Mittwoch, 16. Februar 2011

Von der Verglasung zum Castor

Lärm und Mummenschanz

Während dieser Blog geschrieben wird, rollt der Zug mit den fünf Castorbehältern und den 140 Glaskokillen aus der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe in Richtung Zwischenlager Lubmin. Auf der ca. 900 Kilometer langen Strecke kam es kaum zu Störungen - sieht man vom Ausgangspunkt Leopoldshafen/Karlsruhe ab. Hier hatten sich einige "Aktivisten" so effizient an die Gleise gekettet, dass sie mit schwerem Gerät - samt Schiene - herausgeschnitten werden mussten. Anschliessend wurden die Gleise auf einer Strecke von zehn Metern wieder verschweisst und festgeschraubt. Trotzdem konnte der Castortransport, wie geplant, Karlsruhe in den frühen Morgenstunden in Richtung Lubmin verlassen.


Handhabung des CASTOR vor der Verglasungsanlage (Hintergrund)

Am vorausgehenden Samstag hatten die "Umweltschützer" zu einer Demonstrationsveranstaltung auf den Karlsruher Marktplatz geladen. Es war ein buntes Treiben mit karnevalesken Zügen. Kostümierung ist derzeit offensichtlich in; ein Atomgegner demonstriert nicht mehr in seiner Privatkluft. Drei grosse Verkaufsstände, die lebhaft an die Devotionalientische in Altötting erinnerten, boten modisches Outfit und sonstige Gerätschaften an - alles gegen cash. Die Buttons "Atomkraft nein danke" gingen noch für zwei Euro weg; für die Shirts musste man schon zehn Euro löhnen, für die grossen Fahnen gar zwanzig. Trotzdem, das billig hergestellte Zeugs ging reissend weg und die "Demonstranten" fühlten sich offensichtlich wohl in ihren Klamotten.

Zum Schluss gab es sogar noch eine aufrüttelnde Rede. Ein ehemaliger Funktionär der Grünen wetterte mit allem, was seine Stimmbänder hergaben, gegen die schreckliche Kernenergie. All die falschen und halbrichtigen Behauptungen, die er im Laufe seiner gut 30-jährigen Aktivistenzeit angesammelt hatte, schüttete er (verbal) vor seinem Volk aus. Wie oft wurden diese Phrasen schon in öffentlichen Anhörungen widerlegt - er konnte trotzden der Versuchung nicht widerstehen, sie ein weiteres Mal auszubreiten.

Und genau das ist das Problem mit der deutschen Protestbewegung gegen die Kernenergie. Ihre Vertreter haben nicht die intellektuelle Kapazität, ihre Behauptungen auf den Prüfstand zu stellen. Sie scheuen die seriöse Diskussion mit den Befürwortern dieser Technologie.  Ein Happening ist ihnen allemal mehr wert, als eine Debatte, bei der Rede und Gegenrede gewogen wird.

Am Anfang: eine Fehlentscheidung

Während der 20-jährigen Laufzeit der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK) wurden etwa 207 Tonnen Uran und 1165 Kilogramm Plutonium aufgearbeitet, wobei das wieder gewonnene Uran und Plutonium auf dem Brennstoffmarkt verkauft wurde. Als Abfall blieben rund 80 Kubikmeter Salpetersäure übrig , "gewürzt" mit 8 t Spaltprodukten und 200 kg Aktiniden, sowie Restmengen an Uran und Plutonium - voilà, die berühmte "Atomsuppe". Dieser Begriff entstammt dem Vokabular der Kernenergiegegner; richtigerweise spricht man von hochradioaktiver und konzentrierter  Abfallösung, wofür sich der englische Begriff "high active waste concentrate" eingebürgert hat, abgekürzt HAWC. Der Flüssigabfall befand sich bei der WAK in zwei verbunkerten Edelstahlbehältern; wegen der Eigenwärme - entsprechend der Intensität von ca. hundert Tauchsiedern - musste man ihn moderat kühlen. Als 1991 die WAK stillgelegt und ihr Rückbau beschlossen worden war, entschied man sich für die Verglasung des HAWC, um ihn endlagertauglich zu machen.

Die Verglasung sollte im belgischen Forschungszentrum Mol stattfinden, wo es eine entsprechende Anlage, die sog. Pamela, dafür gab. Dazu war folgende Prozedur vorgesehen:  der HAWC sollte in eine noch zu errichtende Abfüllanlage HAWA überführt und von dort in einen speziellen Castorbehälter gefüllt worden, der jedoch noch zu entwickeln war. Dieser HAWC-Castor wäre dann per Eisenbahn ca. tausend Kilometer nach Belgien transportiert worden. Am Ende der dortigen Eisenbahntrasse wäre er umgeladen worden, um als Strassentransport zur Pamela zu gelangen. Dabei hätte er verschiedene Ortschaften passiert, die nicht gerade als kernenergiefreundlich galten; ausserdem wären - wegen des hohen Gewichts - einige Brücken zu verstärken gewesen. An der Pamela selbst hätte man eine Entladestation benötigt, die ebenfalls erst zu planen und zu bauen war. Da der Spezialcastor lediglich ca. 3 cbm Flüssigkeit fassen konnte, wären 25 Transporte hin und 25 Transporte zurück erforderlich gewesen, um die WAK zu entleeren.

Aus heutiger Sicht klingt ein solcher Entsorgungsweg absurd. Jeder Laie kann sich vorstellen, dass eine solche Prozedur nicht funktioniert hätte, schon gar nicht 25 mal. Aber damals waren alle Beteiligte: das Kernforschungszentrum, der Betreiber der WAK, sowie die Allgewaltigen  in Bund und Land davon überzeugt, dass es möglich sein würde. So gab der Aufsichtsrat 1993 dafür seinen Segen,  womit die Verglasung in Mol war beschlossen war. Demzufolge wurde mit der Planung der Abfüllstation HAWA begonnen und eine öffentliche Anhörung durchgeführt; wesentliche Teile des Flüssigcastors wurden im Masstab 1:1 gebaut und - last but not least - wurde mit den Belgiern ein Vertrag abgeschlossen zur Verglasung des Karlsruher HAWC in Mol/Dessel.

Zwei gegen Alle

Mit Beginn des Jahres 1994 fand eine Umorganisation im Stillegungsprojekt der WAK statt, welche dem Kernforschungszentrum (KfK) höhere Kompetenzen zuwies. Zwei Manager der KfK, der Vorstand H. und sein Finanzchef M. übernahmen nun das Ruder, welche dem Transport des HAWC nach Belgien sehr kritisch gegenüber standen. Sie schlugen vor, die Verglasung in Karlsruhe, also an Ort und Stelle, durchzuführen, wobei sie auf entsprechendes know-how des nahen Entsorgungsinstituts INE verwiesen. Dort gab es eine kleine Gruppe, die sich seit Jahren erfolgreich mit den technischen Problemen der Verglasung beschäftigte.

Damit hatten die beiden Herren aber in ein Wespennest gestochen. Wie ein Mann erhoben sich die Befürworter der Transportlösung, um ihre bisherigen Arbeiten zu verteidigen. Insbesondere die Betreibermannschaft der WAK  war (allerdings nur anfangs) gegen die Änderung der bisherigen Entsorgungstrategie. Die gewichtigsten Opponenten jedoch waren zwei ranghohe Landespolitiker, nämlich der Wirtschaftsminister Spöri und der Umweltminister Schäfer, beides Genossen der SPD. Diese wären formal für die atomrechtliche Genehmigung und Aufsicht der Verglasungsanlage zuständig gewesen, was sie offensichtlich mit allen Mitteln verhindern wollten.

Etwas differenzierter war die Situation auf seiten der Bundesregierung, welche damals noch in Bonn angesiedelt war. Sie liessen sich von den Argumenten der KfK-Manager überzeugen und versuchten ihrerseits das Land dafür zu gewinnen. Selbst Frau Merkel, damals noch Umweltministerin, machte sich in einem 4-seitigen Brief (von ihr persönlich unterschrieben) für die Vorortlösung stark. Aber alles Reden war vergebens, die beiden Landesminister waren nicht zu überzeugen. Stattdessen wurde externer Rat eingeholt; ein Gutachten der Essener Firma STEAG hielt die Mol-Variante für die wirtschaftlichste Lösung, eine andere Expertise der Stuttgarter Firma Fichtner stützte unsere Strategie.

Zwei volle Jahre ging es so argumentativ hin und her; keine Seite wollte nachgeben. Die KfK war aufgrund ihrer organisatorischen Kompetenz jedoch am längeren Hebel. Die genannten Manager blockierten einfach die Transportvariante, indem sie keine weiteren Aufträge und Verträge unterschrieben. Im Sommer 1996 hatte das verbale Ping-Pong-Spiel ein Ende: im Land Baden-Württemberg wurde ein neues Parlament gewählt und es kam zu einer CDU/FDP - Koalition. Spöri und Schäfer wurden (mit guten Pensionen) in die Wüste geschickt; stattdessen übernahmen Döring (FDP) und Schaufler (CDU) das Wirtschaftsministerium resp. das Umweltressort. Beide unterstützten die Verglasung in Karlsruhe und im Herbst 1996 wurde die VEK (=Verglasungseinrichtung Karlsruhe) nun auch offiziell auf Kiel gelegt.

Langwieriger Bau, zügiger Betrieb

Das technische Konzept der Verglasungseinrichtung VEK beruhte auf langjährigen Erfahrungen des KfK-Instituts INE. Deren Schmelzofentechnik war bereits bei der belgischen Pamela-Anlage angewandt worden, wo man von 1985 bis 91 immerhin 900 Kubikmeter Flüssigabfall der dortigen Wiederaufarbeitungsanlage EUROCHEMIC verglast hatte. Die zentrale Komponente bei beiden Anlagen war ein elektrisch beheizter Schmelzofen mit keramischer Auskleidung. Das Verfahren sah vor, den HAWC aus den Lagerbehältern und die Glasfritten kontinuierlich in den Schmelzofen einzuspeisen, wodurch es zu einer innigen Verschmelzung der radioaktiven Substanzen mit dem Glas kommt. Nach einer mehrstündigen Durchmischungsphase wird am Boden des Schmelzofens eine Öffnung freigegeben und das Gemisch aus Glas und strahlenden Isotopen in einen Stahlbehälter (Kokille) abgelassen.



Der Schmelzofen der Verglasungsanlage

Die Planung der VEK begann in geradezu atemberaubendem Tempo. Bereits Ende 1996 lag ein (vorläufiger) Sicherheitsbericht vor, der die Unterlage für die nachfolgende öffentliche Anhörung und die 1. Teilerrichtungsgenehmigung bildete. Schon eineinhalb Jahre später, im Sommer 1998, konnte man beim Institut INE die Prototypversuchsanlage PVA besichtigen, welche die spätere VEK im Masstab 1:1 nachstellte. Dass es dann doch noch bis zum Sommer 2009 dauerte, bis die erste HAWC-Lösung in die VEK eingespeist werden konnte, mag deshalb erstaunen. Die Ursache für diese 13-jährige Planungs-und Errichtungsphase lag wohl darin, dass das Projekt VEK nach Paragraf 7 des Atomgesetzes begutachtet und genehmigt werden musste. Damit war es in der gleichen genehmigungstechnischen Kategorie wie ein Kernkraftwerk - und das zu einer Zeit, in der es in Deutschland nahezu unmöglich geworden war, solche Objekte zu bauen. Rigorose Auflagen gab es insbesondere auf dem Gebiet des Erdbebens und des Flugzeugabsturzes. Ganz zum Schluss musste noch für viele Ankerplatten der Stabilitätsnachweis erbracht werden.


Blick auf das Gelände der WAK (in rot: VEK)

Nun: Ende gut, alles gut, möchte man sagen. Nach der Fertigstellung lief der Betrieb umso perfekter. Schon nach einem Jahr (anstelle der geplanten zwei) war der HAWC im Sommer 2010 zur Gänze verglast und in 140 Kokillen verstaut, die ihrerseits in 5 Spezial-Castorbehälter untergebracht wurden. Allen Beteiligten gebührt Respekt für diese Leistung!  Wie man hört, sind die Chinesen sehr an einer Lizenz für das deutsche Verglasungsverfahren  interessiert; das würde die Entwicklungskosten der VEK
 - man munkelt von 3-400 Millionen Euro - etwas drücken.

Und wie geht´s nun weiter beim Abriss der gesamten WAK-Anlage? Nun, in gut zehn Jahren soll alles zurückgebaut sein - für vermutete 2,6 Milliarden Euro. Zuerst ist das Prozessgebäude mit den Laboranlagen an der Reihe, dann folgt - per fernbedientem Abriss -  die fast noch jungfräuliche VEK mit den angrenzenden Lägern.

Die Vision für das Jahr 2025 sieht so aus:


Grüne Wiese

Sonntag, 13. Februar 2011

Vom Mittelmeer an die Ostsee

Vor knapp zwei Monaten fuhren 4 Castor-Behälter mit Atomabfällen an Karlsruhe vorbei. Sie kamen aus Südfrankreich und waren für Lubmin an der Ostsee bestimmt. Nichts besonderes, wird mancher sagen. In diesem Fall aber doch!
Hier ist die Geschichte dieses 20-jährigen Projekts.

Ein unlösliches Problem?

Vor fast genau zwei Jahrzehnten, im Sommer 1991, wurde das Schnellbrüter-Kernkraftwerk KNK II im damaligen Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK) abgeschaltet und stillgelegt. Mehr als 14 Jahre war es in Betrieb und hatte damit bewiesen, dass man einen Schnellen Brüter mit einer Leistung von 20 Megawatt (elektrisch) in Deutschland sicher betreiben konnte. Nun sollte dieses Atomkraftwerk schrittweise - bis zur sogenannten "Grünen Wiese" - abgebaut werden.

Üblicherweise beginnt man eine solche Prozedur mit der Entnahme der Brennelemente aus dem Reaktortank und den benachbarten Lägern. Im Falle der KNK II war geplant, die 9.600 Brennstäbe, alle knapp 2 Meter lang und bleistiftdick - aber gefüllt mit Plutonium und hoch angereichertem Uran -  zur französischen Anlage TOR-SAP zu bringen. An dieser Rezyklierungsanlage, bei Marcoule und nahe den berühmten Weinbergen Chateauneuf-du-Pape gelegen, sollten die Brennstäbe wiederaufgearbeitet werden. Die erwarteten (ungefähren) Mengen von 300 Kilogramm Plutonium und 500 kg Uran 235 wollte man an Ort und Stelle verkaufen und die Abfälle nach Gorleben zur Zwischenlagerung zurücktransportieren. Ein dickleibiger Vertrag war von der KfK und der französischen Atomorganisation CEA nach langen Verhandlungen unterzeichnet worden.



Der Schnelle Brüter KNK II im Kernforschungszentrum Karlsruhe in Betrieb

Leider funktionierte dieser Plan nur teilweise. Ein Viertel der Brennstäbe, so um die 2.500, konnte in Marcoule nicht aufgearbeitet werden. Der Grund: der in den Brennstabhüllen befindliche Mischoxidbrennstoff Uranoxid und Plutoniumoxid liess sich nicht vollständig in Salpetersäure auflösen. Etwa 20 Prozent wären in der Auflöserapparatur liegen geblieben und hätten damit ein Kritikalitätsrisiko bewirkt. Verpuffungen oder gar (leichte) Explosionen hätten die Folge sein können. Ursächlich für dieses Brennstoffverhalten war die Herstellungsmethode der Lieferfirma ALKEM. Dort hatte man das Mischoxid anfangs durch mechanisches Mischen hergestellt, womit aber keine gute Homogenität und  Auflösbarkeit erzielt werden konnte. (Später ging man auf andere Verfahren, wie OKOM und AuPuC, über, wodurch dieses Problem aus der Welt geschafft war.)

Zwischenlager und Behälter gesucht

Aber vorerst war guter Rat teuer. Das CEA, der Betreiber der Marcoule-Anlage, verlangte die Rücknahme der 2.500 schwer löslichen Brennstäbe. Die KfK, formal noch Eigentümer der Stäbe, konnte dieser Forderung jedoch nicht nachkommen, da die Läger bei KNK II bereits rückgebaut bezw. nicht mehr funktionstüchtig waren. Schliesslich einigte man sich darauf, diese Brennstäbe einstweilen im Wasserbecken des stillgelegten Reaktor PEGASE einzulagern, der im  Forschungszentrum Cadarache, nahe am Mittelmeer, gelegen war. (Für ein gutes Honorar, selbstredend).

Dort würden die Brennstäbe wohl heute noch liegen, wenn die Franzosen nicht Druck gemacht hätten. Sie registrierten mit Argwohn den von der rot-grünen Regierung erzwungenen Ausstieg aus der Kernenergie und befürchteten wohl, bald die "Abfallkippe" ihrer Nachbarn zu werden. Folgerichtig verlangten sie die alsbaldige Rücknahme der KNK II-Stäbe, was dann auch vertraglich beschlossen wurde.

Aber auf deutscher Seite gab es aber inzwischen weder ein geeignetes Zwischenlager, noch genehmigte Transport- und Lagerbehälter für Plutonium und hoch angereichertes Uran. Die existierenden Zwischenläger Philippsburg, Ahaus und Gorleben wurden angefragt, sie weigerten sich jedoch, diese andersartigen Brennstoffe aufzunehmen. Schliesslich wurde man fündig beim Zwischenlager Nord (ZLN), das nahe der Ostsee gelegen ist, im Bereich der Städte Greifswald und Lubmin. Das war keine Überraschung, denn dieses Lager gehört zu den Energiewerken Nord (EWN), welche zwischenzeitlich die Verantwortung für den Abriss der KNK II übernommen hatten. EWN handelte also auch im Eigeninteresse.

Etwas einfacher war die Suche nach geeigneten Transport- und Lagerbehältern. Hier gab es die wohlbekannte Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS) in Essen, welche CASTOR-Behälter aller Art herstellen konnte. Für die KNK II-Stäbe schienen 4 kleine "Castoren" ausreichend zu sein, von denen jeder neun Büchsen mit je ca. 70 Brennstäben aufnehmen sollte. Natürlich war jede Menge an atomrechtlichen Gutachten und Genehmigungen erforderlich:  für das ZLN eine modifizierte Lagergenehmigung und für die Castorbehälter die verkehrsrechtliche Zulassung sowie die Transportgenehmigung.

Inzwischen hatte man noch einige weitere Restbestände an Kernbrennstoff entdeckt, die man ebenfalls in Lubmin zwischenlagern wollte. Es waren einige wenige Mischoxidbrennstäbe aus der KNK II, die wegen irgendwelcher Versuche (leihweise) den Weg ins belgische Forschungszentrum Mol gefunden hatten. Die Belgier wollten sie loswerden, als sie von dem Transport ins ZLN hörten. Also wurde beschlossen, sie in den Gesamttransport zu integrieren.

Überreste der "Otto Hahn"

Die zweite Charge stammte von dem Reaktor des Nuklearschiffs "Otto Hahn", das von 1968 bis zum Ende der 70er Jahre als Erzfrachter die Weltmeere kreuzte. Der antreibende Druckwasserreaktor war - ebenso wie die KNK II -  von der Firma INTERATOM in Bensberg geplant und gebaut worden und war alles andere als konventionell. So besass der Reaktorbrennstoff Uran gleich vier Anreicherungsstufen, nämlich 2,8; 3,23; 3,9 und 4,81 Prozent. An bestimmten Stellen waren die Brennelemente dreieckig und zur Sicherung der Unterkritikalität beim eventuellen Sinken des Schiffes hatte man einzelnen Brennstäben ein abbrennbares Neutronengift in Form von Zirkonborid beigegeben. Von diesen  Materialien waren Reste übrig geblieben, die seit Jahren im Kernforschungszentrum Geesthacht bei Hamburg lagerten.



Das Nuklearschiff "Otto Hahn" vor imposanter Kulisse (Rio de Janeiro)

Normalerweise hätte man die beiden Restchargen aus Mol und Geesthacht irgendwo in Deutschland zugeladen. Aber in Karlsruhe (und an allen anderen Stellen der Bundesrepublik) gab es keine Heisse Zelle mehr, in welcher man diese Arbeiten hätte vornehmen können. Die Ausstiegsmanie hatte bereits voll gegriffen und die gesamte kerntechnische Infrastruktur zerstört. Deutschland war auf die Stufe eines Entwicklungslandes herabgesunken. So musste man sich wieder hilfesuchend an die Franzosen wenden, um deren Heisse Zelle STAR in Cadarache benutzen zu dürfen. Nach einigem Zögern stimmte die CEA zu - nicht ohne einen heftigen Preis dafür zu nennen.  Richtig teuer aber wurde das Einbüchsen all dieser Stäbe in Cadarache. Aus Sicherheitsgründen hatte man sich für eine doppelte Verbüchsung entschieden, was mehrere Jahre in Anspruch nahm. Jeder dieser 36 Büchsen waren ausserdem Absorberrohre aus boriertem Aluminium beigegeben, um die Unterkritikalität zu sichern.

Mittlerweile hatte die GNS auch die vier Spezial-Castorbehälter gefertigt und die erforderlichen Zeugnisse und Genehmigungen erlangt. Die Behälter waren etwa 4 Meter lang sowie 2 Meter breit und jeder einzelne wog gut 32 Tonnen. An den Enden waren jeweils ausladende Stossdämpfer angebracht, die über rigide Fallversuche qualifiziert worden waren. Jeder Behälter besass 9 Bohrungen zur Aufnahme der Büchsen.



Castorbehälter bei der Endmontage im Werk

In 50 Stunden an die Ostsee

Der Transport der vier Castor-Behälter vom Forschungszentrum Cadarache zum Zwischenlager Nord fand vom 14. bis 16. Dezember 2010 statt, also kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres. Nach zügiger Fahrt durch Frankreich passierte der Zug bei Saarbrücken die deutsch-französische Grenze. Begleitet von über siebentausend Polizisten durchfuhr er relativ störungsfrei die westdeutschen Bundesländer und kam am Donnerstag (16. 12.) nachmittag in Mecklenburg-Vorpommern an. Dort warteten bereits einige hundert Atomkraftgegner, die durch eine vorlaufende Auftaktdemo mobilisiert worden waren, an der auch der Ministerpräsident des Landes, Erwin Sellering (SPD), teilgenommen hatte.



Das Zwischenlager Nord bei Greifswald (Architekturskizze)

Mehrere Demonstranten nutzten die Gelegenheit zur Sitzblockade auf den Gleisen; zwei Aktivisten von Robin Wood hatten sich im Gleisbett mit einer Betonkonstruktion festgekettet und mussten umständlich entfesselt werden. Bei Stralsund will die Zeitung "taz", das Zentralorgan der Grünen, sogar "Schotterer" gesehen haben. Trotzdem: Gorleben ist eben doch nicht überall, insbesondere nicht in Lubmin. Erinnert man sich, dass einige Wochen vorher im Wendland sich noch 50.000 Demonstranten auf einem Acker zur Grosskundgebung versammelt hatten, dann war Lubmin dagegen kein Vergleich.

Nach 6-stündigem, relativ geruhsamem Zwangsaufenthalt, kam der Zug wieder ins Rollen und noch am gleichen Tag, um 23 Uhr 30, konnten die vier Castoren den Verantwortlichen des Zwischenlagers Nord übergeben werden. Am nächsten Tag liess der Innenminister des Landes, Lorenz Caffier (CDU) verkünden, dass die Sitzblockierer mit einer Strafe zu rechnen hätten.

Die "Wegtragegebühr" sollte 114 Euro betragen. Pro Person.

Sonntag, 6. Februar 2011

Bill Gates sponsert Atomkraftwerke

Bill Gates ist ein modernes Genie, auch wenn er sein Hochschulstudium an der Universität Harvard schon nach zwei Jahren abgebrochen hat. Genial war er als Programmierer von Computern und ebenso genial als Unternehmer bei der wirtschaftlichen Verwertung dieser Programme. Die Firma "Microsoft Incorporation" war sein Werk; von 1975 bis 2007 fungierte er als Leiter der Entwicklungsabteilung und als Chef des Aufsichtsrats.

Während dieser Tätigkeiten akkumulierte Bill Gates ein Vermögen von rd. 30 Milliarden Dollar. Vor einigen Jahren haben Bill und seine Frau Melinda (eine ehemalige Programiererin bei Microsoft) ihr gesamtes Privatvermögen in eine Stiftung eingebracht, die sog. "Bill & Melinda Gates Foundation". Schwerpunkte des Stiftungsprogramms sind die Bekämpfung der Malaria und der Kinderlähmung - sowie die Entwicklung von neuartigen Kernreaktoren.


Bill Gates und seine Frau Melinda

Denn Bill Gates verfolgt denTraum von sicherer und sauberer Atomenergie. Er will ihn durch die Entwicklung von Kernreaktoren verwirklichen, welche jahrelang ohne Wartung Strom produzieren können und dabei möglichst wenig Uran verbrauchen. Dafür hat er vor wenigen Monaten die Energiefirma und Ideenschmiede "TerraPower" gegründet, an der auch das japanische Unternehmen Toshiba beteiligt ist, einer der grössten Anbieter von Kernkraftwerken weltweit.

Die nukleare Sicherheit steht bei diesen neuartigen Reaktoren an vorderster Stelle, deshalb will er bei TerraWatt das schon bekannte "Laufwellen-Prinzip" (englisch: travelling wave) zur Baureife weiter entwickeln.Bei dieser Betriebsart wandert die (schmale) Zone der Kernspaltung langsam durch den Brennstoffkern, während diese bei den heutigen Reaktoren sehr voluminös ist und an Ort und Stelle verharrt.

Die Betriebsweise eines solchen Reaktors kann man mit einer Kerze vergleichen. Diese brennt in einer schmalen Zone von oben nach unten ab und braucht dadurch ihren Vorrat an Wachs (=Brennstoff) auf. In Japan gibt es ein ähnliches Projekt, das folgerichtig "Candle" heisst. In analoger Weise planen die Kerntechniker bei TerraPower einen Reaktor, der einmal mit Brennstoff aufgefüllt wird und danach - jahrzehntelang - Strom und Wärme liefert. Die Brennzone wandert von oben nach unten, wie die Abbildung zeigt. Im jeweiligen Betriebszustand befindet sich unten der frische Brennstoff, oben der abgebrannte Brennstoff.


Der Laufwellenreaktor in schematischer Darstellung und in zwei verschiedenen Abbrandstufen.
Rechts zum Vergleich eine abbrennende Wachskerze.

Ein solches Kernkraftwerk, wenn es je funktionieren sollte, hätte beträchtliche Vorteile gegenüber heutigen Atomreaktoren. So könnte es, aus physikalischen Gründen, nicht "durchgehen"; ein zweites Tschernobyl wäre damit nicht zu befürchten. Und es würde den Brennstoff viel effizienter nutzen. Angereichertes Uran wäre - ausser für eine kurze Anfangsphase - nicht notwendig. Zur Beladung würde man abgereichertes Uran verwenden, das es in grosser Menge gibt. Allein mit den derzeit 700.000 Tonnen  abgereicherten "Abfalluran" in den USA könnte man die weltweite Stromversorgung über tausend Jahre sicherstellen!

Entfallen würden die kostenträchtigen Prozessschritte Anreicherung und Wiederaufarbeitung sowie (weitgehend) die Abfallentsorgung, welche auch politisch heikel sind (Proliferation!).  Wahrscheinlich könnte man bei diesem Reaktortyp sogar die Kontrollstäbe einsparen, da er mit relativ kleiner Leistung betrieben wird. Ein Slogan aus den 70er Jahren würde Auferstehung feiern: "Small is beautiful".

Aber so weit ist man noch lange nicht. Derzeit simuliert die Entwicklerfirma TerraPower mit ihren Supercomputern erst die Neutronik der Brennzone. Bis zu einem realen Reaktor mit seinen technischen Einbauten und Kühlsystemen ist noch ein weiter Weg. Aber Bill Gates, erst 55 Jahre alt, hat grosse finanzielle Ressourcen. Bis zu seinem Tod möchte er 95 Prozent seines Gesamtvermögens für technische und medizinische Zwecke spenden. Lediglich 0,02 % will er seinen zwei Töchtern Jennifer und Phoebe sowie seinem Sohn Rory vererben.

Damit erhält jedes der drei 10 Millionen US-Dollar.
Arme Kinder!

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