Samstag, 29. April 2017

Die Inflation des Universums

Heutzutage weiß nahezu jeder Gymnasiast wie das Universum, also unser Weltall in dem wir leben, entstanden ist:  nämlich durch den Urknall. Aus einem winzigen Punkt heraus, der Singularität, sollen sich vor knapp 14 Milliarden Jahre (gemeinsam) Materie, Raum und Zeit entwickelt haben und durch Expansion unser Universum gestaltet haben.

Als Begründer der Urknall-Theorie gilt der belgische Theologe und Physiker Georges Lemaître. Im Jahr 1927 veröffentlichte er seine Ideen zur Expansion des Weltalls in einer wenig bekannten belgischen Fachzeitschrift - zwei Jahre früher als der weitaus berühmtere amerikanische Astronom Edwin Hubble, welcher auf der gleichen Spur war. Lemaître war aber bescheiden und versuchte sein Erstentdeckerecht nie durchzudrücken. Statt des Nobelpreises durfte er sich später mit dem päpstlichen Titel eines Prälaten schmücken.

Die Schwächen der Urknalltheorie

Aber das oben skizzierte einfache Urknallmodell konnte nicht ganz stimmen. Aus zumindest drei Gründen, wie die Kosmologen behaupten. Erstens: es müssten jede Menge "Monopole" im  Weltall umherschwirren. Das sind einpolige magnetische Elementarteilchen, die aber bislang noch niemand entdeckt hat. Stattdessen gibt es - in vergrössertem Maßstab - nur die bekannten zweipoligen Stab- oder Hufeisenmagnete, welche man beliebig oft unterteilen kann und die immer wieder sowohl einen Nord- als auch einen Südpol, also einen "Dipol" ausbilden, aber eben keinen Monopol.

Der zweite Grund ist ein geometrischer. Das heute sichtbare Universum weist keine "Raumkrümmung" auf. Stattdessen deuten alle Messungen darauf hin, dass das Weltall "flach" ist, wie (vergleichsweise) ein Stück Papier.

Und drittens: wenn man die Abstände der Sterne und Galaxien aufaddiert und die Fluchtgeschwindigkeit, wie Hubble sie gemessen hat, berücksichtigt, dann kommt man auf eine viel zu geringe Ausdehnung des Weltalls seit dem Urknall. Grob gesprochen, wäre das Universum heute nur eben mal so groß wie ein Fußball! Es könnte somit keine Sonnensysteme sowie Pflanzen, Tiere und Menschen behausen. Deshalb musste an dem simplen Urknallmodell von Lemaître etwas fundamental falsch sein.

Als rettende Hypothese:  die Inflation

Es war der 34-jährige MIT-Physikprofessor Alan H. Guth, der die Urknalltheorie vor dem Aus rettete, indem er sie durch seine Hypothese von der Inflation ergänzte. Dieser Begriff ist den allermeisten Menschen nur aus der Finanzwirtschaft bekannt und verheißt dort nichts Gutes. In der Astrophysik - und im Sinne des Amerikaners Guth - bedeutet er jedoch nicht Geldentwertung, sondern die kurzzeitige Aufblähung des Weltalls.

Als kosmologische Inflation wird eine Phase der extrem raschen Expansion des Weltalls bezeichnet, von der man annimmt, dass sie unmittelbar nach dem Urknall stattgefunden hat. In diesem Zeitbereich hat sich das Universum - innerhalb weniger als einer Millionstel Sekunde - um ca. 50 Zehnerpotenzen fast schon auf die heutige Größe aufgebläht. Nach Beendigung dieser Inflation setzte sich die Ausdehnung des Weltalls mit dem heute noch beobachtbaren Tempo fort. Die Annahme einer solchen inflationären Expansion erscheint einerseits willkürlich, löst aber andererseits all die oben genannten kosmologischen Probleme.

Wie es zu dieser gigantischen "Explosion" in der Frühphase des Weltalls kommen konnte, ist dem Laien schwer zu vermitteln, denn alle Erklärungen spielen sich auf der höchsten Ebene der mathematischen Physik ab. Die Astrophysiker sprechen von einer Zustandsänderung des skalaren Feldes; dieses sogenannte Inflatonfeld besitzt eine Zustandsgleichung mit negativem Druck, welche nach Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie zu einer abstoßenden Kraft führt. Verstanden? Einfacher gesprochen, kam es in dieser Vor-Inflationsphase beim sogenannten Vakuum zu einer Anhebung des Grundzustandes. Bei der gleich folgenden Absenkung dieser Anregung wurden riesige Energiemengen frei, welche das Weltall auseinander trieben.

Ich versuche es noch einfacher und grotesk simpel: unmittelbar nach dem Urknall wurde gewissermaßen ein "Akku" aufgeladen und im Bruchteil einer Sekunde wieder entladen, was zu der Ausdehnung des Weltalls führte. (Die kundigen Professoren des KIT, deren Hauptseminare in Astrophysik ich gelegentlich besuchen durfte, mögen mir diesen kruden Erklärungsversuch verzeihen). Bei diesem Inflationsübergang entstand auch das Higgs-Feld, welches allen Elementarteilchen ihre Masse (also ihr Gewicht) verlieh. Der Strukturwandel im damaligen Weltall geschah so schnell, dass in weniger als einer Billiardstel Sekunde ein Atomkern die Größe unserer Milchstraße erreichen konnte! Damit breche ich ab, möchte aber vorher noch  vermerken, dass sich die Expansion mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit abgespielt haben muss, was in dieser speziellen Situation  möglich war und nicht gegen Einsteins Gebot von der konstanten Lichtgeschwindigkeit verstoßen hat.


Im Schnelldurchlauf: die Entwicklung des Universums

Im Laufe seiner fast 14 Milliarden Jahre andauernden Geschichte durchlief unser Universum etwa ein halbes Dutzend verschiedener Phasen mit krass unterschiedlicher Zeitdauer. Die Abbildung veranschaulicht illustrativ die wichtigsten Entwicklungsstadien des Universums, ist aber nicht maßstabsgetreu.


Entwicklungsstadien unseres Universums


Der Urknall bildete den Anfang. Es war die kürzeste Phase, wobei man über die genaue Zeitdauer wenig sagen kann, da zu jener Zeit die Gesetze der Physik noch keine Gültigkeit hatten.

Die Inflation, also die dramatische Aufblähung des frühen Universums, dauerte nur den Bruchteil von einer Milliardstel Sekunde. Genauere Angaben versage ich mir, da eine Zeitdauer von 10 hoch minus 32 Sekunden für die meisten Zeitgenossen wenig anschaulich ist.

Nach 1 Sekunde hatten sich alle Wasserstoffkerne (Protonen) und Neutronen gebildet. Die Astrophysiker haben hierfür den eingängigen Namen Primordiale Nukleonensynthese geprägt.

Nach drei Minuten war durch Fusion ein Großteil der Heliumatomkerne entstanden, sowie Spuren leichterer Kerne bis hin zum Lithium und Beryllium. 

Nach ca. 400.000 Jahren wurde das Universum durchsichtig, weil die Lichtteilchen (Photonen) nicht mehr von den überall umher schwirrenden Elektronen behindert wurden. Diese vereinigten sich mit den oben genannten Atomkernen zu den leichten Atomen, wie Wasserstoff, Helium etc.

Nach ca. 1 Milliarde Jahren bildeten sich im Weltraum die ersten Galaxien, Sterne und (vermutlich) Gasplaneten heraus. Danach kam es immer wieder zu Supernova-Explosionen, bei denen die restlichen Elemente bis zum Uran durch Fusion erzeugt wurden.

Nach ca. 9,2 Milliarden Jahren enstand unser Sonnensystem mit der Sonne als Zentralstern und dem Planet Erde als Gesteinsstern. Etwa 1 Milliarde Jahre später bildete sich bakterielles Leben.

Nach 13,8 Milliarden Jahren (Jetztzeit) besiedelt der Mensch - seit ca. 0,003 Milliarden Jahre - die Erde. Vor wenigen Jahren haben die Weltraumforscher nachgewiesen, dass sich (vermutlich wegen der Dunklen Energie) das Universum beschleunigt (und wahrscheinlich endlos) ausdehnt.

Nach ca. 1.000 Milliarden Jahren werden (spekulativ!)) alle Galaxien, Sterne und Planeten "verdunstet" , oder in einem riesigen "Schwarzen Loch" konzentriert sein. Fauna und Flora existieren nicht mehr.


Immer wieder wird von Laien die Frage gestellt: Was war vor dem Urknall?
Die Physiker haben darauf keine Antwort parat.
Ausgenommen Prälat Lemaître; er sagte (augenzwinkernd):
Vor dem Urknall hat der Teufel die Hölle geschaffen.

Sonntag, 23. April 2017

Wahlen á la Turk

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat das Referendum zur Verfassungsänderung gewonnen. Es wird ihm, dem zukünftigen Präsidenten der türkischen Republik, weitreichende politische Gestaltungsmöglichkeiten einräumen. In dem neu gefassten Verfassungsartikel 104 steht, dass die gesamte Exekutivgewalt künftig beim Präsidenten angesiedelt ist, dass er die Gesetze des Landes verkündet, die nationale Sicherheitspolitik bestimmt und, dass er, statt 10 Jahre, künftig fast 15 Jahre lang regieren darf. Die Rolle der Legislative und der Judikative werden entsprechend eingeschränkt, das politische System "Checks and Balances" ist - anders als in den Präsidialsystemen der USA und Frankreichs - praktisch aufgehoben.

Aber der Staatschef und seine Partei, die AKP, konnte die de facto Abschaffung des bisherigen parlamentarischen Systems nur mit 51,4 Prozent der Stimmen durchsetzen. Die Legitimation der neuen türkischen Verfassung steht also auf einem äußerst schmalen Fundament. Insbesondere in Istanbul und Ankara, sowie in den Ferienorten um Antalya, war der Widerstand des Wahlvolkes gegen die neue Verfassung sehr groß. Hinzu kommen gravierende Vorwürfe zum rechtmäßigen Ablauf des Referendums. Bis zu 2,5 Millionen Stimmzettel sollen bei den zentralen Zählstellen eigegangen sein - ohne, dass sie den Stempel eines Wahllokals trugen. Nach geltendem türkischen Recht wären sie ungültig gewesen, aber die sogenannte "Hohe Wahlbehörde" Erdogans ließ sie durchgehen und stempelte sie nachtäglich!

Haben die Deutschtürken Erdogan gerettet?

Möglicherweise hätte Erdogan die Wahl gar nicht gewonnen, wenn nicht so viele Exiltürken (außerhalb der Türkei) für ihn gestimmt hätten. In Deutschland waren es satte 64 Prozent, noch übertroffen von Belgien (75), Österreich (73) und Niederlande (68). Gewissermaßen Erdogans Fünfte Kolonne. Aber nirgendwo in Deutschland haben so viele Türken für Erdogans Verfassungsreform votiert, wie in Essen. Die dortigen 76 Prozent lassen fast einen "Erdowahn" vermuten; jedenfalls war der Essener Bürgermeister Thomas Kufer (CDU), nach eigenem Bekunden, darüber "regelrecht geschockt". In seiner Stadt gibt es inzwischen eine perfekte türkische Infrastruktur, vom Frisör bis zum Supermarkt. Befördert wird dieses abgeschottete Leben noch durch die Allgegenwart türkischer Privatsender, die in türkischen Familien inzwischen einen Marktanteil von 90 Prozent erreichen. Kein Wunder, dass die Türken zu der am schlechtesten integrierten Migrantengruppe gehören.

Dass sich so viele türkisch-stämmige Wähler - die seit Jahrzehnten in Deutschland leben und zumeist auch in diesem Land geboren wurden - für ein autokratisches System in der Türkei aussprachen, ist schwer nachvollziehbar. Aber erfahrene Sozialarbeiter sagen schon seit langem: "Die deutsche Integrationspolitik ist tot; das liegt an den vielen Moscheevereinen, in denen die Imame des türkischen Staats die AKP-Ideologie predigen". Und auch an Erdogan selbst, der in seiner berüchtigten Kölner Rede im Jahr 2008 ungestraft verkünden durfte, dass "Assimilation ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist". Dabei benutzte er auch das alte osmanische Sprichwort, wonach "ein Türke keinen anderen Freund haben kann, als wiederum einen Türken". Das Nahezu-Patt des Referendums beweist: Die Türkei ist tief gespalten.


Der umstrittene Doppelpass

Zu einer lautstarken Mediendiskussion hat inzwischen die Vergabe der deutschen Staatsbürgerschaft - neben der türkischen  - geführt. Die vor einem halben Jahrhundert (zumeist von der Automobilindustrie) angeworbenen anatolischen Türken kamen in der Regel aufgrund eines speziellen Gastarbeitervisums nach Deutschland. Als sich in den achziger Jahren abzeichnete, dass diese nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren würden, erhielten einzelne zusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft - neben ihrer türkischen. Der in Deutschland geborenen Kindergeneration wurde dieser "Doppelpass" quasi vererbt.


Doppelpass gefällig?

Für diese Freizügigkeit setzten sich vorallem die SPD und die Grünen ein, während es in den Unionsparteien dagegen beträchtlichen Widerstand gab. Unter anderen deswegen ist 2010 der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) zurückgetreten und zur Industrie (Bilfinger & Berger) übergewechselt. Im Jahr 2014 versuchten die Konservativen das sogenannte "Optionsmodell" einzuführen, wonach sich in Deutschland geborene Gastarbeiterkinder zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr für eine einzige Staatszugehörigkeit zu entscheiden hätten. Dieser Vorstoß wurde jedoch von Rot/Grün abgeblockt. Mittlerweile befinden sich ca. 600.000 Türken mit Doppelpass in Deutschland. Die genaue Zahl ist nicht bekannt, weil hierüber nur alle zehn Jahre ein Zensus erhoben wird.

Als Reaktion auf das Referendum in der Türkei sind inzwischen (laut Umfrage) zwei Drittel der Deutschen der Ansicht, dass die Vergabe des Doppelpasses eingestellt werden sollte. Dies hat Eingang gefunden in das Ende 2016 verabschiedete Wahlprogramm der CDU, wo die Rückkehr zur  Optionenpflicht gefordert wird. CDU-Vize Thomas Strobl sagte dazu: "Für mich ist schwer nachvollziehbar, wie eine türkische Mehrheit, die bei uns in Deutschland ein Leben in Freiheit und Demokratie genießt, für ein autoritäres Regime stimmen kann. Es ist falsch, die doppelte Staatsbürgerschaft über Generationen  hinweg zu vererben.". Und Bundesinnenminister Thomas de Maizière ergänzt: "Beim Doppelpass brauchen wir einen Generationenschnitt und die Wiedereinführung der Optionenpflicht. Am Ende einer Nachdenkfrist soll sich jeder in Deutschland lebende Türke für eine einzige Staatsbürgerschaft entscheiden".

Quo vadis, Turkiye?

Der Sieg Erdogans beim kürzlichen Referendum gleicht einem Pyrrhus-Sieg. Ab jetzt muss der Präsident liefern. Zum Beispiel erwartet man von ihm, dass er die Wirtschaft deutlich belebt, welche aufgrund der Rechtsunsicherheit in seinem Land arg an Schwung verloren hat. Vom Tourismus in Antalya und den übrigen Stränden ganz zu schweigen. Die Einführung der Todesstrafe, wie immer wieder von Erdogan immer wieder angedroht, wäre das sofortige Ende der Beziehungen zu Brüssel.

Aber die jetzige Situation bietet auch die Chance zum Neuanfang. Die Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union sollte umgehend ad acta gelegt werden. Die seit 2005 andauernden Verhandlungen haben praktisch zu keinem Ergebnis geführt. Stattdessen sollte die EU der Türkei - offiziell - die "privilegierte Partnerschaft" anbieten, wie von der Bundekanzlerin bereits mehrfach vorgeschlagen. Im Kern wäre dies eine Art Zollunion, welche den wirtschaftlichen Austausch in beiden Regionen fördern würde, wozu auch die Visaerteilung gehört.

Und die Pseudo-Integration via Doppelpass sollte man beenden.

Samstag, 8. April 2017

Fahrverbot für Diesel?

In der Autostadt Stuttgart rumort es. Den Bewohnern der Landeshauptstadt "stinkt", dass sie allenthalben von unsauberer Luft umgeben sind. Am stärksten in die Kritik geraten sind die Auspuffgase der älteren Dieselfahrzeuge, insbesondere die sogenannten Stickstoffdioxid (NO2)-Emissionen. In den ersten zwei Monaten dieses Jahres gab es viele meteorologische Inversionslagen im Stuttgarter Talkessel, weshalb die behördlich festgelegten Grenzwerte für NO2 sehr oft "gerissen" wurden. So oft, dass sich der baden-württembergische Verkehrsminister Franz Untersteller (der Partei der Grünen angehörend) zu der Drohung veranlasst sah, dass er bei Fortbestehen dieser Situation die Stuttgarter Innenstadt demnächst für ältere Dieselfahrzeuge- ohne blaue Euro 6 Plakette - sperren werde. Nach derzeitigem Stand wären  von den 113.000 Dieselautos in Stuttgart nicht weniger als 93.000 von einem Fahrverbot betroffen! (Unterstellers Chef, der Ministerpräsident Winfried Kretschmann, denkt jedoch wegen der heftigen Reaktionen bereits über eine Rücknahme dieser Ankündigung nach.)




Fahrverbot in Stuttgart  


Neben dem Stickoxid stehen auch die Feinstaubemissionen der meist betagten Diesel-PKW am Pranger. Der Dieselruß und die Dieselpartikel sind schon lange ein Feindbild der Lungenärzte und der Beatmungsmediziner. Aber beim Staub gibt es noch viele andere Quellen, beispielsweise den Reifenabrieb aller Autotypen und insbesondere die Holzöfen der Bürger bis hin zu den "Komfort"- Kaminen. Von letzteren soll es in Stuttgart mehr als 20.000 Anlagen geben, welche die Romantikgefühle ihrer Besitzer beflügeln. Weil diese nicht so ohne weiteres zu sanktionieren sind, beschränken sich die Behörden beim Feinstaub vorläufig auf Fahrverbote für die Autobesitzer. Ist einfacher.


Das Stickstoffdioxid: ein altbekanntes Problem

Stickoxide gelangen aus Dieselfahrzeugen vor allem in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre, wo sie mit Sauerstoff zum giftigen Stickstoffdioxid (NO2) reagieren. Dieses ätzende Reizgas kann Atemnot, Kopfweh und Herzbeschwerden auslösen. Bereits 1999 führte die Europäische Union (EU) dafür Grenzwerte ein, inklusive langer Übergangszeiten. 240 verkehrsnahe Messstellen wurden deshalb in Deutschland eingerichtet. Sie beweisen, dass die Dieselfahrzeuge mit 67 Prozent am gesamten NO2-Austoß beteiligt sind, die Benziner nur mit 4 Prozent. An den Hauptverkehrsstraßen, z. B. am Stuttgarter Neckartor, werden seit fast 20 Jahren die NO2-Grenzwerte drastisch überschritten. Geschehen ist dort seitdem nur wenig.

Inzwischen klagen die Bürger nicht nur verbal, sondern zunehmend vor den zuständigen Verwaltungsgerichten. Das Bayerische Verwaltungsgericht verlangte bis Ende des Jahres 2017 für München von den Behörden entsprechende Fahrverbote, falls andere Maßnahmen nicht wirken. Die Städte stehen vor einem Dilemma: auf der einen Seite gilt das Recht der Bürger auf saubere Luft, auf der anderen Seite gibt es die Ansprüche der modernen mobilen Gesellschaft mit Pendlern, Gewerbe und Besuchern. Die Hauptschuld an dieser Situation trägt jedoch die (hohe) Politik: sie hat die Brüsseler Richtlinien jahrelang praktisch negiert und nicht in entsprechende Gesetze umgewandelt. Gleichermaßen zu kritisieren sind die Autohersteller: sie haben ihre Dieselmotoren technisch nicht gesetzesgemäß ausgestattet. Inzwischen wird eine neue Norm, dargestellt durch die E 6-Plakette, propagiert, mit der jeder Dieselbetreiber sein Fahrzeug angeblich überall gesetzeskonform nutzen kann. Jedenfalls nach den Behauptungen des Verbands der Deutschen Automobilindustrie.

Das wird vom Automobilclub ADAC aber bereits bestritten. Seine Messungen (bei Straßenbetrieb!) beweisen, dass gut ein Drittel der Diesel-PKW, welche mit der bereits seit Jahren bestehenden E 5-Plakette ausgestattet sind, im realen Straßenverkehr besser sind als das schlechteste Drittel der zukünftigen E 6-Norm. Beispiel: der Volvo V 40 mit E 5-Plakette stieß bei ADAC-Messungen 12o Milligramm pro Kilometer aus, der Volvo S 60 mit E 6-Plakette dagegen satte 1167 mg/km! Letzterer dürfte also in Stuttgart das Neckartor durchfahren, der weitaus sauberere V 4o hingegen nicht. Die Experten des ADAC erwarten, dass erst mit der im Straßenverkehr überprüften E 6-Norm die Kunden hinreichend sicher sein können, dass sie ihr neues Fahrzeug überall benutzen dürfen. Diese Dieselkategorie wird jedoch in den meisten Fällen erst im Herbst bei den Händlern stehen.

Fazit: Bis dahin müssen die Dieselnutzer Fahrverbote oder City-Maut (wie in Köln) fürchten. Außerdem droht ihnen auf jedem Fall ein hoher Wertverlust ihres Fahrzeugs beim Wiederverkauf. Das Aussperren von knapp 13 Millionen Diesel-Autos in der City wirkt sich wie eine kalte Enteignung aus. Für die Automobilindustrie ist es gleichzeitig ein gigantisches Konjunkturprogramm.


Das Feinstaubproblem: dem Autofahrer zugeschoben

Eine andere Sau wird seit Jahren mit dem Feinstaubproblem (PM10) durchs Dorf getrieben. Feinste Staubteilchen mit einem Durchmesser bis zu 10 Mikrometer können bis in die Lungenbläschen vordringen. Dort lagern sie sich ab und rufen Entzündungen hervor, bzw. erhöhen das Risiko für einen Herzinfarkt. Noch in den 70er Jahren lagen in Deutschland ganze Regionen unter einer Smog-Wolke, wie heute noch Peking oder Schanghai in China. Hierzulande ist das Feinstaubproblem  inzwischen drastisch gesunken. Das liegt vor allem an den Partikelfiltern, die mit Einführung der E 4-Norm in die Dieselautos eingebaut sind.

Im Stuttgarter Talkessel jedoch, wo sich der Feinstaub bei Inversionswetterlagen sammelt, werden diese Grenzwerte weiterhin alljährlich überschritten. Die Stadtverwaltung setzt nun um, was die Landesregierung unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann Anfang 2017 beschlossen hat: sie verhängt Fahrverbote für alle Diesel-PKW, welche die neueste Abgasnorm E 6 nicht erfüllen. Zehntausende Autofahrer müssen, nach Abschätzungen des ADAC ,vor den Toren der Stadt bleiben. Sogar all jene, die sich noch 2015 einen Neuwagen mit der Norm E 5 zugelegt haben.

Inzwischen ist wohl bekannt, dass Feinstaub nicht nur in KFZ-Motoren, sondern auch in Industrieanlagen, wie Kraftwerken, und vor allem in den kaum zur Gänze überprüfbaren Holzöfen vieler Bürger entstehen. Aber auch durch den Abrieb an Reifen und Bremsen der Autos, wie oben bereits erwähnt. Deshalb hat ein anderer Grüner, der Stuttgarter OB Fritz Kuhn, eine neue Variante der "Schwäbischen Kehrwoche" angekündigt: spezielle Kehrfahrzeuge durchfahren nun die Stuttgarter Innenstadt und kehren maschinell den dort abgelagerten Feinstaub (samt Dreck) auf. Offensichtlich mit Erfolg, denn der Stadtrat hat bereits eine Ausschreibung zur Beschaffung weiterer Kehrmaschinen veranlasst.


Das Ende des Diesels?

Die anhaltende Diskussion über die Zukunft des Dieselmotors sorgt bereits für sinkende Verkaufszahlen. Die Deutschen kaufen wieder mehr Autos mit Benzinmotoren. Im März sind die Neuzulassungen für Dieselneuwagen um fast 3 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gefallen. Der Dieselanteil liegt damit nur noch bei 40 Prozent, früher waren es fast 50 %. Die Experten erwarten, dass die Verkaufszahlen für Diesel weiter zurück gehen werden, u. a. wegen der strengen Abgasvorschriften , welche die Fahrzeuge verteuern werden.

Das Problem mit den Millionen alter Dieselmodelle der Abgasnormen E 4 und E 5 wird jedoch bleiben. Ihre Besitzer werden happige Wertverluste erleiden, denn die eventuelle Nachrüstung mit Motoren der Klasse E 6 wäre viel zu teuer. Ein Abgesang auf den Dieselantrieb kommt jedoch noch zu früh: denn noch trägt der Dieselmotor wegen seiner Sparsamkeit viel zur Einhaltung der Grenzwerte beim Kohlendioxid bei.

Einigen Trost findet die verunsicherte Dieselgemeinde einstweilen bei der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Beim saarländischen Wahlkampf in St. Wendel hat sie den Diesel wie folgt gelobt:
Wenn ihr ein Dieselauto kauft, dann kauft ihr ein Auto, das umweltfreundlich ist. Für den Klimaschutz ist das Dieselauto heute ein genauso gutes Auto, wie es gestern und vorgestern war"

Die Kanzlerin muss es wissen. Sie fährt Diesel - neben Benzinern.



Sonntag, 2. April 2017

Japan: der Löwe "Monju" wurde eingeschläfert

Es ist jetzt gut sechs Jahre her, dass das japanische Gebiet um Fukushima von einem Erdbeben mit nachfolgender Überschwemmung heimgesucht wurde. Vier Kernkraftwerke in dieser Gegend wurden zerstört, 46 weitere im ganzen Land aus Sicherheitsgründen abgeschaltet. Davon sind mittlerweile fünf wieder in Betrieb gesetzt worden, die allermeisten werden jedoch wohl auf Dauer stillgelegt bleiben. Zwischenzeitlich wird ein Großteil der benötigten Elektrizität mit (importierter) Kohle erzeugt. Die Kernkraftwerksfirmen Toshiba/Westinghouse bewegen sich - mangels Aufträge - an der Grenze zur Insolvenz.

Ein Kernkraftwerk hat die genannten Naturkatastrophen schadlos überstanden. Es ist der sogenannte Schnelle Brüter "Monju", der sich dadurch auszeichnet, dass er sein Uran im Reaktorkern viel effizienter ausnützt als die gängigen, Leichtwasserkernkraftwerke. Monju ist in der japanischen Religion und Mythologie ein (Neben-) Buddha, der stets auf einen Löwen reitend dargestellt wird. Auf diesen Reaqktortyp waren die Hoffnungen der Japaner gerichtet, welche praktisch keine Uranvorräte im eigenen Land besitzen. Dass die Regierung in Tokio nun vor kurzem beschlossen hat, auch den Monju dauerhaft abzuschalten, überraschte und bedeutet einen Schwenk in der japanischen nuklearen Reaktorstrategie. Die Gründe dafür sollen in diesem Blog dargelegt werden.

Ein außergewöhnlicher Standort

Die genannten Vorzüge des Schnellen Brüters werden u. a. dadurch erkauft, dass man als Kühlmittel nicht Wasserdampf, sondern flüssiges Natrium verwendet. Das Metall Natrium hat den Vorteil der niedrigen Neutronenabsorption, des höheren Siedepunkts und der besseren Wärmeleitung, reagiert aber leider sehr heftig mit Luft und Wasser, wie man es noch aus dem Chemieunterricht kennt. Das KKW Monju ist hinsichtlich seiner elektrischen Leistung von ca. 300 Megawatt vergleichbar mit seinem deutschen Pendant SNR 300 Kalkar. Als 1985 mit dem Bau des Monju begonnen wurde, war das Brüterkraftwerk in Kalkar allerdings bereits fertiggestellt. Angesichts dieser Terminsituation ist es nicht verwunderlich, dass beide Reaktoren in der technischen Auslegung ziemlich ähnlich sind. Dies gilt besonders für das natriumdurchflossene Primär- und Sekundärsystem.

Völlig verschieden ist die Standortgeografie beider Kraftwerke. Der SNR 300 liegt auf ebenem Gebiet direkt am Niederrhein, für den Monju haben die Japaner bewusst die nahezu unzugängliche Gegend um Tsuruga im Westen Japans und 300 Kilometer südlich von Tokio ausgesucht. Das eigentliche Kraftwerksgelände musste buchstäblich aus einem Gebirge herausgehauen werden. Um dorthin zu gelangen war der Bau einer speziellen Straße sowie zweier Tunnels erforderlich. Trotzdem konnten die Großkomponenten, wie der Reaktortank und die Natriumhauptpumpen, nur über das Meer antransportiert werden. Keine Kosten scheuend, bauten die Japaner dafür einen eigenen Hafen am Fuße des Kraftwerks. Trotz all dieser Schwierigkeiten verlief der Bau des Monju ziemlich zügig; im Jahr 1991 konnte man bereits probehalber mit der Inbetriebnahme beginnen. Das war zu jenem Zeitpunkt, als in Deutschland der fertig errichtete Schnellbrüter in Kalkar - aus politischen Gründen - gestoppt wurde.



Der Schnelle Brüter "Monju";
im Hintergrund das Gebirge, im Vordergrund ein Teil des Hafens.

Ein folgenreicher Störfall

Nach der rasanten Bauphase kam es bei der betrieblichen Erprobung des Monju zu einem jähen Halt. Am 8. Dezember 1995, einem Freitag Abend vor dem Wochenende, ertönte in der Schaltwarte des Kernkraftwerks ein Alarm, der eine Leckage in den sekundären Rohrleitungen - und damit den Austritt von 480 Grad heissem flüssigem Natrium - anzeigte. Ausgesandte Meldegänger berichteten von "weißem Rauch" in diesem Teil des Reaktorkühlkreislaufs. Das Kraftwerk wurde nach gut einer Stunde herunter gefahren und bei der genauen Besichtigung am nächsten Tag zeigte sich am Boden der betreffenden Rohrleitung eine Lache aus (inzwischen verfestigtem) Natrium, dessen Menge auf ca. 700 Kilogramm abgeschätzt wurde. Die Leckstelle befand sich in unmittelbarer Nähe eines Temperatursensors. Offensichtlich war dieses Instrument gebrochen und hatte so einen Spalt zum Austritt des flüssigen Natriums freigegeben.

In der Folge wurden der Betriebsmannschaft eine Reihe von Bedienungsfehler nachgewiesen, insbesondere die nicht rechtzeitige Abschaltung des Reaktors und die verzögerte Drainage der lecken Rohrleitung. Beim Thermoelement wurde ein Ermüdungsbruch festgestellt, hervorgerufen durch starke Schwingungen in der Umgebung. Die staatliche Reaktoraufsichtsbehörde in Tokio ordnete die sofortige Stilllegung der Kernkraftwerks an und eine umfangreiche technische Überprüfung. Zusätzlich wurde der Betreiber PNC veranlasst, den Betriebsdirektor und seinen Stellvertreter auszuwechseln. In dieser Phase geriet auch ein Hauptabteilungsleiter ins Visier, der - obwohl nachweisbar unschuldig - vom Dach eines Hochhauses in den Tod sprang. Offenbar war er in einen Loyalitätskonflikt mit seinem Arbeitgeber geraten und in dieser Situation mental überfordert.

Hektischer Stillstand

Der technische Schaden infolge dieser Natriumleckage war marginal; er wurde auf wenige Hunderttausend Euro abgeschätzt. Personen innerhalb der Betriebsmannschaft wurden dabei nicht verletzt. Trotzdem wurde das Genehmigungsverfahren nochmals vom Anfang bis zum Ende aufgerollt. Insbesondere der hypothetische Bethe-Tait-Unfall (eine Sonderkategorie des Kernschmelzens) spielte dabei eine große Rolle. Darüber hinaus erpresste die Standortgemeinde Tsuruga ungeniert die Regierung in Tokio zum Bau einiger Regionaltrassen und -tunnels. Sogar der Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen musste zukünftig in dem Provinzkaff einen Stopp einlegen.

Als Dutzende von Anlageräumen umgeplant und mit feuerfestem Blech ausgestattet waren, um eventuell wieder austretendes Natrium zurück halten zu können, schien die Wiederinbetriebnahme des Monju in greifbarer Nähe zu sein. Doch dann, im Januar 2011, passierte die Katastrophe von Fukushima. Obschon - technisch gesehen - der Monju, wegen seiner total anderen Bauart, nicht davon betroffen zu sein schien, wurde das Thema "Verantwortung des Betreibers" nochmals verschärft aufgegriffen und diskutiert. Auf einmal misstraute die Aufsichtsbehörde in Tokio dem Betriebspersonal in Tsuruga und verlangte einen Wechsel des Betreibers. Ein neuer Betreiber (mit vertieften Kenntnissen im Betrieb von Natriumreaktoren) konnte jedoch nicht gefunden werden. Deshalb verfügte die japanische Regierung kurz vor Weihnachten 2016 die dauerhafte Abschaltung des Brüters Monju.


Ausgebrütet? - Noch nicht!

Das Abenteuer Monju hat Tokio (umgerechnet) 8 Milliarden Euro gekostet, den Rückbau noch nicht eingerechnet. Auch die Kosten des SNR 300 Kalkar waren nicht gering, lagen aber mit 2 Milliarden für den Steuerzahler weit darunter. Trotzdem will die japanische Regierung die Schnellbrüterforschung, und insbesondere den Brennstoffkreislauf, nicht aufgeben. Sie hat Verträge mit Frankreich unterzeichnet, um dort gemeinsam ein Kernkraftwerk vom Typ eines Schnellen Brüters zu bauen. Kostenpunkt ca. 3,7 Milliarden Euro!
Eine Renaissance der Brütertechnologie?
Wait and see.

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