Samstag, 10. August 2013

Der Niedergang der deutschen Stromkonzerne

In Deutschland gibt es derzeit ca. 1.150 Stromversorgungsunternehmen. Die weitaus grössten Umsätze - Stand 2011 - erzielten:  E.ON (113 Milliarden Euro), RWE (52), EnBW (18) und Vattenfall (11). Die vier Grossen beherrschen etwa 80 Prozent des deutschen Strommarkts. Daneben gibt es die sog. Ökoanbieter, die umsatzmässig - ebenfalls Stand 2011 - weit darunter liegen: Lichtblick (0,625 Milliarden Euro), Naturstrom (0,112), Elektrizitätswerke Schönau (0,100) und Greenpeace energy (0, 083).

Durch die politisch gewollte Energiewende vor etwa zwei Jahren sind die grossen Stromversorger wegen der sofortigen Abschaltung von acht Kernkraftwerken sowohl technisch als auch wirtschaftlich in eine kritische Schieflage gekommen. Die technischen Implikationen wurden bereits in einem früheren Blog beschrieben ("Die Energiewende - kollabiert das Stromnetz?" vom 17. 3. 13), die wirtschaftlichen Konsequenzen der Energiewende für die vier Konzerne werden im Folgenden dargestellt.


E.ON

E.on hat bereits Atomkraftwerke und andere Kraftwerke abgeschaltet, die 15 Prozent seiner Kapazität entsprechen, weitere 26 Prozent stehen noch aus. Infolge des Atomausstiegs hat E.on im Jahr 2011 (erstmals in der Firmengeschichte) einen Verlust von 1,9 Milliarden Euro eingefahren. Im Jahr zuvor hatte E.on noch einen Gewinn von 6,2 Milliarden Euro erzielt. Für das Jahr 2013 rechnet man allenfalls mit einem Plus von 2,2 bis 2,6 Milliarden. Der Aktienwert des Konzerns ist beträchtlich gefallen. Im Jahr 2010 waren es noch 45,8 Milliarden Euro, 2012 nur noch 28,2 Milliarden. Die genannten Gewinne können nur durch den Verkauf von Beteiligungsgesellschaften aufrecht erhalten werden.

Immer wieder wird E.on mit Fusionen in Verbindung gebracht. EU-Kommissar Horst Oettinger hat der E.on das Zusammengehen mit dem französischen EdF vorgeschlagen. Vorsichtige Gespräche führten jedoch zu keinem Ergebnis. Froh ist man heute darüber, dass es dem früheren E.on-Chef Wulf Bernotat im Jahr 2006 nicht gelungen ist, den spanischen Grossversorger Endesa zu übernehmen. E.on hatte bereits 42 Milliarden Euro für diesen Deal bereitgestellt und wäre in der Folge daran wohl zugrunde gegangen. Probleme hat E.on auch mit seinen Übernahmeplänen in Brasilien und in der Türkei. Vorstandschef Johannes Teyssen hat, quasi als ultima ratio, das Effizienzprogramm 2.0 aufgelegt. Es sieht den Abbau von 11.000 Arbeitsplätzen vor.


RWE

Bei RWE sank der Aktienkurs nach der Stilllegung der Kernkraftwerke Biblis von 28 auf 19 Milliarden Euro. Die Gewinne sind entsprechend eingebrochen. RWE-Chef Peter Terium kündigte den Abbau von mindestens 10.000 Jobs an. Ähnlich wie bei E.on soll der Verkauf von Beteiligungen die erforderlichen Mittel für zukünftige Investitionen generieren. Gas und Steinkohle haben als Energieträger bei RWE verloren, die Braunkohle hat zugelegt. Hier hat RWE gegenüber E.on einen strategischen Vorteil. Die Kommunen in NRW, welche 25 Prozent des Aktienkapitals halten, sind unzufrieden mit der Ertragslage des Mutterkonzerns. Sie drohen RWE, in Zukunft eigene Stadtwerke aufzumachen, z.B. in Recklinghausen.

Erhebliches Potential sieht RWE in der Windkraft. In der Nordsee sollen Windparks mit einer Kapazität von 1.000 MW entstehen. Probleme sieht RWE in den genehmigungsbedingten Verzögerungen und dem Mangel an Spezialschiffen. Kürzlich forderte Terium die Bundesregierung auf, "für einen wirtschaftlichen Ausgleich" beim Ausbau der offshore-Windkraft zu sorgen, insbes. wegen des verzögerten Anschlusses durch den Netzbetreiber Tennet. Klingt wie der Ruf nach Subventionen.


EnBW

Bei der EnBW wurden im Zuge der Energiewende die beiden "cash-cows" Philippsburg 1 und Neckarwestheim I abgeschaltet, wodurch sich Ende 2011 ein Verlust von 900 Millionen Euro anhäufte. Der Vorstandsvorsitzende Hans-Peter Villis musste gehen und wurde durch Frank Mastiaux ersetzt. Die Aktie der EnBW hat allein im Jahr 2012 rd. 20 Prozent ihres Wertes verloren und ist zeitweise für unter 30 Euro zu haben. Sorge bereitet der EnBW-Spitze die allgemeine Wettbewerbslage. Die Kunden wechseln immer häufiger ihren angestammten Versorger, was insbesondere für die Industriekunden gilt. Weil die Stadtwerke und Kommunen ihre Stromnetze aufkaufen, kommt es zum Phänomen der Netzaufsplitterung. Insbesondere die Stadtwerke Stuttgart versuchen immer ungenierter der EnBW die Kunden abzujagen.

Typisch für die EnBW ist, dass 90 Prozent der Aktien beim Land bzw. bei den oberschwäbischen Landkreisen liegen. Über den Rückkauf des Aktienpakets von der französischen EdF ist ein heftiger politischer Streit entstanden, der zur Abwahl des konservativen Ministerpräsidenten Stefan Mappus führte und zur Einrichtung einer grün-roten Regierungskoalition unter Winfried Kretschmann. Diese versucht den Ausbau der Windkraft "im Ländle" zu forcieren, der aber wegen des Widerstands der Bevölkerung (Schwarzwald!) nur quälend langsam voran kommt.


Vattenfall

Schon krisenhaft ist die Entwicklung beim Stromversorger Vattenfall. Medienberichte sprechen von Milliardenverluste, den Abbau von 2.500 Arbeitsplätzen, sinkende Erlöse beim Stromverkauf und drastischen Gewinnrückgängen. Gerüchte besagen, dass sich Vattenfall sogar ganz aus der Braunkohle in Ostdeutschland zurückziehen könnte. Akut gibt es heftige Tarifauseinandersetzungen, weswegen zeitweise 4.000 Beschäftigte auf die Strasse gehen.

Grosse Probleme gibt es um das im Bau befindliche Kohlekraftwerk Moorburg. Aufgrund eines Gerichtsbeschlusses wurde hier die Kühlwasserentnahme aus der Elbe so stark eingeschränkt, dass ein wirtschaftlicher Betrieb nicht mehr vorstellbar ist. In Berlin ist es so gut wie sicher, dass Vattenfall das dortige Stromnetz an die Stadt übergeben muss. Auch Hamburg könnte aufgrund eines Volksentscheids verloren gehen. Immerhin zeigen Umfragen, das rd. 64 Prozent der Hamburger dafür sind, die Energienetze - nicht nur die Stromnetze -  wieder in die öffentliche Hand zu nehmen. Der Verlust der Fernwärmenetze würde den Konzern besonders hart treffen, denn damit verdient er immer noch gutes Geld.

Der Konzern mit Sitz in Stockholm und der Deutschland-Zentrale in Berlin will sich ein "grünes Image" zulegen. Wie das mit der Kohleverstromung in der Lausitz und den Atomkraftwerken in Schweden zu vereinbaren sein soll, wird bisher nicht verraten.


Fazit

Die Probleme bei den grossen deutschen Energieversorgungsunternehmen (EVU) zeigen die gleichen Muster. Überall sind seit der Energiewende die Umsätze und Gewinne dramatisch eingebrochen. Damit fehlen die Finanzmittel für notwendige Investitionen im Bereich der Erneuerbaren Energien, insbesondere bei der Windkraft. Hinzu kommen dramatisch gestiegene Kosten bei den offshore-Anlagen und technische Probleme mit der elektrischen Anbindung.

Auf der Abnehmerseite zeigt sich, dass die Kunden, insbes. die Industriekunden immer schneller - manchmal jährlich - ihren früher angestammten Versorger wechseln. Zudem werden die Stadtwerke wirtschaftlich immer mächtiger und machen sich zunehmend selbstständig. Der Firmenwert der grossen Versorger sinkt und manches EVU muss schon um seine Eigenständigkeit bangen. Der drastische Abbau der früher gesicherten Arbeitsverhältnisse bei den EVU mindert die Zufriedenheit der Beschäftigten und treibt sie auf die Strasse.

Der beschriebene Prozess ist noch nicht zu Ende, sondern vielmehr erst am Anfang. Man muss Sorge haben um die grossen deutschen Stromversorger.

Quo vadis EVU?


Samstag, 3. August 2013

Der neue "Ring" - Triumph des Regietheaters?

"Regietheater" ist ein abwertender Begriff der Theaterkritik, welcher in den 1970er Jahren aufgekommen ist. Den Regisseuren wird damit vorgeworfen, dass sie die ursprünglichen Intentionen der Stückeautoren verletzen, indem sie willkürliche Kürzungen vornehmen oder die Handlung "grundlos" an einen anderen Ort oder in eine andere Zeit verlegen, womit die Inszenierung vom eigentlichen Gehalt des Werkes ablenkt. Zumeist tummeln sich solche Regisseure  im Sprechtheater, neuerdings treiben sie ihr Unwesen aber auch im Musikbereich.

Frank Casdorf wird zu den Vertretern des Regietheaters gezählt. Ihm wurde kurzfristig von den beiden Bayreuther Intendantinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier die Inszenierung der Tetralogie "Der Ring der Nibelungen" anvertraut, nachdem vorher schon die Regisseure Tom Tykwer und Wim Wenders abgesagt hatten. Castorf hatte angeblich nur 30 Tage Zeit für seine Interpretation eines Werkes, wofür Richard Wagner sich 30 Jahre abmühte. Castorf, hauptamtlich Chef der Berliner Volksbühne, ist bekannt als "Stückezertrümmerer". Das scheint ihm auch beim Ring gelungen zu sein.


Obskure Orte, perfide Personen

Wagners Kosmos im Ring besteht gewissermassen aus drei Abteilungen: der Götterwelt, der Menschenwelt und der Unterwelt. Sie sind bestückt mit Göttern, Menschen, Riesen, Nixen und Zwergen, welche miteinander an den verschiedensten Orten agieren. Die wichtigste "Requisite" ist der Ring, welcher aus dem Gold des Rheins geschmiedet wurde und der seinem Besitzer unbegrenzte Macht verleiht, der aber gleichzeitig mit einem argen Fluch belegt ist.

Castorfs Grundidee ist es, das Gold durch Erdöl zu ersetzen, was aber leider nur unzulänglich gelungen ist. So spielt das Rheingold in Texas an der "Route 66". Die Rheintöchter sind drei laszive blonde Miezen, die gelangweilt am Pool eines miesen Motels herumlungern und ihre Spitzenhöschen auf eine Wäschespinne hängen. Der Göttervater Wotan ist ein zwielichtiger Pate in rosa Anzug und  Goldkettchen. Er hurt herum und wird nur zärtlich, wenn er mit der Hand über seinen silbernen Mercedes streicht. Der Zwerg Alberich erscheint als schmieriger Mafiosi, sein Bruder Mime schwenkt immerzu - warum eigentlich? - die Regenbogenfahne der Schwulenbewegung. Auf dem Dach des Motels hat Castorf eine Videoleinwand aufstellen lassen, auf der Live-Bilder des Bühnengeschehens  zu sehen sind. Wie im Fussballstadion! Der Brudermord des Riesen Fafner an Fasolt wird in Grossaufnahme zelebriert.

Die Walküre spielt auf einem Ölfeld in Aserbaidschan. Die Kulisse ist ein schäbiger Förderturm auf einer Drehbühne. Nach der Liebesnacht zwischen Siegmund und Sieglinde - bei welcher der spätere Held Siegfried gezeugt wird - lässt Castorf auf einer Leinwand einen historischen Schwarzweissfilm mit einer gelungenen Ölbohrung abspulen. Bei einem Gasunfall werden einige "Helden der Arbeit" getötet, die sodann von den acht Walküren bei ihrem wohlbekannten Walkürenritt eingesammelt werden. Hojotoho! Da sich Brünnhilde der Forderung ihre Göttervaters Wotan widersetzt hat, wird sie zur Strafe auf dem Ölfeld in Arrest gelegt. Neben ihr brennt, zur Bewachung, ein Ölfass.

Das Bühnenbild im Siegfried ist janusköpfig. Vorne zeigt es eine Abwandlung des Mount- Rushmore-Monuments mit Marx, Lenin, Stalin und Mao, das der Anarchist Siegfried gerade mit dem Hammer bearbeitet. Danach dreht sich die Bühne in die Gegenwart und Berlin, Alexanderplatz mit seinen U- und S- Bahnstationen erscheinen. Siegfried schmiedet nicht, wie von Wagner vorgegeben, die Trümmer des Schwerts Nothung zusammen, sondern packt praktischerweise zwei fabrikneue Kalaschnikows aus. Mit einer lautstarken MP-Salve streckt er den Schalterbeamten (alias Drachen) Fafner in einem U-Bahnschacht nieder, was angeblich einen Zuschauer in der 20. Reihe in Ohnmacht fallen liess. Danach kriechen zwei Riesenkrokodile über die Bühne und fressen bedauerlicherweise den so herrlich singenden Waldvogel. Inzwischen haben sich Brünnhilde und Siegfried getroffen und richten vor einem Bahnhofskiosk ihr Hochzeitsdinner aus.

In der Götterdämmerung hantieren die Schicksalsnornen im Hinterhof eines Backsteinhochhauses mit einer eisernen Feuertreppe. Die Behausung von Siegfried und Brünnhilde ist ein Wohnwagen vor dem verhüllten Reichstag. Später fallen die Tücher und die Säulenfundamente der New Yorker Börse kommen zum Vorschein, ganz nach dem Motto: Walhall ist Wall Street. Gunther, der Chef der Gibichungenfamilie weilt ebenfalls in Berlin und herrscht über die erste Dönerbude am Platze, gleich neben der Mauer. Sein Halbbruder Hagen ist Anführer einer schwarz gewandeten Schlägertruppe und erledigt später Siegfried mit dem Basballschläger. Nach diesem Mord lässt Brünnhilde die ganze Szene in einem grossen Feuer aus gestapelten Ölfässern aufgehen. Die Rheintöchter schicken den toten Siegfried mit dem Ring auf einem Schlauchboot in die ewigen Rhein-Jagdgründe.

Musikalisch und sängerisch war das Bayreuther Premierenpublikum mit dem Ring weitgehend zufrieden. Vorsorglich hatten die beiden Wagnertöchter mit Casdorf vorher vereinbart, dass er keine Änderungen an den Texten oder gar an der Musik vornehmen dürfe. Als Dirigent fungierte der Russe Kirill Petrenko, der zum ersten Mal in Bayreuth auftrat und eine makellose Leistung ablieferte. So transparent und gleichzeitig so machtvoll war der Ring auf dem Hügel selten zu hören. Die Sänger waren, bis auf wenige Ausnahmen, durchweg gut bis sehr gut. Leider konnte Lance Ryan als Siegfried das "Bellen" in der Mittellage nicht ganz unterdrücken und der Koreaner Attila Jun als Hagen presste und drückte so stark, dass er mitunter schwer zu verstehen war. Geradezu fulminant aber sangen Anja Kampe als Sieglinde und Johan Bothe als Siegmund. Sie wurden zu Recht vom Publikum stürmisch gefeiert.


Publikumsbeschimpfung zum Schluss

Zusammenfassend muss man sagen, dass Frank Casdorf zu Wagners Jubiläumsjahr beileibe keinen Jahrhundertring abgeliefert hat, sondern eher einen bescheidenen Jahresring. Er machte zwar seinem Ruf als Werkzertrümmerer alle Ehre, dafür musste er aber allzu oft tief in die Klischee-Kiste greifen. Seiner Inszenierung fehlt die grosse durchgängige Idee, das angekündigte Ölthema wird nicht ausgearbeitet und wirkte zeitweise nur banal. Ein paar nette Gags, ein paar beeindruckende Videoperspektiven, aber kein ernst gemeintes einigendes Konzept. Das ist für Bayreuth zu wenig.

Zum Schluss kam es noch - zum ersehnten? - Eklat. Als Castorf nach der Götterdämmerung mit seinem Team zum ersten Mal vor das Publikum trat, wurde er mit vereinzelten Bravorufen, zumeist aber mit wütenden Buhrufen empfangen. Er blieb einige Momente fast regungslos stehen, was stilvoll anmutete. Aber dann begann er zu gestikulieren, tippte sich mit den Fingern ans Hirn und provozierte mit allerhand weiteren unartigen Gesten das Publikum. Schliesslich ging er, nach geschlagenen zehn Minuten, ohne Verbeugung ab.

Ob Castorfs Ring, wie eigentlich geplant, bis zum Jahr 2018 auf dem Bayreuther Spielplan bleiben wird, ist nach dieser Vorstellung zumindest fraglich.











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