Donnerstag, 21. April 2011

EnBW-Hauptversammlung: pro & contra

Bei der kürzlichen Hauptversammlung des baden-württembergischen Stromkonzern EnBW ging es unter den knapp tausend Teilnehmern hoch her. Vom frühen Vormittag bis zum späten Abend wurde demonstriert und diskutiert und zum Schluss mag sich mancher Aktionär gefragt haben, welche Seite nun wohl die nachhaltigeren Argumente vorgebracht hat. Doch die gute Nachricht zuerst: der bisherige Vorstandsvorsitzende Hans-Peter Villis führt die Firma weiterhin und er erhält abermals eine Apanage von 3,1 Millionen Euro - davon 850.000 Euro fix, der schlappe Rest wurde ihm als Leistungszulage gewährt. Damit liegt er zwar eine gute Million unter dem Jahresgehalt seines exzentrischen Vorgängers Utz Claassen, aber zu einem bescheidenem Leben wird es wohl reichen. (Die übrigen Vorstände erhalten, wie es sich so gehört, nur gut die Hälfte an Vergütung.)

Villis ist ein ruhiger, zurückhaltend auftretender Zeitgenosse, der nun schon drei Jahre bei EnBW wirkt, den aber trotzdem noch nicht jeder zu kennen scheint. Als Arbeiterkind im Ruhrgebiet geboren, wohnt seine Familie heute noch in dem schönen Städtchen Castrop-Rauxel. Sein Fussballverein ist nicht der VfB Stuttgart oder der KSC, sondern der VfL Bochum, wo er sogar im Aufsichtsrat sitzt.

Der Chef spricht

Bei seinem Geschäftsbericht kam Villis sogleich auf Fukushima und die Folgen für seine Firma zu sprechen. Mit Neckarwestheim 1 und Phillipsburg 1 sind zwei seiner vier Meiler von Merkels Moratorium betroffen und liefern auf absehbare Zeit keinen Strom ins Netz. Das bedingt den Zukauf von ca 2.000 Megawatt aus dem benachbarten Ausland (Frankreich, Tschechien) zu deutlich erhöhten Preisen, worauf sich die Kunden einstellen müssen. Die EnBW erwirtschaftet 90 Prozent ihres Gewinns aus der Stromerzeugung; dreiviertel davon liefert die Kernenergie! Sollten die beiden Kernkraftwerke in diesem Jahr nicht mehr ans Netz gehen, so prognosziert Villis für 2011 einen Gewinnausfall von bis zu 500 Millionen Euro.


Vorstandsvorsitzender Hans-Peter Villis

Aber auch die künftigen Investitionen sind von diesen Gewinnreduktionen betroffen. Allein wegen der Brennelementsteuer und der Ökofondseinzahlungen hätte der Konzern seine Investitionen von 8 auf 5 Milliarden Euro senken müssen; nun kommt noch die Abschaltung der Kernkraftwerke hinzu. Die EnBW plant deshalb den Verkauf von Beteiligungsfirmen, welche derzeit strategisch weniger wichtig sind. Ausserdem sind Spar- und Effizienzprogramme im dreistelligen Millionenbereich angedacht.

Dabei wären gerade jetzt höhere Investitionsmittel erforderlich, wenn man den Konzern "umsteuern" will, wie Politik und Öffentlichkeit fordern. Der Umstieg auf erneuerbare Energien kostet viel Geld - und bringt derzeit erst geringe Rendite. Immerhin, der Windpark Baltic 1 wurde gerade in Betrieb genommen, Baltic 2 soll folgen. Der Bau von Windmühlen im Ländle scheitert zur Zeit noch am Widerstand der Bevölkerung. Weiter voran kommt der Ausbau der Wasserkraft. Rheinfelden liefert bereits zuverlässig Strom und bei Iffezheim will man eine weitere Turbine einbauen. Die Modernisierung des Pumpspeicherkraftwerks Forbach ist geplant. Für ein Gaskraftwerk gibt es zwar eine Genehmigung, aber noch keinen wirtschaftlich akzeptablen Gasliefervertrag.

Anders als die übrigen grossen Stromlieferanten will die EnBW ihr Stromnetz im Besitz behalten. Die sorgfältige Wartung der Trassen führte zu den niedrigsten Stromausfallzeiten in ganz Europa. Aktuell werden im Raum Karlsruhe die 220 KV-Leitungen auf 380 KV umgestellt, wodurch sich die derzeitige Netzkapazität beträchtlich erhöht. Trotzdem sieht der Netzentwicklungsplan zum Durchleiten der erneuerbaren Energien auch den Bau von Höchstspannungstrassen vor.

Kritische Aktionäre

An den Vortrag des Vorsitzenden schloss sich eine mehrstündige Diskussion der Aktionäre an, die zum Teil in heftiger Tonart geführt wurde. Viele sahen die EnBW in einer schwierigen, manche sogar in einer ausweglosen Situation. Einerseits fallen die Gewinne der Kernkraftwerke weitgehend weg, andererseits müsste - zum Umsteuern - gerade jetzt massiv in erneuerbare Energien investiert werden. Dass die EnBW Daimler und Bosch als Grosskunden verloren hat, wird als bedenkliches Zeichen gewertet. Hinzu kommen noch die Bestrebungen einiger Städte, wie Stuttgart und Tübingen, ihre eigene (dezentrale) Energieversorgung aufzubauen. Zum Schluss bleibe dem Konzern nur noch die Aufgabe das Netz elektrotechnisch zu stabilisieren - wobei zu bedenken ist, dass die Fotovoltaikdächer nicht "schwarzstartfähig" sind.

Einige Aktionäre kritisierten Villis dafür, da er (nicht wie RWE) Klage gegen die Abschaltung seiner Kraftwerke eingereicht habe. Aber EnBW ist da wohl in einer anderen Position, insbesondere seit mit dem Land ein weiterer Grossaktionär (über den Aufsichtsrat) mitbestimmt. Und der vermutliche neue Ministerpräsident Kretschmann hat zudem noch nicht zu erkennen gegeben, wohin mit den Grünen die Reise des Konzerns gehen soll. Manche der Diskutanten stellten sogar keck die Frage, wozu man die Grosskonzerne überhaupt noch brauche, wenn in Zukunft doch alles dezentral ablaufen werde. Nun, wer mit Giganten, wie dem französischen EdF oder dem russischen Gazprom mithalten will, muss schon ein gewisses eigenes Kaliber mitbringen. Das besitzen die verschiedenen Stadtwerke nicht.

Nicht wenige Aktionäre sehen auch den Umstieg auf Windräder sehr kritisch. Zum einen, weil insbesondere die Offshore-Projekte sehr viel Kapital binden, zum anderen, weil sie terroristischen Anschlägen ausgesetzt sind. Vorallem aber, weil man Zweifel daran hegt, dass der im Norden erzeugte Windstrom in den kommenden Jahren überhaupt nach Süddeutschland gelangen wird. Wie bekannt, sei der Bau von 3.600 Kilometern Hochspannungstrassen sowie die Errichtung weiterer 25 Pumpspeichkraftwerke der Kapazität des Walchenseewerks erforderlich. Die Umsetzung auf erneuerbare Energien ist eine Arbeit für Jahrzehnte - und inzwischen wird man viele (schmutzige) Kohlekraftwerke in Betrieb nehmen müssen, welche Deutschland weit von den Kyoto-Zielen wegführen werden. Ein Aktionär sprach den bemerkenswerten Satz aus: "Auf Herrn Villis wartet eine Aufgabe, die wirtschaftlich so anspruchsvoll ist wie die Wiedervereinigung und politisch so umstritten, wie die Ostpolitik."
Armer Villis!

Neue Männer braucht das Land

Den Abschluss der Veranstaltung bildete die Wahl von etwa einem halben Dutzend Aufsichtsräten. Normalerweise ist dieser Tagesordnungspunkt wenig umstritten und zumeist im Voraus unter den Grossaktionären schon ausgekungelt. Letzteres war auch diesmal wieder der Fall, aber die von der Altregierung Mappus entsandten Kandidaten Helmut Rau (CDU) und Ulrich Goll (FDP), beides ehemalige Minister, wollte das Wahlvolk nicht schlucken. Trotzdem, sie wurden natürlich von den beiden Grossaktionären OEW und Land - je 47 Prozent - durchgedrückt und dürfen sich einiger zehntausend Euro erfreuen, auch wenn sie im Mai schon wieder zurücktreten sollten. Sie werden trotzdem Hartz 4 nicht zur Last fallen. Wie sagte die Sängerin Ina Deter anno 1982: "Neue Männer braucht das Land".
Trotzdem auch zur Verbesserung der Frauenquote wurde etwas getan. Gunda Röstel, ehemals Chefin der Grünen und nun Leiterin der Dresdner Stadtentwässerung, war diesem hohen Gremium willkommen.

Hans-Peter Villis, der Vorstandsvorsitzende, enthielt sich während der ganzen langen Veranstaltung jedweder Kritik an den Politikern in Berlin und Stuttgart. Manchem war er zu ruhig.

Möglicherweise lag das einfach daran, dass sein Vertrag als EnBW-Chef nächstes Jahr ausläuft - und er ihn gern verlängert haben wollte.

Sonntag, 17. April 2011

Die Japaner ticken anders

Während in Deutschland -  im Nachgang zu den Atomstörfällen von Fukushima - bereits ein Moratorium für Kernkraftwerke und der Komplettumstieg auf erneuerbare Energien verkündet wurde, hört man aus Japan nichts dergleichen. Im Gegenteil: der japanische Ministerpräsident Naoto Kan spricht vom "Wiederaufbau" seiner zerborstenen Kernmeiler, wiewohl an anderer Stelle und nach besserer Bauart. Dabei war Japan, vor noch nicht allzu langer Zeit, sogar weltweit führend auf dem Gebiet der regenerativen Energien. Bis 1955 hatte Japan die Hälfte seines Energiedarfs aus erneuerbaren Quellen wie Photovoltaik, Wind und Erdwärme gwonnen.

Wegen der um 25 Prozent höheren Sonneneinstrahlung als in Mitteleuropa waren auf vielen Dächern der japanischen Häuser Sonnenkollektoren installiert. Heute sind diese weitgehend verschwunden und die Herstellerfirmen (Hitachi, Sanjo, Sharp etc.) verkaufen ihre Anlagen vorwiegend ins Ausland. Weitgehend ungenutzt ist auch die Erdwärme der rund hundert Vulkane und der 10.000 heissen Quellen, genannt Onsen, welche die Japaner bevorzugt zu Badezwecken benutzen. Die aus Sonne, Wind und Erdwärme gewonnene Energie machen derzeit in Japan nur jeweils magere 3 Prozent aus. ( Deutschland gewinnt zur Zeit 17 Prozent aus den Erneuerbaren).

Der Grund für den geringen Ausbau, bzw. den Rückgang der erneuerbaren Energieträger war ihre mangelnde Wirtschaftlichkeit. Um 1970 begann Japan im grossen Stil die Kernkraft auszubauen. Heute verfügt dieses Land über 55 Kernkraftwerksblöcke  in 18 Kernkraftwerksstandorten (einschliesslich Fukushima, von dessen 6 Blöcken mindestens 4 stillgelegt werden sollen). Von den 55 Kernkraftwerksblöcken sind 16 älter als 30 Jahre. Die 28 Siedewasserreaktoren und die 26 Druckwasserreaktoren tragen knapp 30 Prozent zur japanischen Stromerzeugung bei. Darüberhinaus besitzt Japan noch einen Schnellen Brüter der Leistung von 350 Megawatt, welcher in seinem Aufbau weitgehend dem deutschen SNR 300 in Kalkar ähnelt, der 1991 aus politischen Gründen stillgelegt worden ist.

Der Ausbau des Brennstoffkreislaufs

Grosse Anstrengungen wurden in Japan in den letzten Jahrzehnten unternommen, um den Brenstoffkreislauf auszubauen. Darunter versteht man jene periphären Anlagen, welche die Kernkraftwerke mit Brennelemente versorgen, bzw. die abgebrannten Brennelemente entsorgen. Während in Deutschland diese Fabriken - Stichwort Hanau, Wackersdorf - auf politischen Druck hin stillgelegt worden sind, wurden sie in Japan, mit Unterstützung der Politik, in grossem Stil aufgebaut.

Die Versorgung mit Uran wird durch Importe aus Australien, Kanada, Kasachstan und anderen Ländern gedeckt, wozu viele Joint-Ventures japanischer Firmen mit ausländischen beitragen. Für die Anreicherung stehen in Oishitai sieben Zentrifugenkaskaden bereit; derzeit werden diese durch effizientere Ultrazentrifugen ersetzt. Im Endausbau soll um das Jahr 2020 eine Anreicherungskapazität von 1.500 t SWU pro Jahr zur Verfügung stehen.

Die Uranbrennelemente werden grösstenteils in Tokai Mura gefertigt, wofür eine Anlage mit der Jahreskapazität von 440 Tonnen zur Verfügung steht. Eine weitere Fertigungsanlage für 600 jato ist im Aufbau. Die Mischoxidbrennelemente, welche das überschüssige Plutonium verbrennen sollen, werden im Iyasakatai (Hokkaido) hergestellt; die Fabrik besitzt eine Kapazität von 130 jato.

Eine Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Brennelemente wird seit 1981  in Tokai Mura betrieben. Sie besitzt eine Kapazität von 210 Tonnen pro Jahr. Die wesentlich grössere Anlage, für 800 jato, wird derzeit in Rokkasho Mura in Betrieb genommen. Mit ihrer Kapazität entspricht sie dem zweifachen dessen, was in den achziger Jahren in Wackersdorf geplant war. Ausserdem wird nächstes Jahr in Mutsu ein Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente in Betrieb gehen, das eine Aufnahmefähigkeit von 5.000 Tonnen Schwermetall besitzt.

Schliesslich sind zwei Verglasungsanlagen für hochradioaktive Abfälle zu nennen. Die eine, in Tokai, ist schon seit 1995 in Betrieb; die andere, wesentlich grössere, soll nächstes Jahr die Produktion von Glaskokillen aufnehmen. An diesem Standort lagern auch die Kokillen aus der Wiederaufarbeitung japanischer Brennelemente im Ausland (La Hague, Sellafield). Die hochradioaktiven Abfälle sollen später in ein Tiefenlager verbracht werden.

Kernkraftwerke der dritten Generation

Die Planung neuer verbesserter Kernkraftwerke geschieht in allen Industrieländern der Welt - ausgenommen Deutschland. Diese Kernkraftwerke der sogenannten dritten Generation sind heute marktreif und bilden die Grundlage für die Neubauten der kommenden Jahre und Jahrzehnte. Üblicherweise unterscheidet man 4 Kategorien - bzw. Generationen - in der nunmehr 60 Jahre andauernden Evolution der Kernkraftwerke. Die erste Generation umfasst die frühen Prototypen der 1950er Jahre. Ihnen folgten die Mehrzahl der heute noch betriebenen Meiler. Durch sorgfältige Wartung und laufende Erneuerung wurde ihre Laufzeit in den meisten Ländern auf 60 Jahre verlängert. Parallel dazu wurden in den vergangenen Jahrzehnten die fortgeschrittenen Reaktoren der dritten Generation entwickelt, von den einzelne bereits im Bau sind. Der Europäische Druckwasserreaktor, genannt EPR, ist ein solcher Typ der 3. Generation. Aber schon arbeiten Forscher an der vierten Generation von Kernkraftwerken, worunter man u. a. innovative Schnelle Brüter versteht.


Die vier Generationen der Kernkraftwerke

Die Schwerpunkte bei der Entwicklung der Kernkraftwerke der dritten Generation sind Sicherheit, Ressourcenschonung und Wirtschaftlichkeit. Eine innovative Entwicklung der letzten Jahrzehnte sind die sogenannten passiven Sicherheitssysteme. Sie basieren auf physikalischen Naturgesetzen, wie der Schwerkraft. Im Unterschied zu den aktiven Sicherheitssystemen benötigen passive Systeme keine Pumpen oder motorgetriebene Ventile, sondern erfüllen ihre Funktion ohne Energiezufuhr von aussen. Im Falle einer schweren Störung sind, je nach Reaktortyp, für 12 bis 72 Stunden keine Eingriffe durch Menschen erforderlich. (Der Fukushima-Störfall findet bei ihnen nicht statt!)

Insbesondere gegen Einwirkungen von aussen - wie Erdbeben, Überschwemmungen, Flugzeugabsturz und terroristische Angriffe - sind die Kernkraftwerke der dritten Generation weitaus besser geschützt als die derzeitigen Reaktoren. Alle Auswirkungen eines Unfalls sind auf die Anlage selbst beschränkt. Es findet keine Freisetzung von Radioaktivität nach aussen statt, weshalb im Falle eines Störfalls auch keine Evakuierungen erforderlich sind. Durch passive bauliche Barrieren wird sichergestellt, dass die verbleibende Wärme ohne Beeinträchtigung der Umwelt abgeführt werden kann und die radioaktiven Stoffe eingeschlossen bleiben. Insbesondere die Risiken starker Erdbeben und daraus erwachsender Tsunamis sind in Japan höher als andernorts. Die untenstehende Karte verdeutlicht dies.



Die Reaktorstandorte Japans sind umgeben von geologischen Spalten

Im Bau und in der Planung von Kernkraftwerken der dritten Generation ist Japan weiter voran als die meisten anderen Länder. Ursächlich dafür sind die grossen eigenen Herstellerfirmen im Land sowie wettbewerbsfähige internationale Konsortien. So plant die Weltfirma Mitsubishi Heavy Industries drei Einheiten des sogenannten APWR 1500 in Japan; sie stellen eine Weiterentwicklung des derzeitigen Druckwasserreaktors dar, der eine Leistung von 1.500 Megawatt besitzen soll.
Auf dem Gebiet der Siedwasserreaktoren sind zwei Einheiten des sogenannten ABWR im Bau und weitere acht Einheiten in der Planung; die Reaktorleistungen schwanken zwischen 1350 und 1600 MWe. Das japanisch-amerikanische Herstellerkonsortium besteht aus Hitachi/Toshiba/General Electric.

Was bringt die Zukunft?

Die Japaner gehen mit dem Reaktorstörfall im eigenen Land weniger hysterisch um als die Deutschen, welche ihn aus zehntausend Kilometern beobachten. Die möglicherweise mehr als 30.000 Toten sind für sie aufgrund des starken Bebens und des nachfolgenden Tsunamis gestorben; die Reaktoren haben keine Menschenleben gefordert. Ob durch die Strahlung (wenige) Menschen früher Krebserkrankungen erleiden ist, nach Meinung ihrer Wissenschaftler, durchaus fraglich. Die Evakuierungen sind objektiv Auswirkungen der Umgebungskontamination, werden aber von den meisten mit erstaunlichem Gleichmut hingenommen. Protestveranstaltungen gegen die Kernenergie haben, ausser in Tokio, kaum Zulauf.

Die politische und wirtschaftliche Elite Japans denkt offensichtlich nicht daran, die Kernenergie aufzugeben und beispielsweise auf erneuerbare Energien umzuschwenken. Aus wirtschaftlichen Gründen und um die globale Wettbewerbsfähigkeit nicht zu verlieren, will man an der Kernkraft festhalten. Allerdings werden wohl in Zukunft die Genehmigungsanforderungen an die bestehenden und neu zu bauenden Kraftwerke erhöht werden. Dabei bleibt bemerkenswert, dass selbst die "Altmeiler" wie Fukushima - welche in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts geplant wurden - ein Jahrtausenderdbeben durch Abschaltung überstanden haben und erst durch den nachfolgenden Tsunami bei der Notkühlung beschädigt wurden.

Inzwischen wird der Unfall von Fukushima in die gleiche Katagorie wie der von Tschernobyl eingereiht, welcher vor 25 Jahren passierte. Damals konnte man in den Medien lesen, dass dieses Gebiet auf Jahrhunderte hinaus nicht mehr betretbar sei. Inzwischen gibt es spezielle Reisebüros, die Touristen (für 760 Euros) dorthin locken wollen und garantieren, dass kein Gesundheitsschaden damit verbunden ist. Gegen Aufpreis darf man sogar im Kühlwasserbecken des Unglücksreaktors angeln!

Da erinnert man sich doch an den vielgeschmähten Philosophen Karl Marx. Er hat einmal gesagt, dass alle weltgeschichtlichen Tatsachen sich zweimal ereignen:

das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce.

Sonntag, 10. April 2011

Die kleine Strahlenkunde

Strahlung ist allüberall. Auf der Erde sowieso, aber auch im Weltraum und sogar tief im Inneren unseres Planeten. Bei Reaktorunfällen verschiebt sich dieses Gleichgewicht, meist ganz leicht, eine kurze Zeit örtlich (Fukushima) oder global (Tschernobyl), gibt aber dennoch zu allerlei Ängsten bei den Menschen Anlass. Häufig sind nur einzelne Organe, wie die Schilddrüse gefährdet, manchmal ist der ganze Körper von Strahlung "eingehüllt". Grosse Schwierigkeiten machen dem Laien die Unterschiede der verschiedenen Strahlenarten, wie Alpha, Beta, Gamma und die Dosisbezeichnungen, wie Mikro-und Millisievert sowie das Becquerel. Im Folgenden will ich einige dieser Dinge möglichst allgemeinverständlich erklären, ohne aus meinen Bloglesern gleich ausgewachsene Strahlenschutzexperten zu machen.

Die Strahlenarten

In der Praxis gibt es nur drei verschiedene Sorten von Strahlen: die Alphastrahlen, die Betastrahlen und die Gammastrahlen; zu letzteren gehören auch die Röntgenstrahlen, mit denen die Ärzte therapieren. Die Alphastrahlen bestehen aus Heliumatomkernen, die Betastrahlen aus Elektronen, die beispielsweise auch unseren elektrischen Strom bilden und die Gammastrahlen sind so etwas wie energiereiches Licht. Sehr unterschiedlich ist die Durchdringungsfähigkeit dieser Strahlenarten. Alpha- und Betastrahlen kann man bereits mit einem Blatt Papier abschirmen. (Hätten die Unfallbekämpfer in Fukushima - wie in den Zeitungen berichtet - nicht löcherige Gummistiefel getragen, dann hätte die dortige Betastrahlung auch nicht ihre Beinhaut gerötet). Gammastrahlung, insbesondere hoher Energie, durchdringt einen Menschen total, richtet aber nur bei hoher Dosis (siehe unten) einen Schaden an.

Wichtig ist, wie unser Körper der Strahlung ausgesetzt ist. Kommt sie von aussen (Umgebungsstrahlung) dann ist sie meist ungefährlich, da wir uns ja von ihr entfernen  oder uns - mit Bleischürzen - davor schützen können. "Essen" wir die Strahlung, etwa über einen Salatkopf, der mit radioaktiven Atomen belegt ist, dann bringen wir die Strahlung in unseren Magen-/Darmkanal, wo sie mehrere Tage verharren kann und uns intern so lange bestrahlen wird. Man nennt dies Ingestion. Noch problematischer kann es sein, wenn wir  radioaktive Teilchen einatmen (Inhalation). Diese können dann für Wochen oder auch Monate in der Lunge liegen bleiben und durch fortgesetzte Bestrahlung möglicherweise dort Krebs erzeugen. Japaner, die selbst bei leichten Erkältungen Gesichtsmasken tragen, sind gegen Ingestion und Inhalation sicherlich besser geschützt als der durchschnittliche Europäer.

Wenige gefährliche Nuklide

Auf der Erde (und im Universum) gibt es etwa 100 Elemente, die sich chemisch allesamt unterschiedlich verhalten und im berühmten Periodensystem ihren Platz haben. Jedem dieser Elemente sind - im Schnitt - weitere 25 sogenannte Nuklide zugeordnet, die sich chemisch genau so wie das Mutterelement verhalten, physikalisch aber total andere Eigenschaften besitzen. Diese ca. 2.500 Nuklide sind auf der sogenannten Nuklidkarte zu finden, wo insbesondere ihre ausgesandten Strahlenarten vermerkt sind.

Die Nuklide werden aus wissenschaftlichen Gründen in Beschleunigern und Kernreaktoren erzeugt. In Atomkraftwerken sind sie in den sogenannten Brennstäben zu finden. Werden diese Brennstäbe bei Störfällen - wie etwa in Fukushima - überhitzt, so kommen eine Reihe dieser Nuklide frei. Enige wenige haben eine schädliche Wirkung auf die Menschen in ihrer Umgebung, weshalb es dort besonderer Vorsichtsmassnahmen bedarf. Diese Nuklide sind insbesondere das Jod-131, das Strontium-90, das Cäsium-137, sowie (mit Abstrichen) das Plutonium-239.


Besonders gefährdete Körperorgane durch spezielle Nuklide

Jod-131 sendet Betastrahlen aus und besitzt eine Halbwertszeit von 8 Tagen. Das bedeutet, dass nach gut 10 Wochen bzw. 3 Monaten die Strahlung dieses Nuklid auf ein Tausendstel abgeklungen ist, also kaum mehr eine Rolle spielt - auch nicht mehr im Meerwasser der japanischen See! Jod-131 ist ein flüchtiges Nuklid und kontaminiert (verunreinigt) insbesondere Gras. Über die Kühe, die solches Gras fressen, gelangt es in die Milch. Trinken Menschen, insbesondere Kleinkinder, solche Milch, dann wandert das Jod bevorzugt in die Schilddrüse und bestrahlt dieses Organ. Bei Überdosis kann sich Schilddrüsenkrebs entwickeln. Nichtradioaktive Jodtabletten als Medikament verhindern die Anlagerung des (später kommenden) radioaktiven Jods sehr wirkungsvoll. Es ist jedoch totaler Unsinn, Jodtabletten einzunehmen - wie es derzeit häufig in Deutschland geschieht - ohne,  dass eine radioaktive Gefährdung besteht.

Strontium-90 sendet ebenfalls Betastrahlen aus und besitzt eine Halbwertszeit von 29 Jahren. Es klingt also nur langsam ab und verbleibt lange Zeit in der Biosphäre.  Strontium ist chemisch verwandt mit dem Element Calzium, weshalb es vorzugsweise die Knochen bzw. das Knochenmark sucht und sich dort einbaut. Bei starker Akkumulation und länger andauernder Bestrahlung kann sich daraus Knochenkrebs entwickeln.

Cäsium-137 ist ein Gammastrahler und besitzt ebenfalls eine Halbwertszeit von 29 Jahren. Dieses Nuklid bindet sich häufig an Staubteilchen und kann eingeatmet werden, wenn man auf kontaminierten Wegen herumläuft. Deshalb ist es sinnvoll, dass in Fukushima der Boden mit Harz etc. verfestigt wird. Cäsium findet man auch auf Pilzen und im Fleisch von Wildtieren, welche sich im Wald bewegen. Dieses Nuklid ist wegen seiner Gammastrahlung und der langen Halbwertszeit gefährlicher einzuschätzen als das vorgenannte Jod und Strontium.

Plutonium-239 bzw Plutonium-238 haben eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren bzw. 86 Jahren und sind in der Öffentlichkeit als Schreckgespenst bekannt. Wahrscheinlich zu Unrecht. Im Reaktor wird Plutonium zumeist in der Form von Plutoniumoxid verwendet und ist damit nicht flüchtig. Die Gefahr des ungewollten Einatmens ist daher gering. Auch das Risiko beim Verschlucken (Ingestion) des Plutonium ist überschaubar. da es von der Magenschleimhaut nicht aufgenommen  und sofort zu 99,99 Prozent wieder ausgeschieden wird. Ob in Fukushima wirklich Plutonium entwichen ist, ist derzeit noch umstritten.
Bei den ungefähr 600 oberirdischen Bombentests, vorallem der sechziger und siebziger Jahre, sind insgesamt fünf Tonnen Plutonium als nicht umgesetzte Restmenge in die Atmosphäre verblasen worden. Im Verlaufe der nachfolgenden 25 Jahre sind sie durch langsames Absinken und Auswaschen auf den Boden gelangt. Würde man heute an einem beliebigen Punkt der nördlichen Halbkugel in einen Kreis von von 10 Metern Durchmesser etwa 4 Zentimeter tief die Erde abheben und daraus alles Plutonium extrahieren, so hätte man wegen des Fall-outs etwa 1 Milligramm Plutonium. In die Lunge eines Menschen verbracht, würde es dessen Krebswahrscheinlichkeit um 1 Prozent erhöhen. Aber: es ist eben nicht dort, sondern im Boden. Das Plutonium verhält sich gewissermassen wie ein nicht abgeernteter Knollenblätterpilz, der den Schuhen auch nicht schadet.

Aktivität und Becquerel

Jede strahlende Substanz, sei es ein Brennelement oder ein Salatkopf, auf den Cäsiumatome gefallen sind, ist "aktiv" d. h. er strahlt. Die sogenannte Aktivität ist die Anzahl der Atomkerne, welche in der genannten Substanz pro Sekunde zerfallen und damit Strahlung aussenden.
Das Becquerel - benannt nach dem Entdecker der Radioaktivität, dem Franzosen Henri Becquerel - ist die Masseinheit der Aktivität. Wenn bei einer radioaktiven Substanz 1 Zerfall pro Sekunde stattfindet, dann besitzt diese Substanz die Aktivität von einem Bequerel, d. h. 1 Bq. Bequerel ist also immer mit einer Menge oder Masse verknüpft. Wenn ein kontaminierter Salatkopf mit 600 Bq strahlt, dann besitzt ein halber Salatkopf der gleichen Charge 300 Bq.
 Bequerel ist eine sehr kleine Masseinheit. Ein Gramm Radium beispielsweise, mit dem die Forscher früherer Zeiten manchmal noch sehr hemdsärmlig umgingen, besitzt die gigantische Aktivität von 37 Milliarden Bq!
Die Masseinheit Bequerel wird vorallem in Verbindung mit Lebensmitteln verwendet. Für Ihre Kontamination bzw. radioaktive Verschmutzung gibt es staatlich festgelegte Grenzwerte, die allerdings meist von Land zu Land variieren.

Dosis und Dosisleistung

Die Strahlendosis oder Dosis ist (vereinfacht gesprochen) die Menge an Strahlung, die der Körper aufnimmt. Dabei sind die verschiedenen wirksamen Strahlenarten und die verschiedene Empfindlichkeit der menschlichen Organe bereits eingerechnet. Die Dosisleistung ist die Dosis pro Zeiteinheit, zumeist pro Stunde oder pro Jahr.

Gemessen wird die Dosis in der Masseinheit Sievert, abgekürzt Sv. Da Sievert eine recht hohe Dosis ist, unterteilt man sie in milli-Sv und mikro-Sv. 1 Sv entspricht 1.000 milli-Sv; 1milli-Sv entspricht 1.000 mikro-Sv. Demnach enthält 1 Sv 1.000.000 mikro-Sv. Grob vereinfacht kann man sagen: Strahlendosen im Bereich von mikro-Sv sind für den menschlichen Körper nicht erkennbar gesundheitsschädlich. Bei 10 bis 20 milli-Sv (entsprechend 10.000 bis 20.000 mikro-Sv) fängt es an bedenklich zu werden. Bestrahlungen jenseits von 1 Sv (früher als 100 rem bezeichnet) sollte man auf alle Fälle meiden, bzw sich dort nur wenige Minuten aufhalten.

Einige Zahlenbeispiele aus der Praxis mögen ein Gefühl für die Sievert-Einheiten vermitteln.
Wer ein Jahr lang im Umkreis eines Kernkraftwerks wohnt, erhält dadurch eine zusätzliche Strahlendosis von 0,1 mikro-Sv; bei einem Kohlekraftwerk (manchen mag dies erstaunen) sind es schon 0.3 mikro-Sv. Eine einmalige zahnärztliche Röntgenaufnahme belastet den Patienten mit 5 mikro-Sv; ein Flug von Frankfurt nach New York - wegen der Höhenstrahlung - gar mit 50 mikro-Sv. Piloten und Bordpersonal, die ständig solche Fernflüge durchführen, werden also mit signifikanten Dosen bestrahlt. Eine Rötgenaufnahme der Brust bedeutet 20 mikro-Sv; Das Wohnen in einem typischen deutschen Steinhaus bringt 70 mikro-Sv pro Jahr.

Kommen wir zum Bereich der milli-Sv. Die mittlere jährliche Strahlenbelastung eines Deutschen liegt bei 2,4 milli-Sv pro Jahr. "Ausreisser" sind meist einmalige medizinische Behandlungen, wie: Mammografie (3 milli-Sv), Herzkathederuntersuchung (10 milli-Sv), Computertomografie (30 milli-Sv) u. a.

Im beginnenden Sv-Bereich bewegten sich die Arbeiter in den havarierten Kernkraftwerken von Fukushima. Ihr Dosisgrenzwert wurde vom Arbeitgeber auf 0,25 Sv festgesetzt. Die stündliche Dosis unter dem Reaktorblock 2 wurde zu 1 Sv gemessen; Arbeiter konnten sich dort also nur wenige Minuten aufhalten. Bei Aufnahme einer Dosis von 1 Sv beginnt der sog. Strahlenkater, eine leichte Übelkeit. Bei einer Dosis von 6 Sv hat der Mensch keine Überlebenschance mehr; bei 80 Sv tritt der sofortige Tod durch Ausfall des Nervensystems ein.

Schlussendlich gilt auch im Strahlenschutzbereich die alte Apothekerweisheit: die Dosis macht das Gift. Geringe Bestrahlungen haben nur geringe - oder gar keine - Auswirkungen auf Mensch und Tier. Wenig bekannt ist, dass auch der menschliche Körper selbst strahlt: wegen des dort abgelagerten Nuklids Kalium-40 mit immerhin 4.000 Bequerel.

Und wenn man die Freundin besonders herzhaft drückt, dann werden daraus sogar 8.000 Bq!

Sonntag, 3. April 2011

Aloha Hawaii

Als ich am Samstag, dem 12. März 2011, zusammen mit Brigitte, meinen wohlverdienten Rentnerurlaub nach Hawaii antrat, war ich noch guter Dinge. Die Stimmung änderte sich schlagartig bei einem Drink auf dem Frankfurter Flughafen: auf meinem i-Pad sah ich mit Entsetzen, dass im fernen Japan offensichtlich ein Atomkraftwerk in die Luft flog. Und in den folgenden Tagen wiederholte sich das sogar noch zwei Mal. Piff-Paff-Puff.

Menschen im Hotel

Unser vorausgebuchtes Hotel "Kahala", am Strand von Waikiki, war zu schätzungsweise zu mehr als 50 Prozent von japanischen Gästen belegt. Es war Hochsaison bei den beliebten "Strandhochzeiten". Der Hotelmanager erzählte mir mit leuchtenden Augen, dass in seinem Hause jeden Tag eine solch stimmungsvolle Zeremonie ausgerichtet werde. Er hatte dafür sogar einen eigenen "Priester" angestellt sowie eine kleine Band, die dazu Hawaii-Lieder sang und spielte. Für die jungen Paare war das ein unvergesslicher Abschnitt in ihrem Leben, der zudem von Hotelfotografen professionell festgehalten wurde. Auch die Brautväter werden sich wohl noch lange an dieses Ereignis erinnern; es kostet sie um die 50 bis 100.000 Dollar.


Ein unvergesslicher Tag für Akira und Tomoko


Mit Erstaunen stellte ich fest, dass der Reaktorunfall im fernen Fukushima bei den japanischen Hotelgästen kaum ein Gesprächsthema war. Man musste sie schon direkt (auf englisch) dazu ansprechen, um von ihnen eine Reaktion zu erhalten. Und auch dann waren sie besonnen und unaufgeregt, so als ob das nur ein weiteres Unglück wäre, das Nippon-Land eben, wie so oft in seiner Geschichte, betroffen hat. Diametral entgegengestzt war die Berichterstattung der deutschen Medien, die ich auf dem i-Pad verfolgen konnte - von der direkten Wahlbeeinflussung in Baden-Württemberg ganz zu schweigen.


Fukushima: kein Ruhmesblatt der Japaner

Heute sind ziemlich genau drei Wochen seit dem Erdbeben, dem Tsunami und dem Reaktorstörfall vergangen. Im Rückblick kann man feststellen, dass beim Unfallmanagement weniges gut, das allermeiste leider schieflief. Unsere japanischen Freunde haben eine erstaunlich schwache Leistung geboten.

Ein Glücksumstand war zweifelsohne, dass die drei Reaktoren, welche in Betrieb waren, sich beim Erdbeben selbst abgeschaltet haben. Eine automatische Reaktorabschaltung bei einem Jahrtausenderdstoss der Stärke 9 ist sicherlich nicht trivial. Man mag sich gar nicht ausdenken, was passiert wäre, wenn die Kontrollstäbe sich nicht richtig von unten eingefädelt hätten.

Aber damit sind die positiven Aktionen auch fast schon aufgezählt. Was danach kam, war kaum noch professionell zu nennen. Dabei ging es im Grunde eigentlich nur noch darum, die Nachwärme bzw. Restwärme abzuführen - aber dabei hat die Betriebsmannschaft von Fukushima weitgehend versagt. Die Nachwärme ist die Wärme, also Energie, welche nach der Abschaltung des Reaktors noch erzeugt wird, weil die radioaktiven Spaltprodukte (über den Betazerfall) die Brennstäbe noch eine Zeitlang aufheizen. Vergleichbar ist sie der Wärme, welche die Heizplatten eines Küchenherds immer noch ausstrahlen, auch wenn der Ofen bereits elektrisch abgeschaltet ist.

Nach einer Faustregel besitzt ein Reaktor eine Stunde nach seiner Abschaltung noch eine Restwärme von etwa 1 Prozent seiner ursprünglichen Leistung. Nach einem Tag ist diese Restleistung auf 0,4 Prozent und nach einer Woche auf etwa 1 Promille abgesunken. Das ganze hängt natürlich davon ab, wie lange der Reaktor vorher in Betrieb war. Bilden wir ein Zahlenbeispiel: der Reaktor Nr. 1 in Fukushima hatte eine thermische Leistung von ca. 1.500 Megawatt, d. h. von 1.500.000 Kilowatt. Eine Stunde nach seiner Abschaltung waren davon noch 15.000 Kilowatt an Restleistung vorhanden; heute sind es sicherlich weniger als 1.500 Kilowatt. Das entspricht in etwa einer Leistung von 15.000 bzw. 1.500 handelsüblichen Tauchsiedern. Diese Leistung wegzukühlen war die Aufgabe, weil die Notdiesel am Kraftwerk wegen des Tsunamis ausgefallen waren.

Es ist mir schlichtweg unverständlich, warum die Betriebsmannschaft des grössten Stromversorgers in Japan nicht in der Lage war, per Handy in Tokio einige mobile Notstromaggegate anzufordern und sie per Hubschrauber blitzschnell an den Reaktorstandort bringen zu lassen. Stattdessen liess man - vor aller Welt -  die Batterien leerlaufen und verplemperte damit wertvolle Zeit. Als sich an einigen Stellen Überhitzungen andeuteten, kam man auf die glorreiche Idee mit Feuerwehrschläuchen Meerwasser ins Reaktorgebäude einzuspritzen, was (wegen der Zielgenauigkeit) wenig wirkungsvoll war, dafür aber die Reaktoren - aus Korrosionsgründen -  für immer unbrauchbar macht. Die oftmals geschmähten Russen oder Inder hätten dieser Situation nicht atavistischer begegnen können.

Inzwischen sind, wegen mangelhafter Nachkühlung, eine Reihe von Brennstäben geplatzt, was zum Austritt von radioaktivem Spaltprodukten, wie Jod, Cäsium und Strontium führt. Die inneren Reaktorräume sind dadurch wegen der Strahlung weitgehend unbetretbar. Die Zulaufbecken am Meer sind stark mit Radiojod kontaminiert, was aber zum Glück mit einer Halbwertszeit von zehn Tagen wieder abklingt. Trotzdem: für die Fischer ist diese Verseuchung auch ein wirtschaftliches Problem. Das alles hätte man sich sparen können, wenn man von anfang an die Notkühlung energischer betrieben hätte. Auch strukturelle Schäden scheinen aufgetreten zu sein, was zu Spalten in Beton- und Stahlstrukturen geführt hat und die man mit Kunstharz(!) kitten will.

Zu all diesen Fehlleistungen kommt noch der Umstand, dass die Betriebsleute das entstehende Knallgas nicht schadfrei abgeleitet haben - z. B. über den Kamin - sondern, dass sie bei drei Reaktoren Wasserstoffexplosionen im Oberteil des Containments zugelassen haben. Diese schlimmen Fernsehbilder gingen über die ganze Welt und haben, besonders in Deutschland, die Haltung der Politiker zur Kernenergie extrem negativ beeinflusst. In deutschen Reaktoren, wie Philippsburg, Biblis und Neckarwestheim, verhindert man die Knallgasbildung durch sogenannte Rekombinatoren. Diese vergleichsweise billigen Aggregate wollten sich die smarten Japaner wohl sparen.

Wie konnte es zu diesen vielen Fehlleistungen kommen? Nun unsere japanischen Freunde sind keineswegs dümmer als wir, das konnte ich aus vielen fachlichen Meetings während meiner Berufszeit erfahren. Aber die Japaner generell haben eine andere mentale Ausstattung als die Europäer und Amerikaner. Schnelle Entscheidungen, schon gar Einzelner, sind nicht ihre Sache. Sie sind auf Konsens ausgerichtet und solche Diskussionen benötigen viel Zeit, die man bei Unfällen nur selten hat. Darüberhinaus muss immer erst der "Oberste" gefragt werden, im Zweifel der Vorstandsvorsitzende bei Tepco oder gar der Ministerpräsident. Einen Helmut Schmidt, der 1960 die Hochwasserkatastrophe in Hamburg so erfolgreich managte - obwohl er rein rechtlich gar nicht dazu befugt war - einen solchen Politiker und Organisator gibt es in ganz Japan nicht.

Nun, als Folge von Fukushima haben wir jetzt in Baden-Württemberg einen grünen Ministerpräsidenten und eine rotgrüne Regierung. Sie wird sicherlich auch Einfluss nehmen auf die Forschungsprogramme bei KIT.

Vermutlich wird mancher im Programmbereich NUKLEAR des ehemaligen Kernforschungszentrums demnächst seine Präsentationsfolien überarbeiten.

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