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Freitag, 22. März 2019

"Gendern" Sie schon - oder sind Sie noch "konservativ"?

Wieder einmal, am 8. März, wurde der Weltfrauentag begangen, den die Vereinten Nationen im Jahr 1975 eingerichtet hatten. Anfangs stand die Gleichberechtigung der Frauen und ihr Wahlrecht auf der Agenda; nun sind diese Themen, zumindest in der westlichen Welt, weitgehend abgearbeitet, sodass man nach anderen Topics Ausschau hält. In Deutschland steht seit einiger Zeit die sogenannte Genderpolitik ganz hoch auf der Tagesordnung. Durch die Einführung einer "gendergerechten" Sprache und Schreibweise soll die Gleichstellung der Geschlechter (englisch: gender) zum Ausdruck gebracht werden.

Von den (zumeist weiblichen) Promotoren werden verschiedene Formen der Sichtbarmachung des Geschlechts vorgeschlagen. Zum Beispiel der Gender-Stern (wie in Zuschauer*innen), oder der Gender-Gap (Abteilungsleiter_innen), oder das Binnen-I (MigrantInnen). Eher selten im Gebrauch sind der Punkt (Dachdecker.innen) und der Doppelpunkt (Schauspieler:innen). Knifflig ist die Aufsplittung des Wortes "Eltern". Vorgeschlagen wurden "Elter 1" und "Elter 2"; offen bleibt bis jetzt, wer sich Elter1 bzw. Elter 2 nennen darf.


Der Duden zögert noch

In Deutschland gibt es nicht - wie in Frankreich - ein Sprachakademie, welche verbindlich die Regeln der Nationalsprache vorgibt. Stattdessen hat der sogenannte "Rat der deutschen Rechtschreibung" (zusammen mit dem Duden-Verlag) die Vollmacht, in regelmäßigen Abständen Vorschläge zur Rechtschreibung zu machen. Bei der kürzlichen Tagung dieses Gremiums am 16. November 2018 in Passau stand die Genderschreibweise auf der Agenda, vorgebracht von einer lautstarken Lobby - und der Bundesjustizministerin Katarina Barley. Nun, es kam zu keiner Entscheidung pro Genderstern, noch nicht einmal zu einer Empfehlung. Alles bleibt somit beim Alten. Stattdessen definierte der Rat (samt Duden) einige Kriterien, die für gendergerechte Texte gelten sollen. Sie sollten demnach sachlich korrekt sein, verständlich sowie lesbar und vorlesbar sein, Darüber hinaus muss die Rechtschreibsicherheit und Eindeutigkeit gewährleistet sein.

Schließlich müssten die Genderregeln auch von den anderen deutschsprachigen Ländern, mit zum Teil mehreren Amtssprachen, akzeptiert werden. Dies sind (die im Rat vertretenen) Länder Österreich, Schweiz, Lichtenstein, Südtirol und Belgien. Sie hätten zuzustimmen,  was bislang nicht der Fall ist. Im Übrigen rührte das Zögern von Rat und Duden wohl auch noch von der total verkorksten sog. Rechtschreibreform im Jahr 1996 her, die weder von den Schulen noch von den Medien angenommen wurde. Auch gegen den "Gender-Sprech" kam neuerdings lautstarke Opposition aus. Mehr als hundert Prominente starteten einen Aufruf gegen die "Verhunzung der deutschen Sprache". In drei Tagen wurden gegen den sog. Genderwahn 14.000 Unterschriften geleistet, unter anderen von der Schriftstellerin Monika Maron, dem "Sprachpapst" Wolf Schneider und dem Kabarettisten Dieter Nuhr.


Die Hochschulen gehen voran

Schrittmacher in der Verbreitung der Genderpolitik sind die Hochschulen. Derzeit gibt es an Deutschlands Universitäten und Hochschulen 150 Professuren für Genderforschung. Das ist erstaunlich viel, auch wenn nicht alle Lehrstühle in Vollzeit ausgestattet sind. An vielen Unis wird gefordert, überwiegend die weibliche Form oder zumindest geschlechtsneutrale Begriffe zu verwenden. In zahlreichen Satzungen und Verwaltungsvorschriften ist dies bereits verankert. In Mannheim wurde beispielsweise ein gestifteter Hörsaal kurzerhand vom "Bürgersaal" zum "Bürgerinnensaal" umbenannt. Die Begründung: auch Frauen hätten schließlich gespendet. Die Vermeidung des Wortes "Studenten" ist praktisch bereits akzeptiert. Man spricht in der Partizipform von "Studierenden" oder (noch plumper) von der "Studierendenschaft". An der Ummodelung des Wortes "Wissenschaftler" wird noch gearbeitet. Die vorgeschlagene Alternative "Wissenschaffenden" geht noch nicht jedem leicht von der Zunge.

Geradezu skurril muten die Funktionsbezeichnungen an, welche die Lehrstuhlinhaberinnen für sich beanspruchen. Zum Beispiel bei Lann Hornscheidt (geboren als Antje Hornscheidt), welche eine Professur für Gender Studies und Sprachanalyse an der Humboldt-Universität in Berlin inne hat. Sie hat darum gebeten, geschlechtsneutral bezeichnet zu werden und zwar als "Professx" statt Professor oder Professorin. In der Anrede möchte sie keinesfalls als Frau oder Mann identifizierbar sein. Logischerweise überträgt sie dieses Gebahren auch auf ihre Studenten und Studentinnen, welche sie als "Studierx" bezeichnet. Übrigens: das "x" am Ende von Professx (oder Studierx) schlägt Frau Hornscheidt vor wie "ix" auszusprechen, Was zu der Anrede führt: Professix Hornscheidt. Keinesfalls Frau Hornscheidt!

Auch an dem eher technisch orientierten "Karlsruher Institut für Technologie" (KIT) wird Genderpolitik betrieben. Zum Beispiel durch Xenia Hartmann an der Fachschaft GeistSoz. Sie beklagt allerdings in einer überregionalen Zeitung, dass immer wieder ein Bild entstünde, wonach die Genderforschung weniger wert sei als die naturwissenschaftliche Forschung. Sie habe noch nie erlebt, dass jemand Erkenntnisse aus den Naturwissenschaften so massiv anzweifle, wie das bei der Genderforschung passiere. Derzeit setzt sich Xenia dafür ein, dass jeder den Vornamen, der ihm lieb ist, auf seinen Studierendenausweis schreiben darf. Das sei vor allem denen ein Anliegen, die sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren können.


Unisex und Multisex

Die Frauen müssen aufpassen, dass ihnen der Weltfrauentag nicht entgleitet. Denn neuerdings gibt es nicht nur Frauen sondern auch Lesben, nichtbinäre, trans und inter Personen, sprich: die Genderpolitik ist nur noch ein Punkt unter vielen. Statt um Gerechtigkeit allein, geht es nun um Gendergerechtigkeit. Nach Schätzungen von Experten gibt es in Deutschland ca. 160.000 Personen, die eine "Variante in der Geschlechtsentwicklung" haben, wie es das Bundesverfassungsgericht vornehm ausdrückt.



In München kann man sich schon als "divers" in das Geburtenregister eintragen lassen und die Behörden überlegen dort, ob man weitere Toiletten für Trans- und Intersexuelle einrichten soll. Zusätzliche Toiletten  und Umkleidekabinen in Schulen, Turnhallen und Schwimmbädern sind mit beträchtlichen Kosten verbunden, die sich nicht jede Gemeinde leisten kann. Außerdem warnen Psychologen bereits davor, dass es für die Kinder einem "Zwangsouting" gleichkomme, wenn sie in ihre "diverse" Toilette oder Kabine gehen sollen.

Dieses Problem sollen die sog. "Unisextoiletten" lösen, die von allen (Jungen und Mädchen) genutzt werden können. Aber da das weibliche Geschlecht die Angewohnheit hat, sich im Vorraum ihrer Toilette "schön" zu machen, wollen sie bei dieser Prozedur keinen Jungen in ihrer Nähe haben. Die Toilette ist gewissermaßen ihr Rückzugs- und Schutzraum. Also ist wiederum eine Trennung nach Geschlechtern vonnöten. Aber wie definiert man bei den Diversen diese Trennung?

Probleme über Probleme und alle sind mit ziemlichen Kosten verbunden. 

Sonntag, 10. Dezember 2017

Sind Bücher aus der Mode?

Vielleicht täusche ich mich: aber wenn man in dieser Adventszeit durch die Buchhandlungen schlendert, hat man den Eindruck, dass die Menschenschlangen an den Kassen (im Vergleich zu  früher) kürzer geworden sind. Und auch die jungen Mädchen, welche mit flinken Fingern die Bücher zu attraktiven Geschenken verpacken, haben jetzt weniger zu tun. Das Geschäft mit dem Buch brummt nicht mehr so wie ehedem. Über die Gründe dafür möchte ich in diesem Blog etwas spekulieren.


Weniger Buchhandlungen

Es ist eine statistische Tatsache, dass die gesamte Buchbranche - Händler und Verlage - seit Jahren bei einem Umsatz von 9 Milliarden Euro stagniert. Die Online-Versender, an allererster Stelle Amazon, vermögen noch leicht zuzulegen und machen damit wett, was der stationäre Buchhandel verliert. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, als Ausrichter der Deutschen Buchmesse, hat kürzlich bekannt gegeben, dass er in den vergangenen zehn Jahren ein Drittel seiner einst 7.000 Buchhandlungen und Verlage als Mitglieder verloren hat. Tendenz: weiterhin fallend. Weltweit ist die Situation ähnlich. In den USA werden von einem Debüt-Roman noch nicht einmal 2.000 Exemplare verkauft - und das in einem Land mit 325 Millionen Einwohnern.



Bücher, Bücher, Bücher

In Deutschland sind die führenden Buchhandlungen Hugendubel, Thalia und Weltbild. Hugendubel hat sein Flaggschiff auf dem Münchener Marienplatz von einst 3.600 Quadratmeter auf ein Drittel reduziert. Früher hatte das Unternehmen 100.000 Bücher im Bestand, heute nur noch die Hälfte. Auch Thalia hat Platzangebot und Sortiment restrukturiert. Und Weltbild musste im Jahr 2014 sogar Insolvenz anmelden; die Firma ging auf neue Eigentümer über. In Karlsruhe wurde kürzlich die altrenommierte Universitätsbuchhandlung geschlossen und - höchst profitabel - in eine Bäckereifiliale der "Badischen Backstub´" mit angeschlossener Café-Lounge umgewandelt. Die baubedingte rückläufige Kundenfrequenz in der Innenstadt macht vor allem dem stationären Buchhandel zu schaffen. Nicht wenige Kleingeschäfte um die Ecke sehen im Buchhandel nur noch ein nostalgisches Geschäftsmodell und geben frustriert auf. 


Weniger Bestseller

Die deutschen Buchhändler sehen dem Weihnachtsgeschäft mit Sorge entgegen. Überragende Bestseller gibt es in diesem Jahr nicht, auch wenn die angelsächsischen Autoren Dan Brown und Ken Follet durchaus das Zeug haben, den Absatz etwas zu beleben. Aber bestenfalls gleichen sie den Wegfall der Harry-Potter-Bücher vom Vorjahr aus. Das Abebben der Potter-Konjunktur ist wohl mitverantwortlich dafür, dass der Umsatz bei den Jugendbüchern in den vergangenen Wochen so abgesackt ist.--- Ganz auf Null zurück gegangen ist der Verkauf der Enzyklopädien, z. B. des 20-bändigen Brockhaus, einst der Stolz jedes deutschen Studienrats. Hier haben das Internetlexikon Wikipedia und die Suchmaschinen von Google ganze Arbeit geleistet.

Der vor Jahren beschriebene E-Book-Boom ist zur Ruhe gekommen. Etwa 5 Prozent der Deutschen laden sich solche Bücher auf Ihr Lesegerät Tolino oder Kindle herunter. Von Wachstum ist nichts zu spüren, woran auch der nur geringe Preisunterschied von gedrucktem und elektronischem Buch verantwortlich sein könnte. Auf dem anderen Teilmarkt der Hörbücher ist der Anteil noch geringer als bei den elektronischen Büchern. Positiv wird sich in Zukunft wohl die zunehmende Verbreitung der Abspielgeräte auswirken. Mit dem neuen Smartphones hat inzwischen fast jeder ein solches Gerät in der Hosentasche.


Die Smartphone Generation

Apropos Smartphone: wenn man heute durch die Straßen geht, oder mit der der Bahn fährt, kann man dauernd Jugendliche beobachten - aber selten ohne Smartphone in der Hand. Wie manisch gucken sie  permanent auf dieses flache Ding, "checken" ihre Nachrichten oder tippen selbst Mails, SMS oder Chats ein. Am Strand ein Buch zu lesen - gar eine Tageszeitung - ist für diese Generation praktisch out.

Kein Wunder, dass die neueste internationale IGLU-Studie festgestellt hat, dass es mit der Lesefähigkeit der deutschen Schüler schlecht bestellt ist. Jeder vierte Jugendliche verlässt die Grundschule, ohne richtig lesen zu können, ganz zu schweigen von der Fähigkeit zur Interpretation und Analyse von Texten. Ein Buch von hundert oder gar zweihundert Seiten wird von diesen Heranwachsenden gar nicht mehr in die Hand genommen. Wenn das vormals so gelobte deutsche Bildungssystem es nicht mehr schafft, allen Kindern das Lesen beizubringen,  wie sollen diese Menschen als Erwachsene im verschärften internationalen Wettbewerb bestehen?

Dass die Sucht zum Smartphone noch vor wenigen Jahren deutlich weniger ausgeprägt war und sich erst in letzter Zeit geradezu exponentiell entwickelt hat, zeigt sich an einer PR-Aktion, welche der bekannte Schweizer Verlag "Diogenes" noch vor fünf Jahren ungestraft veranstalten durfte. Die Verlagsmanager hatten sich vor Weihnachten eine Werbekampagne mit Karten, Postern und Tüten ausgedacht, in der sie mit einfachen Sätzen den Zeitgeist und das Lesen kommentierten. Ein Beispiel: "Während Sie dieses Buch lesen, finden Sie keine Freunde bei Facebook". Der Markt hat - damals - noch durchaus positiv und mit Amusement auf diese "Warnung" reagiert.


Einige Buchempfehlungen 

Trotz aller oben geäußerten Bedenken, ist ein gutes (und schön verpacktes) Buch als Mitbringsel immer noch das Geschenk der Wahl. Es wird allenfalls überboten von einer Flasche Champagner, die in etwa gleich viel kostet. Diese bleibt allerdings nur selten unentkorkt, während das Buch schon mal ungelesen weiter verschenkt wird.

Da wir vor dem Weihnachtsfest stehen, möchte ich es wagen, drei Bücher zu empfehlen, wovon ich die beiden ersten (keine Neuerscheinungen!) wirklich - und mit großem Genuss - gelesen habe. Da ist zunächst der 640-Seiten-Roman "Unterleuten" von Juli Zeh. (btb-Verlag, als TB 12 Euro). Es ist ein Gesellschaftsroman, der das Dorf Unterleuten im heutigen Brandenburg beschreibt. Dort gibt es (nach der Wende) viele Originale, welche anfangs gut zusammenleben, aber schließlich in heftige Streitereien geraten. Auch die Idylle kann zur Hölle werden. Fantastisch - wirklich unglaublich fantastisch -  ist der Schluss dieses Romans. Er schlägt jeden Thriller, obwohl das Buch nicht zum Genre der Krimis gehört.

Der zweite Roman, den ich empfehlen möchte, zählt nicht zur großen Literatur, aber er ist sehr spannend. Man kann ihn auf der Couch lesen und zwischendurch Glühwein und Weihnachtsplätzchen genießen. Es ist ein Thriller vom englischen Starautor Robert Harris und führt den Titel "Konklave". (Heyne-Verlag, 350 Seiten, als TB 10 Euro). Er beschreibt die Wahl eines Papstes im Vatikan, nach dem Tod des gegenwärtigen Papstes, in dem man unschwer Franziskus erkennen kann. Aus aller Herren Länder reisen die 117 Kardinäle an und begeben sich zum Konklave in die Sixtinische Kapelle. Es beginnt ein Machtpoker, bei dem viele anfängliche Favoriten scheitern und bei dem schließlich ein nahezu unbekannter Kardinal zum neuen Papst gewählt wird. Spannende Lektüre!

Auch ich lasse mir zu Weihnachten ein Buch schenken: den Tyll von Daniel Kehlmann. (Rowohlt, 474 Seiten, 23 Euro). Es ist die alte Geschichte vom Eulenspiegel", aber in neuer Aufmachung und zeitversetzt in den Dreißigjährigen Krieg (1618 - 1648). Tyll reist darin als Vagant, Schausteller und Provokateur durch die vom Krieg verwüsteten deutschen Lande und begegnet dabei allerlei Jongleuren, Henkern und Fürsten, also vielen sogenannten kleinen und großen Leuten. Ihre Schicksale verbinden sich in dem Roman zu einem Zeitgewebe und damit zum Epos dieser deutschen Urkatastrophe im beginnenden Mittelalter.
Warum mich das interessiert? Nun, im nächsten Jahr jährt sich der Beginn dieses Kriegs zum 400. Mal und ich möchte darüber bloggen.

Montag, 9. Oktober 2017

Gauland - zwischen Politik und Literatur

Alexander Gauland, geboren 1941 in Chemnitz, ist promovierter Jurist und ein bekannter ranghoher Politiker der Partei "Alternative für Deutschland". Beim kommenden Bundestag in Berlin wird er die Fraktion der AfD anführen.

Weniger bekannt ist, dass Gauland über 40 Jahre hinweg (von 1973 bis 2013) Mitglied der CDU war und dort bis zum Staatssekretär in der Hessischen Staatskanzlei unter Ministerpräsident Wallmann aufstieg.

Noch weniger bekannt dürfte sein, dass er jahrelang Gastgeber eines "Politischen Salons" in Potsdam war und dort unter anderem Bücher von Udo Di Fabio, Joachim Fest und Konrad Adam vorstellte. Bei einem halben Dutzend von Büchern war Gauland selbst Autor. Zu nennen sind: Die Deutschen und ihre Geschichte (2009), Das Haus Windsor (1996), Anleitung zum Konservativsein (2002) etc.

Am wenigsten bekannt ist wohl, dass Gauland in dem Schlüsselroman "Finks Krieg" von Martin Walser eine (negativ konnotierte) Hauptrolle spielt. Das ist das Thema dieses Blogs.


Die Leiden des Ministerialrats Wirtz.

Als der Jurist Rudolf Wirtz (54-jähig) in der Hessischen Staatskanzlei zum "Leitenden Ministerialrat" aufgestiegen war, hatte er ein wesentliches Berufsziel erreicht. Denn bald wurde er zum sogenannten "Kirchenkoordinator" bestellt, der wichtigen Verbindungsstelle zu den Konfessionen und den Religionsgemeinschaften. Seit seiner Referendariatszeit für eine Anwaltskanzlei im israelischen Tel Aviv war ihm dies als "Traumjob" erschienen. Sicherlich nur rein zufällig hatte er das gleiche SPD-Parteibuch wie sein oberster Chef, der umgängliche Ministerpräsident Holger Börner.

Aber nur zwei Jahre später kam der CDU-Mann Walter Wallmann ans Ruder und mit ihm sein alter Bekannter aus Studienzeiten, Alexander Gauland, gleichfalls CDU, der nun als Staatssekretär die Hessische Staatskanzlei dirigierte. Kurz angebunden versetzte er Wirtz auf eine andere, wesentlich weniger bedeutsame Position bei gleicher Bezahlung. An dessen Stelle rückte nun Wolfgang Egenter, ein Fraktionsassistent des neuen Ministerpräsidenten. Begründet wurde diese Umbesetzung mit angeblichen Beschwerden aus Kreisen der Religionsgemeinschaften. Für Wirtz brach eine Welt zusammen.

Und er setzte sich zur Wehr. Im Eilverfahren klagte er vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden, denn er hatte erfahren, dass die neue Stelle - mit einer Besoldungserhöhung von B3 auf B6 - nicht ordentlich ausgeschrieben war. Wirtz bekam bei dieser "Konkurrentenklage " zunächst zwar recht, aber die nächste Instanz, der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) entschied zugunsten Gaulands und der Hessischen Landesregierung. Gauland versicherte mehrmals an Eides statt, dass die Kirchenvertreter Vorbehalte gegen Wirtz geäußert hätten, was letztlich ausschlaggebend war. Erst viel später, um das Jahr 2000, tauchte ein Brief im Hessischen Verwaltungsgericht auf, der besagt: "Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass diese Angabe - nämlich: die Versicherung an Eides statt durch Alexander Gauland - unrichtig war".

Wirtz musste sich zwar wenige Jahre mit seiner neuen, ungeliebten Position zufrieden geben, aber er hatte Glück. 1991 trat mit Hans Eichel ein neuer SPD-Ministerpräsident in Hessen an. Er hatte von dieser Affäre natürlich gehört und bestellte  Rudolf Wirtz umgehend wieder in sein altes Amt. Auch der nun rausgedrängte Wolfgang Egerter musste sich nicht beklagen. Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung benötigte Bernhard Vogel, der neu ernannte CDU-Ministerpräsident für Thüringen, einen tüchtigen Helfer. Er wählte Wolfgang Egerter und beförderte ihn gleich zum Staatssekretär! Wow.


Der Schlüsselroman "Finks Krieg"

Nach der sogenannten "Wende" und der Abwahl der Wallmann-Regierung in Hessen, betätigte sich Alexander Gauland von 1991 bis 2005 als Herausgeber der "Märkischen Allgemeinen Zeitung" (MAZ) in Potsdam, einem Ableger der Frankfurter FAZ. Er hatte in dieser Zeit voll auf die journalistische Bearbeitung der West-Ost-Thematik umgeschaltet.

Sein Widersacher Rudolf Wirtz - obschon seit 1991 wieder in Amt und Würden - konzentrierte sich hingegen auf die eigene Person und die penible Dokumentation seines "persönlichen Elends". So sammelte er insgeheim mehr als 50 brechend gefüllte Aktenordner zum "Fall Wirtz", die er mit DGG betitelte, in Langschrift: "David gegen Goliath", also "Ministerialrat Wirtz gegen Staatssekretär Gauland". Über Beziehungen gelang es Wirtz, den Romanschriftsteller Martin Walser für dieses Konvolut zu interessieren. In sechsjähriger Arbeit erstellte der Dichter daraus den Roman "Finks Krieg", welcher 1996 im Suhrkamp-Verlag erschien. Der Roman wurde sofort zum Bestseller in der Spiegel-Rangliste und in der Folge ins Französische, Spanische und Türkische übersetzt.



                                              Der Bestseller-Roman

Der Roman handelt von einem Ministerialrat Stefan Fink, der nach der Landtagswahl in Hessen seine Position als Kirchenkoordinator räumen muss und in dem man unschwer Rudolf Wirtz erkennen kann. Der Versetzung durch den Staatssekretär Tronkenberg (alias Gauland) entgegnet Fink mit einer Konkurrentenklage. Offensichtlich hatten prominente Vertreter der katholischen Kirche Fink/Wirtz fallen lassen. Nach seiner Rehabilitation versucht er - erfolglos - an Tronkenberg Rache zu nehmen, indem er ihn des Meineids bezichtigt. Fink gerät zunehmend in die Isolation und findet am Ende des Romans Zuflucht in einem Kloster.

Der Roman schildert alle Figuren aus der ungehemmten Ich-Perspektive des Beamten Fink. Zuerst erscheint der Ministerialrat Fink das Opfer von Staatssekretär Tronkenburg zu sein, dann aber wird Tronkenburg immer mehr zum Opfer von Fink. Der Krieg des Beamten Fink wird als innerer Monolog erzählt, der schließlich zur Zerstörung seiner Persönlichkeit und zur totalen Vereinsamung führt. Der Staatssekretär Tronkenberg erscheint als anglophiler Finsterling, der ständig in englischen Tweed-Jackets mit Karo-Mustern herumläuft. Der Roman ist in der ersten Hälfte durchaus unterhaltsam, im zweiten Teil (von 310 Seiten) aber eher langweilig und wäre heute vermutlich kein Bestseller mehr.

Dafür ist das Grundmuster der Erzählung einfach zu banal. Versetzungen von Beamten kommen tausendfach vor und werden nicht als ungerecht empfunden, wenn dieser den gleichen Sessel schon seit 18 Jahren drückt. Insbesondere, wenn eine neue (CDU-) Regierung ans Ruder kommt, wo früher 40 (!) Jahre lang (SPD-) Genossen die Geschicke eines Landes wie Hessen bestimmt haben. Im Übrigen war 1996, also bei Erscheinen des Romans, bekannt, dass der Beamte Wirtz, nach nur zwei Jahren Dienst in der Rechtsabteilung des Ministeriums, wieder seinen früheren Kirchenjob einnehmen durfte. Und, dass das Land Hessen 1994 alle Prozesskosten von Wirtz übernahm, ihm eine in der Öffentlichkeit nicht genannte satte Entschädigung bezahlte und, dass der stellvertretende Ministerpräsident (Joschka Fischer) im Namen des Landes Hessen sich bei Wirtz in aller Form für das ihm bereitete Ungemach entschuldigen musste. Anschließend durfte Wirtz sogar noch als Berater für Religionsfragen wirken.

Die Auseinandersetzungen zwischen Gauland und Wirtz fanden ihr biologisches Ende, als Rudolf Wirtz im Jahr 2003 starb.

Sonntag, 3. Juli 2016

Der BREXIT - in literarischer Nachbetrachtung

Der Austritt der Briten aus der Europäischen Union (EU) - Brexit genannt - ist eine politische Sensation allerersten Ranges. Für die meisten, mich eingeschlossen, kam er vollkommen überraschend. Seit Tagen bemühen sich kundige Leitartikler dieses politische Beben einzuordnen und seine Folgen abzuschätzen - bislang ohne überzeugende Wirkung.

In dieser Not habe ich mich den Dichtern und Denkern zugewandt, welche die Menschen in all ihren Widersprüchen besonders gut kennen und daraus kunstvolle Geschichten und Gedichte verfertigt haben. Dabei bin ich in der griechischen Mythologie fündig geworden, aber auch bei Altvater Goethe und bei Hermann Hesse. Einige dieser Erzeugnisse kann man direkt auf den Brexit übertragen, was im Folgenden versucht werden soll.

Die Büchse der Pandora

In grauer Vorzeit ließ der griechische Göttervater Zeus eine wunderschöne Frau, die Pandora, aus Lehm gestalten und führte sie Epimetheus, dem Bruder von Prometheus, als Gattin zu. Auf letzteren war der Olympier schon seit längerem sauer, weil dieser ihm jüngst das Feuer gestohlen hatte. Als Brautgeschenk brachte Pandora eine kleine, kunstvoll gestaltete Büchse mit, in der alle Plagen dieser Welt versammelt - aber sicher eingedost waren. Diese Büchse sollte die liebreizende Pandora nie, nie, nie öffnen. Wir Irdische wissen seit Evas Zeiten, dass Frauen auf solche Ratschläge nicht hören und so geschah es auch in diesem Fall. Die schöne Pandora öffnete das goldbeschlagene Büchslein und - flugs - entwichen daraus alle Plagen und Übel der Welt, welche die Menschheit seither bis in unsere Zeit schikanieren. Die Erde wurde damit zu einem trostlosen Ort. Das "Goldene Zeitalter", in dem die Menschheit vor Arbeit, Krankheit und Tod verschont blieben, war für immer vorbei.

Es mag etwas hochgegriffen klingen, aber das Entweichen der Briten aus der EU erinnert mich an die mythologische Geschichte der Pandora. Ob es möglich ist, den Geist (von UK) in die Büchse zurückzubringen ist - aus heutiger Sicht - mehr als fraglich. Viel politisches Unheil wurde damit in die Welt gesetzt und Heerscharen von Politikern werden sich viele Jahre anstrengen müssen, um die politische Lage wieder zu stabilisieren.

Der Zauberlehrling

Wenn man das derzeitige Tohuwabohu im Vereinigten Königreich Großbritannien betrachtet, dann wird man auch an Goethes Ballade "Der Zauberlehrling" erinnert. In rhythmischer Form wird dort beschrieben, wie die Kleingeister - eben die Lehrlinge - die Dinge durcheinander bringen, wenn der Chef außer Haus ist:

Hat der alte Hexenmeister
sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
auch nach meinem Willen leben...

Es fällt nicht schwer, in David Cameron den Zauberlehrling zu erkennen, welcher ohne Not die verhängnisvolle Volksabstimmung zum Austritt aus der EU angezettelt hat. Ein weiterer Kleingeist seines Kalibers ist der strubbelige Blondschopf Boris Johnson, einstmals immerhin Bürgermeister der Finanzmetropole London. Im Gedicht ist es ein alter Besen, der zum Wasserholen geschickt wird:

Walle, walle
manche Strecke,
dass zum Zwecke
Wasser fließe
und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße.

Aber die Sache geht schief. In London, weil das Wahlvolk die Heilsversprechungen des Brexit von Johnson nun tatsächlich einfordert, dieser aber nicht liefern kann und in der Ballade, als der Zauberlehrling ob der Wasserflut stöhnt:

Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los...

Zum Schluss wendet sich - zumindest bei Goethe - alles wieder zum Guten, als der zurückgekehrte Hexenmeister die erlösenden Worte spricht:

"In die Ecke,
Besen, Besen!
Seids gewesen.
Denn als Geister
ruft euch nur zu seinem Zwecke,
erst hervor der alte Meister".

In (Groß- bzw. Klein-) Britannien, wo sich Cameron und Johnson inzwischen aus dem Staube gemacht haben, wartet man noch auf den Meister. Oder die Meisterin.

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Kurz nach dem Brexit-Referendum schien es, als wollten die Briten sofort aus der EU aussteigen. Davon ist, nur eine Woche später, keine Rede mehr. Im Gegenteil: aus der Kakaphonie der Statements kann man sogar heraushören, als wollten die Insulaner den Exit um Wochen - wenn nicht  um Monate, oder gar Jahre - verschieben. Vielleicht würde man den voreiligen Beschluss sogar ganz kassieren wollen, was aber kaum geht, denn: "Volkes Stimme, ist Gottes Stimme". (Wobei mir der vulgär-lateinische Spruch in den Sinn kommt: vox populi, vox Rindvieh).

In diese verquere Situation passt ein lyrisches Gedicht des Schriftstellers Hermann Hesse. Er hat es 1941, nach einer langen Krankheit geschrieben und zuerst unter dem Titel "Transzendieren" veröffentlicht. Heute heißt es, etwas banal, "Stufen" und beschreibt das menschliche Leben als einen fortwährenden Prozess, bei dem auf jedem durchschrittenen Lebensabschnitt (Stufe, Raum) ein neuer Abschnitt folgt. Für die sich anbahnenden Zeitläufte, angesichts der britischen Hängepartie, scheint es mir einigen Trost zu spenden.

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andere, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.   

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden,
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde.

Samstag, 12. März 2016

Nobelpreis für die Chronistin des Grauens

Wenn zur Herbstzeit, während der Frankfurter Buchmesse, die Nobelpreise für Literatur vergeben werden, dann ist meist eine Überraschung angesagt. Selbst die cleveren Londoner Buchmacher liegen häufig mit ihren Wetten schief - sonst wären die "ewigen Favoriten" wie Philipp Roth (USA), Haruki Murakami (Japan), Salman Rushdie (Indien) und Peter Handke (Deutschland) längst nobiliert worden. Ein weiterer auf dieser short list, der Italiener Umberto Eco, hat kürzlich das Zeitliche gesegnet.

Am 10. Oktober des Vorjahres war es nicht anders, als die Weißrussin Swetlana Alexijewitsch zur Nobelpreisträgerin für Literatur ausgerufen wurde. Gemunkelt wird, es sei hilfreich gewesen, dass das 6-köpfige Stockholmer Preiskomittee kurz zuvor eine Frau, nämlich Sara Danius, zur Vorsitzenden bekam. Danius soll sich angeblich für ihr erstes Dienstjahr eine Frau als Preisträgerin gewünscht haben und möglicherweise wollten sich ihre fünf Akademikerkollegen nicht gleich zu Beginn bei ihrer Chefin unbeliebt machen.


Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch (geb.1968)

Die geborene Sowjetrussin Swetlana Alexijewitsch steht damit in einer Reihe mit drei berühmten Vorgängern aus ihrem Land, den Romanschriftstellern Boris Pasternak (Preis 1958 verliehen), Michail Scholochow (1965) und Alexander Solschenizyn (1970). Aber nur vordergründig gehört Swetlana in die Liste dieser Romanciers. Sie hat eine eigenständige Form von Literatur geschaffen, die durchaus gewöhnungsbedürftig ist und an die sich das Schwedische Komitee erst gewöhnen musste - obwohl die derzeit in Minsk lebende Weißrussin dafür bereits 2013 mit dem Preis der Frankfurter Buchmesse ausgezeichnet wurde.

Eine Archivarin der russischen Geschichte

Svetlana A. hat in vierzig Jahren ein halbes Dutzend Bücher geschrieben, welche die fast hundertjährige Geschichte der Sowjetunion und Russlands abdecken. Es sind keine Fiktionen, sondern allesamt "Tatsachen"-Romane. Sie entstanden in ihrer vollgestellten Küche, wo sie sich mit Soldatenmüttern unterhielt und mit Kriegskindern, mit Rotarmisten und den Opfern der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Das Gesagte wurde in Hunderten von Tonbandprotokollen festgehalten; die Gespräche und Interviews erstreckten sich über Stunden,Tage und manchmal auch über Wochen bis Monate. Zum Schluss, aber erst zum Schluss, fasste die Schriftstellerin ihre Gespräche collagenartig zusammen. Nach dieser aufwendigen Vorbereitung erscheinen ihre Bücher wie große "Chorwerke". Sie selbst nennt ihre Werke "Romane der Stimmen". Es sind  "Dokumentarromane", welche es in dieser Form bisher nicht gab, weswegen Svetlana auch zu Recht den Nobelpreis der Literatur erhalten hat.

In dem Roman "Zinkjungen" erzählen Soldaten und ihre Mütter vom Morden und Sterben in dem sinnlosen Afghanistan-Krieg. Am Ende waren es 15.000 Soldaten, die in dem zehnjährigen Inferno ihre Leben lassen mussten. Ihre Leichen durften den Angehörigen nur in kurzen, zugeschweißten Zinksärgen übergeben werden, was den Titel des Werks reflektiert. Der O-Ton einer Mutter im Buch: Ich weiß noch, der Sarg wurde ins Zimmer gebracht, ich habe mich darauf geworfen und wollte immer messen, messen...ein Meter, zwei Meter... mein Sohn ist doch fast zwei Meter lang...Wie eine Irre habe ich mit dem Sarg geredet: "Wer ist da drin, bist du da drin mein Sohn?"...




Ewiges Russland


Wenig bekannt ist, dass Millionen sowjetrussischer Frauen im 2. Weltkrieg an der Front waren, bereit für ihr Vaterland als Schütze, Infanterist, ja sogar als Panzerfahrer zu sterben. Insbesondere ab 1943, als es kaum mehr Männer zu rekrutieren gab, wurden ganze Güterzüge von Frauen in die vordersten Kampflinien geschickt - ohne sonderliche militärische Grundausbildung. Nach dem Krieg waren sie vergessen. Die Orden und Ehrenzeichen erhielten die feisten Generäle, welche sich zumeist in den rückwärtigen Etappen aufgehalten hatten.  Swetlana Alexijewitsch setzt diesen unbekannten tapferen Sowjetfrauen ein Denkmal mit Ihren Buch: "Der Krieg hat kein weibliches Gesicht."


Der anschließende Kalte Krieg ist seit über zwanzig Jahren vorbei, doch das postsowjetische Russland sucht noch immer nach einer neuen Identität. In ihrem Buch: "Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus" lässt die Schriftstellerin diese Zeitperioden Revue passieren. Während man im Westen immer noch von der Gorbatschow-Zeit schwärmt, will man sie in Russland am liebsten vergessen. Inzwischen gilt sogar Stalin vielen  - auch unter den Jüngeren - wieder als der große Staatsmann. Für Swetlana leben die Russen gleichsam in einer Zeit des "secondhand", der gebrauchten Ideen und Werte.


Wladimir Putin kommt bei der Nobelpreisträgerin nicht gut weg. Für ihn ist das Ende der Sowjetunion die "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts". Er hat seine Politik darauf ausgerichtet, die Schmach des Auseinanderbrechens vergessen zu machen: Russland soll wieder eine Weltmacht werden. Deshalb will er alles dem Begriff der "Größe" unterordnen: Das Zarenreich war groß, die Sowjetunion war groß und heute ist Russland (immer noch) groß.


In der Sowjetunion haben die Menschen nichts als Furcht und Autorität gekannt. Die heutigen Russen haben - nach Swetlana - "nicht die geringste vage Vorstellung darüber, was eine Zivilgesellschaft sein könnte". Sie akzeptieren die neuen Kriege in der Ukraine, der Krim und in Syrien als den direkten Weg zur Wiederauferstehung des großen russischen Weltreiches.

Sonntag, 21. Juli 2013

Wie Jean Paul zum Doktor promovierte

Als Johann Paul Friedrich Richter - alias Jean Paul - das vierzigste Lebensjahr erreicht hatte, siedelte er mit seiner Frau Karoline und seinen Kindern Emma und Max in die oberfränkische Stadt Bayreuth über. Dort blieb er, von verschiedenen Kurzreisen abgesehen, bis zu seinem Tod im Jahr 1822. Seine Romane Unsichtbare Loge (darin: Schulmeisterlein Wutz), Siebenkäs, Palingenesien und Titan fanden ein interessiertes Publikum, der Hesperus machte ihn berühmt und wohlhabend. Des weiteren sollten in Bayreuth noch die Werke Dr. Katzenbergers Badereise, Flegeljahre, Levana, Schmelzle und der Komet entstehen.

Die häusliche Arbeit in der Umgebung der Familie war nicht Jean Pauls Sache. Der Dichter erledigte die Romanschreiberei im Gasthaus "Rollwenzel" am Stadtrand von Bayreuth, wo ihm die Wirtin gleichen Namens im Obergeschoss ein Zimmer zur Verfügung stellte und dazu jede Menge von dem braunen, fränkischen Bier, das ihr Gast so liebte. Jeden Tag verliess (der schon etwas dicklich gewordene) Schriftsteller mit Knotenstock, Ranzen und Hund sein Haus und wanderte festen Schritts hinaus in seine Einsiedelei. Frau Karoline sah dies mit leichtem Unwillen, konnte aber "ihrem Hagestolz" diese Routine nicht abgewöhnen. Als sie sich einmal bei ihren Vater in Berlin darüber beklagte, schrieb ihr dieser trocken zurück, sie solle dem Schicksal dankbar sein, so einen berühmten Ehemann ergattert zu haben. Diese Bürgermoral der damaligen Zeit trifft Goethe ziemlich genau in seinen Roman Hermann und Dorothea, wenn er dort feststellt: Dienen lerne beizeiten das Weib nach seiner Bestimmung. Und in einem Bonmot von Jean Paul selbst heisst es: Wenn eine Frau liebt, dann liebt sie in einem fort; ein Mann jedoch hat dazwischen zu tun.


Promotion bei Palaver und Punsch

In den späteren Jahren pflegte Jean Paul während der Sommerzeit jeweils Reisen in benachbarte deutsche Städte zu unternehmen. So besuchte er Bamberg, Erlangen, Nürnberg und Frankfurt, wobei er seiner Ehefrau jeweils einen Zettel hinterliess, worauf vermerkt war, was sie in gewissen Gefahrensituationen zu tun habe. Punkt zwei dieser Aufzählung lautete: "Bei Feuer sind zuerst die schwarzeingebundenen Buchexzerpte zu retten".

Im Jahr 1818 führte ihn eine Reise nach Heidelberg, wo er den Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel kennenlernte. Dieser war vorher Rektor am Nürnberger Egidien-Gymnasium gewesen, wo er Philosophie, Germanistik und Mathematik (!) unterrichtete. Inzwischen war er von der Universität Heidelberg auf deren Lehrstuhl für Philosophie berufen worden. Hegel gilt heute noch als wichtigster Vertreter des deutschen Idealismus. Seine Philosophie erhebt den Anspruch die gesamte Wirklichkeit zusammenhängend, systematisch und logisch zu deuten.

An einem lauschigen Sommerabend veranstaltete die Universität ein Treffen einiger ihrer Honoratioren, zu dem auch Hegel und der besuchsweise weilende Jean Paul geladen waren. Der gereichte Punsch lockerte die Stimmung auf und so wagte ein Pfarrer Hegel aufzufordern, seine philosophischen Vorstellungen einmal so zu artikulieren, dass sie auch für die Mädchen seiner Gemeinde verständlich seien. Hegel wand sich, brachte nichts Nennenswertes zustande und deutete schliesslich auf Jean Paul, wobei er sagte: "Der kann es."  Und in der Tat, unser Schriftsteller explorierte die Gedanken Hegels so leichtfüssig und allgemeinverständlich, dass Hegel platt war. Spontan tat er den Ausspruch: "Jean Paul muss Doktor der Philosophie werden!"

Dabei beliess es Hegel allerdings nicht. Wenige Tage später berief er eine Fakultätssitzung ein, überzeugte seine Kollegen von den akademischen Qualitäten des Jean Paul und die Promotion (ehrenhalber) wurde einstimmig beschlossen. Die Urkunde, natürlich in Latein verfasst, erkannte dem Dichter den Titel, die Privilegien und die Rechte eines Doktors der Philosophie und der freien Künste zu. Versehen mit dem Siegel der Universität wurde das Diplom umgehend in Heidelberg der Öffentlichkeit bekanntgegeben.

Jean Paul war darauf so stolz, dass er von da an nur noch nur noch mit der Nennung seines Dr.-Titels unterschrieb. Seine Frau wies er an, die pergamentene Urkunde, welche in einer roten Kapsel steckte, in der Bayreuther Bekanntschaft fleissig herumzuzeigen.

Dichter sind eben auch nur Menschen.

Sonntag, 23. Juni 2013

Mein Landsmann Jean Paul

Jean Paul, dessen Geburtstag sich im vergangenen März zum 250. Mal jährte, war zu seinen Lebzeiten ein hochberühmter Dichter. Seine Frühwerke waren "Bestseller" und wurden mehr gelesen als die Romane der Weimarer Klassiker Goethe und Schiller. Heute weiss man mit den dickleibigen Werken Jean Pauls nur noch wenig anzufangen. Aber neben den Seminaristen an den Universitäten hält sich immer noch ein kleiner und treuer  Leserstamm. Dazu gehört, erstaunlicherweise, auch der Präsident des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts, Professor Andreas Voßkuhle.

Als Fichtelgebirgler und Oberfranke

Jean Paul wurde am 21. März 1763 in Wunsiedel geboren und auf den Namen Johann Paulus Friedrich Richter getauft. Das Fichtelgebirgsstädchen gehörte zu dem Hohenzollern-Fürstentum Bayreuth und war damit Teil eines der mehr als 300 Staaten, aus denen Deutschland damals bestand. (Ich selbst bin nur wenige Kilometer von Wunsiedel entfernt auf die Welt gekommen; für die Pennäler aus dieser Gegend stand die Lektüre der Werke von Jean Paul in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch obenan). Die Familie Richter waren Hungerleider. Der Vater war Lehrer und Organist in Wunsiedel - aber leider nur als "Tertius" (dritter Lehrer) nach dem Rektor und dem Subrektor. Zudem hatte er geschlagene zehn Jahre auf diese bescheidene Stelle warten müssen, währenddessen der studierte Theologe als Hauslehrer seine Familie mühsam ernähren musste.


Jean-Paul-Denkmal in Wunsiedel

Nach zwei Jahren gelang es Vater Richter endlich, eine Pfarrstelle in Joditz, nicht weit von der oberfränkischen Stadt Hof, zu ergattern. Dort wohnten die Richters zehn Jahre lang. Der kleine Fritz bezeichnete Joditz später als seinen "eigentlichen", nämlich "geistigen" Geburtsort. In diesem Städtchen befindet sich übrigens auch heute noch ein wunderbar originelles und stimmiges Privatmuseum zu Ehren des Dichters, das von dem Ehepaar Eberhard und Karin Schmidt betrieben wird. Jedes Detail zu Jean Paul wird hier gewusst, gesammelt und mit lässigem fränkischen Charme präsentiert. Germanisten aus aller Welt schauen in Joditz vorbei; auch der oben genannte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle kam schon mehrfach und verewigte sich mit dem Ausspruch: "Was für ein Ort! Wieviel Herz und Begeisterung." Das kleine Museum wird übrigens nur nach telefonischer Vereinbarung geöffnet (09295-8188).

Im Jahr 1776 siedelte die Familie ins Fichtelgebirge nach Schwarzenbach an der Saale über, nachdem der Vater, vermittelst einer Gönnerin, dort eine noch bessere Pfarrstelle erhalten hatte. Der kleine Fritz ging nun im nahen Hof aufs Gymnasium und bald erstaunte er seine Lehrer damit, dass er das hebräische und griechische Testament mündlich fliessend ins Lateinische zu übersetzen vermochte. Zum grossen Unglück verstarb der Vater bereits nach drei Jahren. Er hinterliess eine Menge Schulden, eine Witwe und fünf minderjährige Söhne. Aber mit Hilfe von privaten Gönnern, die sein Talent erkannten, gelang es Fritz, den Abiturabschluss zu erreichen.

Friedrich Richter schrieb sich an der Universität Leipzig zum Studium der Theologie ein. Aber er wurde dort nicht glücklich. Die Vorlesungen langweilten ihn, sodass er meisten zu Hause Bücher las, querbeet von der Trigonometrie bis zu Kants Kritik der Vernunft. Insbesondere quälte ihn seine Mittellosigkeit. Er machte Schulden wo er nur konnte und eines Tages floh er aus der ungeliebten Stadt und quartierte sich wieder daheim bei Muttern in Oberfranken ein.

Im elterlichen Haus widmete er sich voll der Schreibkunst; etwas Geld verdiente sich der "verkrachte Student" als Hauslehrer bei Kleinadeligen und Bürgern. In dieser Zeit, von 1784 bis 1795 schrieb er einige seiner bekanntesten Novellen und Romane, wie Schulmeisterlein Wutz, Die unendliche Loge und vorallem sein Hauptwerk Hesperus. Richter fand dafür druckwillige Verleger und vor allem eine grosse Leserschaft. Der Dreissigjährige war zum Dichter aufgestiegen. In dieser Zeitperiode wechselte er auch seinen Namen: aus Johann Paulus Friedrich Richter wurde Jean Paul Friedrich Richter oder später ganz einfach: Jean Paul. Seine Sympathie für die Französische Revolution und den Naturphilosophen Jean-Jaques Rousseau hatte Friedrich zu diesem Namenswechsel veranlasst.


Weimar und Berlin rufen

Der Aufstieg des jungen Schriftstellers wurde auch in Weimar, der damaligen Literaturhauptstadt Deutschlands, aufmerksam registriert. Bald erreichten Jean Paul Einladungen in diese Residenzstadt von damals 6.500 Einwohnern, denen er sich nicht entziehen konnte. Von Johann Gottfried Herder  und dessen Freunden wurde er überschwänglich empfangen, von den Koryphäen Goethe und Schiller weniger. Goethe konnte offenbar nicht verknusen, dass Jean Pauls Roman Hesperus weit mehr Leser erreichte als sein fast zeitgleich herausgekommenes Werk Wilhelm Meister. Er bezeichnete Jean Paul als " Chinesen in Rom" und Schiller sprach von einem "aus dem Mond Gefallenen".

Viel Anklang fand unser Dichter bei der Weimarer Damenwelt. Die adeligen Frauen und Fräuleins  umschwärmten ihn, für sie war er der Dichter der überströmenden Gefühle. Charlotte von Kalb versuchte ihn zu umgarnen, ebenso wie Karoline von Feuchtersleben. Aber vergeblich - Jean Paul zog es nach Berlin, wo mit Königin Luise noch eine weit höherrangige Dame auf seinen Besuch wartete. Auch hier, in der preussischen Gesellschaft, war er Hahn im Korb. Nur der König Friedrich Wilhelm fertigte ihn kühl ab, als sich Jean Paul mit der Bitte um eine Staatsrente an ihn wandte. Dem Regenten war sein biederer Preussendichter  v. Kotzebue offenbar lieber. Zur Überraschung der adeligen Damenwelt entschloss sich Jean Paul 1781 in Berlin die Bürgerstochter Karoline Mayer zu ehelichen und gleich darauf über Meiningen und Weimar nach Oberfranken zurück zu kehren.


Endstation Bayreuth

Die letzten 20 Jahre seines Lebens verbrachte Jean Paul in der oberfränkischen Stadt Bayreuth. Spötter sagen: des Bieres wegen. In Meiningen hatte er das oberfränkische Bier lieben gelernt. Ein Einspänner brachte ihm damals regelmässig Fässer oder Eimer mit Bayreuther, Johanniter oder Kulmbacher Bier nach Meiningen und der Dichter geriet immer in leichte Panik, wenn die Fässer sich leerten, bevor eine neue Sendung angekündigt war. In Bayreuth zog Jean Paul mit seiner Berliner Ehefrau und inzwischen zwei Kindern mehr als ein Dutzend mal um - nur seiner Bierkneipe, der "Rollwenzelei" blieb er treu. Die mit ihm berühmt gewordene Wirtin des bescheidenen "Traiteurhauses" an der Königsallee etwas stadtauswärts nahe der Eremitage gelegen, bot ihm über Jahre hinweg tagtäglich das gleiche Ritual: ein stilles Arbeitsstübchen im Obergeschoss, Berge seiner geliebten fränkischen Pellkartoffeln und ausgezeichnetes braunes, bitteres Bier. Die heutigen Betreiber dieses Gasthauses, die Familie Sommer, sind glühende Jean-Paulianer und öffnen die Dichterstube gerne nach Voranmeldung (0921-980218).


Rollwenzelei mit erhaltener Dichterstube in Bayreuth

Wenn er nicht stundenlang durch die fränkische Hügellandschaft wanderte, lebte Jean Paul in der Rollwenzelei und schrieb und schrieb und schrieb. Seine weiteren Hauptwerke wie die Flegeljahre, Dr. Katzenbergers Badereise, Komet sowie das Leben Fibels hat er dort geschrieben - wenn auch nicht immer zur Gänze fertiggestellt. Ausgelaugt von dieser Arbeit und seinem nicht immer gesunden Leben, starb er am 14. November 1825 im Alter von 62 Jahren in seiner Wohnung in der Friedrichsstrasse. Seine letzten geflüsterten Worte waren: "Wir wollen´s gehen lassen".


Jean Pauls Werk aus heutiger Sicht

Jean Paul hat ein titanisches Werk hinterlassen. Sein Nachlass umfasst 40.000 Seiten und 12.000 Seiten Exzerpte. Das ist vom Volumen her mehr als die Vielschreiber Goethe und Thomas Mann insgesamt zustande brachten. Er war der erste Autor, der unter seinem Pseudonym Jean Paul bekannter war als unter seinem Geburtsnamen. Die Leserschaft vor 200 Jahren - und insbesondere die Damen - liebten seinen Schreibstil mit den vielen Aus- und Abschweifungen, den Vorworten und Vorreden und den unzähligen Fussnoten. Seine Prosa ist kein gerader Weg, sondern einer voller abenteuerlicher Abwege. Niemand ist in der Lage, beispielsweise die Handlung eines Romans wie Hesperus in eigenen Worten komplett nachzuerzählen. Das ist aber auch der Grund, weshalb Jean Paul heute die grosse Leserschaft fehlt. Universitätsgelehrte sind dafür schon zahlenmässig kein Ersatz. Trotzdem: in Oberfranken und insbesondere im Fichtelgebirge stösst man immer wieder auf Menschen, die Abschnitte oder gar Seiten von Jean Pauls verschlungener Prosa auswendig zitieren können.

Zur Erinnerung an den berühmten Sohn ihrer Stadt hat Wunsiedel dieses Jahr eine neugezüchtete Rose mit dem Namen Jean-Paul-Rose herausgebracht. Sie hat orange-apricotfarbene Blüten, glänzend dunkelgrünes Laub und zeichnet sich durch einen buschigen Wuchs aus. Blumenliebhaber und Freunde von Jean Paul können sie zu Preis von 16,50 Euro pro Pflanze erwerben.

Sonntag, 3. Februar 2013

Gute Literatur darf alles

Seit Jahren wird in den Medien über die unappetitlichen Missbrauchsfälle an evangelischen und katholischen Schulen berichtet - ohne, dass es bislang zu einer wirklichen Aufklärung gekommen ist. An der Odenwaldschule im hessischen Heppenheim wurde schon Ende der 1990er Jahre bekannt, dass dort Schüler seit 1970 von ihren Lehrern sexuell missbraucht worden waren. Ausgerechnet der (inzwischen verstorbene) Schulleiter Gerold Becker, der als "Reformpädagoge" gepriesen wurde, soll sich dabei hervor getan haben. Die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle wurde nach ihrer Entdeckung zwar vereinbart, kam aber nie wirklich zustande. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Darmstadt die Ermittlungen wegen Verjährung eingestellt.

Sexuellen Missbrauch an anvertrauten Kindern gab es auch in praktisch allen 27 Bistümern der katholischen Kirche von Aachen bis Würzburg. Zwar hat Papst Benedict dem deutschen Erzbischof Robert Zollitsch (als Vorsitzenden der Bischofskonferenz) aufgefordert, den "Weg der lückenlosen und zügigen Aufklärung konsequent fortzusetzen", aber in der Zwischenzeit ist auch hier die Aufklärung versandet. Die beiden Beauftragten, der Trierer Bischof Stephan Ackermann und sein weltlicher Counterpart, der Kriminologe Christian Pfeiffer, mussten vor wenigen Wochen eingestehen, dass ihr Projekt zur Dokumentation der üblen Geschehnisse "geplatzt" ist. Ganz offensichtlich sträubt sich bei vielen Menschen die Feder, wenn sie Pädophilie, also den auf Kinder gerichteten Sexualtrieb Erwachsener, beschreiben oder auch nur dokumentieren sollen. Noch mehr angeekelt wären sie vermutlich, wenn sie sich mit Päderasten zu beschäftigen hätten, also Homosexuellen, deren Sexualempfinden besonders auf männliche Jugendliche gerichtet ist.

Vor diesem Hintergrund muss es verwundern, dass es ein literarisches Werk gibt, welches ausgerechnet dieses Genre (Pädophilie, Päderastie) zum Thema hat, welches aber unbestritten der Weltliteratur zugerechnet wird. Es wurde vor genau hundert Jahren, also 1913, verlegt und viele Generationen von Gymnasiasten haben seitdem daran Textanalyse betrieben, nicht selten im Rahmen des Deutsch-Abiturs. Ich will meine Blogleser nicht länger auf die Folter spannen, sondern Ross und Reiter frei nennnen: es ist die Novelle "Der Tod in Venedig" von Thomas Mann. Sie erschien 1911 zunächst als Luxusdruck mit einer Auflage von hundert nummerierten Exemplaren und ab 1913 als Einzeldruck im S. Fischer Verlag.


Décadence in Venedig

Thomas Manns Geschichte vom Tod in Venedig kann man fast in einem einzigen Satz zusammenfassen: Ein älterer Münchener Schriftsteller macht eine Reise nach Venedig, wo er sich in einen polnischen Jungen verliebt und alsbald an Cholera verstirbt. Bei Mann sind es ca. hundertvierzig Druckseiten, sodass ich diese nicht ganz ernst gemeinte Kurzfassung etwas aufweiten möchte.

Anfang Mai 1911 unternimmt der für seine Werke geadelte Schriftsteller Gustav von Aschenbach einen Spaziergang durch den Englischen Garten in München. Dabei kommt ihm die Idee zu einer Reise in den Süden. A. ist verwitwet, sein ganzes Streben ist auf Ruhm ausgerichtet. Seine künstlerischen Leistungen muss er sich allerdings mit viel Selbsdisziplin täglich neu erarbeiten. Von Triest aus reist er per Schiff nach Venedig, wo er sich von einem Gondoliere über die Lagune zum Lido bringen lässt.


                                                     Grandhotel Excelsior am Lido
                                                  (Mehrfach in der Novelle genannt)

Im Hotel sieht A. am Tisch einer polnischen Familie einen langhaarigen Knaben "von vielleicht vierzehn Jahren", der ihm als "vollkommen schön" erscheint. Sein Name ist Tadzio. Mit jedem Tag verfällt der alternde Dichter mehr und mehr dem Anblick des Jünglings. Das 4. Kapitel endet mit dem Eingeständnis, dass er den Knaben liebe. Von Indien kommend erreicht eine Cholera-Epidemie Venedig. Trotz Warnung des Reisebüros beschliesst A. in der Lagunenstadt zu bleiben, um seinem Angebeteten weiterhin nahe zu sein. Allmählich verliert der Schriftsteller alle Selbstachtung. Um Tadzio zu gefallen, lässt A. sich vom Coiffeur des Hotels auf jung schmincken und seine Haare färben. Infiziert durch überreife Erdbeeren stirbt Aschenbach an Cholera, während er Tadzio ein letztes Mal sehnsüchtig am Strand beobachtet. Dabei erscheint es dem Sterbenden, als winke ihm der Knabe von weiten zu und deute mit der anderen Hand hinaus aufs offene Meer. "Und wie so oft machte er sich auf, um ihm zu folgen".


Form vor Inhalt

Vom Inhalt her, und platt gesagt, ist der Tod in Venedig die Geschichte einer obsessiven Knabenliebe. Daneben zelebrierte der Autor, den man unschwer in der Gestalt von Gustav von Aschenbach erkennt, noch sein "Coming-out" als Homoerotiker. (Ehefrau Katia wird das längst geahnt haben, doch wegen ihrer damals bereits geborenen vier Kinder darüber hinweg gesehen haben.) Man muss sich fragen, warum Thomas Mann das Risiko einging, ein so heikles Thema zu bearbeiten. Immerhin war die Ära von Kaiser Wilhelm II in Fragen der Sexualmoral keineswegs liberal sondern eher prüde bis streng. Und, dass die Novelle nicht nur ein Verkaufserfolg bei den Buchhändlern wurde, sondern (bis heute) auch noch als Schullektüre benutzt wird, ist ebenfalls erstaunlich. Wäre Thomas Mann sein Werk nicht gelungen, so hätte er als Päderast dagestanden. Schlimmeres konnte man damals und auch heute - abseits von Antisemitismus - über einen Menschen kaum sagen.

Nun, ein Grund für die sofortige und allgemeine Akzeptanz dieser Novelle ist sicherlich die ausserordentliche Behutsamkeit mit der Mann sein Thema bearbeitet. Im bürgerlich-moralischen Sinne bleibt der Held unversehrt. Aschenbach spricht mit dem schönen Knaben kein einziges Wort, er berührt ihn nicht, ja er nähert sich ihm noch nicht einmal (im Sinne von "stalking").Die ganze Geschichte, das ganze Erlebnis, ist also nur eine erotische Gefühlsausschweifung, eine Gedankenspielerei. Das Leben ein Traum! Und die erotischen Phantasien werden vom Dichter Thomas Mann mit äusserster Kunstanstrengung, garniert mit unverfänglichen Anspielungen auf die griechische Antike, gewissermassen pulverisiert. Im bürgerlich-moralischen Sinne ist das äusserliche Verhalten des Schriftstellers Aschenbach also immer "korrekt". Der Literaturkritiker Alfred Kerr, sonst kein Freund von Thomas Mann, hat dies klar erkannt, wenn er feststellte: "Jedenfalls ist hier die Päderastie annehmbar für den gebildeten Mittelstand gemacht". Und sein Kritikerkollege Carl Busse urteilt: "Ohne Zweifel wird man das Thema peinlich finden, aber man muss bekennen, dass es mit vorbildlicher Zartheit behandelt wurde".

Um zu dieser Überfeinerung des Stils zu kommen, der den Inhalt der Novelle praktisch zweitrangig werden liess, soll Thomas Mann zur Vorbereitung fünf Mal Goethes Roman "Die Wahlverwandschaften" durchgelesen haben, in dem es auch von symbolischen Verweisen nur so wimmelt.

Fürwahr eine gewaltige Anstrengung um die Maxime L´art pour l´art zu erreichen.




Freitag, 18. Januar 2013

Die Unersättlichen von Goldman Sachs

Goldman Sachs ist eine weltberühmte Investmentbank in New York, die vor knapp 150 Jahren von dem deutsch-jüdischen Auswanderer Marcus Goldman und seinem Schwiegersohn Samuel Sachs gegründet worden ist, welcher sich gerne als  der "Erfinder der Aktie" bezeichnete. Inzwischen beschäftigt GS über 30.000 Mitarbeiter, macht 28 Milliarden Dollar Jahresumsatz und fast 5 Milliarden Gewinn nach Steuern. Ihr derzeitiger Chef ist Lloyd Blankfein, der sich in einem Interview zu der Feststellung hinreissen liess: "Wir verrichten das Werk Gottes". Sein Repräsentant in Deutschland heisst Alexander Dibelius, ist von Berufs wegen eigentlich Arzt und Chirurg und angeblich der Berater von Angela Merkel in Finanzfragen. Viele international bekannte Banker haben ranghohe Positionen bei GS bekleidet, ich nenne nur Mario Draghi, den Chef der Europäischen Zentralbank in Frankfurt sowie Hank Paulsen, den ehemaligen Finanzminister der USA. Mit GS kann sich nur eine ähnlich erfolgreiche Bank messen: die Deutsche Bank. Verantwortlich für deren Investmentbereich war viele Jahre der Inder Anshu Jain. Heute, nach dem Abgang von Josef Ackermann, ist er Co-Chef der Deutschen Bank.




Das Enthüllungsbuch (Preis 20 Euro)
 

Diskretion und Verschwiegenheit nach aussen war stets das Leitmotiv von Goldman Sachs. Nun hat ein Mitarbeiter es gewagt, die Omertà, diese Schweigepflicht, zu durchbrechen und ein Buch über das Innenleben dieser berühmten Bank zu veröffentlichen. Und das auch noch unter dem abwertenden Titel: "Die Unersättlichen - ein Goldman Sachs Banker rechnet an". Auf 366 Seiten bringt der Autor Greg Smith viele Anekdoten , die Aussenstehenden einen Eindruck von der kalten, aber höchst effizienten Geldfabrik vermitteln.


Hierachien und Finanzprodukte

Greg Smith ist Südafrikaner und jüdischen Glaubens, was bei Goldman Sachs nicht von Nachteil ist. Er war Stipendiat bei der bekannten US-Universität Stanford und schloss dort ein Studium in Wirtschaftswissenschaften mit sehr guten Noten ab. Bei seiner Bewerbung für GS war er umgeben von einer Vielzahl von "Überfliegern", die ihre High School bereits mit 15 Jahren abgeschlossen und das nachfolgende Hochschulexamen mit Auszeichnung bestanden hatten. Manche waren darüberhinaus Olympiaschwimmer oder spielten Schach auf Meisterniveau. Dennoch konnten sie bereits im ersten Jahr nach ihrer Einstellung ohne Frist vor die Tür gesetzt werden, wenn die Firma ihrem Urteilsvermögen in der Praxis nicht mehr vertraute.

Smith überstand die Eingangsprüfungen mit Bravour und wurde als Verkäufer für Wertpapiere rekrutiert. Sein Platz war im Grossraumbüro des GS-Gebäudes in der Wall Street. Alle Einzelbüros und Besprechungszimmer auf dieser 39. Etage haben Glaswände, jeder kann jeden sehen; Transparenz ist also gesichert. Zuerst wurde Smith nur mit "Practice Clients" (Übungskunden)betraut. Die Firma verdient an ihnen nicht viel, hat aber auch wenig zu verlieren. Trotzdem: 85-Stunden-Wochen im bankerüblichen Dresscode waren eher die Regel als die Ausnahme.

Frisch von der Uni kommend und als Berufseinsteiger nahm Smith unter der Bezeichnung "Analyst" nun die unterste Stufe der Wall-Street-Hierarchie (mit 100.000 $ Jahresgehalt) ein. Ein "Mentor" war ihm zugewiesen, den er um Rat fragen konnte. Nach drei Jahren erklomm er die nächsthöhere Rangstufe und wurde "Associate" (200.000 $). Die darauffolgende Stufe war der "Vice-President", ein in deutsch markig klingender Titel, welcher bei GS aber schon nach sieben bis acht Jahren erreicht werden konnte - sofern man nicht vorher gefeuert wurde. Mit ihm ist ein Gehalt von ca. 500.000 Dollar verbunden; für Greg Smith war dies die Endstufe bei Goldman. Die zweithöchste Stufe ist der "Managing Director". Er verfügt in der Regel über ein Mitarbeiterteam und verdient schon über 1 Million pro Jahr. Ganz oben in der Firma sind die "Partner" angesiedelt. Hier - und eigentlich erst hier - wird klotzig Geld verdient, nämlich mehrere bis viele Millionen Dollar im Jahr.



                                   
                                      

Der Zocker Greg Smith (34)
 

Als "Sales-Trader" (Verkäufer) hatte Smith die Aufgabe mit den Kunden zu sprechen und die Verkaufsgeschäfte zu managen. Die Wertpapiere waren in der Regel Aktien, Anleihen, Währungen, Rohstoffe und Derivate. Darunter fielen auch Optionen, Swaps, Futures und strukturierte Finanzprodukte. Letzteres sind hochriskante vorgefertigte Anlagestrategien, welche die Bank dem Kunden anbietet und die nur schwer zu durchschauen sind. Der gewöhnliche Bankkunde sollte davon besser die Finger lassen.

Dem Trader zur Seite gestellt - aber ihm keineswegs unterstellt - ist der "Quant". Er entwickelt die komplexen Derivate und strukturierten Produkte, analysiert ihr Risiko, fügt unauffällig die satten GS-Gebühren ein und nennt dem Trader schliesslich den Preis, zu dem er diese Wertpapiere (oder sollte man sie nicht eher "Wundertüten" nennen?) an den häufig nichtsahnenden Käufer losschlagen soll. Viele Quants haben einen Doktortitel in Fächern wie Physik, Mathematik oder Elektrotechnik und verlassen ihre Fachgebiete, weil sie an der Wall-Sreet bereits in jungen Jahren Millionen-Boni einstreichen können. Manche Quants machen sich mit den eigenen Rechenmodellen auch selbstständig und gründen rentable Hedgefonds.


Von Kunden-Betreuung zur Kunden-Abzocke

Greg Smith war in einer sehr turbulenten Zeitspanne bei Goldman Sachs. Er erlebte als Trader das Platzen der Internetblase im Jahr 2000, den anschliessenden Niedergang der Börsenkurse aber auch ihre Erholung bis zum Jahr 2005, die Boomzeiten auf dem amerikanischen Immobilienmarkt und die darauffolgende subprime-Krise bis zur europäischen Staatsschulden- und Anleihemalaise. Zeiten mit stark schwankenden Bösrenkursen sind gute Zeiten für Banker, mit der Volatilität lässt sich viel Geld verdienen.

In den ersten Jahren seiner beruflichen Karriere fühlte sich Smith noch dem Wohl seiner Kunden verpflichtet. Sie wurden gemäss der Firmentradition nach bestem Wissen und Gewissen betreut. Die Bank beriet sie neutral, verkaufte ihnen die rentabelsten Papiere und riet von jenen ab, die zu riskant oder zu gebührenbehaftet waren. Diese altruistische Firmenphilosophie kippte um das Jahr 2005. Bei GS wurde, ohne öffentliche Ankündigung, der sogenannte "Eigenhandel" eingeführt. Die Bank spekulierte nun zunehmend auf eigene Rechnung, die Kunden, welche man intern schon mal als "Muppets" (Trottel) bezeichnete, wurden immer mehr als "Gegenpartei" angesehen, anstatt als Schützlinge. Ihnen wurden Produkte verkauft, die eigentlich ungeeignet für sie waren - nur weil die Bank daran am meisten verdiente. Es kam sogar vor, dass der Trader seinem Kunden ein hochriskantes Wertpapier überteuert andrehte und im gleichen Moment - mit eigenem Geld - dagegen wettete und somit doppelt Kasse machte.

Im Jahr 2007 leistete sich GS ein ganz unverfrorenes Ding. Auf dem Höhepunkt der amerikanischen Immobilienblase konstruierte GS für den Hedgefonds Paulson ein Finanzprodukt mit dem schönen Namen "Abacus 2007-AC1". In diesen Fonds legte man die allerschlechtesten Hypothekenkredite mit deren Ausfall man ziemlich sicher rechnen konnte. Sie wurden den amerikanischen Pensionsfonds als günstiges Investment angedreht sowie europäischen Banken, die darin ein gutes Geschäft witterten, weil sie das inhärente Risiko nicht erkennen konnten. (Auch die deutsche Bank IKB war mit 150 Millionen dabei). Um ihren Gewinn zu maximieren, wetteten GS und Paulson gleichzeitig auf das Platzen dieses Fonds, wodurch sie doppelt Geld verdienten. Glücklicherweise kam ihnen die US-Börsenaufsicht SEC auf die Spur und der feine Vorstandsvorsitzende Blankfein sah sich gezwungen freiwillig - ohne Anerkenntnis einer Schuld - 550 Millionen Dollar zu bezahlen. Bei dem dicken Gewinn von GS war dies nicht viel mehr als ein Strafzettel fürs Falschparken.

Andere Abteilungen bei Goldman Sachs entwickelten anfangs der nuller Jahre komplexe Derivate um europäischen Regierungen in Griechenland und Italien zu helfen, ihre Schulden zu verstecken und ihre Haushalte gesünder aussehen zu lassen, als sie wirklich waren. Griechenland konnte sich dadurch den Eintritt in den Euroverbund verschaffen mit Auswirkungen, die bekannt sind. Diese Deals generierten für GS und die beteiligten Banken Hunderte von Millionen Dollar an Gebühren, aber letzten Endes halfen sie diesen Ländern nur, ihre Haushaltsprobleme vor sich herzuschieben aber nicht wirklich zu lösen. Tricksereien dieser Art waren nicht nur auf Staaten beschränkt. Auch Städte und Gemeinden in der ganzen Welt waren davon betroffen. In den strukturierten Derivaten (wie Swaps), die unkundigen Bürgermeistern aufgeschwatzt wurden, steckten grosse Potentiale für kurzfristige Gewinne - aber noch grössere für langfristige Verluste.


Kündigung via Zeitung

Das Ende kam, als Greg zur GS-Filiale nach London versetzt wurde. Die Arbeitsplätze in der City sind bei Goldman-Mitarbeitern nicht sehr begehrt: alles ist dort etwas zu klein und zu eng. (Noch schlimmer ist es nur in Hongkong und Tokyo). Die Bereitschaft zur Abzocke ist jedoch überall gleich. Alle Trader sind nur hinter der "goldenen Gans" her. Nämlich: einen möglichst reichen und möglichst unbedarften Kunden zu finden, dem man überteuerte und risikoreiche Finanzprodukte andrehen kann.

Im März 2012 war es so weit: Smith beschloss  GS zu verlassen. Sein Kündigungsschreiben umfasste 1.500 Worte, die er aber nicht der Post anvertraute, sondern die er der New York Times zustellte. Dort, auf der Meinungsseite dieser altehrwürdigen Zeitung kündigte er formell und begründete dies mit dem "Verfall der Unternehmenskultur bei GS". Unter der Schlagzeile "Warum ich Goldman Sachs verlasse" schrieb er: "Nennen Sie mich altmodisch, aber ich will meinen Kunden keine Produkte verkaufen, die für sie ungeeignet sind". Die Redaktion der NYT war über diesen Brief so überrascht, dass sie Smith erst mal (incognito) einen Besuch im Händlersaal abstattete, um die Authentizität des Schreibers zu überprüfen. Einen Tag vor der Veröffentlichung räumte Smith seinen Schreibtisch in der Londoner Niederlassung, flog zurück in seine New Yorker Wohnung und begann mit dem Schreiben seines Buches. Vom Verlag erhielt er dafür als Vorschuss 1.500 000 Dollar.

Seine berufliche Karriere bei Goldman Sachs ist damit sicherlich zu Ende. Aber die Hedgefonds könnten an Greg Smith durchaus interessiert sein.







Sonntag, 11. November 2012

Was Gorleben mit Shakespeare gemeinsam hat

Die Endlagerung des hochradioaktiven Abfalls aus Kernbrennstoffen ist ein Problem, das gegenwärtig (wieder einmal) vom Bundesumweltminister Peter Altmaier und dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann angegangen wird. Längst ist bekannt, dass dafür eigentlich nur die Salzlagerstätten in Niedersachsen, die Tonschichten in Baden-Württemberg und die Granitvorkommen in Bayern in Frage kommen. Stellen wir uns einen Augenblick lang vor, Politik und Wissenschaft hätten sich auf den Endlagerstandort Gorleben geeinigt - Analoges gilt für die beiden anderen Standorte - dann ist es intellektuell reizvoll sich zu überlegen, wie die Endlagerdiskussion in 500 Jahren, also im Jahr 2500 geführt werden würde - und ob es überhaupt noch eine gäbe.

Gorleben im Jahr 2500

Vor der Einlagerung in Gorleben müsste man die Entscheidung treffen, ob die Abfälle dauerhaft in tausend Meter Tiefe deponiert werden sollen, oder ob man sie gegebenefalls wieder vorzeitig zurückholen möchte. Die derzeitige Tendenz geht in Richtung "final storage", also auf Verzicht der Option Rückholung. Vor der Tiefenlagerung müssen die Kernbrennstoffe bzw. Brennelemente der stillgelegten Kernkraftwerke ca. 50 Jahre lang abklingen und abkühlen. Die Deponierung könnte also um das Jahr 2050 beginnen und wäre vermutlich zur Jahrhundertwende, um 2100, abgeschlossen.

Am Standort Gorleben wären dann an der Oberfläche nur noch die Infrastrukturanlagen sichtbar, wie Verpackungsmaschinen, Lagerhallen und natürlich der Förderturm für den vorherigen Schachtbetrieb. Es würde mich nicht wundern, wenn man dann im nächsten Jahrhundert, also zwischen 2100 und 2200 diese überflüssig gewordenen Betriebseinrichtungen abbauen würde, so wie das auch Ruhrgebiet mit den Schachtanlagen und Fördertürmen geschehen ist. Bald könnten über dem Salzdom also wieder die Schafe und Rinder weiden.

Doch wie steht es mit der Erinnerung der Menschen an das "Endlagerproblem Gorleben"? Da die Kerntechnik in Deutschland im Gefolge von Fukushima im Sommer 2011 aus politischen Gründen abgeschafft wurde, wird der Bestand an Fachleuten auf diesem Gebiet immer dünner werden. Zum Jahrhundertende 2100 hin werden wohl die allermeisten in Rente gegangen sein, bzw. nicht mehr leben. Sie hinterlassen sicherlich eine Menge an technischen Papieren, aber es ist fraglich, ob die Nachkommen etwas damit anfangen können.

In den nachfolgenden Jahrhunderten, spätestens aber bis zum Jahr 2500, werden alle Datenträger bis zur Unleserlichkeit zerstört sein. Die Papierunterlagen verrotten und werden durch die eigene Säure zerstört; die Magnetbänder und digitalen Datenträger werden noch früher unbrauchbar. Fachleute, welche zum Gebiet der Endlagerung Auskunft geben könnten, stehen - siehe oben - nicht mehr zur Verfügung. Die kollektive Erinnerung an den gefährlichen Abfall in der Tiefe wird mehr und mehr abnehmen, ein Risiko wird damit nicht mehr verbunden. Vielleicht werden in 500 Jahren feudale Villen dort gebaut, wo früher die Brennelemente oberirdisch gelagert wurden.

Stammt der Hamlet von Shakespeare?

Dass viel Wissen und viele Fakten in der relativ kurzen Zeit von 500 Jahren "verschütt" gehen können, beweist die anhaltende Diskussion um den grössten englischen Schriftsteller William Shakespeare. Er lebte von 1564 bis 1616 n. Chr. und ihm werden 36 Theaterstücke (14 Komödien, 12 Tragödien und 10 Historiendramen) zugeschrieben, die bis heute noch auf allen Bühnen der Welt gespielt werden. Darüberhinaus verfasste er einige hundert Sonette von allerhöchster literarischer Güte .



William Shakespeare

Trotzdem, immer wieder kommen Zweifel auf, ob dieser "Landlümmel aus dem Drecksnest Stratford-upon-Avon" (Kritiker Alfred Kerr) wirklich sowas allein gemacht haben kann. Vor einigen Jahren hat der deutsche Regisseur Roland Emmerich diese Zweifel zu einem Kinofilm mit dem Titel "Anonymus" verarbeitet, was die Shakespeare-Gemeinde in grosse Unruhe versetzte.

Emmerich fragt beispielsweise, wie es möglich ist, dass in den letzten 500 Jahren kein einziges Manuskript des Dichters gefunden wurde, ja nicht einmal ein einziger Brief, obwohl Shakespeare normalerweise eine Menge Korrespondenz hätte führen müssen. Oder: wie Shakespeare als Kind illiterater Eltern - und nicht der englischen Oberschicht angehörend - so viel über die Lebensweise der Adeligen, Könige und Königinnen bei Hofe wissen konnte. Oder: Woher er als blosser Grundschüler sein umfangreiches Wissen in Medizin, Astronomie, Musik und Rechtswissenschaft hatte. Oder: Warum Shakespeare sich als Endvierziger in seinen Geburtsort zurückzog und nie wieder geschrieben hat, nicht einmal ein kurzes Gedicht. Oder: Warum Shakespeare in seinem Testament kein einziges seiner Bücher erwähnte, dafür aber sein zweitbestes Bett.

Das sind Fragen über Fragen, die mehr als stutzig machen und die auch Emmerich in seinem Film nicht schlüssig beantworten konnte. Trotzdem schlägt er den 17. Grafen von Oxford als den eigentlichen Verfasser der dichterischen Werke vor.  Shakespeare war, nach seiner Meinung, nur der Ghostwriter bzw. der Namensgeber. Nun streiten sich unerbittlich zwei Lager: die Oxfordians auf der einen, die Stratfordians auf der anderen Seite. Erstere unterstützen die Thesen von Anonymus, während letztere Shakespeare aus Stratford verteidigen.

Bei aller Verschiedenheiten der Thematik gibt es zwischen Gorleben und Shakespeare gewisse Ähnlichkeiten. 500 Jahre sind eine lange Zeit, viel zu lange für die Mund-zu-Mund-Überlieferung. Wenn die Dokumente, aus welchen Gründen auch immer, verloren gehen, dann fehlt auch das Wissen über diese Zeit und ihre Menschen - und es fehlen die harten Beweise.

Wie kann man dann erwarten, dass menschliches Wissen über tausende oder gar hunderttausende von Jahren bewahrt werden kann - wie die Kombattanten in der Endlagerfrage dies zuweilen fordern oder gar behaupten?!

Sonntag, 26. August 2012

Deutschland, deine TV-Philosophen

Karlsruhe ist nur eine mittelgrosse Stadt, deshalb beherbergt sie auch nur wenige Prominente. Ich spreche nicht von den B-Promis, also den Bürgermeistern, Landtagsabgeordneten und Autohändlern, die man gerade noch bis Staffort und Straubenhardt kennt. Nein, ich meine die wirklich Prominenten, die A-Promis, welche in ganz Deutschland, also auch in Castrop-Rauxel und in der Uckermark bekannt sind. Wenn ich recht sehe, besitzt Karlsruhe sogar nur einen dieser Geistesriesen: den Philosophen und Professor Doktor Peter Sloterdijk. Er ist sogar ein geborener Karlsruher, auch wenn sich seine deutsche Mutter in den Nachkriegswirren von ihrem holländischen Ehemann Sloterdijk bald getrennt hat. Der Sprössling Peter wurde in diesen Tagen 65 Jahre alt, möchte aber zu diesem "Vorkommnis" keine Stellung beziehen.

Die Karlsruher sind stolz auf "ihren Sloterdijk", der in München und Hamburg Philosophie, Geschichte und Germanistik studiert und  zwischen 1978 und 1980 sogar zwei Jahre im Ashram des indischen Gurus Bhagwan Shree Rajneesh hospitiert hat. Danach wirkte er als freier Schriftsteller, schrieb die "Kritik der zynischen Vernunft" sowie den 3-bändigen schwer lesbaren Wälzer "Sphären" und ist seit dem Jahr 2001 Rektor der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, wo er gleichzeitig Philosophie und Ästhetik doziert. Seine Studenten beklagen zuweilen, dass sie ihn dort nur selten sehen, was mit der unbändigen Reiselust des Professors zusammem hängt.


Der Philosoph Peter Sloterdijk

Sloterdijk gilt als "Starkstromdenker", der heiklen Themen nicht aus dem Weg geht. In seinem Buch "Du musst dein Leben ändern" (2009) empfiehlt er der Menschheit, sich Ordensregeln zu geben, um ihr Überleben zu sichern. Bei einem Vortrag in Basel propagierte er "Regeln für den Menschenpark" was ihm heftige Schelte, vorallem aus dem Lager der deutschen Euthanasiegegner, einbrachte. Berühmt ist der Karlsruher Professor wegen seiner enormen Sprachpotenz und als Meister von Metaphern. Um ein Beispiel zu nennen: das schlichte Wort Eigenlob würde er nie in den Mund nehmen - er spricht stattdessen von autogratulatorischen Phrasen. Für Peter Weibel, seinem Freund und Nachbarn im Museum ZKM, ist Sloterdijk ein "Denk- und Sprachereignis, der mit seiner Sprache die Welt konstruiert". Er stellt ihn in eine Reihe mit den deutschen Philosophenfürsten Nietzsche und Heidegger. Böswillige Menschen, und die gibt es zuhauf, sprechen bei Sloterdijks Suada manchmal auch von "Oberflächenrhetorik".

Das Philosophische Quartett

Trotz alledem, eine gewisse Ähnlichkeit zum ebenfalls sprachgewaltigen Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki ist gegeben und so war es nicht verwunderlich, dass der Fernsehsender ZDF bei Sloterdijk anklopfte, als der Bücherfreund im Jahr 2001 sein sehr populäres "Literarisches Quartett" auslaufen liess. Auf den Grosskritiker Reich-Ranicki sollte der Grossdenker Sloterdijk folgen. Der Karlsruher sollte eine vergleichbar erfolgreiche Sendung unter dem Titel "Das Philosophische Quartett" produzieren und den Deutschen die Philosophie schmackhaft machen, ähnlich wie dies Reich-Ranicki bei den Buchrezensionen gelang.

Dieses Unternehmen ging schief, wie man im Rückblick von gut zehn Jahren leider sagen muss. Das Philosophische Quartett war kein Publikumsrenner. Mit nur einer halben Million Zuschauern hatte es eine bescheidene Quote und  die Fernsehgewaltigen des ZDF reagierten, indem sie das Format zeitlich immer weiter nach hinten verlegten. Zum Schluss mussten die nur noch spärlichen Zuschauer bis 1 Uhr 20 nach Mitternacht wach bleiben. Im Mai 2012 war Schluss; das ZDF zog den Stecker. Angeblich soll die Anweisúng zur Einstellung des Quartetts direkt vom neugewählten Intendanten Thomas Bellut gekommen sein. In der Pressemitteilung wurde dies natürlich verbrämt; die Sendung sei "auserzählt" gewesen, hiess es dort. Sloterdijk blaffte zurück und bezeichnete dies als "Euthanasieformel". Der Professor war sauer darüber, dass man ihm diese mediale TV-Bühne just beim Eintritt ins Rentenalter genommen hatte.

Bei Sloterdijks Quartett lief vieles schief. Schon die Auswahl der (jeweils zwei) Gäste war häufig nicht schlüssig. Mal waren es relativ unbekannte Wissenschaftler, wie Gunnar Heinsohn, mal griff er auf typische Talkshow-Promis, wie Roger Willemsen und sogar Hans-Olaf Henkel zurück. Den unsäglichen Pseudophilosophen Bazon Brock paarte er mit dem Schöngeist und Schriftsteller Martin Mosebach, was eine fruchtbare Diskussion von vornherein unmöglich machte. Hinzu kam, dass Sloterdijk zwar sprachmächtig ist, aber für das Publikum nicht so eingängig formulieren kann wie sein Kollege von der Literaturabteilung. Das begann schon mit seinen stockend vorgebrachten Einleitungen, in denen seine Gedanken ellenlang ohne erkennbares Ziel mäanderten. So erinnere ich mich, dass er dem Religionshistoriker Jan Assmann eine weit hergeholte Eröffnungsfrage stellte, welche dieser nur mit ja oder nein beantworten konnte. Darauf liess sich kein Gespräch aufbauen. Mehr als einmal musste ihm sein treuer Knappe Rüdiger Safranski aus der Patsche helfen, indem er  der Diskussion eine gewisse Systematik vorgab.

Mit der Weisheit am Ende

Für die letzte Sendung am 13. Mai ds.J. hatte sich Sloterdijk ein besonderes Thema zurecht gelegt: über die Kunst des Aufhörens wollte er mit dem Schriftsteller Martin Walser und dem Verleger Michael Krüger sprechen. Safranski fehlte in diesem Schlussquartett; er hatte sich krank gemeldet, aber schon vorher über die Medien verlauten lassen, dass er "seinen Fernseher bereits vor fünf Jahren abgeschafft" habe. Sloterdijk hoffte wohl, sich mit diesem letzten Auftritt zum "Aufhörkünstler" verklären zu können, um den Rausschmiss beim ZDF zu kaschieren. Das ging allerdings gründlich schief. Walser, das Schlitzohr,  tat ihm nicht den Gefallen, in diesem Drehbuch mitzuspielen. Im Gegenteil, immer wieder betonte er, dass Aufhören keine erstrebenswerte Kategorie sei und er rief dem Moderator zu: "Es muss immer wieder weiter gehen; hören Sie bloss nicht auf." Ein Höhepunkt (an Zynismus) war seine Frage an Sloterdijk: "Vermissen Sie sich nicht selbst, wenn Sie nicht mehr im Fernsehen auftreten?" Die Zukunft wird erweisen, wie weit der Grossmeister der TV-Droge schon erlegen ist.

Richtig fuchtig wurde der Philosoph Sloterdijk, als er hörte, wen das ZDF zu seinem de-facto-Nachfolger erkoren hat: den 47-jährigen smarten Buchautor Richard David Precht. Sloterdijk wetterte: "Precht ist vom Handwerk her Journalist und als solcher Popularisator von Beruf. Seine Klientel gleicht eher der von André Rieu, den hören vorallem Damen über fünfzig in spätidealistischer Stimmung". Rumms! Glücklicherweise ist Sloterdijk nicht Fussballer; der Schiedsrichter hätte ihm dafür wohl die Rote Karte gezeigt


Richard David Precht, auch Philosoph?

Precht ging auf diese Attacke nicht direkt ein. Stattdessen gab er in einem Interview einen einzigen Satz von sich, den man damit in Verbindung bringen könnte: "Eine Gesellschaft, die sich so sehr in die Breite vernetzt und ständig neues Wissen sammelt, tauscht ihr Personal unglaublich schnell aus und archiviert es nicht mehr".

Die neue Sendereihe von Richard David Precht beginnt am Sonntag, dem 2. September um 23.25 Uhr beim ZDF unter dem einfach zu merkenden Titel:

"Precht"

Sonntag, 20. Mai 2012

Das "Imperium" schlägt zurück

Dichter leben in Deutschland zuweilen gefährlich; schnell können sie in eine unbequeme politische Ecke gerückt werden. Günter Grass ist dafür ein prominentes Beispiel. Nach der Veröffentlichung seines Gedichts zum Thema Israel/Iran hagelte es so heftige Kritik, dass er sich zeitweilig mit Herzbeschwerden in einer Klinik erholen musste.

Weitgehend parallel zu der Diskussion um Grass' Gedicht (oder ist es ein Essay?) tobt ein Streit  der Feuilletonisten um den Roman "Imperium" des schweizer, aber deutschsprachigen Schriftstellers Christian Kracht. Er ist dem grossen Publikum weit weniger bekannt als der berühmte deutsche Nobelpreisträger, aber von der dichterischen Potenz her Grass durchaus ebenbürtig. Sein Genre sind "Abenteurerromane" in der Art von Daniel Kehlmann, dessen 2005 erschienener Roman "Die Vermessung der Welt" wohlbekannt ist.

Wer mit Christian Kracht bekannt werden möchte, der sollte zuerst seinen Debütroman "Faserland" lesen, welcher bereits 1995 erschienen ist. Er beschreibt das Lebensgefühl und die Bewusstseinskrisen der jungen Menschen in der Mitte der neunziger Jahre (dtv, 10 Euro). Ein namenloser junger Mann durchstreift als Abenteuerer ganz Deutschland von Sylt bis in die Schweiz nach Zürich und nimmt sich in der Mitte des dortigen Sees (vermutlich) das Leben. Kracht beschreibt in diesem Roman ein Land im Champagner- und Drogennebel, eine elternlose Generation auf der Suche nach Schmerz und Verletzung, ein reiches Land, das emotional arme Kinder in die Welt gesetzt hat.


Christian Kracht, 45

Krachts letzter Roman mit dem Titel "Imperium" erschien 2012 im Verlag Kiepenheuer  & Witsch (18 Euro) und war von Beginn an ein Renner. Bislang sollen bereits 100.000 Exemplare ausgeliefert worden sein. Trotzdem steht er heftig in der Kritik, weil er den Autor angeblich in der Nähe von (politisch) rechtem Gedankengut zeigt.

"Imperium" erzählt von dem (historisch verbürgten) Nünberger August Engelhardt, der sich zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts mit einer kleinen Erbschaft in die Südsee einschiffte, um in Papua-Neuguinea (damals noch Deutsch-Guinea) ein Fleckchen Land zu kaufen, wo er ungestört der Kokosnuss, dem Freikörperkult und der Sonne frönen konnte. Der sehnlichste Wunsch des etwas verklemmten Auswanderers war es, die Kolonie Kokovaren zu schaffen, worin er sich als Missionar und Prophet und Vegetarier sah. Eigentlich eine harmlose Geschichte, aber poetisch hinreissend geschrieben.

Der Schriftsteller Kracht ein Nazi?

Doch kaum war dieser 250-Seiten-Roman veröffentlicht, als der Chefkritiker des "Spiegel", Georg Diez, seine ganz grosse Keule auspackte. Wenn man genau hinschaut, so Diez, ist der Roman von Anfang an durchdrungen von einer rassistischen Weltsicht...hier gibt es noch Herren und Diener...Weisse und Schwarze... Da Engelhardt Vegetarier und Maler war, sieht Diez in dem Werk eine Stellvertreter- und Aussteiger-Saga über Hitler (!). Und zum Schluss seiner Philippika resümiert Diez: Was will Christian Kracht? Er ist ganz einfach der Türsteher der rechten Gedanken. An seinem Beispiel kann man sehen, wie antimodernes, demokratiefeindliches , totalitäres Denken seinen Weg findet hinein in den Mainstream.




Der Roman "Imperium"

Die Replik

Starker Tobak, was der Kritiker da von sich gab. Und die Antworten liessen nicht lange auf sich warten. Verständlich, dass Helge Malchow, der Verlagsleiter von Kiepenheuer & Witsch seinem Autor sekundierte und Diez in die Parade fuhr. Er verweist auf einige andere Schriftsteller, welche das Genre der Kolonialisierung im 19. Jahrhundert ebenfalls beschrieben haben - ohne als geistige Wegbereiter Hitlers gebrandmarkt zu werden. Malchow fasst zusammen: So wird aus Literaturkritik der Versuch der Ausgrenzung eines der begabtesten deutschsprachigen Schriftstellers und aus einer Buchbesprechung wird eine Denunziation, gegen die das Opfer sich rechtfertigen muss. McCarthy reloaded.

Auch die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek sprang Kracht bei, indem sie feststellte: Einer von uns ist verrückt, entweder Herr Diez oder ich. In der Folge unterstützten 17 Schriftstellerinnen und Schriftsteller Frau Jelinek, indem sie einen geharnischten Brief an die Redaktion des Spiegels schrieben. Nun ruderte auch der Chefkritiker Diez (partiell) zurück. Er liess in seinem Hausblatt verlauten, dass seine Türsteher-Formulierung zugespitzt war und bekannte ferner: ...das Bild ist schief, es sollte Kracht nicht verletzen...vielleicht bin ich wirklich verrückt, wie Elfriede Jelinek vermutet...in der Literatur ist nichts verboten...es ist auch nicht rechtsradikal, dieses Spiel von Kracht.

Die schweizer Zeitungen z. B. die Tageswoche, registrieren diese bierernste deutsche Debatte mit Verwunderung bis Amüsement. Die Literaturwelt hat endlich wieder einen Skandal. Sie kennen ihren Landsmann Kracht seit langem und sind stolz auf ihn. Kracht steht in der Schweiz für gebrochene Anti-Helden und wer daraus Antisemitismus herauslesen will, ist selbst schuld. In Wirklichkeit sind es zumeist bitterböse und grandiose Satiren. Er lässt keine Gelegenheit aus, um einigen Zeitgenossen heftige Seitenhiebe zu verpassen Zu diesen gehört auch ein kleiner Vegetarier mit einer absurden schwarzen Zahnbürste unter der Nase. Was ist Spiel, was ist Ernst, fragt man sich bei Kracht immer wieder. Am Schluss ist es eine Mischung aus beidem. Kracht ist eben ein Gesamtkunstwerk. Alles an ihm ist Inszenierung,

Momentan herrscht Funkstille bei den Kontrahenten der Feuilletons. Ich empfehle, während dieser Ruhephase Krachts beide Romane "Faserland" und "Imperium" zu lesen. Viel Spass!

Sonntag, 1. April 2012

Sinnsprüche (3)

Liebe macht blind,
aber die Ehe stellt das Sehvermögen wieder her.
(Lichtenberg)

*

Die Ehe ist eine Festung.
Die draussen sind wollen rein,
die drinnen sind wollen raus.

*

Eher legt ein Hund einen Vorrat an Würsten an,
als öffentliche Hände
Geld auf die Seite legen.
(Schumpeter)

*

Ein Präsident ist wie ein Friedhofsverwalter:
er hat eine Menge Leute unter sich,
aber keiner hört ihm zu.
(Bill Clinton)

*

Der Fortschritt der Wissenschaft
ist die jeweils letzte Stufe
des Irrtums.
(Linus Pauling)

*

Es gibt nichts Praktischeres
als eine gute Theorie.
(Prandtl)

*

Man kann eine Technologie
nicht mit dem Bundesgrenzschutz durchsetzen.
(v. Bennigsen-Förder)

*

Ich habe versucht die Welt zu verändern.
Das war kein Fehler,
aber eine Illusion.
(Fidel Castro)

*

Jeder Tag bringt neue Chancen.
(Odewald)

*

Die letzte technologische Erfindung,
zu der die SPD ja gesagt hat,
war der Farbfernseher.
(Gerhard Schröder)

*

Alles, was einmal geschehen ist,
kann wieder geschehen.
(Clausewitz)

*

Jede Art zu schreiben ist erlaubt,
nur nicht die langweilige.
(Voltaire)

*

Wenn jeder nur das tun würde,
wofür er bezahlt wird,
dann wäre die Welt in Ordnung.
(Hennies)

*

Nix is heit so wichtig,
dass´s morgen ned scho wieder
wurscht waar.
(Richard Süssmaier, Wies´n-Wirt)

*

No risk, no fun.

*

Man muss nicht alles selbst gesehen haben,
um darüber schreiben zu können.
Beispiele:  Schiller hat nie die Schweiz gesehn,
                  Dante war nie in der Hölle.

*

Das Leben wird vorwärts gelebt
und rückwärts verstanden.
(Soeren Kierkegaard)

*

Die Demokratie lebt von der Vermutung,
dass die 51 Prozent recht haben.

*

Ich feiere das 30. Jubiläum
meines 35. Geburtstags.
(Reagan zum 65. Geburtstag)

*

God made a few beautiful heads,
the rest he covered with hairs.
(Telly Savalas, alias Kojak)

*

Um Geld verachten zu können,
muss man es haben.
(Curd Goetz)

*

Die Bedienung moderner Geräte sollte sein:
"greiseneinfach".
Früher sagte man dazu:
"kinderleicht".
(Bertelsmann-Chef)

*

Der Mensch ist häufig besser als sein Ruf,
aber meist schlechter als sein Nachruf.

*

Auf viele konnte ich zählen,
auf wenige konnte ich rechnen
und nur bei ganz wenigen
musste ich mit allem rechnen.
(Wagner, bei Verabschiedung)

*

Ein wenig Schmeichelei schadet nicht -
vorausgesetzt, man atmet sie nicht zu tief ein.

*

Humor ist der Knopf,
der verhindert,
dass in mancher Situation
der Kragen platzt.
(Ringelnatz)

*

Was immer du tust,
du wirst es bereuen.
(Sokrates)

*

Wenn in den Zeitungen
der "Unternehmer des Jahres" präsentiert wird,
dann sollte man umgehend dessen Aktien verkaufen.

*

Wer lächelt,
zeigt auch Zähne.
(Asiatisches Sprichwort)

*

Es ist besser den Mund zu halten
und für einen Idioten angesehen zu werden,
als den Mund zu öffnen
und jeden Zweifel zu beseitigen.

*

Erfolg im Leben ist:
-etwas sein
-viel Schein
-und sehr viel Schwein.
(Philipp Rosenthal)

*

Wohl denen,
die gelebt haben,
ehe sie starben.
(Marie Luise Kaschnitz)

Impressum

Angaben gemäß § 5 TMG:

Dr. Willy Marth
Im Eichbäumle 19
76139 Karlsruhe

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E-Mail: willy.marth -at- t-online.de