Sonntag, 27. Oktober 2013

Wirtschaftnobelpreise - anything goes

Mit den Nobelpreisen ist es so eine Sache. Der Eine wartet sein ganzes Leben (vergeblich) darauf, dem Anderen fällt er quasi in den Schoss. Der US-Präsident Barack Obama erhielt schon bei Amtsantritt im Jahr 2009 den Friedensnobelpreis; noch heute rätselt man, wofür er ihn eigentlich bekam. Demgegenüber wartet der amerikanische Schriftsteller Philip Roth seit Jahren sehnlichst auf den Preis für Literatur, den er für seine Romane Good bye, Columbus sowie Jedermann etc. etc. längst verdient hätte. Hoffen wir, dass er diese Auszeichnung noch erlebt; er ist immerhin bereits 80 Jahre alt. Selbst bei den Naturwissenschaftlern wundert man sich zuweilen über die Selektion des Stockholmer Komitees. So wurde der Physiker Albert Einstein nie für die Entdeckung der beiden universellen Relativitätstheorien ausgezeichnet, dafür aber für den vergleichsweise minoren Photoeffekt.

Seit 1969 werden Nobelpreise auch in dem Fach Wirtschaftswissenschaften verliehen. Nicht durch die Nobelstiftung ( Alfred Nobel hasste angeblich die Wirtschaftsleute) sondern durch die Schwedische Reichsbank - aber nach den gleichen Kriterien wie die übrigen Preise. Inzwischen gibt es 74 Preisträger in den Wirtschaftswissenschaften, davon sind 53 US-Amerikaner, fast ausschliesslich Professoren der Volkswirtschaft. Nur ein einziges Mal wurde ein Deutscher ausgezeichnet: der Professor - nomen est omen - Reinhard Selten erhielt den Preis 1994 zusammen mit zwei Engländern für seine "grundlegende Analyse des Gleichgewichts in nichtkooperativer Spieltheorie".


Der deutsche Nobelpreisträger 1994 Reinhard Selten, Universität Bonn

Universität Chicago contra Universität Yale

In diesem Jahr wurde der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften wiederum zwischen drei US-Amerikanern gesplittet. Eigentlich nichts Besonderes - und doch eine Sensation. Zwei Ökonomen, Eugene Fama und Robert Shiller, erhielten den Preis, obwohl ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse diametral entgegengesetzt sind. Der Dritte, Lars Peter Hansen, lief sozusagen ausser Konkurrenz; er wurde für seine statistische Methodik ausgezeichnet.

Fama von der Universität Chicago und Shiller von der Yale Universität in New Haven, Connecticut, beackern seit Jahrzehnten das gleiche Gebiet - nämlich die Finanzmärkte - und kommen dabei zu total unterschiedlichen Ergebnissen. Man häte verstanden, wenn die Schwedische Reichsbank einen von den beiden ausgezeichnet hätte; dass sie beide für preiswürdig hielt - noch dazu im gleichen Jahr - bedarf der Erläuterung.

Eugene Fama untersuchte seit 1960 in langen Zeitreihen die Aktienkurse der New Yorker Börse. Er wollte wissen, wie schnell der Kurs einer Aktie reagiert, wenn beispielsweise eine höhere Dividende angekündigt wird. Er kam zu der Erkenntnis, dass alle (verfügbaren) Informationen umgehend in die Kurse einfliessen, also "eingepreist" werden. Fama erfand dafür die "Theorie der effizienten Finanztmärkte", wonach die Aktienkurse rational alle Informationen widerspiegeln. Die Investoren erkennen, nach Fama, wenn er Kurs zu hoch ist und betreiben Arbitrage, d. h. sie verkaufen und nehmen die Gewinne mit. Folglich können sich auf den Aktienmärkten (wie auf anderen Finanzmärkten) keine "Blasen", also Übertreibungen ausbilden. Nach Professor Fama kann niemand besser sein als der Markt, was seitdem auch die Verkäufer von Indexfonds behaupten.


Der US-Preisträger 2013 Eugene Fama, Universität Chicago

Robert Shiller (dessen Frau übrigens Psychologin ist), traute dem Markt diese "Weisheit" nicht zu. Er griff auf die Erkenntnisse der Massenpsychologie und der Verhaltensökonomie zuück, wo Angst und Gier der Anleger eine grosse Rolle spielen. Seiner Meinung nach können sich sehr wohl Blasen auf den Märkten ausbilden, falls Investoren dem Herdentrieb folgen. Beim Platzen dieser Blasen kann es zu chaotischen Zuständen, sprich Finanzmarktkrisen, kommen. Shiller sagte aufgrund seiner Theorie u. a. das Platzen der Internetblase im Jahr 2001 und den preislichen Niedergang am amerikanischen Häusermarkt im Jahr 2007 voraus. Die Marktpreise werden nach Shillers Auffassung nicht nur von harten Informationen sondern auch von den Emotionen der Anleger bestimmt. Und wenn sich die Preise von den ökonomischen Fundamentaldaten abkoppeln, dann können durchaus Blasen - also Übertreibungen - entstehen. Zur Korrektur von Ungleichheiten, z. B. bei der Einkommensschere, empfiehlt Shiller die (automatische!) Progression der Steuersätze für Reiche. Eingriffe des Staates hält er für berechtigt und notwendig, so wie der britische Nationalökonom John Maynard Keynes dies bereits vor 80 Jahren für die Güterwirtschaft gefordert hat.


Der US-Preisträger 2013 Robert Shiller, Universität Yale

Gravierende politische Konsequenzen

Der Theorienstreit der beiden Ökonomen Fama und Shiller hatte enorme wirtschaftspolitische Konsequenzen während der vergangenen zwei Jahrzehnte. In den 1990er Jahren orientierte sich die amerikanische Wirtschaftspolitik vor allem an den Thesen von Fama, wonach der Markt immer effizient ist und zum Gleichgewicht tendiert. Etwaige Eingriffe des Staates wurden demgegenüber als bürokratisch, ineffizient und als nicht notwendig erachtet. Vor diesem theoretischen Hintergrund kam es in den 1990er Jahren zu der verhängnisvollen Deregulierung der Finanzmärkte unter Clinton und Bush sowie dem Chef der US-Notenbank (Fed) Alan Greenspan. Die Finanzmärkte wurden sich selbst überlassen und die Investmentbanken entwickelte sich zu "Zockerbuden", die später mit viel Staatsgeld gerettet werden mussten. Die Wissenschaftler hatten die sich anbahnende Finanzkrise in ihren Rechenmodellen einfach nicht erkannt und konnte deshalb die Politiker auch nicht davor warnen. Staat und Markt agierten, als wären sie zwei getrennte Sphären.

Greenspan, einst als "Magier der Märkte" bezeichnet, der die Fed 19 Jahre geleitet hat, gibt inzwischen offen zu, dass auch er die chaotischen Marktkrisen nicht vorausgesehen hat. In seinem Buch "The Map and the Territory" schreibt er wörtlich: "Es geht um die Triebe (animal spirits), die Menschen dazu bewegen, sich irrational dem Überschwang oder der Panik hinzugeben. Dieses Verhalten kann durchaus gemessen werden und ist ein wichtiger Teil der ökonomischen Vorhersage". Diese Aussage von Greenpan ist bemerkenswert; lange Zeit war er der Ansicht, dass die Menschen sich im Grunde rational verhalten und die Märkte sich deshalb selbst regulieren. Nun spricht er sich dafür aus, die Banken per Auflage zu zwingen, mehr Eigenkapital und Liquidität vorzuhalten um finanzielle Schieflage zu vermeiden. Ausserdem empfiehlt er die Schrumpfung grosser Banken, damit von ihnen keine Gefahr für die Stabilität des Finanzmarkts ausgeht.


Fazit

Shiller scheint der Sieger in diesem ökonomischen Wettstreits zu sein. Warum hat das Stockholmer Komitee dann aber auch einen (gleichhohen) Preis an den unterlegenen Fama verteilt? Nun, immerhin hat der Marktfan Fama in früheren Jahrzehnten einige Standards bzw. Benchmarks gesetzt, an denen sich sein Kontrahent Shiller erst einmal "abarbeiten" musste, um zu seiner Psychotheorie und Psychoökonomik zu gelangen. Miteinander vereinbar sind die beiden Finanzmarkttheorien nicht. Deshalb bemühte die britische Wirtschaftszeitung "Financial Times" auch einen interessanten Vergleich:

Die Entscheidung des Nobelkomitees ist so, als ob man Ptolemäus und Kopernikus zusammen den Preis gegeben habe - von denen der Eine die Erde für den Mittelpunkt des Universums hielt und der Andere die Sonne.



Sonntag, 20. Oktober 2013

Higgs - oder das Ende der Physik?

Oktober ist Erntezeit. Die Früchte der Natur werden eingesammelt und die Naturwissenschaftler (Physiker, Chemiker) blicken gespannt nach Stockholm, wo ihnen ein allmächtiges Komitee den Nobelpreis zuerkennt - oder auch nicht. Dieses Mal traf es im Fach Physik den Schotten Peter Higgs und den Belgier Francois Englert, beide im vorgerückten Alter von 84 bzw. 80 Jahren. Sie erhielten den Preis, weil sie 1964 ein winziges kernphysikalisches Teilchen vorhergesagt hatten, das nun endlich - nach 48 Jahren - im vergangenen Jahr am Beschleuniger LHC des Forschungszentrums CERN bei Genf auch wirklich gefunden wurde. Von den Medien wird es immer wieder als "Gottesteilchen" bezeichnet, die in Genf jahrelang werkelnden Physiker sprechen häufiger von dem "goddamn particle".


Der Elementbaukasten der Natur

Was ist so besonders an dem Kernteilchen der beiden Forscher Higgs und Englert, das allgemein unter der Bezeichnung "Higgs-Teilchen" bekannt ist?  Nun, es komplettiert den Baukasten der Natur auf eine besondere Weise. Die Physiker haben im Verlaufe des letzten Jahrhunderts herausgefunden, dass die uns umgebende Natur aus rund 60 kleinen und kleinsten Teilchen besteht, sowie aus vier Kräften. Dazu bastelten die Theoretiker eine schöne Theorie - das sogenannte Standardmodell - worin alles zueinander zu passen schien.

Bei näherer Betrachtung hatte das Modell allerdings zumindest einen Makel (auf weitere komme ich später noch): unser Universum hätte demnach kein Gewicht, beziehungsweise es wäre masselos, wie sich die Physiker auszudrücken pflegen. Dieses Defizit wollten Higgs und Genossen mit ihrem prophetisch vorhergesagten Kernteilchen, einem sogenannten Boson, vermeiden. Sie proklamierten: "Unser Teilchen, das letzte im Werkzeugkasten des Schöpfers, verleiht allen anderen Teilchen ihre Masse und macht damit den Weltraum mit seinen Galaxien und die Erde mit uns Menschen überhaupt erst möglich".

Ein hoher Anspruch, der erst einmal bewiesen werden musste. Bald machten sich allüberall die Experimentalphysiker ans Werk, um das Higgs-Boson nachzuweisen. Ohne Erfolg! Es wurde immer klarer, dass man für seine Aufdeckung einen riesigen Beschleuniger brauchen würde, mit dem man die astrophysikalische Situation kurz nach dem Urknall, also der Entstehung der Welt vor 13,8 Milliarden Jahren, simulieren konnte. Die Beschleunigermaschine entstand als "Large Hadron Collider" (LHC) über 20 Jahre hinweg am Forschungszentrum CERN unter finanzieller und personeller Beteiligung vieler Länder, darunter auch Deutschland.

Auf einer kreisförmigen, 27 Kilometer langen Rennstrecke und 100 Meter unter der Erde, wollte man Wasserstoffkerne in zwei Röhren gegenläufig auf (nahezu) Lichtgeschwindigkeit beschleunigen und dann aufeinander prallen lassen. Dabei ergibt sich, für den Bruchteil einer Milliardstel Sekunde, eine ähnliche Situation wie beim Urknall. Die Wasserstoffpartikel zersplittern bei der Kollision, die Trümmer werden in den haushohen Detektoren vermessen, wobei man -  bei etwas Glück -  in diesem Teilchenchaos auch einige Higgs-Bosonen festzustellen erhoffte. Nach vielen Fehlversuchen und geschlagenen 48 Jahren nach der Vorhersage der Theoretiker, gelang dies Mitte 2012 tatsächlich. Für eine Billionstel Sekunde blitzte das Gottesteilchen auf, Zeit genug, um es eindeutig zu identifizieren. Danach zerfiel es wieder. Welch ein enormer Aufwand für so ein winziges Teilchen! Einstein hatte  seine Nobelpreisentdeckung, den Photoeffekt, noch durch einen Aufbau auf einer kleinen Tischplatte demonstrieren können; Gleiches galt für die Entdeckungen von Conrad Röntgen und Otto Hahn. Der Beschleuniger LHC in Genf kostete, indes, 4 Milliarden Euro.


2 Nobelpreisträger, 7000 Kulis

Die Identifikation der Preisträger stellte das Nobelkomitee vor keine geringe Aufgabe. Die Idee für ein masseverleihendes Boson lag 1964 nämlich offensichtlich in der Luft. Nahezu zeitgleich wurden fast identische Vermutungen von mehreren theoretischen Physikern u. a. in der Zeitschrift Physical Review Letters veröffentlicht: nämlich (in alphabetischer Reihenfolge) von Philip Andersen, Robert Brout, Francois Englert, Gerald Guralnik, Carl Hagen, Peter Higgs, Tom Kibble und Gerard ´t Hoft. Warum Peter Higgs zum Namenspatron für dieses Teilchen avancierte, ist heute nicht mehr genau auszumachen. (Vielleicht wegen seines knitzen Namens?) Von den Genannten sind einige, wie Robert Brout, bereits verstorben und kamen deshalb aus Satzungsgründen für die Nobilitierung nicht in Frage. Um den dritten möglichen Namen (streng geheim, aber vermutlich CERN) wurde im Komitee buchstäblich bis zur letzten Minute gerungen, weshalb sich die Verkündigung der Preisträger um eine Stunde verschob. Schlussendlich blieb es bei Peter Higgs und Francois Englert, die sich das Preisgeld von 920.000 Euro teilen dürfen.


Die beiden Preisträger François Englert (links) und Peter Higgs

Leer gingen aus der Chef des CERN, der deutsche Physikprofessor Rolf-Dieter Heuer, die 70 Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), zumeist Doktoranden der Teilchenphysik und - weltweit - 7.000 Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker am Projekt des Higgs-Bosons. Eigentlich hat das Higgs-Teilchen also 7.000 Entdecker. So ist es nicht verwunderlich, dass die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Physik zwar die Entscheidung des Nobelkomitees begrüsste, aber gleichzeitig bemängelte, "dass es offenbar nicht möglich ist, die zahlreichen Forscher stärker zu würdigen, welche an der Entdeckung des Teilchens mitgewirkt haben".


Das Ende der Physik?

Seit einiger Zeit sind die Physiker mit ihrem Standardmodell nicht mehr zufrieden. Die Welt scheint komplizierter zu sein, als sie darin beschrieben ist - auch nach der Entdeckung des Higgs-Teilchens. Man bekrittelt, dass es in dieser früher als allumfassend geglaubten Theorie, doch einige bedeutsame Lücken geben muss. So kommt in ihr die Antimaterie nicht vor, obwohl sie beim Urknall in gleicher Menge entstanden sein muss. Bei den Kräften vermisst man die Gravitation, welche immerhin die Bewegungen der Himmelskörper im Universum regelt. Und - das ist besonders bedauerlich - gilt das Standardmodell gerade mal für fünf Prozent des Weltraums. nämlich nur für die sichtbare Materie. Die unsichtbare "Dunkle Materie", welche 25 Prozent der Masse im Universum ausmacht, wird durch die mathematischen Gleichungen und die bisher entdeckten Elementarteilchen im Standardmodell überhaupt nicht beschrieben. Für sie gibt es offensichtlich einen ganz anderen Elementbaukasten. Und dass es die Dunkle Materie wirklich gibt, sehen wir an unserer eigenen Galaxie, der Milchstrasse. Ihre rotierenden Spiralarme würden wegen der Fliehkraft abgerissen werden, wenn es den "Klebstoff" der Dunklen Materie nicht gäbe, wie man unschwer ausrechnen kann.

Aber damit sind wir mit den unerklärten Phänomenen noch nicht am Ende. Fast Dreiviertel des Weltalls ist angefüllt mit der "Dunklen Energie", von deren Struktur die Physiker praktisch überhaupt keine Ahnung haben. Sie wissen aber, dass es sie geben muss, denn sonst würde unser Kosmos längst wieder - wie ein empor geworfener Stein - wegen der Schwerkraft und der Massenanziehung der Himmelskörper (auf einen Punkt) zusammenkrachen. Stattdessen ist es genau umgekehrt: unser Universum dehnt sich mit ungeheurer Kraft kontinuierlich aus und das offensichtlich für "ewige Zeiten". Dafür wird eine enorme Energie benötigt, eben die Dunkle Energie.

Die Theoretiker haben sich dieser Probleme angenommen und einen zweiten Elementbaukasten postuliert: die supersymmetrischen Teilchen. Jedes Standardteilchen sollte als Pendant ein "Susy-Teilchen" besitzen, das Higgs-Teilchen beispielsweise ein Teilchen mit dem Namen "Higgsino". So verlangt es die sogenannte "Stringtheorie", mit welcher sich seit 40 Jahren die klügsten Köpfe im Reich der Physik beschäftigen. Leider bislang ohne durchschlagenden Erfolg. Keine ihrer Vorhersagen konnte bis jetzt experimentell bewiesen werden - auch nicht die Behauptung, dass es 10 hoch 500 parallele Universen in einem Super-Weltall gäbe. (Nur zur Veranschaulichung dieser gigantischen Zahl: unser eigenes Universum enthält etwa 10 hoch 80 Atome!) Die Idee der Multiversen ist für Laien immer wieder beeindruckend, leider lässt sie sich - nach Popper - nicht falsifizieren, was aber eine unbedingte Voraussetzung für seriöse Wissenschaft ist.

Seit Jahren heisst es deshalb: "Eine neue, viel leistungsstärkere Beschleunigergeneration muss her; damit wird man die Susy-Teilchen experimentell nachweisen können". Der "Superconducting Super Collider" sollte Anfang der 1990er Jahre in Texas gebaut werden. Nach einigen Jahren der Planung aber strich das US-Repräsentantenhaus die Gelder; der SSC war selbst den reichen Amerikanern zu teuer geworden. In Europa behilft man sich derzeit dadurch, dass man den LHC in CERN während der nächsten Jahre technisch aufrüstet. Seine Leistung und seine Luminosität (vergleichbar der Lichtstärke) soll so weit wie möglich angehoben werden. Ob uns dies zu den Elementarteilchen der Dunklen Materie und der Dunklen Energie führt, bleibt abzuwarten. Viele Physiker zweifeln daran.

Apropos Physiker: nicht wenige der Studenten beginnen die Lust an der Astrophysik zu verlieren. Es dauert lange bis man während des Studiums an dieses Fach herangeführt ist und nur die Besten schaffen es, darin kreativ zu sein. Und auch das nur im Team, als Einzelner hat man keine Chance. Wenn - nach einigen Jahrzehnten - die Zeit der Ernte kommt, dann werden (siehe oben) nur ganz Wenige belohnt. Die Allermeisten haben das Gefühl, als "ghost worker" anonym mitgeschafft zu haben, aber ohne einen persönlichen Ertrag einzufahren.

Als sich 1874 ein junger Mann namens Max Planck nach einem Studium umsah, erklärte ihm der renommierte Professor Philipp von Jolly: "Theoretische Physik ist zwar ein schönes Fach und man kann wohl in dem einen oder anderen Winkel noch ein Stäubchen auskehren, aber was prinzipiell Neues werden Sie nicht mehr finden". Nun, Max Planck wurde darin immerhin zum Entdecker der Quantenphysik und zum Nobelpreisträger.

Was würde ein Professor in einem vergleichbaren Fall einem Studenten wohl heute raten?



PS.: Das Land Österreich ist im Jahr 2011 übrigens aus den Konsortium CERN ausgetreten, dem es 50 Jahre angehörte. Nach Aussage des Forschungsministers war dem Land der jährliche Finanzbeitrag von 20 Millionen Euro zu hoch!












Montag, 14. Oktober 2013

In memoriam: Dr. Gerhard Brudermüller +

Heute wurde Dr. Gerhard ("Gerd") Brudermüller, Mitglied unseres Rotter Freundeskreises, auf dem Friedhof Karlsruhe-Hagsfeld zu Grabe getragen. Gerd liebte diesen Stammtisch auf der Rheininsel Rott, besuchte ihn regelmässig und genoss dort seinen Zander in Weinsosse bis kurz vor seinem Tode. Brudermüller hatte fast sein ganzes berufliches Leben der Kernenergie verschrieben und war dabei ausserordentlich erfolgreich. Da es heute nicht mehr en vogue ist, bei Trauerreden dieses Thema anzuschneiden, sei nachstehend kurz dargestellt, worauf die Verdienste des Verstorbenen um die Reaktortechnologie in Deutschland beruhen.

Zusammengefasst kann man folgendes feststellen: Dr. Brudermüller war im Verlaufe seiner ca. 40-jährigen beruflichen Karriere als technischer Chef für den  Betrieb von drei verschiedenen Kraftwerkstypen verantwortlich - nämlich für Kernkraftwerke, die mit Natrium, mit Schwerwasser und mit Leichtwasser gekühlt wurden. Ich kenne keine Person von seinem Rang, die sich in diesen drei sehr verschiedenen Feldern der Reaktortechnologie versucht hat und dabei ähnlich grosse Erfolge vorzuweisen hätte.

Gerd Brudermüller wurde im Schwäbischen als Jüngstes von drei Kindern geboren, studierte Physik und bekam seine erste Stelle im Kernforschungszentrum Karlsruhe, wo er bei Professor Beckurts Wirkungsquerschnitte an einem Beschleuniger zu messen hatte. Schon früh zog es ihn zur Reaktorphysik und er avancierte zum Projektleiter des Kernkraftwerks KNK I, welches mit Natrium gekühlt wurde. Dort legte er auch die Basis für die KNK II, einem Schnellen Brüter als Vorstufe für das grosse Brüterkraftwerk Kalkar SNR 300. Bald darauf wurde er zum technischen Geschäftsführer für die KNK-Kernkraftwerke berufen, wobei er grosse Verdienste um den sicheren Betrieb dieser heiklen Prototypanlagen hatte.

Der zweite Karriereschritt führte Brudermüller zum Mehrzweckforschungsreaktor MZFR, einem 50 MWe-Kernkraftwerk, das mit Schwerwasser gekühlt wurde. Auch hier war Gerd als technischer Betriebsdirektor sehr erfolgreich. Während des 20-jährigen Betriebs hatte der MZFR - als einziger deutscher Druckwasserreaktor! - keinen Dampferzeugerschaden und acht Jahre lang auch keinen einzigen Brennelementdefekt. Unter seiner Leitung wurde erstmals an einem Kernkraftwerk die nukleare Wärmeauskopplung zur Beheizung eines Forschungszentrums demonstriert.

Der dritte Schritt war seine Ernennung zum Chef des  Kernkraftwerks Obrigheim, einer 300 MWe-Anlage, die mit Leichtwasser gekühlt wurde. Daneben war Brudermüller auch für den Aufbau des Kerntechnischen Hilfszug verantwortlich, der grosse Erfolge beim Einsatz im zerstörten Kraftwerk Tschernobyl vorzuweisen hatte. In Summe hat Gerhard Brudermüller bei all diesen Stationen eine berufliche Lebensleistung vollbracht, die verschiedenartigste Anforderungen mit sich brachten und denen er immer gerecht wurde.

Gerd wurde 83 Jahre alt. Wir, seine Rotter Freunde, bedauern seinen unerwartet schnellen Tod und sind traurig, ihn nicht mehr unter uns zu haben.

Sterben heisst losslassen,
aber die Erinnerung an Dich, lieber Gerd, wird bleiben.


Willy Marth





Sonntag, 13. Oktober 2013

1813 - die Völkerschlacht bei Leipzig

Das Persönlichkeitsbild von Napoleon Bonaparte bleibt schwankend in der historischen Nachbetrachtung. Einerseits war er der Mann, welcher die Französische Revolution nach dem Terror von Robbespierre bändigte und gleichzeitig ihre Errungenschaften bewahrte. In den eroberten Landen hat er die Gleichheit vor dem Gesetz, die Freizügigkeit sowie die Gewerbefreiheit eingeführt und mit der Abschaffung der Leibeigenschaft die Vorrechte des Adels beschnitten. Die vergleichbaren Reformen von Stein und Hardenberg im besiegten Preussen wären ohne Napoleon nicht denkbar gewesen.

Andererseits war der selbstgekrönte Kaiser Napoleon besessen vom Kriegführen. Wo er war, war Krieg. Clausewitz nannte ihn einen "Kriegsgott".  Aber in Jahr 1812 wendete sich sein Kriegsglück. Beim gescheiterten Feldzug gegen Russland starben von den 600.000 Soldaten seiner Grande Armée - wovon nur die Hälfte Franzosen waren - etwa 400.000, weitere 100.000 gerieten in Gefangenschaft. Der Kaiser liess seine Truppen in Stich und floh zurück nach Paris. Jetzt war die Chance der deutschen und benachbarten Staaten gekommen, das Joch der Fremdherrschaft abzuschütteln.

Der Aufmarsch vor Leipzig

Den Anstoss dazu gab der preussische General Ludwig von York, der ein 20.000 Mann starkes Korps geführt hatte, mit dem sich Preussen am Russlandfeldzug beteiligen musste. Nach Napoleons schmählicher Flucht schloss er mit dem russischen General Johann Karl von Diebitsch in der berühmten Konvention von Tauroggen einen Separatfrieden mit Russland. Ausserdem drängte er seinen ewig unentschlosenen König Friedrich Wilhelm III am 16. März 1813 dazu, Frankreich den Krieg zu erklären. Das war möglicherweise etwas voreilig, denn Napoleon gelang es in Paris ein neues Heer aus dem Boden zu stampfen womit er im Mai die Restbestände der verbündeten preussischen und russischen Armeen bei Grossgörschen und Bautzen besiegen konnte. Allerdings unter grossen eigenen Verlusten, denn die Mehrzahl der französischen Soldaten war erst 18 oder 19 Jahre alt und dementsprechend nur flüchtig ausgebildet.

Aber der Funke der Freiheit war auf die deutschen und europäischen Staaten übergesprungen. Befeuert von Literaten wie Ernst Moritz Arndt und Friedrich Ludwig Jahn ("Turnvater") schlossen sich weitere Länder der preussisch-russischen Koalition an, insbesondere die Österreicher und Schweden sowie Verbände aus Württemberg und Bayern. Bei den Verbündeten stand die Hauptarmee (225.000 Österreicher, Russen und Preussen) im nördlichen Böhmen, die Schlesische Armee (105.000 Russen und Preussen) bei Breslau und die Nordarmee (125.000 Preussen, Russen und Schweden) bei Berlin. Napoleons Hauptkräfte befanden sich im besetzten Sachsen. Schon bald zeichnete sich ab, dass die Entscheidungsschlacht im Umkreis von Leipzig stattfinden würde.

Militärische Strategien

Napoleon führte seine Armeen immer höchstpersönlich. Er war ein genialer, aber auch despotisch-brutaler Feldherr. Die Gegner konnten den schnellen Bewegungen  seiner Armeen kaum folgen, weil der Franzosenkaiser mit einer alten Kriegsregel gebrochen hatte: er verzichtete darauf, Tross und Marketenderwagen mitzuführen, was die Beweglichkeit seiner Truppen stark eingeschränkt hätte. Stattdessen organisierte er die Verpflegung seiner Truppen dadurch, dass er die benötigten Güter und Lebensmittel in den Gebieten requirieren liess, die er durchschritt. Zwar erhielt die ansässige Bevölkerung dafür Papiergeld und Schuldscheine, aber wegen der raschen Inflation waren diese praktisch wertlos. Das französische Armeeversorgungssysten war also eine kaschierte Plünderung.

Gemäss dem Verpflegungsregulativ der französischen Armee durften Unteroffiziere und normale Soldaten folgendes erwarten: zum Frühstück Suppe, zum Mittagessen ein Dreiviertelpfund Fleisch mit Gemüse und abends nochmals Gemüse - neben einer täglichen Grundversorgung von eineinhalb Liter Bier und zwei Gläschen Branntwein. Dazu kamen täglich zwei Pfund Brot. Die persönlichen Gardetruppen (immerhin 30.000 Mann) erhielten die doppelte Ration. Kein Wunder, dass selbst in der damaligen "Grosstadt" Leipzig nach wenigen Tagen die Lebensmittel knapp wurden.

Die Waffengänge bei den Schlachten kann man sich kaum grausam genug vorstellen. Bei drohenden Angriffen der gegnerischen Kavallerie schlossen sich die Infanteristen zur klassischen Form des "Karrees" zusammen, einem meist aus drei hintereinander aufgestellten Reihen gebildeten Quaders, der mit aufgepflanzten Bajonetten verteidigt wurde. Um dieses Karree aufzubrechen mussten sich einzelne Kavalleristen opfern, indem sie ihre Pferde mitten in die waffenstarrende Masse der Infanteristen trieben. Erst danach konnten die nachfolgenden Kavalleristen ihre Hieb- und Stichwaffen einsetzen.

Zur Erhöhung der Durchschlagskraft der Heere in der Schlacht hatte sich die "Kolonnentaktik" durchgesetzt. In schmalen, aber tiefgestellten Verbänden boten die Angreifer ein weniger leicht zu treffendes Ziel für die gegnerischen Schützen. Fielen die vorderen Soldaten, so rückten sofort die hinteren nach. Dies war das probate Mittel der Infanterie, um feindliche Linien zu durchbrechen. Im Nahkampf wurden dann vor allem die Bajonette eingesetzt, weil das Nachladen der Gewehre viel zu lange gedauert hätte.

Die Schlacht um Leipzig

Am Morgen des 16. Oktober 1813 war die Stunde der Entscheidung gekommen. Die Verbündeten traten bei Leipzig mit 206.000 Soldaten auf, Napoleon verfügte im Schlachtengebiet über 191.000. Zu seiner Armee zählten noch 20.000 Soldaten aus dem Rheinland und sowie 11.000 Polen. Zur Überraschung Napoleons griffen die Alliierten schon bei Morgengrauen an und eroberten auch einige Dörfer, bis der Franzosenkaiser in einem heftigen Gegenstoss alles wieder in seinem Besitz nahm. Voreilig liess er in Leipzig schon die Siegesglocken läuten.

Zu früh, denn jetzt griffen die österreichischen Divisionen an und um 16 Uhr war Napoleon klar zurückgeschlagen. Besonders verdient machte sich dabei der russische General Eugen von Württemberg, der vor Wachau im mörderischen Feuer ausharrte. Eigentlich war damit für die Franzosen der Kampf bereits verloren. Es gelang ihnen nicht mehr im Süden die Linie der alliierten Hauptarmeen zu durchbrechen und im Norden wurde ihr bestes Korps zerschlagen. Insgesamt sind dabei 61.000 Soldaten gefallen bzw. wurden verwundet, davon 38.000 auf Seiten der Verbündeten und 23.00 auf Seiten der Franzosen.

In den folgenden zwei tagen wurde weiter gekämpft, aber Napoleon konnte sich nicht mehr auf seine Truppen verlassen. Starke Verbände der Rheinbundstaaten liefen zu den Verbündeten über, dazu ein ganzes Bataillon an Sachsen. Einen grossen Effekt erzielten die Raketenbatterie der Briten, die nur 200 Mann umfasste. Das Geheul und die Feuerschweife der anfliegenden Feuerwerkskörper versetzten die französischen Truppen in Panik, sodass sie zurückfluteten. Wer von einer solchen Rakete getroffen wurde, verbrannte bei lebendigem Leibe.

Am 19. Oktober, dem vierten Tag der Völkerschlacht, verliess der französische Kaiser die Stadt Leipzig und trat mit der Hauptmacht den Rückzug nach Westen an. 30.000 Soldaten liess er zurück, sie sollten die Absetzbewegungen seiner Armee sichern. Dabei passierte ein Fehler. Französische Pioniere sprengten voreilig die Elsterbrücke, womit tausenden von napoleonischen Soldaten der Rückzug abgeschnitten war, was den sicheren Tod bedeutete. Gegen 13 Uhr zogen die verbündeten Monarchen aus Preussen, Österreich und Russland in die Stadt Leipzig ein; die Kämpfe waren beendet. Der Blutzoll der Völkerschlacht war enorm: die Verluste der Verbündeten beliefen sich auf 54.000 Tote und Verwundete, Napoleon verlor 37.000 Tote bzw. Verwundete. Hinzu kam eine Vielzahl von Gefangenen, Überläufern und Versprengten.


Völkerschlachtdenkmal in Leipzig

Nach der Schlacht ist vor der Schlacht

Zum Jahresende überschritten die Armeen der Alliierten den Rhein und am 31. März 1814 zogen sie in Paris ein. Napoleon wurde auf die Insel Elba verbannt. Die Bourbonen errichteten den Königsthron neu, der Bruder des 1793 guillotinierten Ludwig XVI. stand als Nachfolger bereit. Doch schon 1815 kehrte Napoleon von Elba im Triumph zurück und riss wieder die Macht in Frankreich an sich. Es kam zur Schlacht bei Waterloo, worüber ich in zwei Jahren bloggen werde.

Versprochen!

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