Donnerstag, 24. Dezember 2009

Anekdoten aus den Anfängen

Nachdem die beiden Antagonisten der Nachkriegszeit, die USA und die Sowjetunion, bereits je mehr als zehntausend Atombomben angehäuft hatten, beschlossen sie etwas für den Frieden zu tun. Sie liessen die UNO in ihrem "Palais der Nationen" im schweizerischen Genf vom 8. bis 20. August 1955 die "Erste internationale Konferenz für die friedliche Verwendung der Atomenergie" ausrichten - sinnigerweise fast genau zehn Jahre nach den Bombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki.

Im Gefolge der US-Delegation befanden sich zahlreiche Industrieunternehmen, die ihre atomtechnischen Gerätschaften und Materialien feil hielten. Eine davon war die Maschinenbaufirma AFM, die sogar einen kompletten Forschungsreaktor vom Schwimmbad-Typ präsentierte. Er war im Park des Konferenzgebäudes aufgestellt, befand sich dort in einer Baracke(!), und war, dessenungeachtet, in vollem nuklearen Betrieb. Die Konferenzteilnehmer hatten ungehinderten Zutritt und kaum einer der mehr als 2.000 Politiker und Wissenschaftler liess sich die Chance zur Besichtigung entgehen sondern genossen, wohl mit einigem Gruseln, den Anblick der blau leuchtenden Tscherenkow-Strahlung im Reaktorkern.


Andrang beim Versuchsreaktor in Genf


Einer der Interessierten war der Physikprofessor Dr. Heinz Maier-Leibnitz, seines Zeichens Ordinarius an der Technischen Hochschule (TH) München. Er überredete seinen vorgesetzten Kultusminister zur Beschaffung eines solchen Versuchsreaktors und dieser schickte ihn auch zu Preisverhandlungen in die USA. Der (in Esslingen) geborene Schwabe tat dies mit so grossem Erfolg, dass die Industriefirma AFM ihn später als Europavertreter ihrer Produkte anheuern wollte. (ML, wie er von seinen Studenten genannt wurde,verzichtete). Der ausgehandelte Preis für den Schwimmbadreaktor - einschliesslich der Brennelemente - lag schliesslich bei 1,5 Millionen DM, ein "Trinkgeld" aus heutiger Sicht.

Nun war die bayerische Staatsregierung gefordert, von der ein formaler Beschluss zu dem Reaktorprojekt erwartet wurde. Der damalige Ministerpräsident Dr. Wilhelm Hoegner, ein Befürworter der Kerntechnik - obschon der SPD angehörend - improvisierte bei nächster Gelegenheit mit zufällig anwesenden Ministern eine "Kabinettssitzung". Als Hoegner bei neun seiner Ministern Zustimmung konstatiert hatte, rief er zufrieden: "G´langt scho". Ohne weitere Diskussionen wurde beschlossen, für die TH einen Schwimmbadreaktor bei AFM zu kaufen und Maier-Leibnitz mit den weiteren Geschäften zu beauftragen. "Ich hatte eben recht fügsame Leute", kommentierte Hoegner später diese seltsame Ministerratssitzung. Der Lieferkontrakt wurde mitte 1956 im deutschen Generalkonsulat in New York unterschrieben, wobei der damalige Bundesatomminister Franz-Joseph Strauss für den Bund zeichnete. Als Name wurde "Forschungsreaktor München", kurz FRM, vereinbart.


Unterzeichnung des Liefervertrags für den FRM;
(von links: Maier-Leibnitz, Strauss, Smith (Präsident der AFM))

Kurz vorher war auch die Standortfrage angegangen worden. Man wurde fündig bei der Gemeinde Garching, wo der Reaktor in den Isar-Auen, ca. 16 km nordöstlich von München entfernt, platziert werden sollte. Der dortige Bürgermeister Josef Amon zeigte sich dem Projekt gegenüber sehr aufgeschlossen und sein Gemeinderat votierte einstimmig für den Verkauf des benötigten Landes zum Preis von knapp 1,5 DM pro Quadratmeter. Einwendungen kamen lediglich von einer Münchener Brauerei, die um die Reinheit ihres Brauwassers fürchtete und vom FKK-Klub "Osiris", der in dieser Gegend seinem Vereinszweck nachging. Beider Befürchtungen konnten zerstreut werden.

Das Reaktorgebäude mit seiner schimmernden Aluminiumhülle über der Betonschale wurde als "Atomei" zu einem berühmten Wahrzeichen der Kernenergie schlechthin. Wegen der Ei-Form kam immer wieder der Verdacht auf, dass der Hobbykoch Maier-Leibnitz als Ideengeber gewirkt haben könnte. Das war nicht der Fall. Der Entwurf stammte von dem Münchener Architekten Gerhard Weber, der damals als Professor an der TH wirkte. Geometrisch gesprochen ist das Gebäude auch kein Ei, sondern ein halbes Rotationsellipsoid mit einer Höhe und einem Durchmesser von je 30 Metern. ML hatte allerdings diese Abmessungen vorgegeben, denn im Reaktorgebäude mussten nicht nur die Reaktorkomponenten sondern auch die zahlreich geplanten Experimentieranlagen Platz finden. Aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar ist, dass der Rohbau dieses Containments innerhalb von weniger als drei Monaten hochgezogen wurde! Garching entwickelte sich im Verlauf der nächsten Jahrzehnte von einem 2000-Seelen-Dorf zu einer Stadt mit 16.000 Einwohnern. Wegen des FRM und der Auslagerung vieler TH-Institute darf sie sich heute mit dem Titel "Universitätsstadt" schmücken, die über den europaweit grössten Campus verfügt.


Das "Atomei", die Landmarke von Garching

Phasenweise kabarettreif verlief die Beschaffung und die Lagerung der Brennelemente für den FRM. Sie wurden im Januar 1957 bei der US-Firma Babcock & Wilcox geordert, konnten aber nicht ausgeliefert werden, da die Bundesrepublik Deutschland damals noch kein Atomgesetz besass, welches die Hantierung von Uran regelte. Im Wahlkampfgetümmel des Jahres 1957 war ein entsprechender Gesetzesentwurf an den Einwendungen von Ollenhauers Sozialdemokraten gescheitert. Kurz entschlossen brachten die Bayern ein "Bayerisches Atomgesetz" in ihrem Landtag ein, welches einstimmig von den Abgeordneten angenommen wurde. Die Amerikaner waren zufrieden und wenige Wochen darauf trafen die auf 20 % angereicherten Uranelemente (in Sperrholzkisten!) in München ein.

Ministerpräsident Wilhelm Hoegner liess es sich nicht nehmen, dieses Ereignis mit seiner Anwesenheit zu zieren. Da zufällig kein Schraubenzieher zur Hand war, öffnete man die Kisten mit einem Taschenmesser. Der Landeschef hatte die Ehre, das erste Brennelement - mit blossen Händen! - aus der Kiste zu heben und den hochrangigen Persönlichkeiten und Journalisten zu zeigen. Er tat dies mit dem Ausruf: "Es lebe die Aktivität". Der Strahlenschutzphysiker des FRM leistete sich den Scherz, sein Messgerät an die Armbanduhr des Ministerpräsidenten zu halten, worauf es laut knatterte. Sodann erst näherte er das Instrument dem Brennelement und jeder hörte nur noch ein leises Ticken. Dieser (schlitzohrige) Versuch überzeugte die Anwesenden von der relativen Gefährlichkeit von Radium und Uran. Tags darauf schrieb die Presse: "Uhren sind gefährlicher als Reaktorbrennelemente". Und es war wohl kein Zufall, dass kurze Zeit später Uhren mit Leuchtstoffziffern verboten wurden.


Ministerpräsident Hoegner hebt das erste Brennelement aus der Kiste

Sehr unkonventionell löste man auch die anschliessende Zwischenlagerung der Brennelemente. Da das Reaktorbecken noch nicht fertiggestellt war, wurden die Uranelemente (diebstahlssicher) im Tresor der Bayerischen Staatsbank deponiert. Als sie im Oktober benötigt wurden, war der für die Schlüssel zuständige hochrangige Bankmanager kurzfristig nicht auffindbar, da er mit Gästen auf dem Oktoberfest weilte. Um ähnliches Malheur künftig zu vermeiden, schaffte man die Elemente nach Garching ins Reaktorgebäude und lagerte sie dort in einem Blechschrank(!).

Die Montage des FRM hatte im Mai 1957 begonnen und war - fast unglaublich - im Herbst des gleichen Jahres zu Ende. Als am 31. Oktober alle nichtnuklearen Prüfungen abgeschlossen waren, zögerte man nicht, noch am gleichen Tag das kritische Experiment durchzuführen. Ein paar Stunden musste man auf Maier-Leibnitz warten, dem am Vormittag noch ein schmerzender Zahn gezogen wurde. Aber um 19 Uhr 45 war es dann endlich so weit: die Neutronen liessen die Messinstrumente ausschlagen, ein Blick hinunter ins Wasserbecken des Schwimmbadreaktors zeigte ein blaues Leuchten, die erste Kettenreaktion in Deutschland hatte stattgefunden. Es ist verbürgt, dass die beteiligten Physiker so aufgekratzt waren von diesem Ereignis, dass sie spontan in einer Polonäse um das Reaktorbecken tanzten - im Schein der Tscherenkowstrahlung.

Maier-Leibnitz schrieb später darüber in seiner trockenen Art: "Wir sind dann noch zum "Neuwirt" nach Garching gefahren und haben dort gefeiert. Die Wirtin hat uns Sekt spendiert. Am nächsten Mittag flogen die beiden Ingenieure der Lieferfirma nach New York zurück. Wir haben nie wieder etwas von ihnen gehört und waren von da an auf uns selbst angewiesen."

Die geschilderten Aktionen und Umstände mögen manchmal skurril, ja risikoreich erscheinen; indes, die wirkliche Sicherheit am ersten Forschungsreaktor in Deutschland stand dabei nie in Frage. Die Mannen um den Reaktorchef Professor Lothar Koester wussten stets, was sie taten. In den folgenden 43 Jahren bis zur endgültigen Abschaltung des FRM am 28. Juli 2000 kam es zu keinem einzigen ernsthaften Reaktorstörfall. Sein Nachfolger, der FRM II – von Siemens zwischen 1996 und 2000 als Hochflussreaktor konzipiert und gebaut – befindet sich in unmittelbarer Nähe des alten FRM.

Garching wurde mit dem FRM zu einem weltweit bewunderten Mekka der Neutronenphysik. Mehr als tausend Diplom- und Doktorarbeiten enstanden dort während der Laufzeit dieses Reaktors. Und mehr als ein Dutzend dieser Doktoranden brachten es zu anerkannten Lehrstuhlinhabern an deutschen und ausländischen Universitäten.

Und im Umkreis dieser Forschungen gelang es einem sogar den Nobelpreis der Physik zu erringen: Dr. Rudolf Mößbauer.

Sonntag, 29. November 2009

Post Nr. 100

Nun ist die Zahl "100" also erreicht!
Als ich vor knapp zwei Jahren - Weihnachten 2007 - mit dem Bloggen aus einer Laune heraus anfing, hätte ich mir nicht vorstellen können, dieses Hobby so lange zu betreiben. Aber es machte mir zunehmend Spass, jeden Sonntag um 18 Uhr 30 einen Post ins Internet zu stellen und meine zunehmende Leserschar damit zu erfreuen - oder auch etwas zu vergrätzen.

Mehr als einmal wurde ich gefragt, woher ich all diese Themen nähme. Nun, ich musste nicht danach suchen, ich habe sie alle gefunden, ja sie kamen geradewegs auf mich zu. Als Ruheständler hat man endlich die Musse (mehrere) Zeitungen und Bücher zu Ende zu lesen, ins Theater und in Museen zu gehen und während des Urlaubs die Gedanken schweifen zu lassen. Der Besuch der Bayreuther Festspiele hat mich zu einer Privatrezension angeregt (Katharina: "versungen und vertan"?) ebenso wie eine Austellung des Museums Frieder Burda in Baden-Baden (Schaun mer mal). Die Entscheidungen der Karlsruher Stadtverwaltung habe ich stets kritisch verfolgt (Fenrich knickt ein) ebenso wie die - aus meiner Sicht - zum Misslingen verurteilte Fusion des Forschungszentrum mit der Karlsruher Uni (KIT beschlossen, FZK in der Landesliga). Die Probleme bei den Grossprojekten LHC (Ein Teilchen namens Higgs) und bei ITER (Fehlstart bei ITER) habe ich nie aus den Augen verloren. Beim Bundesgerichtshof war ich Zuhörer und "Berichterstatter", wenn es um Prominente (Utz Claassen und kein Ende) oder auch nur um kleine Handwerker - aber interessante Sachverhalte - ging (Schwarzarbeiter müssen gewährleisten).

Fasziniert hat mich, bis auf den heutigen Tag, das Gebiet der Astrophysik (Das Schicksal unseres Universums). Ich bin den Physikprofessoren der Uni dafür dankbar, das sie mich als Oldtimer jahrelang inmitten einem Dutzend 8-semestriger Studenten an Hauptseminaren teilnehmen liessen und dabei meine simplen Fragen ertrugen (Die ersten drei Minuten des Universums). Bei einer Urlaubsreise in die USA habe ich nicht nur den "Indian Summer" genossen, sondern auch eine historische Finanzstätte besucht (Als leaf-peeper in Bretton Woods). Und schliesslich habe ich einige Male meinen Freundeskreis zitiert (Rotter Stammtisch Gespräche). Ich könnte noch eine Zeitlang so weiter machen, will es mir aber versagen und stattdessen die Liste meiner 100 Posts unten anhängen. Anklicken gestattet!

Das Ausformulieren dieser Essays auf ein Standardformat von etwa drei Seiten machte mir grossen Spass. Deutsche Aufsätze zu schreiben gehörte schon zu Gymnasiumszeiten (neben Physik) zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Ich will aber nicht verhehlen, dass zuweilen doch etwas Stress aufkam, wenn ich( zu Urlaubszeiten) mein selbstgestecktes Ziel - jedes Wochenende einen Post ins Netz zu stellen - nur mit Mühe erreichen konnte.

Nun, nach dem 100. Post habe ich beschlossen, die Sache zukünftig etwas lockerer anzugehen. Meine Kolumne wird nicht mehr streng wöchentlich erscheinen. Ich werde eine Pause einlegen. Diese kann kurz sein -

vielleicht aber auch länger.


Und nun die Liste aller bisherigen Posts

(Anklicken genügt)

Sonntag, 22. November 2009

Künstlerinnen unter sich

Brigitte M.: Hallo, habt ihr schon das nächste Jahr geplant? Fahren wir wieder nach Basel zur art-Austellung?

Gaby O.: Bin mir nicht sicher, habe manches noch von diesem Jahr in schlechter Erinnerung: viele Bilder und Skulpturen in enge Kabüffchen gequetscht und ebenso gequetscht fühlt man sich als Besucher.

Ursel R.: Ja, die Kuben des Minimalisten Donald Judd stehen neben den trash-Skulpturen eines Jonathan Meese und niemand stört es, dass die Werke sich gegenseitig die Luft nehmen.

Brigitte: Das ist eben typisch für diese Kunstmessen: das Heterogene wird homogenisiert bis man selbst krudeste Gegensätze für vereinbar hält. Man wird bestürmt von tausend Eindrücken, sieht alles und sieht nichts.

Gaby: Ein Zapping-Erlebnis, fast wie beim Fernsehen. Man springt hin und her, weil man immer wieder hinter der nächsten Stellwand das grosse Erlebnis erwartet.

Ursel: Und die Geschäfte der Galeristen laufen bestens; inzwischen verkaufen sie auf Messen mehr Kunstwerke als zuhause in ihren Galerien. Der Handel hat das Hinterzimmer verlassen und sucht das Marktgeschrei.

Brigitte: Ähnliches geschieht auf den Auktionen. Wie die Messen erzeugen die Auktionshäuser vorwiegend Emotionen. Stille, oder gar Erhabenheit bei der Betrachtung der Werke ist nicht mehr gefragt.

Gaby: Es zählen die Rekordumsätze und die Rekordpreise. Die Qualität eines Kunstwerks muss man nicht mehr - wie früher - mühsam im Kunstwerk selbst suchen, sondern sie ergibt sich aus dem Preis.

Ursel: Ja, manche "Kunstkenner" sehen in der Versteigerung die einzige Möglichkeit, den Wert eines Bildes festzustellen. Die teuersten Werke sind die besten. Basta!

Brigitte: Völlig verrrückt ist, dass man neuerdings für Bilder der klassischen Moderne weit höhere Preise bezahlt als für seltene ältere Kunstwerke. Jackson Pollock schlägt Jan Vermeer und Damien Hirst überbietet Peter Paul Rubens.

Gaby: Womit wir bei den Sammlern wären. Für den in durchsichtigen Kunststoff eingelegten Hai von Hirst hat ein Sammler satte 12 Millionen Dollar hingelegt.

Ursel: Nun, was tut man nicht alles um die physische Unsterblichkeit ständig vor Augen zu haben.

Brigitte: Die meisten Sammler haben ihr Geld als selbständige Unternehmer verdient; warum sollten sie nur Autos und Rennyachten kaufen, wenn Kunst langfristig viel wertbeständiger ist.

Gaby: Aber kurzfristig kann es schon mal zum crash kommen. Der japanische Unternehmer Ryoai Saito kaufte vor zwanzig Jahren Vincent van Goghs Gemälde "Portrait des Dr. Gachet" für 82,5 Millionen Dollar und verlor in der darauffolgenden Immobilienkrise damit viel Geld.

Ursel: Trotzdem, nirgendwo verwandelt sich viel Geld so umstandslos in Prestige wie beim Kunsthandel. Flick, Guggenheim etc. etc. sind der Beweis.

Brigitte: Insbesondere seit Sammler nicht nur kaufen und in öffentlichen Museen ausstellen, sondern sich sogar ihre eigenen Museen von internationalen Stararchtitekten bauen lassen.

Gaby: Reinhold Würth in Künzelsau und Frieder Burda in Baden-Baden sind da prominente Beispiele. In der Kurstadt wird inzwischen die altehrwürdige Kunsthalle fast an die Wand gedrückt und muss um ihre Existenz fürchten.

Ursel: Oftmals drücken grosse Privatsammler auch ihre Bestände in öffentliche Museen, wie es im Falle von Udo Brandhorst bei der Neuen Pinkothek in München geschehen ist und durch Ströher im Bonner Kunstmuseum.

Brigitte: Und nicht selten kommt es dabei zum Krach mit der Museumsleitung, wenn der Sammler sich nicht hinreichend gewürdigt fühlt. Ganze Sammlungen werden plötzlich wieder abgezogen und auf den Auktionsbühnen der Welt zu Geld gemacht. Die zeitweilige Präsentation in einem renommierten Museum hat den Wert der Objekte in aller Regel deutlich erhöht.

Gaby: Zuweilen läuft es aber auch umgekehrt. Die Sammlung des knorrigen Lothar-Günter Buchheim in seinem grossen alten Haus in Feldafing am Starnberger See enthielt ja nicht nur Bilder von Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner sondern auch Karusselpferde aus Holz, Zirkusplakate, Wurzelhölzer, Briefbeschwerer, Muscheln und Murmeln. Diese Trouvaillen waren in den Schränken seiner Privatwohnung gewissermassen ein Gesamtkunstwerk. Sie wirken aber vergleichsweise steril und mager seit sie in das von Günter Behnisch am Seeufer erbauten Museum überführt wurden.

Ursel: Sprechen wir mal vom Künstler, schliesslich steht er am Anfang der "Nahrungskette".
Und der alte Spruch, wonach die Kunst nach Brot geht, stimmt wohl noch immer.

Brigitte: Ja, wie man in der "ZEIT" lesen konnte, können 95 Prozent der Abgänger aus Kunstakademien von ihrer erlernten Kunst nicht leben und werden vom Ehepartner durchgeschleppt oder fahren Taxi.

Gaby: Gut sind diejenigen dran, denen es geglückt ist, Werke mit hoher Wiedererkennbarkeit zu produzieren. Da hat sich einer auf Autoschrott (John Chamberlain) spezialisiert, der andere auf Nägel (Günther Uecker)...

Ursel: ...der nächste zerschlitzt Leinwände (Lucio Fontana) oder hängt die Bilder kopfüber (Georg Baselitz) oder legt Tierkadaver ein wie der schon genannte Damien Hirst.

Brigitte: So erkennt eben auch der eiligste Museumsbesucher schon im Vorbeigehen, dass es sich bei diesen Werken um "Kunst" handelt - auch wenn er den Namen des Künstlers häufig nicht parat hat.

Gaby: Eben hat irgendeine Weltorganisation den 19. November zum "Tag der Toilette" ernannt, weil es davon angeblich zu wenige gäbe. Dazu fällt mir doch gleich Marcel Duchamp ein, der schon 1917 ein Toilettenbecken mit seinem Namen signierte und anschliessend zum Kunstwerk erklärte.

Ursel: Ja, und Piero Manzoni lieferte dazu das Pendant, indem er 1959 seine berühmte "Merda d´Artista" (Künstlerscheisse!) produzierte. Gleich 90 Dosen zu je 30 Gramm füllte er ab und verkaufte sämtliche Werke - oder sollte man sagen Privaterzeugnisse? - zum (damaligen) Preis von einer Unze Gold.
Was sie wohl heute noch wert sind?

Sonntag, 15. November 2009

Gas im Überfluss?

Die USA sind derzeit von einem "Gas-Rausch" erfasst. Gas, ein besonders edler Brennstoff, weil er relativ wenig Kohlendioxid produziert, ist bislang knapp und teuer, da die Weltvorräte schon in 30 bis 40 Jahren zu Ende gehen sollen. Nun hat man neue Ressourcen entdeckt, welche diesen Zeitpunkt bis zum Jahrhundertende und darüberhinaus verschieben könnten.

Freilich handelt es sich nicht um das klassische Erdgas, das als Nebenprodukt bei der Erdölförderung gewonnen wird, sondern um ein Naturgas, das sich in geschichtetem Sedimentgestein befindet. Im amerikanischen Sprachgebrauch heisst es "shale-gas" (Schiefergas), wobei nicht der Schiefer im petrographischen Sinne gemeint ist, sondern eben das Sedimentgestein aus eingetrockneten Meeren früherer Jahre. Abgestorbene Kleinlebewesen, Algen und Plankton sind in vielen Meeresregionen in die Tiefe gesunken und haben über Jahrmillionen durch bakterielle Zersetzung Kohlenwasserstoffe (insbes. Methan) in den Sedimentfolgen gebildet.

Grundsätzlich bekannt waren diese Energievorräte schon seit längerer Zeit. Neu ist, dass sich in den letzten Jahren die technischen Methoden, wie Bohrtechnik und Gastransport dramatisch verbessert haben. Die Ausbeutung dieser Lagerstätten mit vertretbaren Kosten und Umweltrisiken scheint nun technisch möglich geworden zu sein.

Die renommierte amerikanische Zeitung "The New York Times" berichtete kürzlich (am 10. Oktober 2009) auf Seite 1, dass nach Expertenschätzungen diese Gasvorräte den 200- bis 600-fachen Jahresverbrauch der USA entsprechen würden. Inbes. in Texas, Lousiana und Pennsylvania wurde schon so viel Gas gefunden, dass die Gaspreise in den Vereinigten Staaten beträchtlich nach unten gedrückt werden konnten.

Ein ganz besonderer Vorzug dieses Naturgases ist, dass es auf der ganzen Erde vorkommt. In China und Indien vermutet man riesige Vorkommen und wenn man bedenkt, dass vorallem in China bislang jedes Jahr hundert (schmutzige) Kohlekraftwerke in Betrieb genommen werden müssen, dann könnte die Umstellung auf Naturgas die ökologische Situation dieser Schwellenländer drastisch verbessern. Auch in Europa haben die Explorationen bereits begonnen. Exxon macht Versuchsbohrungen in Deutschland, Total in Frankreich und die italienische ENI sowie die norwegische Statoil, haben sich in einigen US-Staaten eingekauft, um die Bohrtechniken zu erlernen. Bedenkt man die Abhängigkeit Europas (und Deutschlands) vom russischen Erdgas und die regelmässigen Unterbrechungen bei der Durchleitung durch die Ukraine, so könnte das Naturgas signifikant zur Autonomie auf diesem bislang prekären Energiegebiet beitragen.

In den USA sieht man sogar noch weitere Konsequenzen. Bekanntlich möchte dieses Land in den nächsten Jahren mehrere Kernkraftwerke bauen. Sollte das Naturgas aber alsbald in genügender Menge und zu wirtschaftlich stabilen Preisen zur Verfügung stehen, dann könnten die Nuklearprogramme gekippt werden zugunsten von Gaskraftwerken mit niedrigeren Kapitalkosten.

Und die Vereinigten Staaten, welche sich bisher strikt weigerten, den Kyoto-Vertrag zu unterzeichnen, könnten plötzlich als ökologischer Musterknabe dastehen.

Sonntag, 8. November 2009

Gestatten, Robert Oppenheimer

Vor wenigen Monaten ist die Biografie "J. Robert Oppenheimer" im Propyläen-Verlag erschienen, jenes Physikers, den die Welt inbesondere unter der makaberen Bezeichnung "Vater der Atombombe" kennt. Die 672 Seiten der Autoren Kai Bird und Martin J. Sherman bieten ausreichend Lesestoff für eine Woche und sind ein erwägenswertes Geschenk an Naturwissenschaftler sowie politisch und historisch Interessiert (30 Euro).

Robert Oppenheimer kam im April des Jahres 1904 als Sohn eines aus dem hessischen Hanau eingewanderten jüdischen Tuchhändlers zur Welt; die Mutter, Kunsterzieherin mit einer Malerausbildung in Paris, hatte ihre Wurzeln in Bayern. Der junge Robert, dessen vielseitige Begabung die Eltern von Anbeginn erkannten, wurde an einem privaten Gymnasium erzogen und studierte anschliessend an der Harvard-Universität Chemie, klassische Philologie und Orientalistik.

Trotz Bestnoten fühlte sich Robert nicht glücklich, weshalb er für das Master-Studium nach England an das Cavendish Laboratory der Universität Cambridge wechselte und dort von Ernest Rutherford mit experimentellen Arbeiten im Bereich der Physik beauftragt wurde. Für Versuche hatte der mehr theoretisch ausgerichtete Oppenheimer aber weder Neigung noch Begabung. Er entwickelte eine nervliche Krise, die eine längere psychiatrische Heilbehandlung erforderlich machte. Danach verlegte er sich ganz auf die theoretische Physik. Max Born in Göttingen wurde auf den jungen Studenten aufmerksam wurde und bot ihm eine Doktorarbeit an.

Die Universität Göttingen war in den zwanziger Jahren das Mekka der Physik. Werner Heisenberg hatte (zusammen mit Nils Bohr und Max Planck) die Quantenmechanik "erfunden" und in seiner Umgebung bewegten sich so berühmte Physiker wie Pascual Jordan, Wolfgang Pauli, Enrico Fermi, Paul Dirac und Edward Teller. In Göttingen erlebte Robert Oppenheimer eine glückliche Zeit, wie er später oftmals bekannte. Seine Nervenkrise verschwand und das Leben in der überschaubaren Kleinstadt tat ihm gut. Wenn man zum "Schwarzen Bären", einem Wirtshaus aus dem 15. Jahrhundert, zum Biertrinken ging, war es häufig Robert, der die Rechnung beglich. Materieller Besitz war ihm gleichgültig, nicht aber die Bewunderung seiner Freunde. Nach nur zwei Jahren promovierte er in Göttingen "mit Auszeichnung" mit einer Arbeit über die Atomspektren. Dem damaligen Brauch entsprechend musste der frischgebackene Doktor in den Brunnen vor dem Rathaus steigen und die "Gänseliesel", eine Bronzefigur, küssen.

In seiner Heimat Amerika wurde man auf den jungen Wissenschaftler Robert Oppenheimer aufmerksam und eine Reihe von Universitäten boten ihm Professuren an. Er entschied sich schliesslich für Kalifornien, wo er abwechselnd in Pasadena und Berkeley Vorlesungen abhielt. Bezeichnend für den damaligen Stand der Phyik in den USA war die Tatsache, dass es - vor Oppenheimer - an der Universität Berkeley keinen einzigen Lehrstuhl für theoretische Phyik gab! Für "Oppie", wie ihn seine Freunde nannten, waren die dreissiger Jahre eine sehr kreative Zeit. Er veröffentlichte Dutzende wissenschaftlicher Arbeiten, zumeist aus dem Gebiet der Quantenphysik. Darüberhinaus interessierte er sich aber auch für die Astrophysik, welche erst zwanzig Jahre später in das Blickfeld der Physiker und Astronomen gelangte. Seine Veröffentlichungen über Neutronensterne und den gravitativen Kollaps schwerer Sterne zu Schwarzen Löchern (ein Begriff der erst viel später von Hawking geprägt wurde) belegen das.

Im politischen Spektrum der Vereinigten Staaten, das bislang nur die Demokraten und Republikaner kannte, war mittlerweile eine dritte Partei hinzu gekommen: die Kommunistische Partei der USA (KPUSA). Die Weltwirtschaftskrise und der "New Deal" des Präsidenten Franklin D. Roosevelt hatte viele Verlierer hinterlassen, insbesondere im Mittelstand. Studenten und Professoren waren zudem angewidert von den rechtsnationalen Bewegungen in Deutschland und in Spanien. "Gleichheit und Solidarität" war ein beliebtes Schlagwort, wobei man die Freiheitsbeschränkung in der Sowjetunion schlichtweg ausblendete. Auch Robert Oppenheimer war in seinem Freundeskreis umgeben von Anhängern der KPUSA. Er selbst war zwar nicht Mitglied dieser Partei, liebäugelte aber offensichtlich mit ihren Zielen und brüstete sich, auf einer Zugreise nach Washington D.C., sämtliche drei Bände des "Kapital" von Karl Marx gelesen - und verstanden! - zu haben.

Im privaten Bereich war der junge Professor Oppenheimer kein Kind von Traurigkeit. Und die Damen, ledig und verheiratet, umschwärmten den gut aussehenden Junggesellen, der seine schlanke Figur (1,77 Meter bei 57 Kilo) vorteilhaft in Massanzügen aus feinem Tuch zur Geltung brachte. Geradezu ein Markenzeichen war die Zigarette - später die Pfeife - im Mundwinkel und der knautschige Hut, den die Amerikaner "pork-pie" nannten. Nach einer Vielzahl von Affären (auch mit Ehefrauen von Kollegen) brachte ihn schliesslich Katherine Puening Harrison, genannt "Kitty" zur Strecke. Er heiratete die bereits zwei Mal Geschiedene 1940, worauf im Hause Oppenheimer der Alkohol nie mehr ausging. Robert mischte seine berühmten Martini-Cocktails auf unnachahmliche Weise: ein Tropfen Wermouth und den Rest des Glasses mit Gin auffüllend. Ehefrau Kitty war Oppies beständigste Abnehmerin! Schon ein Jahr nach der Eheschliessung wurde der Sohn Peter geboren, zu dem Kitty zeitlebens keine Bindung fand. Drei Jahre später kam das Mädchen Toni hinzu, dem Kitty in wahrer Affenliebe anhing.

Die Entdeckung der Uranatomspaltung durch die deutschen Wissenschaftler Otto Hahn und Fritz Strassmann wurde in den USA mit grösster Sorge registriert. Die von Hitler vertriebenen Physiker waren sich "sicher", dass in Deutschland an einer Atombombe geforscht würde. Einstein wandte sich deshalb in einem Brief an den Präsidenten Roosevelt mit der Aufforderung, dass die USA ebenfalls eine Bombe bauen sollten. Tatsächlich wurde ein "Urankomitee" ins Leben gerufen, das ein Stab des Weissen Hauses koordinierte. In Oak Ridge und Hanford sollten die bombenfähigen Isotope produziert werden.

Zur Entwicklung und zum Bau der eigentlichen Atomwaffen benötigte man ein gesondertes Forschungszentrum, das unter dem Namen Los Alamos im Hochland von New Mexico, etwa 50 Kilometer nördlich von Santa Fe gegründet wurde. Zum wissenschaftlichen Direktor benannte man den inzwischen charismatischen Wissenschaftler J. Robert Oppenheimer, der formell dem Armeegeneral Leslie R. Groves unterstellt wurde. Oppenheimer gelang es (bis auf wenige Ausnahmen) alle Top-Wissenschaftler der USA für sein Unternehmen zu gewinnen, das unter der Code-Bezeichnung "Manhattan-Projekt" lief und von der Inlandsspionageabwehr FBI als "top secret" eingestuft wurde. Los Alamos wurde 1943 in wenigen Monaten praktisch aus dem Boden gestampft; zwei Jahre später arbeiteten dort mehr als 3.000 Ingenieure und Wissenschaftler. Auch Oppenheimers acht Jahre jüngerer Bruder Frank, ein ausserordentlich begabter Experimentalphysiker, war dort in leitender Funktion tätig.

Die Wissenschaftler in Los Alamos, welche gewohnt waren, mit begrenzten Mitteln und praktisch ohne Termine zu arbeiten, mussten nun lernen, mit unbegrenzten Mitteln und strengen Terminvorgaben zurecht zu kommen. Schon bald hatten die Theoretiker herausgefunden, wieviel Spaltstoff für eine Atombombe mit der Explosionswirkung von 20.000 TNT notwendig war: bei der Uranbombe benötigte man einen Urankern von der Grösse einer Melone, bei der Plutoniumbombe wäre der Kern nicht grösser als eine Orange gewesen. Übrigens verbot Oppenheimer seinen Forschern die Benutzung des Wortes "Bombe"; stattdessen sollte von "Gadget" gesprochen werden, was mit Apparat bzw. Gerät übersetzt werden könnte.

Dennoch geriet das Projekt bald in eine Krise; die kurz bemessene Zeit eilte davon und noch immer glaubte man sich mit den "Nazi-Forschern" in Deutschland im Wettbewerb. Als man erfuhr, dass Werner Heisenberg, in welchem man den "deutschen Oppenheimer" vermutete, in der Schweiz einen Vortrag halten wollte, schickte der US-Geheimdienst sogar einen Agenten dorthin, um Heisenberg zu entführen oder gar zu töten. Der ehemalige Baseballspieler Moe Berg konnte sich jedoch weder zum Einen noch zum Anderen entschliessen.

Ein grosses Problem war die geringe verfügbare Menge an spaltbarem Uran. Es wurde durch fraktionierte Diffusion und und elektromagnetische Trennung gewonnen. Im Sommer 1944 ordnete Oppenheimer deshalb den Aufbau einer weiteren Anlage zur Thermodiffusion in Oak Ridge an, was sich als voller Erfolg herausstellte. In wenigen Monaten war der Nachschub an Uran gesichert. Zur Zündung des Uran-235 setzte man auf den sogenannten "Gun-Design". Dabei wurde eine solche Menge spaltbaren Materials in ein anderes, ebenfalls spaltbares Material geschossen, sodass der kritische Zustand erreicht wurde und es zu einer unkontrollierten Kettenreaktion, sprich Kernexplosion, kam.

Schon bald zeigte sich, dass bei der Plutoniumbombe die Methode der Kompaktifizierung nicht funktionierte, weil es dort (wegen der Neutronen) zu einer Frühzündung gekommen wäre, was die Brisanz der Bombe drastisch vermindert hätte. Die neue Idee war, Linsen aus Sprengstoff um die pampelmusengrosse, lose gepackte Plutoniumkugel herum zu lagern; die nach innen zielende symmetrische Sprengstoffexplosion sollte das Plutonium spontan zu einer Kugel von Golfballgrösse verdichten, worauf die nukleare Explosion in Gang gekommen wäre. Aber die Forscher waren sich ihrer theoretischen Analysen nicht vollkommen sicher, worauf Oppenheimer - nur für die Plutoniumbombe - eine Testexplosion anordnete. Sie fand im Juli 1945 auf dem "Trinity"-Gelände in New Mexico statt und war ein "voller Erfolg". Zum ersten Mal erhob sich eine pilzförmige Wolke über Ground Zero kilometerhoch in den Himmel.
Ein neues Zeitalter hatte begonnen.

Mittlerweile war den Bombenbauern aber ihr "Lieblingsfeind" abhanden gekommen. Deutschland hatte am 8. Mai 1945 bedingungslos kapituliert - gerade noch rechtzeitig bevor die amerikanischen Kernwaffen zur Verfügung standen. (Einige Monate später stellte sich, u. a. bei den sogenannten Farmhall-Gesprächen heraus, dass die deutschen Wissenschaftler nie an dieser Massenvernichtungswaffe gearbeitet hatten und dass sie auch von den deutschen Politikern nie in Erwägung gezogen worden war.) Viele in Los Alamos waren enttäuscht, dass sie zu spät gekommen waren. So richteten sie ihre Blicke auf Japan, ein Land, mit dem man sich noch im Krieg befand, der aber sichtbar dem Ende zuging. Ausserdem war unstrittig, dass die japanischen Wissenschaftler kein Atomprojekt verfolgten. Trotzdem unterzeichnete Oppenheimer im Juni 1945 ein Memorandum, in dem er "den sofortigen Einsatz von Atomwaffen auf Japan" empfahl.


Am 6. und 9. August 1945 warfen amerikanische Flugzeuge zwei Atombomben (mit den banalen Namen "Little Boy" und "Fat Man") über die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki ab. Die Folgen sind bekannt: mehr als 200.000 Menschen starben sofort oder in unmittelbarer Folge. Viel später, 1960, reiste Oppenheimer zum ersten Mal nach Japan und auf dem Flughafen Tokio bestürmten ihn die Journalisten mit Fragen. "Ich bedauere es nicht", sagte er leise, "dass ich mit dem technischen Erfolg der Bombe zu tun hatte. Ich will nicht sagen, dass ich mich nicht schlecht fühle; aber ich fühle mich heute Abend nicht schlechter als gestern Abend". Die Übersetzung dieser vieldeutigen Gedanken ins Japanische wird nicht einfach gewesen sein.


Zurück ins Jahr 1945. Oppenheimer, den vorher - ausserhalb der Sphäre der Wissenschaft - praktisch niemand kannte, wurde als "Vater der Atombombe" schnell zu einer Berühmtheit, ja zu einer amerikanischen Ikone. Die Zeitungen bestürmten ihn wegen Interviews, überallhin wurde er zu Vorträgen eingeladen. Auch Präsident Harry S. Truman, der dem im April 1945 verstorbenen Franklin D. Roosevelt nachgefolgt war, wollte den berühmten Physiker kennenlernen und lud ihn ins Weisse Haus ein. Bei dieser Unterredung verärgerte Oppenheimer den Präsidenten, weil er die Bemerkung fallen liess, dass er "Blut an den Händen" habe. Truman, ein Politiker simplen Zuschnitts, bezeichnete ihn daraufhin als "cry-baby" (Heulsuse) und entliess ihn schon nach einer halben Stunde ziemlich abrupt aus dem Oval Office.


Der Popularität (und der weiteren Karriere) Oppenheimers tat dies jedoch keinen Abbruch. Oppie wurde nach wie vor zu unzähligen Veranstaltungen eingeladen und betätigte sich als Berater bei höchsten Regierungsstellen, z. B. beim Aussenministerium, beim Kriegsministerium und bei der Amerikanischen Energie Commission (AEC), welche den weiteren Bau der Atombomben zu koordinieren hatte. Zunehmend jedoch verärgerte er den Vorsitzenden der AEC Lewis Strauss dadurch, dass er öffentlich die Rüstungskontrolle forderte und vorschlug, das "Atomgeheimnis" mit dem ehemaligen Verbündeten, der Sowjetunion, zu teilen. Die offizielle US-Politik dachte aber nicht im Traum daran. Bereits fünf Jahre nach dem Krieg hatte man 300 Kernwaffen im Depot und mit der Atombombe wähnte man sich auf dem Weg zur absoluten Weltmacht.


Einen politischen Einschnitt brachte die Zündung der ersten sowjetischen Atombombe am 2. August 1949. Amerika und insbesondere der Präsident Truman konnten nicht glauben, das es dem technisch rückständigen und vom Krieg noch darnieder liegenden Russland gelungen war, das Manhattan-Projekt nachzumachen. Da konnte nur Verrat im Spiel sein. Der Senator Joseph McCarthy und der FBI-Chef Edgar Hoover suchten fortan nach diesen kommunistischen Spionen und wurden fündig. Das jüdische Ehepaar Ethel und Julius Rosenberg wurde der Atomspionage für die Sowjetunion bezichtigt, 1961 zum Tode verurteilt und auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet.


Nun wurde auch die Luft für Oppenheimer dünner, dessen Neigung zum Kommunismus in den dreissiger Jahren dem FBI natürlich bekannt war. Besonders belastet hat ihn der Fall des deutsch-britischen Atomspions Klaus Fuchs, der 1944 eine Zeitlang in Los Alamos gearbeitet hatte und dabei streng geheime Unterlagen zur Atom - und sogar zur Wasserstoffbombe an die Sowjets weiter leitete. Der AEC-Vorsitzende Lewis Strauss verlangte von Oppenheimer, dass er seine Beratertätigkeit einstelle und als sich dieser weigerte, kam es zur Bildung eines Untersuchungsausschusses. Oppenheimer wurden u. a. seine Versäumnisse im Fall Fuchs vorgeworfen und Edward Teller beschuldigte ihn darüberhinaus, dass er die Entwicklung der Wasserstoffatombombe bewusst verzögert habe. Mit 2 : 1 Richterstimmen wurde Oppenheimer für schuldig befunden - aber er verlor nicht sein Leben, sass noch nicht einmal einen einzigen Tag im Gefängnis, sondern es wurde ihm lediglich die "security clearance", also die Unbedenklichkeitsbescheinigung, entzogen. Ab sofort hatte er keinen Zugang mehr zu geheimen Papieren, was seine Beratertätigkeit bei den verschiedenen Regierungskommissionen beendete.


Über den etwa zwei Monate andauernden Prozess schrieb der deutsche Theaterautor und Psychiater Heinar Kipphardt 1964 sein Stück "In der Sache J. Robert Oppenheimer", das die Theaterbesucher in ganz Europa elektrisierte. Nur Oppenheimer selbst gefiel es nicht, er wollte sogar den Autor verklagen. Insbesondere mit dem Schlussmonolog war er gar nicht einverstanden, weil Kipphardt ihm Schuldgefühle wegen des Baus der Atombombe in den Mund gelegt hatte!


Von 1947 bis zu seinem Tode war Oppenheimer Leiter des berühmten "Institute of Advanced Study" (IAS) in Princeton, das seinem Ruf vorallem der Tatsache schuldete, dass es Wohnort und intellektuelle Zuflucht von Albert Einstein war. Die durch private Sponsoren gut dotierte Stelle erlaubten Oppie einen grosszügigen Lebenswandel. Vortagsreisen durfte er weiterhin unternehmen und 1962 erhielt er mit dem Fermi-Preis (durch Kennedy) sogar eine Art regierungsamtliche Wiedergutmachung. Ab 1954 verbrachte die Familie Oppenheimer jedes Jahr einige Monate auf der kleinen Karibikinsel St. John die zu den (amerikanischen) Virgin Islands gehören. An der Hawksnest Bay erwarben sie ein Grundstück und liessen dort durch einen renommierten Architekten ein Ferienhaus bauen. Palmen säumten den weissen Strand dieses Schlupfwinkels, Papageienfische tummelten sich im türkisblauen Wasser und gelegentlich zog ein Schwarm Barrakudas vorbei. Eine wahre Idylle!


Ab 1966 entwickelte sich bei Oppenheimer ein bösartiger Kehlkopfkrebs, der wahrscheinlich mit seinen Rauchergewohnheiten zusammen hing. Trotz mehrfacher Bestrahlungen liess sich der Tumor nicht zurück drängen. Am 18. Februar 1967, gerade 62 Jahre alt, starb J. Robert Oppenheimer ziemlich qualvoll. Sein Leichnam wurde eingeäschert und die Urne wunschgemäss in St. John, unweit von seinem Haus im Meer versenkt. Lewis Strauss sandte Kitty Oppenheimer umgehend ein Telegramm: Die Nachricht von Roberts Tod habe ihn "betrübt".




Epilog


Kitty Oppenheimer zog nach dem Tod von Robert mit Bob Serber, einem Schüler und engen Mitarbeiter ihres Mannes, zusammen. 1972 kauften sie sich das Segelboot "Moonraker" und beschlossen damit die Welt zu umsegeln. Sie kamen nicht weit; vor der Küste Kolumbiens wurde Kitty so krank, dass Serber wenden und den Hafen von Panama ansteuern musste. Dort starb Kitty; ihre Asche wurde auf St. John, nahe bei der von Robert, verstreut.


Frank Oppenheimer, Roberts brillanter und liebenswürdiger Bruder, wurde 1949 während der McCarthy-Ära, aufgrund seiner früheren Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei der USA aus allen Universitätsämtern entlassen. Volle zehn Jahre schlug er sich in den Bergen Colorados als Viehrancher durch. Robert kam fast jeden Sommer auf die Ranch und es schmerzte ihn tief, dass sein Bruder so ein ärmliches Leben führen musste. Erst im August 1969 war es Frank möglich - gefördert durch verschiedene Stiftungen - in San Francisco ein kleines technisches Museum aufzubauen und als Familienprojekt zu betreiben.


Peter Oppenheimer, Kittys wenig geliebter Sohn, betrieb eine Zeitlang eine Ranch in den Bergen von New Mexico. Er hatte drei Kinder, wurde zweimal geschieden und liess sich schliesslich in Santa Fe als Bauunternehmer und Zimmermann nieder. Gelegentlich ging er als Umweltaktivist von Haustür zu Haustür und agitierte gegen die Risiken des Atommülls in seiner Gegend.


Toni Oppenheimer, die Tochter, fand nach dem Tod ihres Vaters keinen Halt mehr. Die willensstarke Mutter hatte sie noch in ein Masterstudium gedrängt, doch nach einer kurzen Weile steckte sie auf. Zweimal verheiratet und zweimal geschieden erlebte sie nur ein flüchtiges Glück. Sie kehrte schliesslich nach St. John zurück und versuchte mit Hilfe eines Psychiaters ihre Depressionen zu überwinden. Vergebens. Im Januar 1977 erhängte sie sich in dem Haus, welches ihr Vater an der Hawksnest Bay hatte bauen lassen.


Während der letzten dreissig Jahre bin ich einige Male urlaubshalber auf St. John gewesen. Die Bucht und der Sandstrand von Hawksnest sind mir wohl vertraut. Das Haus der Oppenheimer aber konnte ich dort nicht entdecken. Auf Befragen teilte mir ein einheimischer Karibe mit, dass es durch einen Hurrikan hinweg gefegt worden sei...









Sonntag, 1. November 2009

Wo ist der Neandertaler geblieben?

Vor etwa 7 Millionen Jahren soll sich die menschliche Linie von dem gemeinsamen Vorfahren mit dem Schimpansen abgespalten haben. Während der folgenden 5 Millionen Jahre lernten diese Hominiden zwar den aufrechten Gang, waren aber in Bezug auf Aussehen, Intelligenz und Gehabe noch sehr "affenartig", weshalb die Paläanthropologen sie der Kategorie "Australopithecus" (Südaffen") zurechnen. Die Menschwerdung zum "Homo" begann erst vor 2 Millionen Jahren, als das Gehirn zu wachsen anfing und die Fähigkeit zur Entwicklung von Sprache, Werkzeugen und kulturellen Dingen (wie Höhlenmalereien) folgte. Zugespitzt kann man sagen: "die Menschheit stand zuerst auf und wurde danach erst klug".

Unbestritten ist, dass sich die menschliche Rasse in Afrika entwickelt hat; etwa in dem Gebiet zwischen Äthiopien und Kenia befindet sich die "Wiege der Menschheit". Von dort breiteten sich unsere Vorfahren in Wellen immer wieder nach Europa und Asien aus, gemäss der "out-of Africa - These". Die Urmenschenforscher suchen deshalb bevorzugt in Ostafrika nach Fossilien und werden immer wieder fündig. Vor einiger Zeit haben sie das Skelett einer Hominiden-Dame aus dem äthiopischen Sand gescharrt, der sie den Spitznamen "Ardi" gaben und deren Alter man auf 4,4 Millionen Jahre schätzt. Dem amerikanischen Wissenschaftsblatt "Science" war dieser Fund sogar die Herausgabe eines Sonderheftes wert. Von Ardis Skelett sind 125 Teile erhalten, mehr als vom bisherigen Prunkstück, dem weiblichen Hominidenkörper "Lucy", welcher mit 3,2 Millionen Jahren zudem beträchtlich jünger ist. Der menschliche Körper besitzt 206 Knochen, aber da sich viele gleichen, ist ein Halbskelett anatomisch schon sehr aussagekräftig.

Unsere Kenntnis der Vorgeschichte des Menschen stützt sich auf ca. 5.000 Individuen. Manchmal ist es nur ein einzelner Zahn, aus dem die Wissenschaftler aber erstaunlich viel herauslesen können. Die Gesamtzahl der Fossilienfunde würde in einem mittleren Lieferwagen bequem Platz finden. Seit Anbeginn der Zeit haben mehrere Milliarden menschliche (oder menschenähnliche) Lebewesen die Erde bevölkert und jedes hat zum Gesamtbestand der Menschen ein klein wenig an genetischer Variabilität beigetragen. Leider ist aber wenig an Fossiliensubstanz bis jetzt aufgespürt worden. Dies gilt insbes. für den Verzweigungspunkt Affe-Mensch, das sog. "missing link", aber selbst für die jüngste Vergangenheit vor einigen zehntausend Jahren, als der Neandertaler noch existierte. Hinzu kommt, dass die relativ wenigen Fossilien nicht in gerader Linie zu uns führen, sondern, dass viele in einer Sackgasse der Evolution geendet haben, also für die Anthropologen von geringerer Bedeutung sind. Würde man das "Tonband des Lebens" nocheinmal ablaufen lassen, dann wäre es ganz und gar unwahrscheinlich, dass die Evolution in gleicher Weise den modernen Menschen hervorgebracht hätte.

Vor etwa 2 Millionen Jahren mutierten die Hominiden, die Menschenaffen, zu Menschen der Gattung "Homo". (Bitte keine unkeuschen Assoziationen!) Die Linie der Homo beginnt mit dem homo habilis, setzt sich fort über h. erectus, h. ergaster, h. floreszensis, h. heidelbergensis, h. rudolfensis bis zum homo neanderthalensis und endet mit dem homo sapiens, womit sich - in wahrer Bescheidenheit - der moderne Mensch charakterisiert. Die Homo-Gattung war, im Gegensatz zu ihren Vorläufern, in der Lage, komplizierte Werkzeuge, wie Haumesser, Meissel und Schaber herzustellen und lernte mit dem Feuer umzugehen. Vermutlich entwickelte sich damals auch kontinuierlich die Fähigkeit zu sprechen; aus der Art der Bestattungsriten kann man sogar bereits auf einen Totenkult schliessen. All diese technischen und kulturellen Anforderungen liessen das Hirnvolumen von 400 auf 800 Kubikzentimeter (und darüber) ansteigen.

Ein naher Verwandter des homo sapiens - also von uns Jetztmenschen - ist der homo neanderthalensis. Der Neandertaler leitet seinen schönen Namen vom ersten Fundort ab, dem Neandertal (zwischen Düsseldorf und Wuppertal), wo Steinbrucharbeiter im Jahr 1856 einen fossilen Schädel entdeckten. Aus vielen späteren Funden weiss man, dass diese Gattung über 200 - 300.000 Jahre ganz Europa von Gibraltar bis Usbekistan besiedelt hat. Die Neandertaler waren stämmige und muskulöse Menschen, die ein bisschen den heutigen Eskimos und Lappen ähnelten. Sie fertigten Präzisionswaffen und hatte Jagdtechniken, womit sie damals anzutreffende Grosstiere, wie Mammuts und Riesenhirsche, zur Strecke bringen konnten. Ihre Frauen trugen Schmuck und ihre Bestattungsriten lassen auf religiöse Vorstellungen schliessen. Mit grosser Wahrscheinlichkeit hatten sie bereits die Sprache entwickelt oder zumindest kommunikative Vorformen. Besonders erstaunlich ist, dass sie ein erheblich grösseres Gehirn hatten als die Jetztmenschen. Es umfasste Berechnungen zufolge 1.800 ccm, während wir uns mit 1.400 ccm zufrieden geben müssen. Häufig hört man das Argument, unser Gehirn sei zwar kleiner, aber aus irgend einem Grunde leistungsfähiger. Es verwundert, dass dieses Argument an keiner anderen Stelle der Evolution des Menschen vorgebracht wird.

Aber warum ist dieser intelligente und hochentwickelte Neandertaler ausgestorben? Darüber herrscht bis heute keine Klarheit, es gibt nur Vermutungen. Tatsache ist, dass der Bestand an Neandertalern immer mehr dezimiert worden ist, seit der homo sapiens - also wir - vor 70'000-100'000 Jahren von Ostafrika nach Europa hinein schwappte. Die letzten Neandertaler scheinen vor 25.000 Jahren gelebt zu haben, also praktisch "vorgestern".

Eine Hypothese zum Aussterben der Neandertaler ist, dass die Jetztmenschen - auch Cromagnon, nach ihrem ersten Fundort benannt - aus Afrika Krankheitskeime mitgebracht hätten, denen die Urbewohner nicht gewachsen waren. Einer anderen Vorstellung zufolge kam es zu einer Durchmischung beider Arten, wodurch der Neandertaler nicht wirklich ausgestorben ist, sondern quasi absorbiert wurde. Dagegen sprechen allerdings die neuesten Befunde der genetischen DNA-Analysen. Der Münchener Zoologe Reichholf macht den Übergang von der letzten Eiszeit zur Warmzeit für ihr Aussterben verantwortlich. Nach seiner Theorie besiegelte das Verschwinden der grossen Jagdtiere auch das Schicksal der Neandertaler. Also nicht die grössere Kälte, sondern die einsetzende Erwärmung brachte das Aus für diese Menschengattung. Die meisten Paläanthropologen glauben, dass der homo sapiens die kulturelle und technische Entwicklung viel schneller voran getrieben hat als alle seine Vorläufer. Was vorher im Schneckentempo voran schritt, wurde durch den Jetztmenschen in wenigen tausend Jahren bewerkstelligt. Durch hochfeine Werkzeuge, überlegene Waffen und eine vielschichtige Sprache war der Kampf ums Dasein leichter geworden. Diesem zivilisatorischen Höhenflug hatte der Neandertaler nicht genügend entgegen zu setzen er wurde "an die Wand gedrückt" und war somit zum Aussterben verurteilt.

Aber vielleicht leben doch noch einige Rest-Neandertaler unter uns. Im abendlichen Fernsehen ist gelegentlich ein (Finanz-) Promi zu sehen, dessen vortretende Augenwülste an unsere urzeitlichen Verwandten erinnern. Und in manchen ländlichen Regionen, z. B. in Niederbayern und Tirol, gibt es diese robusten Bauernburschen...

Sonntag, 25. Oktober 2009

Als leaf-peeper in Bretton Woods

Wer im Oktober in den Neuenglandstaaten der USA unterwegs ist, erlebt unendlich ausgedehnte Laubwälder, die geradezu in Flammen stehen. Der "Indian Summer" versetzt die Wälder in einen grandiosen Farbenrausch, an der die herbstliche Laubfärbung unseres europäischen Altweibersommers nicht im entferntesten heran reicht. Besonderen Eindruck machen die tiefrot glänzenden Zuckerahornbäume. Die "fall foliage" insbes. in Vermont und New Hampshire lockt Besucher aus ganz Amerika, besonders aber aus den an Laubbäumen armen Kalifornien, die schon von weitem als "leaf-peeper" (Blättergucker) zu erkennen sind.

Die exakten Termine der kräftigsten Herbstlaubfärbung lassen sich langfristig nicht prognoszieren. Die Grenzlinie bewegt sich kontinuierlich von Kanada nach Süden und kann den Zeitungen entnommen werden. Sogar eine hotline für die fall foliage gibt es. Es ist empfehlenswert (mit einem Leihwagen) der intensivsten Laubfärbung einfach nachzufahren. Meine Frau Brigitte und ich machten genau das und so gelangten wir, fast unversehens, zu den landschaftlich wunderschön gelegenen "White Mountains" in New Hampshire und von dort zu der kleinen Siedlung Bretton Woods.

Im Grunde besteht dieser Ort nur aus einem gewaltigen weiss und rot angestrichenen Hotel - dem Mount Washington Hotel - das sich wahrhaft königlich vor der Bergkulisse der White Mountains präsentiert. Zimmerpreise ab 600 Dollar pro Nacht sorgen für ein "ausgewähltes" Publikum, aber ein Lunch mit anschliessender englischer Teestunde auf der Veranda ist finanziell noch zu packen.

Denn das Mount Washington Hotel ist berühmt und atmet Geschichte. Dort fand 1944, auf Veranlassung des US-Präsidenten Roosevelt, eine Konferenz von Finanzexperten statt. Dabei wurde, angesichts des sich abzeichnenden Ende des 2. Weltkriegs, das internationale Währungssystem für die Nachkriegszeit aus der Taufe gehoben. Bei dem bekannten Abkommen von Bretton Woods wurden zum Beispiel die noch heute existierenden Institutionen Weltbank und Internationaler Währungsfond (IWF) geschaffen und ausserdem wurde der künftige Wert des Dollar als Leitwährung festgelegt. Der Wert des Dollars änderte sich aber im Laufe seiner mehr als zweihunderjährigen Geschichte oftmals, wie man aus der einschlägigen Literatur im book shop des Hotels nachlesen kann.

Geht man in der Historie bis zur Gründung der Vereinigten Staaten im Jahr 1787 zurück, so erfährt man, dass damals der Silberdollar als Währungseinheit eingeführt wurde. Er war das offizielle Geld und besass einen Silbergehalt von 24 Gramm. Sobald eine Münze durch Abrieb ein Prozent ihres Gewichts verloren hatte, wurde sie aus dem Verkehr gezogen und eingeschmolzen. Wer an den Silberdollars herumfeilte oder gar falsche in Umlauf brachte , wurde gehängt. Ähnliche Gold- und Silberwährungen gab es im Deutschen Reich ("Goldmark") und im Britischen Empire ("Pfund Sterling"). Das 18. Jahrhundert war eine Zeit der stabilen Verhältnisse, des Wohlstands und des wirtschaftlichen Aufschwungs.

Da es ziemlich unhandlich war, Säcke mit Gold- und Silbermünzen umher zu schleppen, wurde parallel dazu das Papiergeld eingeführt. Aber: jeder Banknotenbesitzer konnte jederzeit diese Zahlungsmittel bei seiner Bank in Edelmetall rücktauschen. Nun machte das aber nicht jeder und die schlauen Notenbanker merkten dies natürlich. Sie druckten (sicherlich im Einverständnis mit den Politikern) mehr Papiergeld als an Edelmetall hinterlegt war. Besonders krass wurde dieses Missverhältnis im 1. Weltkrieg, der bei strenger Einhaltung der Gold- und Silberwährung gar nicht hätte geführt werden können. Die Folgen sind bekannt. Während der deutschen Hyperinflation 1923 wurde das Geld im Schubkarren zum Lieferanten gefahren. (Wobei man vorallem auf die Schubkarre zu achten hatte, denn sie war am folgenden Tag schon mehr wert als das transportierte Papiergeld.)

Der 1. Weltkrieg ruinierte die Währungen aller kriegführenden Länder. Auch die USA wurden klamm, insbes. nach der Wirtschaftskrise 1928. Im Jahr 1933 wusste sich der damalige Präsident Roosevelt nicht mehr anders zu helfen, als den privaten Goldbesitz unter Strafe zu stellen. Münzen, Barren, ja sogar Goldschmuck mussten abgeliefert werden; die privaten Haushalte und die Banktresore wurden auf Anordnung der Regierung durchsucht und alles Gold konfisziert!

Nach dem 2. Weltkrieg waren die kriegführenden Staaten wiederum pleite - diesmal allerdings mit Ausnahme der USA. Die Amerikaner hatten ja zuvor schon riesige Geldmengen eingezogen und waren so schlau, sich die Waffenlieferungen während des Kriegs in Gold bezahlen zu lassen. Im Abkommen von Bretton Woods konnten die USA deshalb durchdrücken, dass künftig eine Unze Gold (ca. 28 Gramm) exakt 35 US-Dollar wert waren. Der Dollar war also goldgedeckt. Alle anderen Länder mussten sich anpassen. Das englische Pfund verlor damals einen Grossteil seines ursprünglichen Werts; unsere Reichsmark erlitt bei der Währungsreform 1948 einen Totalverlust.

Aber die Kriege hörten nicht auf. Der anschliessende Koreakrieg und ganz besonders der langandauernde Krieg gegen Vietnam kosteten viel Geld. Zwangsläufig schmissen die Amerikaner wieder die Druckerpresse an, was natürlich nicht verborgen blieb. Im Jahr 1969 legte (der Intimfeind) Frankreich all seine Papierdollars bei der US-Notenbank zum Eintausch gegen Gold vor - aber die Amerikaner konnten nicht liefern. In der Folge kündigte Präsident Nixon, in echter Grossmachtmanier, die Golddeckung des Dollar einfach auf. Auf der Dollarnote steht seitdem der Spruch "In God we trust". Sarkasmus pur!

Und die Kriege gingen weiter. Der 2-Wochen-Krieg gegen Kuweit war noch verhältnismässig billig, jener gegen den Irak umso teuerer. Der noch anhaltende Krieg in Afganistan ist in seiner Dauer noch gar nicht abschätzbar und am Horizont dräuen schon weitere Auseinandersetzungen (Iran, Nordkorea). Hinzu kommen die ständigen Hilfslieferungen für Isreal. Der Dollar, einst unbestrittene Leitwährung, hat an Wert erheblich verloren. Andere Währungen, wie der Euro, der japanische Yen und der chinesische Yuan sind als Konkurrenten hinzu gekommen. Bei solcher Bedrängnis stellt sich die Frage: warum nimmt überhaupt noch jemand den Dollar an?

Die genaue Antwort dafür weiss niemand, aber es scheint so zu sein, dass dahinter der grösste Coup der Finanzgeschichte steckt. Den Amerikanern ist es wohl gelungen, eine stetige Nachfrage für ihre marode Dollarwährung zu erzeugen. Und das scheint - ohne, dass es offiziell zugegeben wird - so zu funktionieren: die USA haben offensichtlich mit den Saudis, den grössten Öllieferanten der Welt, ein Abkommen dergestalt getroffen, dass diese ihr Öl nur gegen US-Dollars verkaufen, während die USA (als Gegenleistung) das saudische Königshaus gegen alle inneren und äusseren Feinde schützt. Wer Öl braucht muss in Dollars bezahlen, was die amerikanische Währung an der Börse stützt.

Inzwischen wird an diesem Deal gerüttelt. Als erster versuchte es Saddam Hussein, der im Jahr 2000 erklärte, sein Öl nur noch gegen Euro zu verkaufen. Die Folgen sind bekannt. Vielleicht waren die "Massenvernichtungswaffen" nur vorgeschoben. Als Nordkorea 2002 seine Dollarbestände in Euros umtauschte, landete es postwendend auf der "Achse des Bösen". Und Hugo Chavez, jener aufmüpfige Präsident von Venezuela sollte sich auch vorsehen, bevor er seine Drohung, Öl nur noch gegen Euro und Yen zu verkaufen, wahr macht.

Der Poker um den Dollar ist noch nicht zu Ende. Vielleicht bekommen wir bald eine (künstliche) Leitwährung, bestehend aus den wichtigsten Währungen dieser Erde. Eine Art "Währungskorb", also. Zur Zeit sitzen die Chinesen auf einen Gebirge aus amerikanischen Schatzbriefen, womit die USA ihre Importe aus China bezahlen. Wenn die Chinesen diese auf den Markt werfen würden, wären die Amerikaner mit Sicherheit zahlungsunfähig.

Die schlauen Chinesen machen das aber nicht. Sie nutzen diese relativ wertlosen Papiere und kaufen damit in aller Welt - auch in Deutschland - Hochtechnologiefirmen zusammen und stärken damit ihre Wettbewerbsfähigkeit. Und was macht der arme Michel, um sein bisschen Bargeld auf dem Postsparbuch vor der sich am Horizont abzeichnenden Inflation zu schützen?

Er kauft Gold, die Unze für 1.050 Euro.

Samstag, 17. Oktober 2009

KIT beschlossen, FZK in der Landesliga

Für den Forschungsminister in Baden-Württemberg, Professor Peter Frankenberg, war 2009 ein besonders ergiebiges Jahr. Nicht weniger als neun Hochschulen durfte er gründen. Im März etablierte er, auf einen Schlag, acht "Duale Hochschulen Baden-Württemberg", die sich auch stolz "Baden -Wuerttemberg Cooperative State Universities" nennen dürfen. Alle verfügen über Rektorat und Fakultäten. An ihnen lehren Professoren, deren Vergütung allerdings meist unter der von Gymnasiallehrern liegt. Denn es handelt sich um die altbekannten Berufsakademien, die man in der Titelatur hochgehoben hat.

Am 1. Oktober ds. J. kam eine neunte Hochschule hinzu, die sich KIT nennnt, das "Karlsruhe Institut für Technologie" und deren Name leicht ins Englische zu übertragen ist: "Karlsruhe Institute of Technology". Bei KIT ist das Preisschild grösser, denn an ihm wird geforscht und die Professoren beziehen höhere Gehälter. Insgesamt 700 Millionen Euro müssen Jahr für Jahr bereit gestellt werden, um den Betrieb aufrecht zu erhalten.

Angesichts einer solchen Riesenfirma hätte der Steuerzahler nach dem Gründungsakt eigentlich mehr Informationen im Internet erwarten dürfen. Auf alle Fälle wird ein Organigramm vermisst, aus dem die verschiedenen Einheiten und ihre wesentlichen Aufgaben ersichtlich werden. Leider Fehlanzeige. So ist man auf mündliche Informationen angewiesen, eben die altbekannte "Buschtrommel".

Mit wem man auch spricht, es wird klar: die beiden Fusionspartner sind noch lange nicht zusammen gewachsen. Immer mehr zeigt sich, dass beide Dickschiffe bezüglich Struktur - und besonders bezüglich Kultur - noch Welten trennen. Die Grossprojekte der FZK korrespondieren nicht mit den vielen kleinen Institutsprojekten und Doktorarbeiten an der Uni. Beim FZK - einer Nachkriegsgründung - ist Ton und Umgang vergleichsweise locker; bei der Uni glaubt man gelegentlich noch Humboldt oder gar Wilhelm II hervorlugen zu sehen.

Von Gleichberechtigung ist bei der Zusammenführung ähnlicher Organisationseinheiten bislang wenig zu merken. Bei der Infrastruktur und den Bibliotheken hatte die Uni klar das Sagen; beim Rechenzentrum der FZK kann man sogar von einer "feindlichen Übernahme" durch die Uni reden. Etwas kompensiert wird dies durch die präsidiale Vorhand des FZK im administrativen Bereich, sprich Personal, Einkauf und Finanzen. Wenn im Unibereich die kaufmännische Buchführung oder gar die Budgetierung eingeführt werden sollte, dann sage ich Heulen und Zähneklappern voraus. Aber Hunderte von Millionen Jahresausgaben sollte man heute, im Computerzeitalter, nicht mehr nach der uralten Kameralistikmethode durch die Institutssekretärin verbuchen lassen. Dass man bei der Uni ein andersartiges SAP-System zugelassen hat, wird sich bald als grosser Fehler herausstellen.

Der KIT-Senat ist zwischenzeitlich aus der Taufe gehoben. Paritätisch mit 2 mal 25 Personen besetzt, ist es ein grosses Gremium geworden. ( Hinzu kommen noch die Präsidenten und die Gleichstellungsbeauftragten!) Leider hat der Senat kaum etwas zu sagen. Das war beim Wissenschaftlich-Technischen Rat (WTR) am FZK anders. Er war kleiner, mit mehr wissenschaftlichen Mitgliedern besetzt und hatte als gesellschaftsrechtliches Organ beim F&E-Programm sowie der Verteilung der Finanzmittel ein gehöriges Wort mitzureden. Vor wenigen Wochen wurde er leider aufgelöst.

Die sichtbarste Verbindung zwischen Uni und FZK ist der KIT-Shuttle. Er fährt mehrfach täglich vom urbanen Campus Süd zu dem im Hardtwald gelegenen Campus Nord, der von einigen frotzelnd auch "Campus Gulag" genannt wird.

Zu einem heftigen Streit zwischen Präsidium und Institusleitern ist es vor kurzem bei der geplanten Einführung der sog. Bereichsvorstände gekommen. Er ist noch keineswegs ausgestanden und könnte sich zu einer Bruchstelle in der grossen KIT-Organisation entwickeln. Beim Präsidium möchte man zwischen sich und die Institutsleiter eine zusätzliche Leitungsebene von etwa 10 bis 12 Bereichvorstände legen, um eine gewisse Arbeitsentlastung zu erfahren. (Ein Präside wird sogar mit dem Weggang zur "Areva-School" in Verbindung gebracht.) Die Institutsleiter betrachten dies als "Degradierung" und haben dagegen, zusammen mit den Dekanen, Front bezogen. Wie, und ob überhaupt,ein gangbarer Kompromiss gefunden werden kann, ist derzeit noch unklar. Der Vorschlag der Institutsleiter, die Bereichsvorstände (z. B. bei den Berufungsverhandlungen) mit gleicher Kompetenz wie das Präsidium auszustatten, wurde abgelehnt. Es würde die Präsidenten zu "Frühstücksdirektoren" machen.

Von den anfangs viel beschworenen Synergieeffekten bei der Fusion beider Einrichtungen ist bisher noch wenig zu spüren. Im Gegenteil, überall türmen sich die Aufgaben und die Mitarbeiter - auf allen Ebenen - werden mit bürokratischer Arbeit geradezu zugeschüttet. Wann der Fusionsgewinn sich einstellen wird, ist derzeit überhaupt noch nicht zu erkennen. Ob ein Mathematiker oder ein Wirtschaftswissenschaftler aus KIT je Vorteile ziehen wird, darf bezweifelt werden.

Aber die Uhr tickt. Nächstes Jahr steht die routinemässige Evaluierung von KIT durch die Experten des Wissenschaftsrats an. Dabei werden die 6 Kompetenzbereiche mit ihren 30 Kompetenzfeldern detailliert auf input und output zu untersuchen sein. Vor diesem Hintergrund ist es (zumindest psychologisch) nicht hilfreich, dass die Universität Karlsruhe bei einem kürzlichen weltweiten Hochschulranking besonders schlecht abgeschnitten hat. Gerade mal der 184. Platz wurde erreicht; davor lagen fast alle deutsche Hochschulen von einiger Prominenz. Hoffen wir, dass KIT der Exzellenzstatus erhalten bleibt, ansonsten wäre der Image-Schaden gewaltig.

Im Länd´le gäbbet es nur noch ein KIT´le.

Sonntag, 11. Oktober 2009

Der arme Pluto

Jeder weiss, dass Planeten um unsere Sonne kreisen. Weniger kennen die Namen dieser neun Planeten. Und ganz wenige wissen, in welcher Reihenfolge - von der Sonne her gesehen - sie im Weltall aufgereiht sind.


Nun, die Planeten unseres Sonnensystems heissen: Merkur (sonnennächst), Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun, Pluto (sonnenfernst). Aber wer kann sich diese Abfolge merken? Dafür haben die Hobbydichter unter den Astronomen gesorgt, mit folgenden Abzählreim:

"Mein Vater Erklärt Mir Jeden Samstag Unsere Neun Planeten.


Problem gelöst? Nicht ganz, denn vor drei Jahren hat die Internationale Astronomische Union (IPU) bei ihrem Kongrerss in Prag dem Pluto seinen Rang als "Planet" aberkannt. Seitdem gibt es in unserem Sonnensystem nur noch acht klassische Planeten, dazu Zwergplaneten und Kleinkörper. Pluto zählt ab sofort zu den "Zwergplaneten" und führt die Nummer 134340. Asteroiden, Kometen und andere Objekte (die keine Monde sind) oder die Sonne umkreisen, sind "Kleinkörper".


Die Entscheidung der IPU hat eine längere Geschichte. Schon als der Amateurastronom Clyde Tombaugh im Jahr 1930 Pluto als letztes "Gestirn" in unserem Sonnensystem entdeckte, regten sich Zweifel, ob er wirklich den Status eines Planeten verdient. Er ist viel kleiner als die vier (klassischen) Jupitermonde, ja sogar als der Erdmond und ausserdem noch masseärmer. Seine Bahn um die Sonne ist exzentrisch und hat grosse Ähnlichkeit mit einer Kometenumlaufbahn. Aber egal, die Astronomen akzeptierten ihn schliesslich als 9. Mitglied der Planetenfamilie. Sie gaben ihm den Namen Pluto, in Anlehnung an den Gott der Unterwelt in der griechischen Mythologie, womit sie gleichzeitig auch auf die extreme Sonnenferne dieses Himmelskörpers hinweisen wollten.


Nachdem der Pluto jahrelang im Sonnensystem als Aussenseiter gegolten hatte, fand er schliesslich zu seiner eigentlichen Rolle als Mitglied des sog. Kuiper-Gürtels. Dies ist ein scheibenförmiger Bereich jenseits der Neptunbahn, in dem sich viele, wahrscheinlich hunderttausende von Gesteinsbrocken aufhalten und gemeinsam in hundert bis tausend Jahren um die Sonne kreisen. Wahrscheinlich ist der Kuiper-Gürtel auch die Heimat kurzperiodischer Kometen, wie des Halleyschen Komet. Allesamt sind sie Überreste aus einer Zeit vor 5 Milliarden Jahren, als sich die Sonne und die Planeten bildeten.


Aber die Entdeckung des Kuiper-Gürtels relativierte auch die Rolle des Pluto. Durch immer leistungsstärkere Teleskope entdeckte man immer mehr transneptunische Objekte, von denen einige sogar die Grösse des Pluto hatten bzw. ihn überboten. In der jüngeren Vergangenheit gab es bereits mehrere Forschergruppen, welche die Entdeckung eines "zehnten Planeten" für sich reklamierten. Es war abzusehen, dass es bald Dutzende von Planeten in unserem Sonnensystem geben würde.


Dies war für die internationale Vereinigung der Astronomen der Anlass, eine neue Definition für Planeten zu verabschieden. Sie bestimmte, dass ein Planet vorallem drei Eigenschaften erfüllen müsse: erstens soll er auf einer kreisnahen Bahn die Sonne umlaufen und zweitens soll er ausreichend Masse besitzen, damit ihn die eigene Schwerkraft zu einer annähernd kugelförmigen Gestalt zusammen zieht. Drittens - und das ist für Pluto von Bedeutung - soll der Planet seine Nachbarschaft von kosmischen Material frei geräumt haben, d.h. seine Masse muss die Gesamtmasse aller anderen Himmelskörper in seinem Bahnbereich übertreffen. Letzteres ist bei Pluto nicht der Fall, denn er bewegt sich im Kuiper-Gürtel gemeinsam mit einer Anzahl ähnlich grosser Objekte.


Die Degradierung des Pluto ging nicht ohne Schmerzen ab. Viele Astronomen bemühten sich (zumeist aus emotionalen Gründen) ihn in der Planetenfamilie zu belassen. Einige schlugen sogar vor, eine eigene Klasse der "Plutone" zu etablieren. Aber das Präsidium der IPU blieb hart und so kam es wie es kommen musste. Tröstlich ist, dass unsere Astrodichter - kaum ,dass die Entscheidung für zukünftig 8 Planeten (ohne Pluto) gefallen war - schon wieder einen neuen Reim für deren Reihenfolge gefunden hatten:


Mein Vater Erklärt Mir Jeden Samstag Unseren Nachthimmel.

Sonntag, 4. Oktober 2009

Die Büchse der Pandora ist geöffnet.

Physiker sind eigenartige Gesellen; sie sind immer bestrebt, ihr an sich riesiges Fachgebiet so klein wie möglich zu machen. Während sich die Maschinenbauer an ihren dickleibigen Formelwerken (wie dem "Dubbel") erfreuen und die Chemiker stolz auf den 20-bändigen "Gmelin" verweisen, scheinen die Physiker vom Reduktionswahn besssen zu sein. Dabei sind sie in ihrem faustischen Bestreben "zu erkennen was die Welt, im Innersten zusammen hält" bereits weit voran gekommen.

Seit Albert Einstein die Allgemeine Relativitätstheorie entdeckt hat, kann man damit unser Universum und die Schwerkraft recht gut beschreiben. Und den Mikrokosmos, die Welt der Atome und der restlichen drei Kernkräfte, hat Max Planck mit seiner Quantentheorie enthüllt und seine Nachfolger bauten sie zur sog. Standardtheorie aus. Aber zwei Theorien sind den Physikern eben eine zuviel, weil sich damit die Schwerkraft (auch Gravitation genannt) sowie die schwache, starke und elektromagnetische Kraft nicht unter einem einzigen Dach vereinigen lassen und weil es noch ein halbes Dutzend Phänomene gibt, die man mit der Standardtheorie nicht gut erklären kann.

In diese Bresche springt die "Stringtheorie", an der weltweit seit etwa vierzig Jahren herumgeknobelt wird. In ihr sind die elementaren Bausteine des Universums nicht punktförmige Elementarteilchen, wie Protonen oder Elektronen, sondern schwingende Saiten
(engl. "strings") von winziger Länge. Je nach der Art ihrer Schwingung repräsentieren sie unterschiedliche Elementarteilchen. Die Stringtheorie besitzt ein überragendes Potential. Mit ihr glauben die Physiker eines Tages alle Phänomene unseres Universums vorhersagen und erklären zu können und in wenigen, vielleicht sogar in einer einzigen Gleichung, mathematisch beschreiben zu können. Die "Weltformel", der Traum aller Physiker wäre entdeckt.

Aber die von den Physiker herbei gesehnte Fundamentaltheorie auf der Basis von Strings zeigt Konsequenzen, die überraschend, unverständlich, ja furchterregend sind. So fordert die Stringtheorie aus mathematischen Konsistenzgründen, dass die Welt aus neun Raumdimensionen und einer Zeitdimension bestehen muss. Für uns Menschen erkennbar sind aber nur Länge, Breite und Höhe sowie die Zeit, welche die Physiker üblicherweise zu denvier Raumzeitdimensionen zusammenfassen. Aber das ist noch nicht alles. Gemäss der Stringtheorie gibt es nicht nur ein einziges Universum - das Unsrige - sondern deren viele, ja unermesslich viele. Der Abschätzung nach sind es 10 hoch 100, vielleicht sogar 10 hoch 1000 Welten, von denen wir umgeben sind. Das ist weit mehr als die Zahl der Atome in unserem Universum! Jede dieser Parallelwelten soll andere Eigenschaften besitzen als unsere eigene. Jede ist mit anderen Elementarteilchen angefüllt und wird von anderen Kräften dirigiert. Und die Stringtheoretiker vermuten, dass nur in wenigen dieser Universen "Menschen" existieren, die wie wir Fragen nach der Struktur "ihrer Welt" stellen.

Fürwahr, mit dieser Theorie haben die Physiker die "Büchse der Pandora" geöffnet. Der Weltgeist ist entfleucht und hundert neue Fragen und Probleme werden sichtbar.

Aber noch stehen die Verfechter der neuen Theorie unter heftiger Kritik. Man wirft ihnen vor, weniger rationale Physik als dubiose "Metaphysik" zu betreiben und Behauptungen aufzustellen, die sie nicht begründen, beziehungsweise durch Experimente erhärten können. Eine Theorie ist nach bisherigen Vorstellungen aber nur dann etwas wert - darauf hat schon der Philosoph Karl Popper (1902- 1994) hingewiesen - wenn ihre Konsequenzen auch falsifizierbar sind. Deshalb bemühen sich die Stringforscher derzeit, die wichtigsten Folgerungen ihres Theoriengebäudes zu erläutern und zu "beweisen".

So stellt man sich die genannten sechs räumlichen Extradimensionen als ein sehr, sehr kleines räumliches Gebilde vor. Sie sind nach einem Fachwort der Physiker "kompaktifiziert", unbeobachtbar klein, besitzen aber trotzdem enorme Bedeutung. Übertragen auf unsere Welt ist ein Blatt Papier zwar dreidimensional, erscheint aber (auf erstem Blick) nur als zweidimensionale Ebene. Und ein dünner Spaghetti scheint sogar ein lineares Objekt zu sein, obwohl er ebenfalls drei Dimensionen besitzt. Die Stringtheoretiker lesen aus ihren Gleichungen heraus, dass je nach der Art der Kompaktifizierung die Universen mit unterschiedlichen Elementarteilchen ausgestattet sind.

Die Vielzahl der parallelen Welten ist zwar verwirrend, ermöglicht aber gleichzeitig zwei immer wieder gestellte Fragen der Astrophysik elegant zu beantworten. Die eine Frage ist, warum unsere Naturgesetze gerade die Gestalt haben, die wir beobachten. Und die weitere Frage ist, warum die etwa zwei Dutzend Naturkonstanten (z.B. die Lichtgeschwindigkeit) unseres Universums so fein abgestimmt sind, dass sie Leben in unserer Welt ermöglichen - jedoch bei geringfügiger Veränderung ihres Zahlenwerts dieses Leben unmöglich machen würden, ja vielleicht sogar den Aufbau von Sternen und Galaxien.

Die Stringtheorie gibt darauf folgende Antwort: Wenn es (nahezu) unendlich viele verschiedene Welten gibt, in denen unterschiedliche Naturgesetze gelten und unterschiedliche Naturkonstanten versammelt sind, dann muss es auch eine geben - nämlich die Unsrige - in denen unser "Gesetzes-und Konstantenfenster" verwirklicht ist. Unser eigener Kosmos muss also nicht ein (von einem "Schöpfer") fein abgestimmtes "Kuriosum" sein, sondern ist zwangsläufig eine der vielen Lösungen der Stringgleichungen.

Die Gesamtheit der Welten sehen die Stringforscher in einem vieldimensionalen "Hyperraum" versammelt. Übertragen auf unsere dreidimensionale Welt ist dies eine "Landschaft", bestehend aus Ebenen, Tälern und Bergen. Die Universen schweben, Ballonen gleich, darin in verschiedenen Höhen umher, entsprechend der Grösse ihrer "Vakuumenergie". Das ist eine kosmologische Grösse, welche man (entfernt) mit der potentiellen Energie vergleichen kann. Die Vakuumenergie unseres eigenen Universums ist messbar; sie ist relativ niedrig, weswegen man unsere Welt in einer Talposition vermutet. Aber die Universen können ihre Position verändern. Möglicherweise war der Urknall - die Geburt unserer Welt - nur der Übergang von einem Zustand höherer Energie in ein energetisches Tal.

Die Stringphysiker sind sich bewusst, dass sie ihre theoretischen Vermutungen (zumindest in Teilen) verifizieren müssen, wenn sie von den ausserhalb stehenden Kollegen akzeptiert werden wollen. Erste Vorbereitungen dafür treffen sie am Genfer Teilchenbeschleuniger LHC, welcher derzeit (nach einer Panne) repariert wird. Abschätzungen zufolge müsste die Energie des LHC ausreichen, um Stringteilchen zu erzeugen und nachzuweisen. Diese Experimente stehen übrigens im Zusammenhang mit der Erzeugung Schwarzer Minilöcher und werden von einigen Umweltschützern heftig kritisiert. Auch die Kosmologen können einzelne Aspekte der Stringtheorie testen, etwa durch die Analyse der Hintergrundstrahlung sowie durch Experimente zu den (heftig gesuchten) Gravitationswellen.

Psychologisch gesehen, haben die Naturwissenschaftler der Menschheit in den vergangenen Jahrhunderten allerhand zugemutet. Stand der Mensch früher mit seiner Umgebung "im Mittelpunkt der Welt", so ist er seit Beginn der Neuzeit sukzessive abgerutscht. Zuerst vertrieb ihn Nikolaus Kopernikus aus dem Zentrum des Universums, dann stiess ihn Charles Darwin ins Tierreich zurück. Über unser eigenes Sonnensystem wissen wir inzwischen, dass es sich nur in einer unbedeutenden Randposition der Milchstrasse befindet. Und nun kommen noch zu allem Überfluss diese Stringforscher und behaupten, dass unser Weltall nicht einzigartig ist, sondern nur eines von sehr vielen anderen.

In die Abfolge dieses Niedergangs passt es nachgerade, dass Familienministerin Ursula von der Leyen und ihre Vorgängerinnen uns Männer vom Familienoberhaupt zum einfachen Familienmitglied degradiert haben.



Nachschrift:
"Davon habe ich noch nichts gemerkt".

Brigitte Marth

Sonntag, 27. September 2009

Aller Anfang ist schwer

Wer erinnert sich nicht an die Zeit im Pennal, wenn bei der Klassenarbeit "Deutscher Aufsatz" der allererste Satz einfach nicht aus der Feder fliessen wollte. Umgekehrt: hatte man einen guten Einstieg ins Thema gefunden, dann waren sogar die folgenden 10 oder 20 Seiten keine Qual mehr.

Anfangen heisst auswählen. Das fällt auch gestandenen Schriftstellern und sogar Dichtern nicht immer leicht. Im Idealfall ist der Anfang der Roman "in nuce", in der Nussschale. Und der erste Satz ist der Türöffner. Bei dem riesigen Literaturangebot in den Buchhandlungen entscheidet er nicht selten darüber, ob ein Buch gekauft wird oder ob man sich von ihm abwendet. Der amerikanische Schriftsteller William Faulkner hat folgende Regel für den ersten Satz aufgestellt: "Schreibe den ersten Satz so, dass die Leser unbedingt den zweiten lesen möchten - und dann immer so weiter." Einfach, nicht wahr?

Zwei Extrembeispiele sollen das verdeutlichen. In Frank Schulz´ Buch "Kolks blonde Bräute" ist der erste Satz reduziert auf ein einziges Wort: Strapse! Und James Joyce beginnt in "Finnegans Wehg" (deutsche Fassung) wie folgt: Flussaufs, vorbei an Adam und Eva, von KüstenKurven zur BuchtBiegung, führt uns durch einen kommodien Uoikuss der Rezierkuhlation zurück nach Haus Castell und Emccebung. Bei diesen beiden Werken gibt es vermutlich keine Überlappung der Käufergruppen.

Berühmte Anfänge gab es bereits bei den Werken der Antike. Wie Julius Caesar seine Erinnerungen "De bello Gallico" begann, wusste (früher) jeder Gymnasiast: Gallia divisa est in partes tres. (Die Übersetzung: Gallien zerfällt in drei Teile wirkt demgegenüber fast banal.) Und Homer eröffnet die Gesänge der "Ilias" mit: Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus, / ihn, der entbrannt den Achaiern unnennbaren Jammer erregte. (Leider beschränkt sich meine humanistische Bildung lediglich auf Latein.)

Die Klassiker Goethe und Schiller glänzen in ihren Dramen und Prosawerken natürlich auch mit Passagen, die heute noch viele zitieren können. Allen voran Goethe mit seinem Eingangsmonolog beim "Faust": Habe nun ach! Philosophie,/ Juristerei und Medizin / und leider auch Theologie / durchaus studiert, mit heissem Bemühn... (Verglichen damit wirkt der Eingangstext beim "Hamlet" relativ belanglos; der berühmte Monolog Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage befindet sich in der Mitte des Dramas.) Schiller möchte ich zitieren mit seinem "Don Carlos", wo am Anfang der Beichtvater Domingo den wundervollen Satz spricht: Die schönen Tage von Aranjuez sind nun zu Ende, mein Prinz. Und nochmals Goethe, er kann es auch ganz nüchtern, denn "Dichtung und Wahrheit" beginnt mit: Am 28. August 1749, mittags mit dem Glockenschlag zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt.

Viel Information packte E.T.A. Hoffmann in den Romananfang bei "Das Fräulein von Scuderi": In der Strasse von St. Honore war das kleine Haus gelegen, welche Madeleine de Scuderi, bekannt durch ihre anmutigen Verse, durch die Gunst Ludwig des XIV und der Maintenon, bewohnte.

In der Neuzeit angelangt sind wir mit Franz Kafka, dessen Roman "Der Process" wie folgt beginnt: Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne, dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet. Und noch verdichteter ist der Anfang beim "Schloss": Es war spät in der Nacht, als K. ankam.

Günter Grass leitet seinen Roman "Die Blechtrommel" mit einer (versteckten) Negation ein, konfrontiert den Leser mit einem verwunderlichen Sachverhalt und macht ihn dadurch neugierig: Zugegeben: ich bin Insasse einer Heil-und Pflegeanstalt, mein Pfleger beobachtet mich, lässt mich kaum aus dem Auge; denn in der Tür ist ein Guckloch und meines Pflegers Auge ist von jenem Braun, welches mich, den Blauäugigen, nicht durchschauen kann; mein Pfleger kann gar nicht mein Feind sein. Im "Butt" macht er es dann kürzer mit dem klassischen Satz: Ilsebill salzte nach.

Superb ist der Anfang bei Max Frisch´Roman "Stiller". Er beginnt mit: Ich bin nicht Stiller! Die Thematik der folgenden 400 Romanseiten sind kondensiert auf die 4 Worte des Anfangs.

Der Komponist Richard Wagner hat seine Libretti bekanntlich selbst geschrieben. Sie sind von so hoher sprachlicher Qualität, dass man ihn durchaus als Schriftsteller bezeichnen könnte. In der "Walküre", einer Oper aus den Ringzyklus, stürzt Siegmund nach den Vorspiel erschöpft in Hundings Hütte und singt den ersten Satz: Wess´Herd dies auch sei / hier muss ich rasten. Und im "Rheingold" goutiert man sogar den (alliterativen) Gesang der hübsch anzusehenden Rheintöchter, weil er mit der Musik und dem szenischen Geplantsche konform geht: Weia! Waga / Woge, du Welle, / walle zur Wiege! / Wagala weia! / Wallala weiala weia.

Abschliessend noch ein Beispiel für einen Schlussgag, den sich der ansonsten weniger bekannte Schriftsteller Thomas Kapielskis in seinem Roman "Aqua Botolus" geleistet hat:

Beim nächsten Mal habe ich die Dinger aber doch gekauft, und dann ist folgendes passiert.

Sonntag, 20. September 2009

Eisige Zeiten

Seit Jahrzehnten deutet sich auf unserer Erde eine Klimaveränderung an. Die jährlichen Durchschnittstemperaturen steigen, die Winter werden immer wärmer und in den Schiorten fehlt es an Schnee. Nicht wenige Menschen fürchten den "Wärmetod". Der Rückgang der Gletscher und die Erhöhung des Meeresspiegels sind gruselige Vorzeichen.


Aber es könnte auch ganz anders kommen. Erdgeschichtlich betrachtet, sind wir am Ende einer Warmzeit, die nun schon 10.000 Jahre anhält, aber bereits morgen in eine Kaltzeit - sprich Eiszeit - abkippen könnte. Die Temperaturen würden in wenigen Jahren um 5, vielleicht sogar um 10°C absinken und über Deutschland sowie weite Teile Europas würde sich ein kilometerhoher Eispanzer legen. Was das für eine Panik in unserer dicht bevölkerten Region auslösen würde, kann man sich kaum vorstellen.

Denn Eiszeiten sind, erdgeschichtlich betrachtet, nichts Aussergewöhnliches, sondern geradezu die Regel. Seit unser Vorfahre, der homo erectus, vor 2,5 Millionen Jahre anfing, die afrikanische Savanne zu durchstreifen, hat Europa Dutzende von Eiszeiten erlebt. Sie dauerten etwa 50.000 bis 100.000 Jahre und waren durch Zwischeneiszeiten (bzw. Warmzeiten) unterbrochen, die wesentlich kürzer waren und sich über nur 5.000 bis 10.000 Jahre erstreckten. Möglicherweise ist alles, was man zur menschlichen Kultur und Zivilisation rechnen kann - die Entwicklung der Landwirtschaft, die Entstehung der Städte und der Aufstieg von Wissenschaft und Technik - in den wenigen, sehr untypischen, Schönwetterperioden enstanden.

Einige Super-Eiszeiten gab es noch weit früher, vermutlich vor 2 Milliarden Jahren. Die Temperaturen sanken damals um 45°C und wahrscheinlich war die gesamte Erdoberfläche eingefroren. Selbst die Ozeane waren mit einer 700 Meter dicken Eisschicht bedeckt, welche auch in den Tropen noch einige Meter mächtig war. Die Geologen bezeichnen diese Phase als "Cryogenium" bzw., sehr anschaulich, als "Schneeball Erde". Erstaunlich ist, dass sich die Erde von ihrem Eispanzer wieder befreien konnte. Ein vereister Planet sollte eigentlich soviel Wärme reflektieren, dass er für alle Zeiten eisig bleibt. Aber vermutlich kam die Rettung aus dem Erdinnern und den Vulkanen, welche den Schneeball Erde wieder auftauten.


Lassen Sie mich hier eine Parenthese einfügen. Der Salzstock in Gorleben, welcher für die Endlagerung der Nuklearabfälle vorgesehen ist, wird im Wahlkampfgetümmel wieder heftig kritisiert und in seiner Tauglichkeit bestritten. Ich glaube, dass Zweifel daran unangebracht sind und zwar aus folgenden Gründen: dieser Salzstock (wie auch andere in der norddeutschen Tiefebene) ist vor mehr als 200 Millionen Jahre durch die Verdunstung eines Meeres entstanden. Seitdem sind viele Eiszeiten und Warmzeiten über ihn hinweg gegangen. In den Eiszeiten schob sich, wie ein gigantischer Hobel, jedes Mal ein schwerer Eispanzer über ihn hinweg. Zu den Warmzeiten lag er lange Zeit unter einem grossen See. Keines dieser gewaltigen Naturphänomene hat seine Existenz beeinträchtigt. Warum sollte er nicht noch einige weitere tausend oder hunderttausend Jahre Bestand haben, während der die Abfälle abklingen würden?


Erstaunlich und bedrohlich gleichermassen ist die Tatsache, dass es keine plausible Erklärung für die Auslösung der Eiszeiten gibt. Vorhersagen sind bis heute unmöglich, obwohl man sich seit fast zwei Jahrhunderten darum bemüht. Lange Zeit glaubte man an astronomische Ursachen. Während die Erde durch den Weltraum wandert, führt sie eine Reihe von Kipp- und Wackelbewgungen aus, welche die Astronomen als Präzession und Exzentrizität bezeichnen. Dadurch kommt es zu unterschiedlicher Sonnenbestrahlung und damit zu unterschiedlichen Temperaturen auf der Erdoberfläche. Aber diese sog. Milenkovic-Zyklen - benannt nach einem serbischen Wissenschaftler, der sie in mühevoller Weise über Jahrzehnte hinweg mit Bleistift und Rechenschieber ausgerechnet hat - reichen zur Erklärung nicht aus.

Wahrscheinlich kommen noch irdische Ursachen hinzu, die mit der Plattentektonik, also der von Paul Wegener gefundenen Kontinentalverschiebung, zusammenhängt. So öffneten sich beim Wegdriften von Australien breite Meeresstrassen für Strömungen, während bei der Entstehung der Landbrücke von Panama das globale Strömungssystem blockiert und total umgelenkt wurde. In ähnlicher Weise beeinflusste das Auftürmen des Himalayagebirges oder der Alpen die Windströmungen. Hinzu kamen noch die Vulkanausbrüche, bei denen jeweils eine grosse Menge des Klimagases Kohlendioxid freigesetzt wurde.

Aber diese Vermutungen erklären nicht die erstaunlichen Befunde der Eisbohrkerne aus Grönland. Diese zeigen, dass sich dort die Temperatur in nur 10 Jahren um bis zu 8°C ändern konnte. Offensichtlich muss es, regelungstechnisch gesprochen, gigantische Rückkopplungsschleifen geben, welche so grosse Veränderungen in so kurzer Zeit bewerkstelligen können, dass uns angst und bange werden muss.

Stellen wir uns vor, wie es in der jüngeren Erdgeschichte bereits mehrfach der Fall war, dass sich ein drei Kilometer hoher Eisgletscher aus Skandinavien nach Deutschland zuwälzt. An seiner Vorderkante ist diese Eismauer immer noch 800 Meter hoch. Und sie bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von einem halben Meter pro Tag nach Süden - die Menschen von Hamburg bis München vor sich hertreibend...

Wir wissen nicht, was die Zukunft bringen wird. Es kann ein Zeitalter tötlicher Kälte, aber auch glühender Hitze sein. Nur eines ist sicher:

Wir leben auf des Messers Schneide!

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