noch nie in der ruhmvollen 116-jährigen Geschichte dieses Konzerns musste der Vorstand ein schlechteres Geschäftsergebnis vortragen. Zum ersten Mal in der Nachkriegszeit wird ein Verlust ausgewiesen - und das gleich in der Höhe von 2,757 Milliarden Euro. Die Dividende wird auf einen Euro pro Aktie halbiert; der Aktienkurs fiel in den letzten fünf Jahren von knapp 100 auf blosse 28 Euro.

Das trifft nicht nur die Privatanleger, sondern auch die Kommunen in Nordrhein-Westfalen, welche seit Urzeiten grosse Aktienpakete des RWE halten und damit zum erheblichen Teil ihre städtischen Ausgaben finanzieren. Wegen der sinkenden Dividende (und parallel der sinkenden Gewerbesteuer) sind die Einnahmen dieser Kommunen stark gefallen. Aber auch der fallende Aktienkurs bereitet grosse bilanztechnische Probleme. Die Stadt Essen wird in diesem Jahr 680 Millionen Euro Aktienwert abschreiben müssen; womit fast 80 Prozent des bilanziellen Eigenkapitals dieser Stadt aufgebraucht sein wird.

Der Konzernchef Peter Terium will den Umbau seines Unternehmens zu höherer Rendite hin beschleunigen, aber das ist leichter gesagt als getan. Zur Zeit plagen das RWE nämlich mehr als 30 Milliarden Euro Altschulden, die zu einem erheblichen Teil noch aus einer Zeit stammen, da es der Firma - gemessen an heute - noch ausgezeichnet ging. Was lief damals schief, wie kam diese Fehlkalkulation zustande?

RWE: die falsche Strategie zur Diversifikation

Um das zu verstehen, muss man zwei Jahrzehnte in der Firmengeschichte des RWE zurückgehen. Zur Jahrtausendwende - nach der Wiedervereinigung - kam es in der deutschen Stromwirtschaft zu einer historischen Konzentration: die Unternehmen RWE (neu), E.ON, EnBW und Vattenfall entstanden. (Die Gründe dafür lagen in der vom Gesetzgeber veranlassten sogenannten "Liberalisierung der deutschen Stromwirtschaft", welche im Blog der kommenden Woche genauer erläutert werden wird). Mitte des Jahres 2000 gelang es dem RWE nämlich, die Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen (VEW) zu " schlucken" wodurch die "neue" RWE entstand. Damit war etwas gelungen, was die RWE schon seit den zwanziger Jahren anstrebte, nämlich die "aufsässigen Dortmunder" ihrem Konzern einzuverleiben. Und die "Mitgift" konnte sich sehen lassen: nunmehr gehörten u. a. die VEW Energie, die Mitteldeutsche Energieversorgung MEAG sowie die Westfälische Ferngas AG zum Essener Konzern. Der Name VEW wurde getilgt.

Nach der Integration von VEW organisierte RWE den Konzern in vier Bereiche: Strom, Gas, Umwelt und Wasser. Bald entstand ein Beziehungsgeflecht von nahezu 1000 Unternehmen. Unter dem Vorstandsvorsitz von Dietmar Kuhnt schien RWE den Industriemarkt leerzukaufen. Die Essener steigerten gegen Mitbewerber so lange, bis diese aus dem Feld geschlagen waren. Freilich zumeist zu überhöhten Preisen, wie sich später zeigen sollte.


Setzte auf Diversifikation: Dr. Dietmar Kuhnt, RWE-Vorstandsvorsitzender 1995 - 2003

Kuhnt setzte vor allem auf das weltweite Wassergeschäft. Vom "blauen Gold" schien der Vorstandschef wie berauscht zu sein. So erstand RWE für ein Gebot von 7 Milliarden Euro den britischen Wasserproduzenten Thames Water mit Sitz in London. Kurz darauf akquirierte RWE auch American Water für 5 Milliarden Euro. Kleine Schönheitsfehler: RWE übernahm damit auch die 8 Milliarden Schulden der Amerikaner und in England musste man viel Geld bezahlen für die Sanierung der total verrotteten Londoner Wasserleitungen. Zusammen mit weiteren Übernahmen im Ausland hatte RWE in kurzer Zeit einen Schuldenberg von 20 Milliarden Euro angehäuft. Die Kritik an Kuhnts Konzernpolitik wurde nun immer lauter und 2003 wurde er zur Abdankung veranlasst. Der Holländer Harry Roels stoppte den manischen Firmenankauf - aber der Schuldenberg blieb bis heute.

E.ON: Konzentration auf das Kerngeschäft

Praktisch parallel zu RWE vollzog sich der Aufstieg des Konzerns E.ON. Er entstand durch die Fusion der beiden Mischkonzerne VEBA und VIAG im Jahr 2000. Der Motor hinter dieser Konzentration war Ulrich Hartmann, seit 1993 Vorstandsvorsitzender der VEAG und ab 2000 in gleicher Position für den Gesamtkonzern E.on. Hartmann hatte eine klare Wachstumsstrategie: das Unternehmen E.on sollte Europas führender Energiekonzern werden, und zwar ausschliesslich auf den beiden Gebieten Strom und Gas.


Setzte auf Konzentration: Ulrich Hartmann, E.on-Vorstandsvorsitzender 2000-2003

In einem gigantischen Desinvestitionsprogramm verkaufte er zunächst Hunderte von Beteiligungen auf den Gebieten Telekommunikation, Stahl, Aluminium, Glas, Wasser, Verpackung etc., was etwa 40 Milliarden Euro in die Kassen des Düsseldorfer Konzerns spülte. Die anschliessende Einkaufstour führte Hartmann durch Grossbritannien, wo er sich Powergen einverleibte und  weiter durch Italien, Schweden, Ungarn usw. bis in die USA. Im Jahr 2004 war bereits ein Konzern mit einem Jahresumsatz von 50 Milliarden Euro und 70.000 Beschäftigten entstanden. E.on hatte RWE hinter sich gelassen - und sich dabei noch nicht einmal verschuldet!

PS.:Nicht alles lief schlecht bei RWE in 2013:

Immerhin ist die Gesamtvergütung des RWE-Vorstandsvorsitzenden Peter Terium im Bilanzjahr 2013 um 20 Prozent auf 4.504 Millionen Euro angestiegen, gegenüber dem Vorjahr 2012 (3.729 Mio).

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