Samstag, 27. September 2008

Für die Katz

"Rustel" war uns zugelaufen, als unsere alte Hauskatze "Minki" mit 17 Jahren das Zeitliche gesegnet hatte. Zugelaufen ist eigentlich nicht der richtige Ausdruck: in Wirklichkeit drängte sie geradezu in unser Haus, als sie spürte, dass dort eine Vakanz war. Rustel war eine halbverhungerte, verhärmte, graugetigerte Strassenkatze, offensichtlich eine Promenademischung und es war unwahrscheinlich, dass sie je einen Schönheitspreis gewinnen würde. Aber irgendwie tat sie uns leid und Rustel spürte das wohl instinktiv und so durfte sie eben bleiben.

Ihr Körbchen hatte sie im Keller; durch ein Loch im Lichtschacht richteten wir ihr einen Katzendurchstieg ein. Und Rustel nutzte ihn fleissig, denn im Grunde war sie eine echte Wildkatze, der das freie Umherstreifen ein Bedürfnis war, aber auch die Bequemlichkeit einer für sie sorgenden "Herrschaft" durchaus zu schätzen wusste. Zuweilen kletterte sie im Garten über die Magnolienäste auf das Hausdach unseres Bungalows, sah uns beim Rosenschneiden zu oder genoss einfach nur den weiten Blick. Beim Heruntersteigen musste ich ihr anfangs helfen, denn die Krallen der Katzen sind bekanntlich nach hinten gekrümmt und nur eine geringe Hilfe beim Abwärtsklettern.

So war ich nicht überrascht, als eine Nachbarin, Frau S. , an einem frühen Vormittag bei uns vorbei kam und uns aufgeregt darüber informierte, dass Rustel in der Astgabel eines hohen Baumes sässe, wovon sie sich offensichtlich nicht wieder herunter getraute. Tatsächlich, ich sah sie dort sitzen - eine graugetigerte Katze, leise miauend und mit eingezogenem Schwanz ängstlich auf einem Ast hockend. Ich versuchte sie herunter zu locken, ich klopfte an den Baumstamm, ich hielt ihr sogar ( aus dem Haus geholtes Futter) vor die Nase. Alles vergebens. Rustel fürchtete sich davor abzusteigen, stattdessen sah sie mich unverwandt mit ihren traurig-ängstlichen Augen an.

Inzwischen kamen immer mehr Zuschauer. Die guten, aber zumeist nutzlosen Ratschläge häuften sich, bis einer das Wort "Notruf" fallen liess. Jawohl, das war es! Ich rief umgehend die Nummer 110 an und schilderte einer freundlichen Dame unser Unglück. Sie schien nicht das erste Mal mit einem solchen Notstand konfrontiert zu sein, denn sie sagte nur: "Kein Problem, ich verbinde Sie mit der Feuerwehr." Tatsächlich sagte man mir dort umgehend Hilfe zu; offensichtlich war zu jener Zeit kein Grossbrand zu bekämpfen.

Die Feuerwehr kam, nicht mit tatüü-tataa, aber mit einem riesigen Auto, grellrot angestrichen und mit mit 4 Mann hoch besetzt, in schicken Uniformen. Sie schleppten eine schwere Leiter zum Baum und einer machte sich, geschützt durch einen beeindruckenden Helm, an den Aufstieg. Rustel beobachtet das geschäftige Treiben unter ihr mit intensiven, misstrauischen Blicken, duckte sich in die Astgabel und als der Feuerwehrmann schon nach ihr greifen wollte, sprang sie - zack! - in einen zwei Meter höheren Zweig. Dorthin konnte ihr der Löschexperte nicht folgen, denn seine Leiter war zu kurz.

Leise fluchend machte sich der abgewiesene Helfer an den Abstieg, aber sein Kommandant war nicht in Verlegenheit zu bringen. Per Handy orderte er bei der Zentrale Verstärkung an und schon nach einer knappen Viertelstunde kam ein weiteres rotes Fahrzeug, noch grösser als das erste und ausgestattet mit einer Drehleiter. Rustel ahnte wohl, das es nun zum "show-down" kommen würde, denn sie drückte sich noch enger in das Astgewirr, so, als wollte sie sich klein und unsichtbar machen. Aber diesmal kam der wackere Feuerwehrmann immer näher und als er schliesslich nach ihr greifen wollte, passierte es: statt freudig erlöst zu sein, verspürte Rustel offensichtlich panische Angst und war zum Äussersten bereit. Mit einem gewaltigen Satz hechtete sie kopfüber nach unten, raste dem Baumstamm entlang, fiel auf die Erde, überschlug sich einige Male auf dem, gottlob, weichen Laubboden - und rannte, wie um ihr Leben, in Richtung eines Nachbarhauses.

Der Feuerwehrleute waren trotzdem zufrieden, denn nach ihrem Verständnis war die Katze gesund geborgen, womit der Auftrag erfüllt war. Mit vielen Dankessprüchen meinerseits und einem angemessenem Trinkgeld transportierten sie ihr Equipment wieder zurück in die städtische Branddirektion. Auch die mittlerweile zahlreichen Zuschauer verliefen sich; einige gratulierten mir noch zum glücklichen Ausgang dieses Unternehmens und meiner offenkundig demonstrierten Tierliebe.

Ich blieb äusserlich gelassen, aber innerlich bebte ich. Denn beim Abgang vom Baum hatte ich, trotz der Schnelligkeit, noch den Schwanz der graugetigerten Katze erkennen können und ich war mir sicher, dass er nicht Rustel gehörte, sondern einer Katze aus den Nachbarhäusern, wohin sie auch gestürmt war.

Als ich heimkam lag Rustel friedlich schlummernd in ihrem Körbchen im Keller. Beim Nähertreten wachte sie auf, reckte sich zum Katzenbuckel, streckte den Schwanz in die Höhe - und da war sie wieder, dessen charakteristische Färbung. Mit dem Näschen stupste sie meine Knie, als wollte sie sagen: "Ich bin hungrig, du darfst mir mein Lieblingsgericht bringen,


Hühnchen in Aspik, bitte."

Montag, 15. September 2008

Ein Teilchen namens Higgs

Im Baukasten der Natur befinden sich, nach den Vorstellungen der Physiker, etwa zwei Dutzend Elementarteilchen, aus denen das ganze Universum - also Erde, Sonne, Milchstrasse und weitere hundert Milliarden Galaxien aufgebaut sind. Diese Teilchen unterscheiden sich sehr deutlich voneinander hinsichtlich ihrer Grösse, ihrer Masse, ihrer elektrischen und magnetischen Ladung, sowie einiger weiterer Eigenschaften.

Das Zusammenwirken der Elementarteilchen beim Aufbau der belebten und unbelebten Natur erklärt die sogenannte Standardtheorie, welche die Physiker in den letzten 25 Jahren entwickelt haben. Diese Theorie ermöglicht es sogar Vorhersagen zu treffen und eine dieser Vorhersagen ist, dass noch zwei weitere Teilchen in dem erwähnten Baukasten fehlen, also experimentell nicht nachgewiesen sind. Das eine ist das Graviton, welches die Schwerkraft vermittelt, das andere das mysteriöse Higgs-Teilchen. Der Name reimt sich akustisch auf "Hicks", hat aber mit Schluckauf nichts zu tun, vielmehr trägt dieses noch unentdeckte Partikel den Namen des schottischen Physikers (Peter) Higgs. Er hat es schon vor 44 Jahren prognostiziert und diese Vermutung am 27. Juli 1964 in dem amerikanischen Fachjournal "Physics Letters" veröffentlicht. Bemerkenswert ist, dass diese mittlerweile berühmte Publikation nur eine einzige Druckseite umfasst.

Das Higgs-Teilchen beseitigt eine Schwäche der oben genannten Standardtheorie. Letztere kann zwar alle bekannten Elementarteilchen richtig einordnen, aber diese besitzen dann keine Masse und bewegen sich alle mit Lichtgeschwindigkeit fort. Das kann offensichtlich nicht stimmen, denn Protonen, Elektronen und Photonen besitzen sehr wohl ( unterschiedliche) Massen und haben auch verschiedene Geschwindigkeiten. Geht man von der Existenz der Higgs-Teilchen aus, dann verschwinden diese Diskrepanzen und die Standardtheorie beschreibt nun "die Welt" nun richtig. Esoterisch angehauchte Zeitgenossen sprechen deshalb auch gerne vom "Gottesteilchen"; andere nennen das Higgs-Teilchen den "Heiligen Gral" der Physik.

Higgs hat seine Überlegungen zwar nur auf einer DIN A4-Seite niedergeschrieben, sie sind jedoch so hochkomplex, dass sie der Normalphysiker kaum versteht, von einem Laien ganz zu schweigen. Zum Glück gibt es eine berühmte Metapher, wodurch es selbst einem Durchschnittsmenschen gelingt, sich in das Higgs-Szenario einzudenken. (Die Begriffe Higgs-Teilchen und Higgs-Feld werden synonym verwendet, da Teilchen und Felder in einander überführbar sind).

Nun also die Higgs-Theorie für Jedermann: Man stelle sich Journalisten auf einer Cocktailparty vor, die gleichmässig im Raum verteilt stehen. Das ist gewissermassen das Higgs-Feld. Kommt nun ein sehr prominenter Politiker (Proton!) durch die Tür und will den Raum schnell durchqueren, so werden sich die Journalisten sogleich um ihn scharen. Seine Bewegungsenergie wird abgebremst und der Pulk der Journalisten verleiht dem Politiker eine (träge) Masse, also ein Gewicht. Ein weniger bekannter Politiker (Elektron!) verursacht geringeren Auflauf, wird aber auch leicht gebremst. Der Hausmeister (Photon!), schliesslich, kann den Raum im unvermindertem Tempo durchqueren. Das genau ist der Mechanismus von Higgs: durch die Wechselwirkung mit dem Journalisten, also dem Higgs-Feld, bekommen die Teilchen ihre Masse und verlieren an Geschwindigkeit.

Etwas physikalischer ist eine zweite Metapher. Demnach liegt dem Universum ein alles durchdringendes Feld zugrunde, das Higgs-Feld. Durch dieses Feld bewegen sich alle Elementarteilchen wie durch einen zähen Sirup. Dabei verspüren sie einen Widerstand, so, als ob man mit einem Kochlöffel durch den Sirup rührt. Dieser Widerstand ist es, der den Teilchen ihre Masse verleiht.

Noch ist das Higgs-Teilchen experimentell nicht nachgewiesen. Das erwartet man im Forschungszentrum CERN bei Genf, wo in den letzten Jahren der grösste Kreisbeschleuniger der Welt mit 27 km Durchmesser gebaut wurde. LHC, Large Hadron Collider, ist sein Name. Der Detektor ATLAS, in dem das Higgs aufleuchten soll, besitzt die Ausmasse eines grossen Kirchenschiffs und wiegt 7.000 Tonnen. Vor zehn Tagen erst wurde der LHC - unter Teillast - in Betrieb genommen; schon am vergangenen Freitag musste er wegen eines Heliumlecks in der Strahlröhre wieder abgeschaltet werden. Vermutlich für mindestens zwei Monate. Wenn er wirklich mal richtig in Schwung gekommen ist, dann prallen dort in jeder Sekunde Millionen von Protonenpakete mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aufeinander. Diese kosmische Wucht erzeugt Milliarden an Splitter, die in ATLAS registriert werden sollen. Nur etwa ein Higgs-Teilchen pro Minute kann man erwarten; es soll von den Riesencomputern herausgesiebt werden. Die berühmte Nadel im Heuhaufen ist dagegen nichts.

Aber der LHC ist nicht allein. In Chicago, am Fermi-Laboratorium steht der Beschleunigerkonkurrent Tevitron der Amerikaner. Er ist zwar kleiner als der LHC, läuft aber bereits seit Jahren Tag und Nacht und hat eine Flut von Daten angesammelt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Higgs bereits gezeigt hat, aber noch im Datenarchiv versteckt ist. Würde es demnächst ein Doktorand des Fermi-Lab recherchieren, es wäre eine emotionale Katastrophe für die CERN-Forscher. Die zügige Inbetriebnahme des LHC ist also sehr wichtig.

Derweil betrachtet Professor Emeritus Higgs von seinem schottischen Ruhesitz in Edinburg aus das Treiben der Jüngeren in Genf und Chicago. Er kann nahezu sicher sein, mit dem Nobelpreis der Physik ausgezeichnet zu werden, sofern man "sein Teilchen" findet - egal an welchem Ort.

Ein kleines Risiko verbleibt allerdings weiterhin bei ihm persönlich:
der Nobelpreis wird nur an lebende Personen vergeben,
und Peter Higgs wird am 29. Mai nächsten Jahres 80 Jahre alt.

Deshalb: Gute Gesundheit, Professor!

Dienstag, 9. September 2008

Älterwerden

Demnächst werde ich - Rätselfreunde aufgepasst! - einen dreiviertel runden Geburtstag feiern. In Anbetracht der vielen (und wertvollen) Geschenke, auf die ich mich jetzt schon freue, werden meine Gäste von mir wohl eine kleine Rede erwarten. Es wird deshalb Zeit, dass ich mir ein paar Gedanken darüber mache.

Rein numerisch lässt sich nicht verleugnen, dass ich langsam älter werde. Dieser Zeitpunkt kommt dann heran, wenn verdächtig viele Leute, ohne besonderen Anlass, plötzlich behaupten, dass man doch noch sooo jung aussehen würde. Ich lasse mich da nicht täuschen; der morgendliche Blick in den Spiegel bewahrt mich vor Illusionen. Im allgemeinen beginnt das Älterwerden mit dem Eintritt in den Ruhestand, also zwischen 60 und 65 Jahren - Frührentner und Münteferings 67er einmal ausgeklammert. Auf alle Fälle gehört man dann zur älteren Garde, wenn man beim Anziehen der Schuhe fragt: "Da ich schon mal unten bin, kann ich gleich noch etwas miterledigen?"

Der Übergang von dem Berufsstand in den Rentenstand fällt vielen nicht leicht, insbesondere die machtbewussten Politiker leiden darunter. Ich versuchte meine "Verlustängste" dadurch zu minimieren, dass ich jeweils am Ende einer grösseren Aufgabe - nennen wir es Projekt - ein Buch oder einen persönlich gehaltenen Bericht im Umfang von 150-200 Seiten geschrieben habe. Dabei rekapitulierte ich den gesamten Ablauf des Projekts, mit allen Hoch- und Tiefpunkten, sodass ich es fürderhin "geistig ablegen" konnte. So ist mittlerweile eine kleine Bibliothek für die Projekte FRM, KNKI, KNKII, SNR 300, EFR, und WAK entstanden, zuzüglich einem mehr persönlich gehaltenen Erinnerungsband "70 Jahre lang". Der "Blick zurück im Zorn" ist mir deshalb fremd. Hinter den genannten Abkürzungen verstecken sich übrigens die Namen für Kernreaktoren, Schnellbrüterkraftwerke sowie Wiederaufarbeitungsanlagen und seit die Kernenergie weltweit - ausser in Deutschland - eine Renaissance erfährt, erhalte ich immer wieder Anfragen früherer Kollegen aus Japan, USA, China etc. wie wir dieses oder jenes Problem, z.B. beim Schnellen Brüter in Kalkar gelöst haben. Dafür sind diese Bücher eine grosse Hilfe, denn im Gedächtnis habe ich die Details natürlich auch nicht mehr.

Ein Stammtisch ist eine praktische Einrichtung um mit der früheren Arbeitswelt in Verbindung zu bleiben - und trotzdem Abstand von ihr zu gewinnen. Wir haben einen solchen auf der Rheininsel Rott beim Fischrestaurant "Waldfrieden" eingerichtet. Hier treffen sich donnerstags jede Woche ehemalige FZK´ler und deren Freunde zu einer zwanglosen Mittagsrunde. Bei Zander und Riesling werden alle Probleme dieser Welt besprochen - und gelöst. Ein besonderes Auge richten wir immer wieder auf die aktuellen Vorgänge im Forschungszentrum, unserer früheren Arbeitsstätte. Die Entscheidungen unserer Nachfolger und deren Chefs werden kritisch durchleuchtet und mit äusserlichem Bedauern (und innerlicher Befriedigung) stellen wir immer wieder fest, dass "die Jungen" eben doch schwach sind und wir früher alles viel, viel besser gemacht haben. Wir waren eben die Grössten! Diese bescheidene Feststellung fördert das Wohlbefinden und die Verdauung, was für uns alte Knaben nicht das Schlechteste ist.

Mit der Entlassung in den Ruhestand wuchs auch mein Interesse am öffentlichen Leben in der Stadt Karlsruhe. So versäume ich kaum eine Stadtratssitzung und die Grossinvestitionen, wie Neue Messe, Hallenbad, Stadion und U-Strab sind mir mit all ihren finanziellen Schwachstellen durchaus geläufig. Das kommt auch in manchem meiner Leserbriefe in der BNN zum Ausdruck, die OB Fenrich und seine Bürgermeisterkollegen nicht immer erfreuen.

Interessante Gerichtsverhandlungen sehe ich mir vom Amtsgericht bis zum Bundesverfassungsgericht an und bin immer wieder fasziniert, zu welch überraschenden Urteilen die Richter kommen. Meine Devise ist deshalb: Gerichtsverfahren möglichst vermeiden! Denn der Spruch "Bei Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand" stimmt wirklich.

Auch die Hauptversammlungen der lokalen Aktiengesellschaften besuche ich häufig, denn dort kann man in 4 Stunden mehr über die Wirtschaft lernen als beim 4-wöchentlichen Lesen des "Handelsblatt". Ausserdem: wo sonst darf man ungestraft (als Kleinaktionär) mächtige Vorstandsvorsitzende und Aufsichtsräte coram publico "beschimpfen", ohne, dass man unterbrochen oder sanktioniert wird?

Bevor ich ganz in diese öffentlichen Sphären entfleuche, konfrontiert mich meine liebe Frau Brigitte immer wieder mit den realen Problemen unserer kleinen häuslichen Welt. Es fing vor einigen Jahren ganz unschuldig damit an, dass bei unserem Wohnhaus in der Waldstadt und dem (ererbten) Haus im Fichtelgebirge ein paar durchkorrodierte Wasserrohre im Bereich der Bäder zu erneuern waren. Das war aber nur der Beginn. Was folgte war eine 2-jährige Sanierungs- und Renovierungsorgie, bei der beide Häuser vom Keller bis zum Dach umgekrempelt wurden. Nun gefallen sie uns weitaus besser und mein Bankkonto ist entsprechend geleichtert.

Beim Blick in die Tageszeitung - Reihenfolge: Todesanzeigen, Wetter, Sport, Politik - merkt man, dass die "Einschläge" immer näher kommen. Bekannte sterben, frühere Arbeitskollegen und immer wieder mal auch ein Freund. Das ist ein besonders schmerzhafter Verlust, denn ein alter Freund ist, wie das Sprichwort sagt, selbst durch zwei neue nicht zu ersetzen. Und auch die eigene Gesundheit lässt fühlbar nach. Immer wieder zwickt und zwackt es an allen möglichen Körperstellen und die Beschwerden gehen meist, trotz ärztlicher Bemühungen, nicht mehr ganz zurück.

Nun, nach dem Älterwerden kommt wohl unvermeidbar das Altwerden. Ich habe darüber noch keine einschlägige Erfahrung. Aber an einen Spruch der schwedischen Filmschauspielerin Liv Ullmann erinnere ich mich:

"Altwerden ist die einzige bekannte Methode,
um lange zu leben."

Sonntag, 7. September 2008

Knirschen bei KIT

Bei einem kürzlichen Interview zu KIT, das der Uni-Rektor Hippler und der FZK-Chef Umbach der BNN-Korrespondentin Elvira Weisenburger gegeben haben, konnte man zwischen den Zeilen deutlich herauslesen, dass es bei der geplanten Fusion der Technischen Universität mit dem Forschungszentrum Karlsruhe noch an vielen Stellen hapert.

Vorallem die ursprünglichen Terminvorstellungen scheinen sich in Luft aufzulösen. Wie erinnerlich, wollte man bei der Verkündigung von KIT (mitte 2006) die Vereinigung im Laufe des darauffolgenden Jahres 2007 vollzogen haben. Davon ist heute keine Rede mehr. Offensichtlich gibt es derzeit für KIT überhaupt keinen Zeitplan, denn Magnifizenz verweist bei entsprechenden Fragen vage in das Jahr 2009. Also: irgendwann. Das ist kaum verwunderlich. Denn für die Fusion der Bundes-GmbH FZK mit der Universität als Anstalt des öffentlichen Rechts benötigt man (als Folge der Föderalismusreform) ein eigenes Landesgesetz und dessen Entwurf wird immer noch auf der relativ niedrigen Referentenebene beraten. Wann er in die Ausschüsse des Landtags gelangt und danach schliesslich vom Parlament beschlossen wird, weiss zur Zeit niemand.

Mittlerweile hat sich auch der Betriebsrat des Forschungszentrums mit allerlei Bedenken zu Wort gemeldet. Es scheint, als kämen auf die dortigen Bundesbediensteten beachtliche Nachteile zu, insbesondere im Bereich der Zulagen. Die Chefs versuchen zwar zu beschwichtigen, aber bei der FZK ist man allgemein der Ansicht, dass sie die Verlierer der KIT-Fusion sein werden. Viele sehen das Zentrum zur "verlängerten Werkbank" der Uni degenerieren.

Um die Meinung der 8.000 Uni- und FZK-Mitarbeiter zu KIT festzustellen, wurde die Unternehmensberaterfirma Boston Consulting von Rektor und Vorstand mit einer - vertraulichen - Internetumfrage beauftragt. Das Ergebnis war mager und aufschlussreich zugleich: nur 30% der künftigen Belegschaft beantworteten überhaupt die gestellten Fragen. Von denen waren nur 43 %, also eine klare Minderheit mit KIT voll einverstanden, die restlichen 57 % gar nicht oder nur zu Teilen. Boston Consulting verkaufte dieses mickrige Resultat trotzdem als Zeichen voller Zustimmung der Belegschaft, wohl nach dem Motto: "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing."

Vor wenigen Wochen wurde der Uni die Nutzung des KSC-Stadions angedient. Durch den Bundestagsabgeordneten Wellenreuther, der dafür aber gar nicht zuständig ist. Professor Hippler sagte trotzdem sofort zu, wohl eingedenk des Spruchs "Einem geschenkten Gaul, schaut man nicht ins Maul" und ungeachtet der Tatsache, dass die wenigen hundert Sportstudenten ein bundesligataugliches Stadion nie und nimmer sinnvoll nutzen können und dass für das umgebende Gelände ein Bebauungsverbot existiert. Die Sache ist noch am Kochen, aber jetzt schon kann man sagen, dass sich Magnifizenz mit dieser schnellen Zusage weder bei Minister Frankenberg noch bei Oberbürgermeister Fenrich sonderlich beliebt gemacht hat.

Einige tüchtige Gruppen- und Abteilungsleiter des Forschungszentrums machen sich Hoffnungen in den nächsten Jahren zu (Junior-)Professoren aufzusteigen, denn die Massenuniversität Karlsruhe muss dringend ihr Verhältnis von Lehrenden zu Studenten verbessern. Den alteingesessenen Fakultätsmitgliedern sind solche "Seiteneinsteiger" jedoch suspekt. Wahrscheinlich schiebt man die Applikanden in den Praktikums- und Übungsbetrieb ab und ob dafür Professorentitel winken, ist durchaus fraglich.

Ein grosses Thema unter den arrivierten Professoren ist derzeit ihre künftige Gehaltseinstufung. Bisher erhielten alle Ordinarien (von Zulagen abgesehen) in etwa die gleiche Bezahlung. Das soll sich in Zukunft ändern. Die "geistigen Spitzenreiter" werden - nach Hippler - bald mit einer signifikanten Erhöhung ihrer Bezüge rechnen können, z. T. aus der Hektorstiftung, z. T. aus Landesmitteln und Drittmitteln. Es wird demnächst also "first-class" und "sub-prime" Professoren geben.

Da die menschliche Psyche - Scheel und Neid - sich aber kaum ändern wird, kann man auf interessante Debatten innerhalb der Professorenschaft gespannt sein. Insbesondere beim "Anwerben" von internationalen Geistesheroen könnte es bald zugehen wie im Fussballgeschäft. Gelingt es der Elite-Uni Karlsruhe die ebenfalls elitäre ETH Zürich zu überbieten, dann schwebt der "Physiker-Klinsmann", samt Mitarbeiter und sonstigem Gefolge,eben nach Karlsruhe ein - für einige Jahre. Einen leichtenVorgeschmack erlebte man vor einigen Jahren bereits im Nanobereich des Forschungszentrums. Dort wurde - auf dem Briefbogen - ein leibhaftiger Nobelpreisträger aus Strassburg als Institutsleiter ausgewiesen. Zu Gesicht bekommen haben ihn bei FZK nur wenige.

Hellhörig macht, dass Hippler und Umbach in dem erwähnten Interview ankündigen, dass sie demnächst in die USA fahren würden, um dort mit dem Firmen IBM und Hewlett Packard Forschungskooperationen zu vereinbaren. Ausgerechnet mit diesen genuin US-amerikanischen Unternehmen HP und IBM! Wo bleibt da der Nutzen für die Bundesrepublik Deutschland? Warum soll der deutsche Steuerzahler die Forschungen dieser US-Riesen mitfinanzieren, nur damit diese demnächst mit den so generierten Produkten unsere inländischen Firmen an die Wand drücken?

Nein, da macht es die Universität Heidelberg - seit kurzem ebenfalls elitär - schon besser. Diese hat sich vor wenigen Monaten mit der Uni Mannheim und den regionalen deutschen Industrieunternehmen SAP, BASF, Merck, Heidelbergdruck sowie weiteren zu einem Forschungsverbund zusammen geschlossen. In enger Kooperation will man organische Leuchtdioden, OLED genannt, entwickeln. Als druckfähige Dünnstschichtzellen haben die OLEDs das Potential, die derzeitigen Siliziumsonnenzellen abzulösen, womit sich ein gigantischer Markt auftut. Im Erfolgsfalle könnte Nordbaden zu einem deutschen Silicon Valley werden.

Hoffenheim lässt grüssen.

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