Freitag, 27. Februar 2015

Händelopern, Kastraten und Countertenöre

Immer wenn der Winter bricht, so um die Mitte des Monats Februar, arrangiert das Badische Staatstheater in Karlsruhe seine dreiwöchigen Händelfestspiele. Und das seit nunmehr 30 Jahren. Da der Sachse - und spätere Londoner - Georg Friedrich Händel nicht nur 25 Oratorien, darunter den "Messias" mit dem hinreißenden "Halleluja" geschrieben hat, sondern auch 42 Opern im barocken Stil, kann diese Festspielsession noch eine Weile andauern.

Besonders entzückt sind die Karlsruher Damen von den immer reichhaltig auftretenden Countertenören, die mit einer speziellen Kopfstimmentechnik ihre Partien in der Alt-oder sogar in der Sopranlage singen. Dieses Jahr sind gleich fünf dieser weltbekannten Künstler angereist, welche die Hauptrollen in den beiden Opern "Teseo" und Riccardo Primo" singen.

Die regionale Zeitung BNN schwärmt besonders von dem Countertenor Valer Sabadus, der in der Oper Teseo, nur zum zarten Hauch eines Cembalos, die Arie Quanto che a me sian care wunderbar gesungen hat. "Ein androgyner Gesang von großer erotischer Wirkung", bekennt die Rezensentin jener Zeitung, " der in süßen weiblichen Höhen nuancenreich durchfühlte Melodien in Töne gießt".

Wer will da noch mehr?

Der Gesang der Kastraten

Wie überirdisch müssen die Barockopern erst geklungen haben, wenn sie von wirklichen Kastraten gesungen wurden? Viele Arien hat Händel (und auch Gluck) speziell für diese Sangeskünstler geschrieben. Dabei bezeichnet man Kastraten als solche Sänger, die vor ihrer Pubertät der Kastration unterzogen wurden, um den Stimmwechsel zu verhindern und um damit die Knabenstimme (Alt oder Sopran) auch im Mannesalter zu erhalten. Der junge Mensch erreichte später zwar die Länge eines Erwachsenen, behielt aber seine hohe Stimme bei und konnte mit ihr so kräftig singen wie ein nicht kastrierter Mann.

In Bologna und Neapel gab es im 17. Jahrhundert viele Mediziner (sprich Bader bzw. Tierkastrierer), die Knaben vor der Pubertät die Hoden "wegoperierten" - manchmal auch das Glied - und sie damit entmannten. Wegen der dann fehlenden Hormone blieb der Kehlkopf und die Stimmbandritze im Wachstum zurück und verhärtete sich nicht. Die Stimmlage eines Kastraten ist in etwa gleichzusetzen mit der einer Frau. Der Stimmumfang schwankt zwischen zwei und drei Oktaven im Tongebiet vom d bis zum dreigestrichenen f. Weil das Hormon Testosteron fehlte, entwickelte sich der Brustkorb der Kastraten übermäßig groß, was ihrer Stimme enorme Ausdauer und Atemlänge verlieh. Kaum verwunderlich ist, dass wegen der primitiven Hygienesituation im Mittelalter, viele der unglücklichen Knaben noch während der Operation an Blutverlust starben oder später als bedauerliche Krüppel dahinvegetierten.



Abb.: Tonhöhen der verschiedenen Stimmlagen
(zum Vergrössern anklicken)

Viele Kastraten waren im Umfeld der katholischen Kirche tätig, denn dort galt noch immer das Verbot aus der Bibel: "Mater taceat in Ecclesia" ( Die Frau schweige in der Kirche). Die sixtinische Kapelle, als Hauskapelle der Päpste, hatte einen besonders hohen Bedarf an guten Sängern, sodass sie sogar eine Art Vorschule gründete, die Capella Giulia. Papst Clemens VIII gab dazu seinen Segen indem er ein Breve erließ und die Kastration zur Ehre Gottes legitimierte. Der letzte Kastrat der Sixtina war Alessandro Moreschi, der bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1913 dort gesungen hat und von dem es sogar einige frühe Schallplattenaufnahmen gibt.

Im europäischen Musikleben des Barock genossen die Kastraten hohes Ansehen. Sänger wie Senesino oder Farinelli (über den es sogar einen Film gibt) waren die Popstars ihrer Epoche. Die Nummer 1 auf der Bühne war damals nicht die Primadonna, sondern der "primo uomo", dessen Stimme den Italienern der Inbegriff ewiger göttlicher Jugend war. Die vorwiegend adelige und reiche Gesellschaft überschüttete die Kastraten mit Geld und Edelsteinen und erging sich in Rufe wie Eviva el coltello (Es lebe das Messerchen). Kein Wunder, dass sich zu dieser Zeit in Italien jährlich mehr als 4.000 junge Menschen kastrieren ließen - in Erwartung solchen Ruhms. Leider wurden die allermeisten nur verstümmelt, ohne, dass sie an Sangeskunst hinzugewannen.

Die modernen Countertenöre

Die Nachfahren der ehemaligen Kastratensänger sind in der Neuzeit die Countertenöre. Bei ihnen ist - so viel sei den weiblichen Fans zugesichert - medizinisch und körperlich "noch alles dran". Countertenöre (von italienisch Controtenore) sind Sänger, die mit Hilfe einer durch Brustresonanz verstärkten Kopfstimme bzw. durch Falsett-Technik in der Alt- oder Sopranlage singen. Der Countertenor ist aber nicht mit einer Kastratenstimme gleichzusetzen, weder im Klang noch im Stimmumfang kommt er ihr gleich.

Als "natürlich" gilt die Modallage der menschlichen Stimme, nämlich die Bruststimme. Bei Countertenören wird demgegenüber zwischen Falsett- und Kopfstimme unterschieden. Falsett bedeutet einen künstlichen Gesang in hohen Lagen ("Fistelstimme"). Er wird von Männern ausgeführt, die zudem noch ihre natürliche Bass- oder Tenorstimme besitzen. Der Kastrat hingegen hat nur eine hohe Gesangslage. Die Falsettstimme hat ihre Bezeichnung aus dem Italienischen falso=falsch. Der Begriff falsetto ist eine Verkleinerungsform und bedeutet so viel wie "kleine, falsche Stimme". Mit ihr ist kein Vibrato oder Crescendo möglich. Trotzdem ist diese Stimme natürlich in dem Sinne, dass sie (fast) von jedem Menschen praktiziert werden kann.

 Die trainierte Kopfstimme klingt hingegen wesentlich natürlicher, ist aber in dem Sinne "künstlich", als sie das Ergebnis von langer Übung ist. Sie ist nicht Teil der natürlichen Stimmfähigkeit, also nicht für jeden Sänger verfügbar. Etwa so, wie ein Mensch von Natur aus nicht rechnen kann, aber im allgemeinen die Fähigkeit besitzt, es zu lernen.

Ein Nachteil der Countertenöre ist, dass sie häufig recht "kleine" Stimmen haben und ihre Stimmführung nicht immer "schön" ist. Jedenfalls kein Vergleich mit einem Mezzo-Sopran oder einer Altistin, die hinsichtlich Fülle der Stimme und Technik den meisten Countertenören überlegen sind. Man denke nur an die unvergleichliche Cecilia Bartoli.

Vielleicht sollte man auch in Händelopern nicht immer nur Countertenöre einsetzen, sondern gelegentlich mal Frauen in Hosenrollen besetzen. Wie es bei der "Fledermaus" der Fall ist, wo der Prinz Orlowsky im 2. Akt fast immer von einer Sängerin dargestellt wird: Ich lade gern mir Gäste ein...






Sonntag, 22. Februar 2015

Öl im Überfluß?

Mengen und Sorten

Rund 80 Millionen Fass Öl verbraucht die Erdbevölkerung - an jedem Tag!
Mit 2,5 Prozent ist daran die Bundesrepublik Deutschland beteiligt.

Erdöl ist keine seltene Ressource, sondern wird in mehr als drei Dutzend Ländern gefunden. Am häufigsten in Saudi-Arabien, wo jeden Tag um die 11,5 Millionen Barrel (zu je 159 Litern) gefördert werden. Es folgen Russland mit 11,3 Mio b und die USA mit 11,1 Mio b. Die nächste Liga bilden Länder wie der Iran (6 Mio b), China (4,1), Irak (3,4), Venezuela (3,9), Kanada (3,7), Katar (1,9) etc. In Großbritannien (0,9) und Norwegen (1,9) fällt die Förderung seit Jahren ab. Die wichtigste Rohölsorte Europas kommt aus dem Nordseefeld "Brent" zwischen Schottland und Norwegen. Es ist ein "süßes" Öl mit niedrigem Schwefelgehalt, das zudem viele niedrigsiedende Bestandteile besitzt.

Der Rohstoff Erdöl wird in den Raffinerien durch Destillation in Fraktionen mit definierten Siedebereichen überführt. Dabei entstehen höherwertige Produkte, wie Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin. Für die chemische Industrie fällt u.a. Flüssiggas und Naphtha an. Die weitaus meisten Raffinerien befinden sich in den USA, wo täglich 18 Millionen Barrel Erdöl verarbeitet werden. Aus wirtschaftlichen Gründen platziert man die Raffinerien in die Nähe großer Verbrauchszentren. Über große Distanzen wird das Rohöl per Schiff oder Pipelines angeliefert, während die Endprodukte, wie Benzin, nur über kürzere Strecken transportiert werden.

Die Mineralölraffinerie Oberrhein (MiRO) in Karlsruhe ist heute der größte Benzinerzeuger Deutschlands und eine der modernsten Anlagen in Europa. Sie verarbeitet etwa 15 Millionen Tonnen  Rohöl pro Jahr und wird über zwei Pipelines von Marseille und Triest nach Karlsruhe versorgt. Vom Jahr 2000 bis heute wurde in diesen Industriekomplex mehr als eine Milliarde Euro investiert.

Preisbildung und Preispoker

Erdöl ist der wichtigste Energieträger der Weltwirtschaft. Sein Anteil am globalen Energieverbrauch lag im Jahr 2011 bei 33,1 Prozent. Es folgten Kohle (30,3 %), und Erdgas (23,7 %); weit abgeschlagen waren Wasserkraft (6,4 %) und Kernenergie (4,9 %). Im Idealfall wird der Preis über Angebot und Nachfrage ermittelt. Aber das Angebot reduzierte sich in den vergangenen Jahrzehnten recht häufig aufgrund politischer Interventionen, wodurch es zu drastischen Preissprüngen kam. Rückblickend war das der Fall im Jahr 1973 wegen des arabischen Ölboykotts, 1979 wegen der Revolution im Iran, 1990 wegen des irakischen Überfalls auf Kuweit, 2001 wegen des Terrorangriffs auf New York und 2008 wegen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise.


Mit ausschlaggebend für diese Preissprünge nach oben war auch das Ölpreiskartell OPEC, das seit dem Jahr 1965 in Wien dirigiert wird. In der Opec sind - unter der weitgehenden Lenkung durch Saudi-Arabien - etwa ein Dutzend arabischer, afrikanischer und südamerikanischer Staaten zusammengeschlossen, die ca. 40 Prozent der weltweiten Ölförderung kontrollieren. Das Ziel der Opec ist es, die Erdölförderquoten so weit festzulegen, dass der Ölmarkt stabilisiert wird und sichere Gewinne garantiert. Dieses Geschäftsmodell erbrachte jahrelang erkleckliche Profite - bis zum 28. November 2014. Damals kündigte der Ministerrat der Opec bei seiner Sitzung in Wien überraschend an, dass er (trotz fallender Preise) das Ölangebot nicht verknappen werde. Die unmittelbare Folge war der ungebremste Absturz der Ölpreise auf unter 50 US-Dollar für ein Barrel Erdöl der Sorte Brent.

Was war geschehen? Nun, die USA sind, durch die Nutzung des Fracking-Verfahrens, innerhalb weniger Jahre zum größten Ölproduzenten der Welt aufgestiegen. Bei dieser Technologie wird ein Gemisch aus Chemikalien und Wasser in Schiefergestein gepresst, wodurch sich auf relativ einfache und billige Weise große Mengen an Erdöl (und Erdgas) an die Oberfläche holen lassen. Das Angebot des fossilen Öl und Gas hat sich also drastisch erhöht. Da gleichzeitig die Weltwirtschaft immer noch schwächelt, reduziert sich auch die Ölnachfrage, was den Preis nach unten treibt. Die Opec konnte mit ihren Mitteln der Angebotsverknappung nicht mehr ausreichend gegenhalten. Im Gegenteil: die traditionellen Ölländer steigerten sogar ihr Fördervolumen, nur um keine Marktanteile zu verlieren und um ihre Haushalte einigermaßen finanzieren zu können. Inzwischen werden sogar große Tanker gechartert, mit Öl beladen und auf Reede gelegt - in Erwartung besserer Zeiten.

Wie lange diese Ölschwemme noch andauern wird, ist schwer zu sagen. Die Experten halten niedrige Ölpreise noch bis ins Jahr 2016 für wahrscheinlich, möglicherweise werden sie noch länger andauern, denn auch die Iraner und Iraker könnten ihr Ölangebot noch beträchtlich erhöhen. Mehrjährige Niedrigpreise wären dann keine Phantasie mehr. Hinzu kommen die Wirtschaftssanktionen gegen Russland im Gefolge der Krise in der Ukraine, welche in der Tendenz die russischen Ölpreise tief halten. Gesamtwirtschaftlich gesehen ist der Absturz der Ölpreise gleichbedeutend mit einem riesigen globalen Konjunkturprogramm und für viele hochwillkommen.


"Peak-Oil" und andere Theorien.

Wie lange reicht das Öl noch? Eine einfache Frage, auf die bislang niemand eine schlüssige Antwort geben konnte. Der US-Geologe Marion King Hubbert hat es schon in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts probiert. Nach seinen Vorstellungen entsprach die Ausbeutung eines Ölfeldes stets einer Glockenkurve: erst steigt die Förderung an, erreicht dann ein Plateau, worauf sie allmählich wieder auf Null abfällt. Die Peak-Oil-Theorie war geboren. Aber die Wirklichkeit ist weitaus komplizierter. Steigt der Ölpreis durch irgend einen Umstand, so lohnt sich der Aufwand auch in entlegenen Gebieten (der Arktis oder der Tiefsee) nach diesem Rohstoff zu suchen - und schon erhöht sich wiederum das Ölangebot! Die Ausbeute hängt von der Höhe der Investition ab und die Investition orientiert sich an den Gewinnchancen.


Die Ausbeutung eines Ölfeldes mit mehreren Quellen


Nahezu unausrottbar ist die Vorstellung, eine Ölquelle sei wie ein Bassin, das zwangsläufig irgendwann leer sein muss. Richtiger ist das Bild von einem Schwamm, den man immer wieder auspressen kann - und das umso mehr, je besser die Technologie entwickelt ist. Und diese schreitet in Riesenschritten fort: Supercomputer schaffen heute mehr als 2 Billiarden Rechenoperationen in der Sekunde. Sie zeichnen so ein präzises Bild des Untergrunds und spüren selbst versteckte Ölvorkommen auf. Eine Analyse, für die Geologen vor einem Jahrzehnt vier Jahre gebraucht hätten, erledigt der Computer heute in einem Tag.

Neuerdings bekommt die "abiotische Theorie" der Ölentstehung im Erdmantel immer mehr Zulauf. Sie besagt, dass Öl nicht durch biochemische Umwandlungsprozesse pflanzlicher Reste entsteht, sondern auf nicht-biologischem Weg durch hohen Druck aus anorganischem Gestein. Aus diesem Ansatz lässt sich ableiten, dass Öl nicht zwingend endlich ist, sondern ständig neu entsteht. Demnach füllen sich die geleerten Ölfelder immer wieder auf und das Öl geht der Menschheit nicht verloren. Die Erschöpfung eines Ölfeldes wäre nach dieser Theorie ein ebenso unbedeutendes Faktum wie es die Erschöpfung des Fischtrans im vorigen Jahrhundert war.

Ölschwemme und Energiewende

Die gegenwärtige Ölschwemme konterkariert die (deutschen) Bemühungen um eine Energiewende. Elektroautos verlieren an Attraktivität, denn der Strompreis sinkt nicht im gleichen Maße wie der von Diesel oder Benzin. Elektroautos waren bereits in der Hochpreisphase des Öls unwirtschaftlich, sodass die Automobilindustrie laut nach Subventionen gerufen hat.

Alarmiert sind auch die Klimaforscher. Günstige fossile Brennstoffe könnten - ihrer Meinung nach - zwar die Weltwirtschaft beflügeln, würden aber die Emission der Treibhausgase verstärken. Der Weltklimarat (IPCC) hat deshalb gefordert, dass alle Fabriken, Transportmittel und Kraftwerke bis zum Jahr 2050 nur noch insgesamt 1000 Milliarden Tonnen an CO2 ausstoßen dürfen, um den globalen Temperaturausstieg unter 2 Grad Celsius zu halten. Um den Verbrauch auf die angestrebte Höchstmenge zu begrenzen, wäre es notwendig 35 % der (heutigen) Ölreserven , 52 % des Erdgases und volle 88 % der Kohle im Boden zu belassen. Dazu wird es wohl kaum kommen, denn der Ruf des IPCC ist beträchtlich angekratzt, weil er die nunmehr 18 Jahre andauernde Pause in der globalen Erwärmung nicht mit seinen Computerprogrammen erklären kann.

Erdöl wird - insbesondere im Verkehrssektor - wohl noch lange verfügbar sein und auch genutzt werden. Es ist anzunehmen, dass auch unsere Kinder noch Autos mit Benzin- und Dieselmotoren fahren werden.

Vielleicht sogar unsere Enkel.

Donnerstag, 19. Februar 2015

Jacques Bouchard verstorben

Dr. Jacques Bouchard, ein international bekannter französischer Kernenergieexperte, ist am 30. Januar 2015 im Alter von 76 Jahren einem Krebsleiden erlegen. In einem Communiqué des Elysée wurden das "Andenken an diesen Ingenieur und seine großen Verdienste um Frankreich" gewürdigt.

Jacques Bouchard studierte an der Ecole Centrale Paris Kernphysik und trat 1964 der französischen Kernenergieorganisation CEA bei, wo er bis zum Ende seiner beruflichen Laufbahn blieb. Dort erledigte er anfangs Untersuchungen im Bereich der Druckwasserreaktoren und des Brennstoffkreislaufs.

Im Jahr 1988 wurde Bouchard zum Chef des Departements für Schnelle Reaktoren ernannt. Dort förderte er insbesondere die Untersuchungen heterogener Reaktorkerne und die Arbeiten zur Transmutation der Aktiniden. 1990 stieg er zum Direktor DRN für alle CEA-Reaktoren auf und hatte große Verdienste um das Zustandekommen der europäischen Brüterkooperation und des EFR.



Jacques Bouchard

Im Jahr 2004 wechselte er innerhalb des CEA zum Bereich DAM, wo er das Programm zur Simulation von Neutronentransport in Materialien via Großcomputer lancierte. Anschließend war er zuständig für Versuche im Pazifik und für den Aufbau des Hochleistungslaser LMJ.

Im Jahr 2000 kehrte er zum Kerntechnikbereich der CEA zurück, den er bis zu seinem Ruhestand und seiner Ernennung als Sonderberater der CEA-Generaldirektors betreute. Von 2006 bis 2009 war Bouchard Präsident des Forums GIF für die fortgeschrittenen Reaktoren der Generation IV.

Dr. Bouchard vertrat das CEA und sein Land bei einer Vielzahl ranghoher Positionen. Zu nennen ist die Präsidentschaft bei SFEN, sowie beim Beratungskomitee der IAEA sowie bei Kooperationsverträgen mit USA, Japan und den Emiraten. Daneben war der freundliche, Pfeife rauchende gebürtige Burgunder Professor bei der Ecole de Mine in Paris und dort bei seinen Studenten sehr beliebt. Als Anerkennung wurde er zum Ritter der Ehrenlegion ernannt und zum Officier dans l´Ordre National du Mérite.

Jacques Bouchard ist auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris beerdigt.

Donnerstag, 5. Februar 2015

Helikopter-Eltern jetzt und einst

Die deutsche Sprache ist reich an Wörtern und jeden Tag gebärt sie weitere. Relativ neu ist das Wort "Helikoptereltern". Es charakterisiert die in Mode gekommene extreme Überbehütung der Schulkinder durch die Eltern. Wie Hubschrauber kreisen sie besorgt über ihren Nachwuchs. Pädagogen wie der Präsident des deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, differenzieren sogar in Transport-, Rettungs- und Kampfhubschrauber. Zur ersten Kategorie zählen die "Mami-Taxis", welche die Kinder im Auto bis vor das Schulgebäude fahren; die Rettungshubschrauber bringen die vergessenen Sportbeutel und die Kampfhubschrauber beschweren sich ständig über Noten, Lehrpläne und Disziplinärmaßnahmen.

Moderne Gluckeneltern

Auf meinen Autofahrten von der Waldstadt zur Karlsruher Innenstadt komme ich an einer Waldorfschule und einem Gymnasium vorbei. Dabei erlebe ich direkt, wie viele Eltern ihre Zöglinge im Auto zum Schuleingang bringen und dort zumeist verkehrsbehindernd parken, weil sie eigenhändig den Ranzen bis ins Klassenzimmer tragen, ja sogar dabei helfen, dem Sohn oder der Tochter die Hausschuhe anzuziehen. Es soll bereits Schulen geben, die "no-go-areas" eingerichtet haben, vor denen sich die Eltern  (per Kuss) von ihren Kindern verabschieden müssen.

Nach Schätzung von Psychologen tendieren ca. 20 Prozent der Eltern zu solcher Überbehütung. Sie wollen instinktiv ihr "Wertvollstes" nicht aus der Hand geben und den Lehrern überantworten. Und das in einer Zeit, in der junge Leute nicht selten Urlaub in den Backlands von Australien machen oder mit der sibirischen Eisenbahn bis nach Wladiwostok trampen. Der dänische Psychologe Bent Hougaard prägte für die überbesorgten Eltern den Begriff "Curling-Eltern". Wie beim Wischen im Curling würden die Eltern jegliches Hindernis und alle denkbaren Reibungsflächen  aus dem Weg des Kindes schaffen, so dass es nicht mehr lernt, Widerstände selbst zu überwinden. Andere Therapeuten sehen als Hintergrund der Überbehütung sogar den Narzissmus der Eltern. Sie wollen glückliche und erfolgreiche Kinder haben, um sich selbst als kompetent erleben zu können.

Als einstiger Fahrschüler

Das Gymnasium, in welches ich in den letzten Monaten des 2. Weltkriegs eingeschult wurde, war in der sieben Kilometer entfernten Kreisstadt Marktredwitz im bayerischen Fichtelgebirge gelegen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass mich mein Vater jemals dorthin gefahren hätte. Er besaß zwar zu allen Zeiten ein Auto, aber als vielbeschäftigter Geschäftsmann (Mühle, Sägewerk, Bäckerei, Landwirtschaft) hatte er dafür einfach keine Zeit. So verließ ich - auch als 10-jähriger Steppke bei winterlicher Dunkelheit - regelmäßig um 7 Uhr früh unser Haus, trabte mit vollgepacktem Schulranzen durch das hügelige Dorf und kam nach 15-minütigem Fußmarsch zumeist pünktlich am Seußener Bahnhof an. Manchmal, wenn es knapp wurde, musste ich allerdings die damals noch übliche Bahnsteigabsperrung (auch Perron genannt) durch eine schnelle Flanke überwinden, was mir aber als geübten Turner relativ leicht fiel.

Bahnfahren machte meinen Freunden und mir großen Spaß. Nicht selten wetteten wir darauf, welcher Lokomotiventyp heute den Zug ziehen würde, indem wir ihr Schnaufgeräusch aus der Ferne beurteilten. Es gab damals, in der Nachkriegszeit, ein Sammelsurium an alten Dampfloks und jeden Tag war eine andere vorgespannt. Die Experten unter uns errieten sogar die Stammnummer und konnten am Geräusch eine mickrige 28er Personenzuglok von einer 59er Güterzuglok und einer feschen 01er Schnellzuglok unterscheiden, von der wir uns besonders gerne kutschieren ließen.

Auch die Lokführer und ihre Heizergesellen kannten wir mit der Zeit. Einer der Heizer schien seinen Darm so trainiert zu haben, dass er immer auf dem Seußener Bahnhof die Toilette aufsuchen musste. Einmal hatte der Zug Verspätung und der Bahnhofsvorstand verkürzte, aus Pünktlichkeitswahn oder aus purer Bosheit, den Aufenthalt so, dass der Heizer, zum allgemeinen Hallo, vor dem Häuschen unerledigterweise wieder umkehren und zu seiner Lok zurückeilen musste. In Marktredwitz ging ich zu ihm vor und fragte ihn, wie er mit der Situation zurecht gekommen sei. Er grinste nur, deutete auf die riesige Kohlenschaufel, machte eine Bewegung zum Feuerloch hin und begründete damit ungewollt, weshalb die deutsche Eisenbahnverwaltung sich so lange die Toiletten auf den Lokomotiven sparen konnte.

Im Zug war erst mal Abschreiben angesagt. Etwa die Hälfte der Fahrschüler hatten ihre Hausaufgaben erledigt, die andere Hälfte schrieb ab. (Ich betätigte mich gelegentlich als "Donator" für Mathe und Latein). Die Waggons für die Fahrgäste waren ähnlich heterogen wie die Loks, aber sie glichen sich in einigen Merkmalen: alle hatten nur harte Holzbänke, sie waren nicht beheizt und es brannten keine Lampen. Wir Schüler fuhren besonders gerne in den leeren vorderen oder hinteren Wägen. Sobald wir die Schaffnerin kommen hörten  verhielten wir uns mucksmäuschenstill, kletterten in die Gepäcknetze und einer von uns zupfte ihr (von oben) das Käppi vom Lockenkopf. Die Reaktion war immer die Gleiche. Nach einem erschreckten "uih" verfiel sie in eine wenig damenhafte Schimpfkanonade und versuchte uns dabei im Schein ihrer Taschenlampe zu orten. Für uns war das der Anlass, zwischen den Gepäcknetzen wie wild herumzuturnen und - ähnlich den Affen im Zoo - einen Höllenlärm zu veranstalten. Gelegentlich fiel einer von uns zu Boden und wurde dann, stellvertretend für alle, von der Schaffnerin durchgewalkt. Die Frauen konnten zu jener Zeit ihre Männer, die im Krieg oder in der Gefangenschaft waren, in jeder Beziehung gut vertreten.

Nach 20 Minuten Bahnfahrt kamen wir in Marktredwitz an und nach weiteren 10 Minuten Fußmarsch waren wir bei unserem Schulhaus. Es war ein Jahr als Notunterkunft für unzählige Flüchtlingsfamilien zweckententfremdet worden und sah entsprechend aus. Immer wieder fiel der Strom aus und mangels Brennmaterial war das Gebäude im Winter eisig kalt. Weil zu wenig Klassenzimmer vorhanden waren, mussten wir dauernd von einem Raum zum anderen "wandern". Unser Jahrgang umfasste anfangs 69 Schüler und wurde ganz praktisch in 38 "Einheimische" (A-Klasse) und in 31 "Auswärtige" (B-Klasse) aufgeteilt. Selbstredend gab es auch fast keine Schulbücher. Alles musste auf Schiefertafel, Zettel oder (schwer zu beschaffende) Hefte aufgeschrieben werden.  Die Deutschaufsätze in den höheren Klassen waren durchaus anspruchsvoll. Ich erinnere mich an zwei Themen:  "Gesetze, Zeiten und Völker überleben mit ihren Werken; nur die Sternbilder der Kunst schimmern in alter Unvergänglichkeit über den Kirchhöfen der Zeit" (Jean Paul) und an: "Handle so, dass die Maxime deines Wollens als Grundlage einer Gesetzgebung gelten kann" (Kant´scher Imperativ).

Im Jahr 1952 machten wir unser Abitur. Aus anfangs 69 Sextanern waren 23 Primaner übrig geblieben. Bei der daraufhin in der Aula veranstalteten Abiturfeier betraten meine Eltern zum ersten Mal das Gebäude des  Marktredwitzer Gymnasiums. Waren sie deshalb Helikopter-Eltern?




Beim Abiturball im Herbst 1952
(Blogautor, Klassenjüngster, untere Reihe links)

Sonntag, 1. Februar 2015

10 Jahre KIT: Kein rauschender Erfolg

Eine schwere Geburt


In vertraulichen Papieren wurde "KIT" - der Zusammenschluss des ehemaligen Kernforschungszentrums Karlsruhe mit der dortigen Technischen Universität - schon im Jahr 2005 erwähnt. Man kann also von einem 10-jährigen Firmenjubiläum sprechen, das Anlass für eine kleine Bilanz sein soll. An die Öffentlichkeit trat man mit der KIT-Idee allerdings erst im Juli 2006, beim 50-jährigen Jubiläum des Forschungszentrums (FZK). In einem locker-launigen Kabarettsketch verkündeten der Vorstandsvorsitzende des FZK, Professor Manfred Popp und der Rektor der Universität, Professor Horst Hippler: "Wir wollen heiraten". Die allermeisten Besucher dieser Veranstaltung waren von der geplanten Eheschließung überrascht, denn immerhin hatten Forschungszentrum und Uni bereits ein halbes Jahrhundert lang - gewissermaßen in wilder Ehe - gut miteinander kooperiert.

Der Name KIT: Karlsruher Institut für Technologie war absichtsvoll gewählt. Jeder einigermaßen Kundige wurde an das berühmte MIT: Massachusetts Institute of Technology erinnert, eine altehrwürdige amerikanische Universität, welche bislang 80 Nobelpreisträger hervorgebracht hat. Die Latte wurde in Karlsruhe also sehr hoch gelegt.

Für die Fusion einer Bundeseinrichtung mit einer Landesuniversität hätte man keinen ungünstigeren Zeitpunkt wählen können. Just im Jahr 2006 wurde nämlich, im Zuge der sogenannten Föderalismusreform, die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern neu und umfassend geregelt. Im Grundgesetzartikel 91b wurde den Ländern (auf ihren Wunsch hin!) die alleinige Verantwortung für den Bildungsbereich zugesprochen. Die Kooperation auf diesem Gebiet - wie es das KIT eigentlich zum zentralen Zweck hatte - war verfassungsrechtlich "verboten". Es bedurfte deshalb allerhand juristischer Tricks, um das KIT auf den Weg zu bringen.

Nach drei Jahren, am 8. Juli 2009, war es endlich so weit: in einem eigenen "KIT-Gesetz" genehmigte der Landtag Baden-Württemberg die Fusion. Das KIT wurde im Oktober des gleichen Jahres eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und zugleich eine "staatliche Einrichtung" sui generis. Seit Januar 2014 besitzt das KIT eine Satzung.

Eine schlimme "Kröte" musste das KIT allerdings schlucken: die Bundes- und Landesgelder durften nicht vermischt werden. Von Anfang an bis jetzt finanziert der Bund i. w. das FZK (Campus Nord), das Land seine Universität (Campus Süd). Eine enorme wirtschaftliche und bürokratische Hürde! Schon bald nach der oben genannten Verfassungsreform merkten die Länder, dass sie einen Riesenbock geschossen hatten: sie waren für die Finanzierung all ihrer Bildungseinrichtungen schlicht zu arm.  Nach jahrelangen Bemühungen gelang es ihnen schließlich im Dezember 2014 das Kooperationsverbot in der Verfassung wieder zu streichen. Man muss sehen, wie sich das auf die Zuwendungsauflagen des Bundes für KIT auswirken wird.



"Wir wollen heiraten"
(links Hippler, rechts Popp,   19. Juli 2006)


Kurzzeitig elitär

Das Baby KIT lag gewissermaßen noch in den Windeln, als ihm schon ein hoher Preis zuerkannt wurde. Im Zuge der sogenannten Exzellenzinitiative, einem Programm von Bund und Ländern zur Förderung der deutschen Hochschulen, wurde die Technische Universität Karlsruhe (neben Uni und TU München) für ihr Zukunftskonzept KIT ausgezeichnet. Mit dem Preis war die Vergabe von jährlich 21 Millionen Euro Forschungsmitteln verbunden über fünf Jahre hinweg. In der Presse sprach man in der Folge nur noch mit Hochachtung von der "Eliteuniversität Karlsruhe". (Der Wissenschaftsmanager Hubert Markl kritisierte allerdings, dass bei diesem Förderprogramm eher die zeitgeistschlüpfrigsten Anträge honoriert wurden). Fakt ist wohl, dass dieser Preis den Bildungspolitikern in Bund und Land die Zustimmung zum KIT-Konzept erleichtert hat.

Nur sechs Jahre später, am 15. Juni 2012 (einem schwarzen Freitag) war die Party schon wieder zu Ende. Bei der dritten bundesweiten Exzellenzinitiative fiel das KIT durch. Der schöne Elite-Titel war futsch. Niemand hatte mit diesem Abstieg aus der Champions Liga gerechnet. Im Gegenteil: das KIT galt bei der KIT-Führung als "unantastbar". Die Verantwortlichen für dieses Debakel waren schnell gefunden. Die Forschungsanträge in den beiden hochgeförderten Bereichen Nanotechnologie und Informatik waren durchgefallen. Und ohne diese sogenannten Exzellenzcluster war der Elite-Status nicht zu halten. Darüber hinaus sollen (nach Medienberichten) die Karlsruher Vertreter gegenüber den Gutachtern zu selbstbewusst - um nicht zu sagen arrogant - aufgetreten sein. Eine Todsünde und absolut unprofessionell, sofern diese Vorwürfe stimmen sollten.

Die Niederlage der KIT in diesem neuerlichen Wettbewerb hat fast tragische Züge. Die Chance für KIT, noch einmal den Elite-Titel zurückzugewinnen, ist gleich null, da die Wettbewerbe auslaufen. Wer jetzt elitär ist, wird es für längere Zeit bleiben. Wer nicht, wie KIT, der muss imagemäßig abrüsten.

Viel Wechsel beim Führungspersonal

Das Führungspersonal am Forschungszentrum und an der Universität, sowie - ab dem 1. Oktober 2009 - an der Spitze des KIT wechselte erstaunlich oft. Es begann schon im September 2006, als  Manfred Popp in den Ruhestand ging. Sein Nachfolger im Vorstandsvorsitz des FZK wurde der renommierte Kernphysiker Professor Reinhard Maschuw. An der Spitze der Universität blieb Horst Hippler Rektor.

Im Mai 2007 ging auch Maschuw in den Ruhestand. Als Pferdeliebhaber ritt er standesgemäß hoch zu Ross aus dem Forschungszentrum. (Hippologisch gesprochen war sein Gaul ein Island-Pferd.) Die vorausgegangenen neun Monate hatte Maschuw zusammen mit Dr. Peter Fritz das Zentrum geleitet, sicherlich eine stressige Angelegenheit, wenn man bedenkt, dass  früher fünf Vorstände  diese Aufgabe erledigten.

Zum Nachfolger von Maschuw wurde 2007 der Physiker Professor Eberhard Umbach als Vorstandsvorsitzender an das FZK berufen. Er war vorher Lehrstuhlinhaber für Experimentalphysik an der Universität Würzburg.  Ab Oktober 2009 waren Hippler und Umbach gleichberechtigte Präsidenten für KIT.

Im Mai 2012, als sich das negative Ergebnis der Exzellenzinitiative bereits abzeichnete, gab Hippler seine Präsidentschaft am KIT auf und bewarb sich als Präsident für die Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Nach einer Kampfabstimmung wurde Hippler zum Präsidenten für dieses vergleichsweise bürokratische Verbandsgremium gewählt. Umbach agierte nun als einziger Präsident für KIT. Die
Überlastung war erkennbar.

Im Juli 2013 beschloss der Aufsichtsrat das Ressort "Forschung und Innovation" nicht mehr zu besetzen. Damit entfiel die Vertragsverlängerung für den Stelleninhaber Peter Fritz, der daraufhin zum 1. Oktober 2013 seinen Posten räumen musste. Fritz hatte in einem Gutachten die Energiewende sehr negativ bewertet, was offensichtlich vom Stuttgarter Umweltminister, dem Grünen Franz Untersteller, übel vermerkt wurde. Außerdem gab es im Aufsichtsrat noch eine beträchtliche Verstimmung über den verlorenen Elite-Status, die zum Teil auf Fritz als ehemaligem FZK-Vorstand abgeladen wurde.

Da auch Umbach seine Stelle (freiwillig) aufgeben wollte, wurde die Position für einen einzigen Präsidenten am KIT ausgeschrieben. Aus einer kleinen Anzahl geeigneter Bewerber wurde der Maschinenbauer Professor Holger Hanselka ausgewählt und am 1. Oktober 2013 zum Präsidenten berufen. Er war vorher Vizepräsident an der TU Darmstadt und gleichzeitig Direktor des Fraunhofer-Instituts für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit, wo er 300 Mann dirigierte. Am KIT erwarteten ihn 9.000 Mitarbeiter und 23.000 Studenten. Für die Kernbereiche Lehre und Forschung sind zwei Vizepräsidenten, ebenfalls Maschinenbauer zuständig. Die frühere Übermacht der Physiker auf diesem Sektor war gebrochen.

Ständige Finanznot

Obwohl das KIT jährliche Einnahmen von 700 bis 800 Millionen Euro hat, ist es meistens in finanziellen Schwierigkeiten. Je etwa 30 Prozent dieser Mittel kommen von Bund und Land, etwa 40 Prozent resultieren aus Drittmitteln von öffentlichen oder industriellen Auftraggebern. Besonders groß war die Not zu der Zeit als die Mittel aus der verlorenen Exzellenzinitiative ausblieben, also um das Jahr 2012. Dem KIT entgingen damals 60 bis 80 Millionen Euro, mit denen es fest gerechnet hatte und die zum Teil bereits verplant oder gar ausgegeben waren. Weitere Defizite entstanden dadurch, dass die von außen eingeworbenen Drittmittel häufig nur zu einen Gemeinkostensatz von 20 Prozent kalkuliert waren, die allerdings selten die Kosten deckten. Die Einführung der gemeinsamen Verwaltungs-Software SAP für Uni und FZK dauerte ewig. Und zum Schluss war sie auch noch keineswegs einheitlich.

Weil damals auch noch die Verwaltung "verschlankt" wurde, kam es zu der Situation, dass die Hilfsassistenten, im Jargon Hiwis genannt, für ihr Jobben an der Uni monatelang kein Geld bekamen, beziehungsweise nur Abschlagszahlungen. Es passierte auch, dass die Studierenden erst nach einem halben Jahr ihr Zeugnis erhielten, weil in der magersüchtigen Verwaltung zu wenig Sekretärinnen verfügbar waren.

Problematisch ist nach wie vor, dass die Geldströme von Bund und Ländern nicht deckungsgleich sind, also nicht vermischt werden dürfen. Das verursacht große bürokratische Hemmnisse in der Verbuchung und ist den Mitarbeitern manchmal nicht verständlich zu machen, welche das KIT als fusioniertes Unternehmen betrachten. Insbesondere die Budgetsituation an der Universität war im Jahr 2013 sehr problematisch. Seit Jahren schleppte sie ein Minus von 10 Millionen Euro mit sich, sodass der Vizepräsident und Finanzchef Dr. Ulrich Breuer schließlich als Finanzziel "die rote Null" ausgab. Derzeit, nach Beendigung des verfassungsrechtlichen Kooperationsverbots, geht bei KIT die Hoffnung dahin, dass die "Trennfuge" zwischen den Zuwendungen aus Berlin und Stuttgart bald aufgegeben werden möge.

Das Forschungszentrum als Verlierer

Die überwiegende Anzahl der Mitarbeiter im ehemaligen Forschungszentrum ist nicht glücklich mit dem KIT. Man sieht sich als Verlierer bei der Fusion. Die Zahl der Großprojekte, weswegen das FZK einstmals als "Großforschungszentrum" bezeichnet wurde, hat deutlich abgenommen. Und die wenigen  Großprojekte, wie Bioliq oder Katrin dümpeln dahin. Zehn und noch mehr Jahre sind sie hinter dem ursprünglichen Zeitplan - und niemand im Präsidium scheint das sonderlich zu gravieren. Weder der Präsident noch einer der vier Vizepräsidenten entstammen den Managerpool des FZK. Das Sagen hat eindeutig die Uni.

Anfangs sprach man von zwei "Missionen" für Uni und FZK: Lehre und Forschung. Diese stehen aber nahezu unvernetzt nebeneinander. Das FZK wird weiterhin vom Bund und der Helmholtz-Gemeinschaft gesteuert. Die Uni kann nur begrenzt Einfluss auf die Programme des FZK nehmen, sondern dies geschieht über die sogenannte programmorientierte Begutachtung der Helmholtz-Gemeinschaft. Auch organisatorisch sind Uni und FZK total unterschiedlich strukturiert. Das FZK hat etwa 20 Großinstitute unterhalb der Leitungsebene, die Uni hingegen ca. 120 Kleininstitute und dazu ein Dutzend Fakultäten. Die Uni ist von seiner Zielsetzung her primär eine Ausbildungsstätte, Forschung wird nur begrenzt über Diplom- und Doktorarbeiten betrieben. Demgegenüber ist das FZK eine reine Forschungsstätte, in der Regel für große Projekte wobei die dort agierenden Institutsleiter zuweilen Vorlesungen an der Uni halten. Aber in der öffentlichen Wahrnehmung hat die Uni eine viel größere Bedeutung als das FZK. Wenn dort die Hiwis nicht rechtzeitig bezahlt werden, dann ist dies ein Thema für die Zeitungen. Kaum berichtet, indes, wird über den zögerlichen Fortschritt der 100-Millionen-Großprojekte bei FZK.

Deshalb findet das Konstrukt KIT auch keine Nachahmer in der deutschen Forschungslandschaft. Das Forschungszentrum Jülich könnte mit der nahegelegenen Technischen Hochschule Aachen fusionieren, belässt es aber bei der Kooperation JARA. Ähnliches gilt für Heidelberg und Darmstadt mit seinen benachbarten Zentren, dem Krebsforschungszentrum und dem GSI. Überall dort schätzt man die Möglichkeiten der flexiblen Kooperation und legt sich nicht in das Procrustesbett einer starren Fusion.

Man hat bei KIT übersehen, dass der Zusammenschluss zweier Entitäten zwar Größe, aber nicht unbedingt Stärke erzeugt. Schon Goethe sagte: Getretener Quark wird breit nicht stark. Auch renommierte Industriefirmen, wie Daimler, haben dies bei der Fusion mit Chrysler leidvoll erfahren müssen, ebenso wie vorher BMW mit Rover. Beide Firmen sind nach ihrer Entflechtung stärker als zuvor.

Leider kann der innere Wert des KIT nicht an einem Marker, wie dem Aktienkurs, abgelesen werden, weshalb es wohl noch so lange dahin dümpelt, bis seine strukturellen Fehler offenkundig werden.

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