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Samstag, 21. Oktober 2017

Warum so wenige deutsche Physik-Nobelpreise?

Als der alte Schwede Alfred Nobel genug Geld mit seinem Sprengstoff Nitroglyzerin verdient hatte, wurde er zum Mäzen und stiftete die nach ihm benannten Nobelpreise. Sie werden alljährlich in fünf Sparten ausgelobt, nämlich: Physik, Chemie, Medizin, Literatur und Frieden. (Ein sechster, für Wirtschaft, kam später hinzu.) Wie keine andere Dekoration genießen diese Preise höchstes Ansehen und sind damit ein Marker für den wissenschaftlichen und kulturellen Status eines Landes.

Auf dem Gebiet der Physik war Deutschland lange Zeit führend. Der erste Preis dieser Art ging 1901 an Wilhelm Konrad Röntgen für die Entdeckung der nach ihm benannten elektromagnetischen Strahlen. Danach ergoss sich geradezu ein Schwall von Nobelpreisen auf die deutschen Physiker. Nach dem 2.Weltkrieg tröpfelte es nur noch und seit vollen zehn Jahren erhielt überhaupt kein deutscher Physiker mehr diesen Preis. Über die Gründe dafür lässt sich trefflich spekulieren. Ich möchte mich mit diesem Blog daran beteiligen.


Wilhelm Konrad Röntgen (1845 - 1923)
(Erster deutscher Physik-Nobelpreisträger)


Deutschlands Niedergang anhand der Statistik

Die "Goldene Epoche" der Physik in Deutschland erstreckte sich über drei Jahrzehnte von 1901 bis 1932. In diesen 31 Jahren gab es für die deutschen Physiker 11 Nobelpreise und zwar an: Röntgen, Lenard, Braun, Wien, v. Laue, Planck, Stark, Einstein, Franck, Hertz und Heisenberg. Ihnen gelangen epochale Entdeckungen, wie: Röntgenstrahlen, Kathodenstrahlen, zwei Relativitätstheorien, Photoeffekt, Quantenmechanik, Unschärferelation, Wirkungsquantum usw. Zum Vergleich: im gleichen Zeitraum wurden nur drei Preise an US-Forscher vergeben, nämlich an Michelson, Millikan und Compton.

Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 wurden die Quantenphysik und die Relativitätstheorien als "jüdische Physik" verdammt und nicht mehr gelehrt. Stattdessen versuchte man eine "deutsche Physik" zu etablieren, die weniger mathematisch war und mehr auf "Intuition" beruhte. Sie fand international keinen Widerhall, im Gegenteil, die kreativsten Wissenschaftler, wie Einstein und Franck wanderten in die USA ab, beteiligten sich dort am "Manhattan-Projekt" und brachten die amerikanischen Universitäten zum Erblühen. An deutsche Forscher wurde von 1933 bis 1953 kein einziger Physikpreis vergeben.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde der Physik-Nobelpreis bislang 12 Mal an deutsche Wissenschaftler vergeben. Darunter waren einige mit Arbeiten aus der Vorkriegszeit, wie Born, Bothe, Jensen und Ruska. Die Entdeckung mit der größten internationalen Ausstrahlung gelang im Jahr 1961 dem Münchener Rudolf Mößbauer. Der letzte deutsche Nobelpreis, bis dato, fiel im Jahr 2007 - also vor 10(!) Jahren - an den Festkörperphysiker Peter Grünbaum vom Forschungszentrum Jülich für seine Magnetforschungen. Dem gegenüber errangen die US-Forscher zwischen 1933 und 2017 sage und schreibe 85 Nobelpreise in Physik!

Betrachten wir die Zeitspanne 2008 - 2017, also die vergangenen 10 Jahre in denen Deutschland keinen einzigen Nobelpreis bekam, mal etwas genauer. In dieser Periode wurden 27 Physikpreise vergeben, wobei pro Jahr maximal drei Preise nach den Statuten möglich sind. Die genannten 27 Preise gingen: an USA (13 Mal), Großbritannien (5), Japan (5), Belgien (1), Frankreich (1), Kanada (1) und Russland (1).  ----  Die physikalische Welt ist an Deutschland vorbei gezogen.


Clevere Amerikaner und Japaner

Die Totalflaute bei den deutschen Physik-Nobelpreisen ist schwer zu begreifen, wenn man nicht an eine plötzliche epidemische Ignoranz glauben möchte. Fragt man in der Szene etwas herum, so kommt man zu mancherlei (Teil-) Begründungen. So wird oft auf die schiere Größe des Wissenschaftsbetriebs in den USA verwiesen, der sich gegenüber früher allerdings auch nicht geändert hat. Auch die Höhe der Forschungsausgaben mit ca. 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist hüben wie drüben in etwa gleich.

Allerdings scheinen die amerikanischen Universitäten und Forschungsorganisationen mehr Cleverness an den Tag zu legen, als die biederen deutschen Hochschulen und Wissenschaftsgesellschaften. Die Amerikaner legen sich bereits ein Jahr vor der Wahl auf wenige Kandidaten aus dem eigenen Land fest. Wenn das schwedische Nobelpreiskomitee dann weltweit um Kandidatenvorschläge bittet, dann nennen die Amerikaner ihre vereinbarten Favoriten. Zum Schluss kommen so viele Stimmen zusammen, dass die Nobelversammlung um diese Vorschläge nicht mehr herum kommt.

In Deutschland (und Europa) schlägt hingegen jeder, der gefragt wird, eigene Kandidaten vor. Man stimmt sich nicht konzertiert ab und fällt dann häufig (auch wegen der Kleinheit des Landes) durch das Raster.

Besonders clever sind die Japaner. Sie haben erkannt, wie das Spiel funktioniert. Deshalb haben sie in Stockholm, wo das Nobelkomitee sitzt, eigens eine Agentur mit üppigem Budget eingerichtet, welche die japanischen Forscher, die als Preiskandidaten in Frage kommen,  ins Gespräch bringt. Das hat sich angeblich bereits bei etlichen Physik- und Chemienobelpreisen bewährt.

Schließlich muss man erwähnen, dass es seit Jahrzehnten amerikanische Praxis ist, begabte junge Leute aus Europa und anderswo (als Postdocs) ins Land zu holen und sie reichlich mit Forschungsmitteln auszustatten. Nicht wenige dieser Hochtalente vollbringen später nobelwürdige Leistungen - aber als naturalisierte Amerikaner. In diese Kategorie fallen auch die (deutschstämmigen) US-Nobelpreisträger Hans Georg Dehmelt (Preis 1989), Horst Ludwig Störmer (1998), Herbert Krömer (2000) und Wolfgang Ketterle (2001).


Beispiel: LIGO

Schwierig wird die "gerechte" Verteilung der Physik-Nobelpreise, wenn es sich um ein Großprojekt handelt, an dem hunderte oder gar tausende von Wissenschaftlern viele Jahre lang gearbeitet haben. Dies ist dem Stockholmer Preiskomitee dieses Jahr gelungen, indem es drei Nobelpreise an die US-Physiker Weiss, Thorne und Barish vergaben. Ihnen gelang die Entdeckung der sogenannten Gravitationswellen, welche von Albert Einstein vor fast hundert Jahren vorhergesagt wurden. Diese Schwerkraftwellen entstehen, wenn schwere Objekte im Weltraum zusammenstoßen. Dies sind in der Regel kollidierende Schwarze Löcher oder Neutronensterne. Dabei entstehen Gravitationswellen, die mit Lichtgeschwindigkeit durch den Weltraum rasen. ("Ähnlich" wie die Wasserwellen, die ein geworfener Stein in einem Teich verursacht).

Den Hauptteil am Gelingen dieser Forschungen hatte der deutsch-stämmige Physiker Rainer Weiss, der 1932 in Berlin geboren wurde und dessen Eltern bald darauf vor den Nazis in die USA flüchteten. Er begründete (vor 45 (!) Jahren) die Laser-Interferometrie als Messmethode und bekam zu recht 50 Prozent des Preisgeldes, also ca. 500.000 $. Sein Freund Kip Thorne entwickelte die beiden sog. LIGO-Detektoren in Hanford (Wash.) mit je vier Kilometern Armlänge, wofür er 25 Prozent des Geldes erhielt. Barry C. Barish, schließlich, dirigierte die fast tausendköpfige Mannschaft von Experimentatoren, welche am 11. Februar 2016 die erfolgreichen Messungen verkünden durfte. Als Leiter dieser Messkollaboration konnte er sich an den restlichen 25 Prozent Preisgeld erfreuen.

Die deutschen Forscher, deren Interferometer GEO 600 bei Hannover nur eine Armlänge von 600 Metern besitzt, hatte nicht die hinreichende Messgenauigkeit und ging bei der Preisverteilung leer aus.


Gegen-Beispiel: HIGGS

Es war im Jahr 1964, als der schottische Lehrbeauftragte für Mathematik und theoretische Physik, Peter Higgs, ein recht seltsames Elementarteilchen postulierte. Dieses winzige Teilchen sollte ein Feld entfalten, durch welches die etwa ein Dutzend bereits bekannten Elementarteilchen erst ihre Masse erhielten. Das Teilchen war mit einer vorhergesagten Masse von 125 GeV/c2 recht schwer und sollte innerhalb einer Billionstel Sekunde zerfallen. Die gleiche Idee hatten zur selben Zeit auch der Belgier Francois Englert sowie vier weitere Forscher, von denen bereits drei verstorben sind. Praktischerweise nannte man dieses obskure Teilchen nach seinem Propheten "Higgs-Teilchen" bzw. "Higgs-Boson".

Wegen seines hohen Gewichts ist das Higgs-Teilchen nur an sehr leistungsfähigen Beschleunigern nachzuweisen. Das gelang (nach vergeblichen Versuchen beim Tevatron in den USA) am 4. Juli 2012 am CERN-Beschleuniger LHC bei Genf. Dabei wurde eine Signifikanz von 5 Sigma erreicht, d. h. das gesuchte Teilchen schien eindeutig nachgewiesen zu sein. Übrigens an beiden Detektoren ATLAS und CMS gemeinsam, die jedoch von verschiedenen Experimentier-Kollaborationen betrieben werden. Nach 49-jährigem Warten wurden Peter Higgs und Francois Englert im Herbst 2013 je zur Hälfte mit dem Nobelpreis geehrt.

Da stellt sich die Frage, weshalb den Experimentatoren an den Detektoren beim LHC in CERN kein Preis zugemessen wurde. Elementarteilchen mit einer so geringen Zerfallszeit sind außerordentlich schwer nachzuweisen, sodass die wissenschaftlichen Leiter der Kollaborationen bei ATLAS und/oder CMS für ihre hervorragende Leistung auf alle Fälle preiswürdig waren. Ähnlich ist man ja auch (siehe oben) bei LIGO  verfahren.

Bis diese Frage nicht schlüssig geklärt ist, muss man wieder einmal ein Versagen der europäischen Physikerfunktionäre vermuten. Leider!

Sonntag, 23. August 2015

Das Großprojekt FAIR Darmstadt in der Krise

Gut 30 Jahre lang betrieb die "Gesellschaft für Schwerionenforschung" (GSI) bei Darmstadt ein (relativ) kleines Forschungszentrum, das praktisch nur auf ein einziges Ziel ausgerichtet war: mit Hilfe eines Linearbeschleunigers sollten durch Fusion superschwere Atomkerne jenseits des Urans erzeugt werden. Bei dieser Aufgabe war man durchaus erfolgreich. Der Gruppe um Professor Peter Armbruster gelang es - durch wohldosierten Zusammenstoß zweier mittelgroßer Atomkerne - etwa ein halbes Dutzend dieser Exoten zu finden. Einem gaben sie den Namen "Darmstadtium", als Hommage an den Forschungsstandort Darmstadt. All diese Nuklide existieren nur Bruchteile von Sekunden und als es nicht gelang, zu den von einigen Theoretikern vorhergesagten "stabilen Inseln" vorzustoßen, flaute das Interesse der Community an dieser physikalischen Handwerkskunst ab. Etwa um die Jahrtausendwende beendete man diese Forschungen und wandte sich neuen Feldern zu.

FAIR - ein riesiges Projekt

Man wollte die thematische Monokultur der superschweren Kerne verlassen und sich der programmatischen Vielfalt der modernen Kernphysik öffnen. Die negativ geladenen Antiprotonen sollten dabei eine besondere Rolle spielen. Das Projekt FAIR - "Facility for Antiproton and Ion Research" wurde 2003 vorgestellt und der damalige Geschäftsführer Horst Stöcker versprach, die Physik des Universums ins Labor zu holen. Apparatives Kernstück von FAIR waren zwei große Beschleunigerringe von 1.100 Metern Umfang, die übereinander gemeinsam in einem unterirdischen Tunnel verlaufen sollten. Dem noch vorhandenen Beschleuniger des GSI war nur noch die dienende Rolle des Vorbeschleunigers zugedacht. An die beiden großen Beschleunigerringe sollte sich ein hochkomplexes System von weiteren Speicherringen und Experimentierstationen anschließen, wie in der untenstehenden Skizze veranschaulicht. FAIR sollte aus vier großen Unterprojekten bestehen und 3.000 Wissenschaftlern und Technikern Beschäftigung bieten. CERN lässt grüßen!


Bild 1: Aufbau der geplanten Beschleunigeranlage FAIR (rot), die an die existierenden GSI-Beschleuniger (blau) angeschlossen wird.

Das Forschungsministerium in Berlin und das Sitzland Hessen waren bereit 75 Prozent der Projektkosten zu tragen; die restlichen 25 Prozent sollten von internationalen Partnern beigesteuert werden. So kam es im Oktober 2010 zur Gründung der "FAIR-GmbH", der (neben Deutschland) die Länder Finnland, Frankreich, Indien, Polen, Rumänien, Russland, Schweden, Slowenien und Großbritannien angehörten. Russland ist in diesem Verbund der stärkste ausländische Partner; das Land verpflichtete sich zur Zahlung von 174 Millionen Euro und zur Lieferung der supraleitenden Magnete. Demzufolge wurde Boris Scharkow zum wissenschaftlichen Geschäftsführer der FAIR-GmbH bestellt.

Technische Probleme, Mehrkosten, Terminverzögerungen

Die bautechnischen Probleme zeigten sich schon bald nach der Gründung der FAIR-Gesellschaft. Testbohrungen im Gelände der beiden großen Beschleunigerringe ergaben, dass der Untergrund nicht - wie erwartet - felsig war, sondern aus leichtbeweglichem Sand und Ton bestand. Er musste durch 1.400 Bohrpfähle aus Stahlbeton bis in eine Tiefe von 60 Metern verfestigt werden, eine schwierige Arbeit, die bis zum Jahr 2014 andauerte. Da die ausländischen Partnerländer nicht bereit waren, zusätzliche Millionen "in Beton" zu investieren, mussten der Bund und das Land Hessen diese Mehrkosten (über 100 Millionen Euro) alleine tragen.



Bild 2: Luftaufnahme aus dem Sommer 2013: Darauf ist die 20,8 Hektar große Rodungsfläche neben der bestehenden Forschungsanlage des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung zu sehen.

Inzwischen sind die Projektkosten für FAIR kontinuierlich angestiegen. Bei Planungsbeginn rechnete man noch mit 675 Mio Euro; bis 2010 stiegen sie über 940 auf 1.200 Mio Euro an. Nunmehr, im Jahr 2015, liegt der offizielle Preis für FAIR bei 1.600 Mio Euro. Inoffiziell schätzen kundige Experten die Projektkosten eher auf 1.800 Mio - und die "Realisten" gehen sogar von über 2 Milliarden aus.

Analog zu den Kosten hat sich auch der Terminplan verschoben. Ursprünglich sollte der erste Ionenstrahl im Jahr 2016 kreisen, nun rechnet man - offiziell! - mit 2018. Sachkundige Beschleunigerfachleute halten es, angesichts des langsamen Baufortschritts, für wahrscheinlicher, dass die Inbetriebnahme der komplexen Anlage nicht vor dem Jahr 2025 stattfinden wird.

Gutachter verbreiten Schrecken

Die preisliche und terminliche Schieflage des Projekts FAIR bereitete Ende 2014 im Forschungsministerium in Berlin (BMBF) große Sorgen. Der Aufsichtsratsvorsitzende von FAIR, Dr. Georg Schütte, gleichzeitig Staatssekretär im BMBF, reagierte wie dies immer in solchen Fällen geschieht: er richtete einen Gutachterkreis ein, der den Gründen für diese Probleme nachgehen und Vorschläge zu deren Beseitigung machen sollte. Mit der Leitung beauftragte er Professor Rolf-Dieter Heuer, den (deutschen) Generaldirektor des CERN in Genf.

In ihrem Bericht Anfang des Jahres 2015 kam diese Kommission zu dem Schluss, dass FAIR wissenschaftlich sehr gut, aber organisatorisch und strukturell kritisch zu bewerten sei. Im Umfeld dieses Statements kam es zu einem Revirement bei der Geschäftsführung und bei der Bauleitung. Im Februar 2015 trafen Heuers Gutachter die Vertreter der vier großen Forschungsprogramme an FAIR; dabei wurde abgeschätzt, wie sich deren internationale Wettbewerbsfähigkeit entwickeln würde, falls sich FAIR bis 2025 verzögert. In den Empfehlungen, welche die Kommission Mitte April veröffentlichte, wurde das Antiprotonenprogramm PANDA mit der geringsten Priorität versehen. Die Gutachter waren der Meinung, dass PANDA bei dieser angenommenen großen Verzögerung erhebliches Entwicklungspotential an konkurrierende Gruppen in Genf, sowie in USA und in Japan verlieren würde. Die hohen Kosten dieses Teilprojekts seien deshalb nicht zu rechtfertigen.

Seitdem tobt eine heftige Diskussion. Die 500 Wissenschaftlicher, welche seit 10 Jahren an PANDA arbeiten, bombardieren Georg Schütte mit Briefen und Eingaben, sowie mit der Forderung, das Ranking der vier Teilprojekte nochmals zu überdenken. Ob das geschehen wird, darf bezweifelt werden. Ziemlich sicher wird sich das oberste FAIR-Gremium, der "Council" demnächst mit der Angelegenheit befassen und die endgültige Entscheidung treffen. Es könnte das Ende des eigentlich interessantesten Teilprojekts von FAIR bedeuten.

Gemäß dem alten Sprichwort: Wer zu spät kommt, den bestrafen die Götter.

Freitag, 28. November 2014

99 Jahre Relativitätstheorie

Auf Hollywood ist Verlass. Pünktlich zum 99. "Geburtstag" von Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie kommt die Traumfabrik mit einem dreistündigen Science-Fiction-Opus heraus, in dem Astrophysik und Erlebniskino in aufwendiger Weise miteinander vereint sind. Im Film "Interstellar" durchfliegt das Raumschiff "Endurance" das Universum in der Suche nach einen bewohnbaren Planeten. Auf der Erde war es wegen des Klimawandels inzwischen höllisch heiß und staubig geworden, sodass der Farmer und ex-Astronaut Cooper ein übrig gebliebenes Raumschiff der NASA griff und mit einer Handvoll Gefährten in den Weltraum düste. Über ein sogenanntes Wurmloch in der Nähe des Saturns gelangen sie zu einer anderen Galaxie außerhalb der Milchstraße, entkommen dabei mit knapper Mühe (durch Lastabwurf!) dem Schwarzen Loch "Gargantua" und finden tatsächlich bewohnbare Planeten. Die Gravitation spielt bei dieser Weltreise eine herausragende Rolle, weshalb immer wieder auf die Allgemeine Relativitätstheorie des bereits lange verstorbenen Wissenschaftlers Einstein verwiesen wird. Nach wenigen Stunden Reisezeit kommt die Besatzung (auf obskure Weise) wieder zurück auf die Erde und stellt fest, dass die Zurückgebliebenen inzwischen um mehrere Jahrzehnte gealtert sind. Die Spezielle Relativitätstheorie von Albert Einstein lässt grüßen.

Mit Geld hat man bei diesem Spektakel nicht gespart. Jede Minute soll eine Million Dollar verschlungen haben. und die Spezialeffekte - insbesondere beim Anflug auf das Schwarze Loch - sind beeindruckend. Der Drehbuchautor soll sich angeblich, zusammen mit dem US-Physiker und Bestseller-Autor Kip Thorne ("Gekrümmte Zeit und verbogener Raum"), ein volles Jahr in die beiden Relativitätstheorien vertieft haben. Die Freunde von "Enterprise" werden diesen Film, insbesondere in der Multiplexfassung, sicherlich genießen. Den wenigen Physikern im Zuschauerraum bleibt der Griff zur Pocorntüte und zur Colaflasche.

Genial - aber nicht nobelpreiswürdig

In gewisser Beziehung ist dieses Film-Epos von Regisseur Christopher Nolan eine Hommage an Einsteins größte wissenschaftliche Leistung: die Entdeckung der Allgemeinen Relativitätstheorie, abgekürzt ART. Vor fast genau 99 Jahren, am 25. November 1915, hielt er darüber erstmals einen Vortrag in Berlin bei der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Die ART beschreibt die Wechselwirkung zwischen Materie einerseits sowie Raum und Zeit andererseits. Sie deutet die Schwerkraft (Gravitation) als geometrische Eigenschaft der gekrümmten vierdimensionalen Raumzeit. (Pardon, einfacher lässt sie sich nicht "erklären"). Die ART erweitert die ebenfalls von Einstein, aber schon zehn Jahre vorher entdeckte Spezielle Relativitätstheorie (SRT), und geht für hinreichend kleine Gebiete der Raumzeit in diese über.

Die wichtigsten Erkenntnisse der SRT sind, dass die Lichtgeschwindigkeit c in jedem Bezugssystem denselben Wert besitzt, also eine Konstante ist. Entfernungen und Zeiten hängen demnach vom Bewegungszustand des Betrachters ab, wodurch Zeitreisen im Universum - zumindest theoretisch - möglich sein sollten. Außerdem entdeckte Einstein, im Zusammenhang mit der SRT, die Äquivalenz von Masse und Energie, also die berühmte Gleichung E=mc2, worauf u. a. die Energieerzeugung in Kernreaktoren beruht. Materie ist gewissermaßen hochverdichtete Energie.

Einstein wurde zeitlebens zwar nur von wenigen wirklich verstanden, aber von den Menschen fast wie ein Popstar verehrt. Die Medien stürzten sich auf ihn und als er einmal einem Pulk von Pressefotografen mit knapper Mühe im Auto entkam, entstand das berühmte Bild mit der schadenfroh heraushängenden Zuge.

Es ist kaum zu glauben, dass Einstein für keine dieser beiden Relativitätstheorien den Nobelpreis der Physik erhielt. Der Mediziner Alivar Gullstrand, selbst Träger des Nobelpreises für Medizin im Jahr 1911, verhinderte dies erfolgreich. Gullstrand war als Jurymitglied des Nobelpreiskomitees nicht von der Richtigkeit beider Theorien überzeugt, wodurch er die Vergabe des Preises an Einstein verhindern konnte. Erst 1922 sorgte ein jüngeres Jurymitglied mit einem Trick dafür, dass Einstein endlich diese Trophäe erhielt. Der Physiker wurde für die Entdeckung des "photoelektrischen Effekts" ausgezeichnet, eine Entdeckung, die er bereits im Jahr 1905 gemacht hatte, welche aber - obschon nobelpreiswürdig - an den Rang der beiden Relativitätstheorien nicht heran kam.


                                                      Albert Einstein (1879 - 1955)

Auf der Suche nach der Weltformel

Die Allgemeine Relativitätstheorie wurde von den Astronomen immer wieder experimentell bestätigt. Das erste Mal geschah dies 1919, als man bei einer Sonnenfinsternis die Ablenkung (Aberration) des Sternenlichts durch die Schwerkraft der Sonne messen konnte. Zusammen mit der Quantentheorie stellt die ART die Krönung der theoretischen Physik dar. Viel Aufwand wurde seither damit betrieben, die "Weltformel" zu finden, den "heiligen Gral" der klassischen Physik. In dieser Weltformel sollten alle Kräfte der Physik vereint sein, also die Gravitation, die starke und schwache Kernkraft sowie die elektromagnetische Kraft. Trotz ungeheurer Anstrengungen ist es bis dato nicht gelungen, diese Weltformel zu entdecken.

Stattdessen zeigten sich immer mehr die Grenzen der Gültigkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie. Ihre Anwendung versagt, wenn Raum und Zeit gegen Null und die Energiedichte sowie die Temperatur gegen Unendlich gehen. Diese sogenannten Singularitäten verhindern beispielsweise die Beschreibung des Urknalls sowie der Schwarzen Löcher. In das Standardmodell der Kosmologie mussten mindestens drei unbekannte Größen eingeführt werden, um irritierende astronomische Daten zu erklären. Dies sind die Dunkle Materie, welche die Dynamik der Galaxien erklärt, sowie die noch mysteriösere Dunkle Energie, welche die beschleunigte Ausdehnung des Weltalls antreibt. Schließlich benötigt man noch ein hypothetisches Feld, das Inflaton genannt wird und das unser Weltall Sekundenbruchteile nach dem Urknall überhaupt erst so groß gemacht hat, wie es jetzt ist. Ohne das Inflaton hätte das Weltall nur die Größe eines Fußballs.

Ganze Heerscharen der besten Physiker versuchen seit fast zwei Generationen diese Phänomene zu erklären und in eine schlüssige mathematische Theorie zu pressen. Die Stringtheorie ist dafür ein Beispiel. Leider ist die einheitliche Beschreibung der Kräfte und Felder bis dato nicht gelungen. Im Gegenteil: die Struktur des Mikrokosmos und des Makrokosmos wird immer verwirrender. Elf Raumzeitdimensionen benötigt die Stringtheorie, von Anschaulichkeit keine Spur. Inzwischen deutet manches darauf hin, dass die Raumzeit nicht fundamentaler Natur ist, sondern sich aus winzigen Mikrostrukturen aufbaut - ähnlich wie ein Foto, das sich bei näherer Beobachtung in einzelne Bildpunkte auflöst. Auch die Schwerkraft könnte nach Meinung mancher Physiker möglicherweise keine grundlegende Eigenschaft des Raumes sein, sondern lediglich eine abgeleitete Größe, ähnlich wie die Temperatur. All diese Spekulationen hätten zur Folge, dass Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie zwar weiterhin gültig ist, aber nicht mehr in der allgemeinen Form, sondern eher als Sonderfall einer allumfassenden neuen Theorie, ähnlich wie Newtons klassische Mechanik ein Einzelfall im Rahmen der ART und SRT ist.

Einstein war zeitlebens von der Gültigkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie überzeugt, arbeitete aber  dessen ungeachtet an ihrer "Revision", indem er immer wieder die Gültigkeitsgrenzen der ART auslotete. Er drückte es so aus: "Für eine physikalische Theorie kann es kein schöneres Schicksal geben, als dass sie in einer umfassenderen Theorie als Grenzfall weiter lebt". Bei dieser lebenslangen Suche war Einstein auf sich allein gestellt. Obschon vielfacher Professor, bildete er nicht einen einzigen Doktoranden aus. In seiner Wissenschaft wollte er Einzelgänger bleiben.

Einsteins Tod

Einstein starb am 18. April 1955 im Alter von 76 Jahren in Princeton, USA, an inneren Blutungen, die durch die Ruptur eines Aneurysmas im Bereich der Aorta verursacht wurde. Die Nachtschwester berichtete, dass er kurz vor seinem Tod etwas auf Deutsch gemurmelt habe. Er wurde noch an seinem Todestag verbrannt; seine Asche wurde, seinem Wunsch entsprechend, an einem unbekannten Ort verstreut. Gegen den Willen Einsteins erfolgte jedoch vorher eine Obduktion. Bei dieser Operation entwendete der Pathologe Thomas Harvey das Gehirn des toten Einsteins. Er wollte es - ob seiner möglicherweise einzigartigen Struktur - für weitere Untersuchungen der Nachwelt erhalten. Harvey verlor daraufhin die ärztliche Approbation und musste sich jahrelang als Fabrikarbeiter durchschlagen. Eine besonders auffällige Struktur der Gehirnwindungen konnte bei den medizinischen Untersuchungen allerdings nicht gefunden werden. 1997 übergab Harvey Einsteins Gehirn in zwei Einweckgläsern an dessen Enkelin in Kalifornien.

Sonntag, 20. Oktober 2013

Higgs - oder das Ende der Physik?

Oktober ist Erntezeit. Die Früchte der Natur werden eingesammelt und die Naturwissenschaftler (Physiker, Chemiker) blicken gespannt nach Stockholm, wo ihnen ein allmächtiges Komitee den Nobelpreis zuerkennt - oder auch nicht. Dieses Mal traf es im Fach Physik den Schotten Peter Higgs und den Belgier Francois Englert, beide im vorgerückten Alter von 84 bzw. 80 Jahren. Sie erhielten den Preis, weil sie 1964 ein winziges kernphysikalisches Teilchen vorhergesagt hatten, das nun endlich - nach 48 Jahren - im vergangenen Jahr am Beschleuniger LHC des Forschungszentrums CERN bei Genf auch wirklich gefunden wurde. Von den Medien wird es immer wieder als "Gottesteilchen" bezeichnet, die in Genf jahrelang werkelnden Physiker sprechen häufiger von dem "goddamn particle".


Der Elementbaukasten der Natur

Was ist so besonders an dem Kernteilchen der beiden Forscher Higgs und Englert, das allgemein unter der Bezeichnung "Higgs-Teilchen" bekannt ist?  Nun, es komplettiert den Baukasten der Natur auf eine besondere Weise. Die Physiker haben im Verlaufe des letzten Jahrhunderts herausgefunden, dass die uns umgebende Natur aus rund 60 kleinen und kleinsten Teilchen besteht, sowie aus vier Kräften. Dazu bastelten die Theoretiker eine schöne Theorie - das sogenannte Standardmodell - worin alles zueinander zu passen schien.

Bei näherer Betrachtung hatte das Modell allerdings zumindest einen Makel (auf weitere komme ich später noch): unser Universum hätte demnach kein Gewicht, beziehungsweise es wäre masselos, wie sich die Physiker auszudrücken pflegen. Dieses Defizit wollten Higgs und Genossen mit ihrem prophetisch vorhergesagten Kernteilchen, einem sogenannten Boson, vermeiden. Sie proklamierten: "Unser Teilchen, das letzte im Werkzeugkasten des Schöpfers, verleiht allen anderen Teilchen ihre Masse und macht damit den Weltraum mit seinen Galaxien und die Erde mit uns Menschen überhaupt erst möglich".

Ein hoher Anspruch, der erst einmal bewiesen werden musste. Bald machten sich allüberall die Experimentalphysiker ans Werk, um das Higgs-Boson nachzuweisen. Ohne Erfolg! Es wurde immer klarer, dass man für seine Aufdeckung einen riesigen Beschleuniger brauchen würde, mit dem man die astrophysikalische Situation kurz nach dem Urknall, also der Entstehung der Welt vor 13,8 Milliarden Jahren, simulieren konnte. Die Beschleunigermaschine entstand als "Large Hadron Collider" (LHC) über 20 Jahre hinweg am Forschungszentrum CERN unter finanzieller und personeller Beteiligung vieler Länder, darunter auch Deutschland.

Auf einer kreisförmigen, 27 Kilometer langen Rennstrecke und 100 Meter unter der Erde, wollte man Wasserstoffkerne in zwei Röhren gegenläufig auf (nahezu) Lichtgeschwindigkeit beschleunigen und dann aufeinander prallen lassen. Dabei ergibt sich, für den Bruchteil einer Milliardstel Sekunde, eine ähnliche Situation wie beim Urknall. Die Wasserstoffpartikel zersplittern bei der Kollision, die Trümmer werden in den haushohen Detektoren vermessen, wobei man -  bei etwas Glück -  in diesem Teilchenchaos auch einige Higgs-Bosonen festzustellen erhoffte. Nach vielen Fehlversuchen und geschlagenen 48 Jahren nach der Vorhersage der Theoretiker, gelang dies Mitte 2012 tatsächlich. Für eine Billionstel Sekunde blitzte das Gottesteilchen auf, Zeit genug, um es eindeutig zu identifizieren. Danach zerfiel es wieder. Welch ein enormer Aufwand für so ein winziges Teilchen! Einstein hatte  seine Nobelpreisentdeckung, den Photoeffekt, noch durch einen Aufbau auf einer kleinen Tischplatte demonstrieren können; Gleiches galt für die Entdeckungen von Conrad Röntgen und Otto Hahn. Der Beschleuniger LHC in Genf kostete, indes, 4 Milliarden Euro.


2 Nobelpreisträger, 7000 Kulis

Die Identifikation der Preisträger stellte das Nobelkomitee vor keine geringe Aufgabe. Die Idee für ein masseverleihendes Boson lag 1964 nämlich offensichtlich in der Luft. Nahezu zeitgleich wurden fast identische Vermutungen von mehreren theoretischen Physikern u. a. in der Zeitschrift Physical Review Letters veröffentlicht: nämlich (in alphabetischer Reihenfolge) von Philip Andersen, Robert Brout, Francois Englert, Gerald Guralnik, Carl Hagen, Peter Higgs, Tom Kibble und Gerard ´t Hoft. Warum Peter Higgs zum Namenspatron für dieses Teilchen avancierte, ist heute nicht mehr genau auszumachen. (Vielleicht wegen seines knitzen Namens?) Von den Genannten sind einige, wie Robert Brout, bereits verstorben und kamen deshalb aus Satzungsgründen für die Nobilitierung nicht in Frage. Um den dritten möglichen Namen (streng geheim, aber vermutlich CERN) wurde im Komitee buchstäblich bis zur letzten Minute gerungen, weshalb sich die Verkündigung der Preisträger um eine Stunde verschob. Schlussendlich blieb es bei Peter Higgs und Francois Englert, die sich das Preisgeld von 920.000 Euro teilen dürfen.


Die beiden Preisträger François Englert (links) und Peter Higgs

Leer gingen aus der Chef des CERN, der deutsche Physikprofessor Rolf-Dieter Heuer, die 70 Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), zumeist Doktoranden der Teilchenphysik und - weltweit - 7.000 Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker am Projekt des Higgs-Bosons. Eigentlich hat das Higgs-Teilchen also 7.000 Entdecker. So ist es nicht verwunderlich, dass die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Physik zwar die Entscheidung des Nobelkomitees begrüsste, aber gleichzeitig bemängelte, "dass es offenbar nicht möglich ist, die zahlreichen Forscher stärker zu würdigen, welche an der Entdeckung des Teilchens mitgewirkt haben".


Das Ende der Physik?

Seit einiger Zeit sind die Physiker mit ihrem Standardmodell nicht mehr zufrieden. Die Welt scheint komplizierter zu sein, als sie darin beschrieben ist - auch nach der Entdeckung des Higgs-Teilchens. Man bekrittelt, dass es in dieser früher als allumfassend geglaubten Theorie, doch einige bedeutsame Lücken geben muss. So kommt in ihr die Antimaterie nicht vor, obwohl sie beim Urknall in gleicher Menge entstanden sein muss. Bei den Kräften vermisst man die Gravitation, welche immerhin die Bewegungen der Himmelskörper im Universum regelt. Und - das ist besonders bedauerlich - gilt das Standardmodell gerade mal für fünf Prozent des Weltraums. nämlich nur für die sichtbare Materie. Die unsichtbare "Dunkle Materie", welche 25 Prozent der Masse im Universum ausmacht, wird durch die mathematischen Gleichungen und die bisher entdeckten Elementarteilchen im Standardmodell überhaupt nicht beschrieben. Für sie gibt es offensichtlich einen ganz anderen Elementbaukasten. Und dass es die Dunkle Materie wirklich gibt, sehen wir an unserer eigenen Galaxie, der Milchstrasse. Ihre rotierenden Spiralarme würden wegen der Fliehkraft abgerissen werden, wenn es den "Klebstoff" der Dunklen Materie nicht gäbe, wie man unschwer ausrechnen kann.

Aber damit sind wir mit den unerklärten Phänomenen noch nicht am Ende. Fast Dreiviertel des Weltalls ist angefüllt mit der "Dunklen Energie", von deren Struktur die Physiker praktisch überhaupt keine Ahnung haben. Sie wissen aber, dass es sie geben muss, denn sonst würde unser Kosmos längst wieder - wie ein empor geworfener Stein - wegen der Schwerkraft und der Massenanziehung der Himmelskörper (auf einen Punkt) zusammenkrachen. Stattdessen ist es genau umgekehrt: unser Universum dehnt sich mit ungeheurer Kraft kontinuierlich aus und das offensichtlich für "ewige Zeiten". Dafür wird eine enorme Energie benötigt, eben die Dunkle Energie.

Die Theoretiker haben sich dieser Probleme angenommen und einen zweiten Elementbaukasten postuliert: die supersymmetrischen Teilchen. Jedes Standardteilchen sollte als Pendant ein "Susy-Teilchen" besitzen, das Higgs-Teilchen beispielsweise ein Teilchen mit dem Namen "Higgsino". So verlangt es die sogenannte "Stringtheorie", mit welcher sich seit 40 Jahren die klügsten Köpfe im Reich der Physik beschäftigen. Leider bislang ohne durchschlagenden Erfolg. Keine ihrer Vorhersagen konnte bis jetzt experimentell bewiesen werden - auch nicht die Behauptung, dass es 10 hoch 500 parallele Universen in einem Super-Weltall gäbe. (Nur zur Veranschaulichung dieser gigantischen Zahl: unser eigenes Universum enthält etwa 10 hoch 80 Atome!) Die Idee der Multiversen ist für Laien immer wieder beeindruckend, leider lässt sie sich - nach Popper - nicht falsifizieren, was aber eine unbedingte Voraussetzung für seriöse Wissenschaft ist.

Seit Jahren heisst es deshalb: "Eine neue, viel leistungsstärkere Beschleunigergeneration muss her; damit wird man die Susy-Teilchen experimentell nachweisen können". Der "Superconducting Super Collider" sollte Anfang der 1990er Jahre in Texas gebaut werden. Nach einigen Jahren der Planung aber strich das US-Repräsentantenhaus die Gelder; der SSC war selbst den reichen Amerikanern zu teuer geworden. In Europa behilft man sich derzeit dadurch, dass man den LHC in CERN während der nächsten Jahre technisch aufrüstet. Seine Leistung und seine Luminosität (vergleichbar der Lichtstärke) soll so weit wie möglich angehoben werden. Ob uns dies zu den Elementarteilchen der Dunklen Materie und der Dunklen Energie führt, bleibt abzuwarten. Viele Physiker zweifeln daran.

Apropos Physiker: nicht wenige der Studenten beginnen die Lust an der Astrophysik zu verlieren. Es dauert lange bis man während des Studiums an dieses Fach herangeführt ist und nur die Besten schaffen es, darin kreativ zu sein. Und auch das nur im Team, als Einzelner hat man keine Chance. Wenn - nach einigen Jahrzehnten - die Zeit der Ernte kommt, dann werden (siehe oben) nur ganz Wenige belohnt. Die Allermeisten haben das Gefühl, als "ghost worker" anonym mitgeschafft zu haben, aber ohne einen persönlichen Ertrag einzufahren.

Als sich 1874 ein junger Mann namens Max Planck nach einem Studium umsah, erklärte ihm der renommierte Professor Philipp von Jolly: "Theoretische Physik ist zwar ein schönes Fach und man kann wohl in dem einen oder anderen Winkel noch ein Stäubchen auskehren, aber was prinzipiell Neues werden Sie nicht mehr finden". Nun, Max Planck wurde darin immerhin zum Entdecker der Quantenphysik und zum Nobelpreisträger.

Was würde ein Professor in einem vergleichbaren Fall einem Studenten wohl heute raten?



PS.: Das Land Österreich ist im Jahr 2011 übrigens aus den Konsortium CERN ausgetreten, dem es 50 Jahre angehörte. Nach Aussage des Forschungsministers war dem Land der jährliche Finanzbeitrag von 20 Millionen Euro zu hoch!












Sonntag, 2. Oktober 2011

Die Sehnsucht der Physiker nach der Weltformel

In der Physik wird seit jeher in zwei Abteilungen geforscht - und das mit grossem Erfolg. Die Experimentalphysiker stellen mit ihren Versuchen grosse Datenmengen bereit, die Theoretiker verdichten diese zu abstrakten Gedankengebäuden oder gar zu Axiomen. Einige Beispiele aus den verschiedenen Fachgebieten der Physik soll dies veranschaulichen.

Die klassische Mechanik befasst sich mit den Bewegungen der Körper und lässt sich bis zur Antike zurückverfolgen. Das Hebelgesetz oder die Wurfparabel kennt jeder Gymnasiast. Dem Engländer Isaac Newton gelang es bereits 1687 all diese Bewegungsphänomene in nur drei allgemeingültige Gesetze zu packen. Das zweite newtonsche Axiom heisst beispielsweise: Die Bewegungsänderung einer Masse ist proportional zur einwirkenden Kraft.

Auf dem Gebiet der Elektrik entwickelte der Schotte James Clerk Maxwell 1864 seine berühmten Maxwell-Gleichungen. In nur vier mathematischen Beziehungen beschrieb er den Zusammenhang von elektrischen und magnetischen Feldern mit elektrischen Ladungen und dem elektrischen Strom.



Eine der vier Maxwell-Gleichungen

Das Gebiet der Wärmelehre bzw. der Thermodynamik haben die Theoretiker durch drei sogenannte Hauptsätze strukturiert. Einer heisst z. B. ganz lapidar: Der absolute Nullpunkt ist unerreichbar. Ein anderer bestimmt, dass ein "perpetuum mobile" - also eine Maschine, die dauernd Arbeit leistet ohne, dass man ihr Energie zuführt - unmöglich sei. ( Viele "Erfinder" hat das allerdings bis heute nicht davon abgehalten, solche Maschinen dem Publikum vorzustellen). 


Die Kernphysik im Visier

Nach dem 2. Weltkrieg beschäftigten sich viele Physiker mit der Physik der Elementarteilchen. Die immer mehr ausufernde Kernphysik war ihnen jedoch ein Gräuel und sie versuchten dieses Fachgebiet in ein theoretisches Korsett zu pressen. Der deutsche Nobelpreisträger Werner Heisenberg war der erste, welcher 1958 mit seiner sog. Weltformel an die Öffentlichkeit ging. Das riesige Gebiet der Kernphysik hatte er auf eine einzige Gleichung reduziert. Leider war sie falsch und er musste sie bald darauf zurückziehen.

Auch Albert Einstein beschäftigte sich damals mit ähnlichen Ideen zur formalen Reduktion der Kernteilchenphysik. Er war jedoch klug genug, seine Gedanken darüber nicht zu veröffentlichen. Sie wären - wie die Durchsicht seines Nachlasses ergab - ebenfalls nicht richtig gewesen.

In den siebziger Jahren hatte man über Beschleunigerexperimente in Europa und den USA mittlerweile mehr als 200 Elementarteilchen entdeckt, die sich durch Merkmale, wie Masse, Ladung, Spin, Strangeness etc. voneinander unterschieden. Es war Zeit, eine gewisse Ordnung in diesen "Teilchenzoo" zu bringen. Das gelang mit dem sogenannten Standardmodell. Seine fundamentalen Objekte sind Raumfelder, innerhalb derer die schwachen und die starken Kernkräfte, sowie die elektromagnetischen Kräfte wirken. Viele Voraussagen des Standardmodells wurden später durch Experimente bestätigt.

Mit der Zeit deuteten sich aber auch die Defizite dieser Theorie an. Sie konnte beispielsweise das vermutete Higgs-Boson nicht erklären, ebensowenig wie die Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie. Darüberhinaus enthielt sie nicht weniger als 18 freie Parameter, also Naturkonstanten, die man erst durch Messungen bestimmen musste und die nicht vom Standardmodell vorhergesagt wurden. Eine neue Theorie war also fällig geworden.


Die Stringtheorie - eine harte Nuss

Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts tauchte eine neue Idee zur Vereinheitlichung des physikalischen Wissens auf, die bis heute die klügsten Köpfe der Physik in ihrem Bann hält. Ausgangspunkt war das scheinbar unlösbare Problem, dass die Gleichungen für die Kernteilchen immer wieder kollabierten, weil man sie als unendlich kleine Punkte betrachtet hatte. Der neue Ansatz war, dass man nun von Fäden bzw. Saiten endlicher Länge ("strings") ausging. Die Stringtheorie war geboren.



Verschiedenartige Strings und deren Umwandlung

Die Schwingungen dieser Saiten waren typisch für die bekannten Elementarteilchen. Alle Vibrationen zusammen liessen eine "Symphonie" erklingen, welches den Namen "Universum" trug. Die Physiker waren euphorisch. Aber nicht nur deswegen, sondern auch weil die Stringhypothese erlaubte, die vierte Kraft - die Gravitation - in das Gedankengebäude einzubeziehen. Jetzt hatte man endlich eine Theorie, welche in der Lage war, den Mikrokosmos und den Makrokosmos zu vereinen. Die Quantenphysik und Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie waren unter einem Dach. Die angelsächsischen Physiker prägten den Begriff  "Theory Of Everything" (TOE), der fortan den europäischen Terminus "Weltformel" ersetzen sollte.

Doch bald kehrte die Ernüchterung ein. Die strings "weigerten" sich, in einem dreidimensionalen Raum, wie es unserer Vorstellung entspricht, ihre Vibrationen auszuführen. Stattdessen benötigte man eine zehndimensionale Raumzeit. Da nun aber die für uns sichtbare Welt eindeutig dreidimensional ist (bzw. vierdimensional, wenn man die Zeit hinzurechnet), waren die sechs Zusatzdimensionen zu erklären. Die Theoretiker John Schwarz und Michael Green fanden den Ausweg, indem sie diese sechs Dimensionen als "zusammengeknäult" betrachteten. Sie waren also für das menschliche Auge nicht sichtbar, da sie zu einem winzigen Gebilde "kompaktiert" waren. Bald waren auch die "Superstrings" geboren, die ein ausserordentlich reichhaltiges Schwingungsspektrum zeigten, was auf einen neuen Satz von Elementarteilchen hindeutete. Sie werden in der Nomenklatur durch den Zusatz "-ino" gekennzeichnet. Dementsprechend hat jedes Photon ein Photino als Pendant und so fort.

Aber die Probleme mit der neuen Theorie setzten sich fort. Es stellte sich nach einiger Zeit heraus, dass es mindestens fünf Stringtheorien gab. Nur eine konnte unser Universum beschreiben. Welche Bedeutung hatten die vier anderen; wer lebte in jenen Universen? Die Hilfe kam bei diesem Dilemma von Edward Witten, einem US-Physiker, der schon im Alter von 28 Jahren den Lehrstuhl für theoretische Physik an der renommierten Universität von Princeton inne hatte. Wir befinden uns mittlerweile bereits im Jahr 1995, als er die sogenannte M-Theorie aufstellte und damit die "zweite Stringrevolution" einläutete. (Die erste war von Schwarz und Green begründet worden.). Witten verkündete, dass die früheren fünf Stringtheorien nichts weiter seien als spezielle Erscheinungsformen eines einzigen Urgesetzes, nämlich seiner M-Theorie. Dabei liess er offen, ob der Buchstabe M für Membran, Magie oder Mysterium steht. Das US-Nachrichtenmagazin "Time" bezeichnete ihn daraufhin "als den vielleicht brillantesten Physiker, der je gelebt hat". (Journalisten wissen darüber Bescheid.)



Offener String endet auf Membrane

Aber auch Witten musste Kompromisse machen. Seine M-Theorie benötigt nicht nur zehn sondern sogar elf Dimensionen. Und von der Verifikation durch Experimente ist sie weit entfernt. Die ca. 3.000 Stringforscher in aller Welt sind frustriert, weil sie anerkennen müssen: die Theorie ist intelligenter als wir. Die Kritik, insbesondere von Seiten der Experimentalphysiker wächst. Die meisten können diese mathematischen Exkursionen nicht nachvollziehen; nicht wenige halten sie für naturwissenschaftliche Esoterik. Neunzig Prozent der personellen und finanziellen Ressourcen für die theoretische Physik sind während der vergangenen 35 Jahre in die Stringtheorie gegangen, ohne, dass sich ein sichtbarer (oder verwertbarer) Erfolg gezeigt hätte. Die Community wird allmählich ungeduldig; sie ist unsicher, ob sie die Zukunft der Physik erlebt - oder deren Ende.

Der Fels in der Brandung sind die Auguren in Stockholm. Sie beobachten -
und haben bisher noch keinen einzigen Nobelpreis an die Stringtheoretiker vergeben.

Sonntag, 17. Oktober 2010

Hie Theoretiker, hie Experimentator

In der Physik gibt es zwei Sparten: die Theoretiker und die Experimentatoren. Ihr Ansehen innerhalb der Kollegenschaft und beim Publikum wechselte im Verlauf der Geschichte. Heute sind, insbesondere auf dem Gebiet der Astrophysik, die Theoretiker die Stars der Wissenschaft. Sie postulierten den Urknall und errechneten, wie sich unsere Welt innerhalb der ersten drei Minuten entwickelt hat. Der Schotte Peter Higgs legte auf nur zwei DIN A4-Seiten - allerdings gespickt mit komplizierten mathematischen Formeln - dar, dass es ein Kernteilchen geben müsse, welches den Sternen (und auch uns Menschen) ihre Masse verleiht. Die Beschleunigerwissenschaftler bei CERN in Genf nehmen Professor Higgs so ernst, dass sie zwei Milliarden Euro in die Suche des nach ihm benannten Teilchens investieren. Die String-Theoretiker behaupten gar, dass alle Atomteilchen aus winzigen schwingenden Saiten aufgebaut sind und dass es wahrscheinlich nicht nur ein einziges Universum - das unsrige - gibt, sondern deren fast unendlich viele, jedenfalls mehr als es Atome in unserer sichtbaren Welt gibt. Auch danach forscht man in Genf.

Unterschätzte Theoretiker

Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, so zwischen 1900 und 1940, war das ganz anders. Die Physik galt als empirische Wissenschaft. "Anständige Physik" war - ausgesprochen oder unausgesprochen - immer experimentelle Physik. Wegen der hierarchischen Struktur bei den deutschen Universitäten verfügte der Ordinarius allein über die staatliche Instrumentensammlung an seinem Institut. Es war seiner Entscheidung überlassen, ob er den nachrückenden Dozenten die Mitbenutzung gestattete. Im allgemeinen hatte der "zweite Physiker" die Verpflichtung, die finanziell unattraktiven Spezialvorlesungen zu halten - und das waren meist die über theoretische Physik. Hier war die Hörerzahl geringer, weil der Stoff schwieriger war und hier konnte der Dozent ohne Instrumente auskommen. So gab es in Deutschland eine grosse Anzahl von theoretischen Physikern; viele von ihnen waren allerdings nur verhinderte Experimentalphysiker. Das Ansehen des Fachs war entsprechend gering.

Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass zu Beginn des vorigen Jahrhunderts einige theoretische Physiker auftauchten, die bis heute das Weltbild der modernen Physik bestimmen: Max Planck, Albert Einstein und Werner Heisenberg. Aber auch sie mussten um ihre Mittel (und ihren Lebensunterhalt) hart kämpfen.

Das von Max Planck geleitete "Institut für theoretische Physik" in Berlin bestand nur aus einer Bibliothek und einem Lesezimmer. Seiner Umgebung erschien es sonderbar, dass er die Natur lediglich mit Papier und Bleistift erforschen wollte und nicht mit Geräten und Experimenten. Manche Kollegen hielten ihn - nach Planck - für "ziemlich überflüssig". Doch das sollte sich ändern. Nach fünfjähriger Arbeit hatte er 1899 endlich die Formel für die Verteilung der Strahlungsenergie gefunden. In ihr traten gleich zwei Naturkonstanten auf, nämlich (nach heutiger Bezeichnung) das Plancksche Wirkungsquantum h und die Boltzmannsche Konstante k. Damit hatte er ganz allein die Grundlagen für die moderne Quantenphysik gelegt.

Albert Einstein, vielleicht der grösste theoretische Physiker aller Zeiten, musste sich jahrelang als "Experte III. Klasse" am Berner Patentamt durchschlagen. Er verdiente wenig. Im Leiterwägelchen holte er selbst Holz und Kohlen nach Hause; die Stumpen, die er rauchte, waren von der schlechtesten Sorte. Als er sich den Luxus einer Scheidung leistete, überschrieb er seiner Ex-Frau das Geld des Nobelpreises - den er noch gar nicht erhalten hatte. Sie machte trotzdem ein gutes Geschäft, denn 1921 wurde ihm tatsächlich der Nobelpreis für Physik verliehen. Allerdings nicht für seine beiden Relativitätstheorien, deretwegen er zwischenzeitlich berühmt geworden war, sondern für die Erklärung des photoelektrischen Effekts, also eines experimentellen Phänomens.

Überschätzte Praktiker

Die Koryphäe auf dem Gebiet der Experimentalphysik war in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Robert Wichard Pohl in Göttingen. Sein Leitspruch war: "Theorien kommen und gehen, Tatsachen bleiben". Die Theorie in der Physik war für Pohl immer nur die "Notenschrift" für die "Musik der Tatsachen". Eine andere seiner Devisen war die Forderung: "Messen, was messbar ist; was nicht messbar ist, messbar machen!" Die Schüler seiner Theoriekollegen hatten bei ihm nichts zu lachen. Max Dellbrück, einen Diplomkandidaten bei Max Born, liess er bei der Prüfung in Experimentalphysik durchfallen. Und bei Herta Sponer, der ersten Frau, welche in Göttingen habilitierte hatte, betrieb er sogar die Entlassung, was zu einem schweren Bruch zwischen Pohl und James Franck führte, der ihre Habilitation angenommen hatte.


Professor Pohl demonstriert mittels Schattenrissprojektion

Pohls experimenteller Vorlesungsstil, ohne festes Lehrpult, mit vielen Versuchen im projizierten Schattenriss war lange Jahre richtungsweisend. Er fand seinen Niederschlag in Pohls Lehrbüchern für Experimentalphysik, die in vielen Auflagen erschienen sind und in viele Sprachen übersetzt wurden. Sogar Witze wurden über seine Vorlesungen gerissen, wie etwa jener: "Ein Medizinstudent bei Pohl hätte auf die Frage nach dem elektrischen Kondensator so geantwortet: auf einer Dreikantschiene sitzen zwei Reiter, die vertikale Metallplatten tragen".

Die bleierne Zeit

Das Jahr 1933 bildete eine Zäsur nicht nur in der deutschen politischen Geschichte, sondern auch in der Physik. Fünf Nobelpreisträger dieser Fachrichtung ( u.a. Einstein, Born u. Franck) wurden vertrieben, weitere 150 hochkarätige Forscher verliessen das Land und erhielten zum Teil später den Nobelpreis in Amerika. Das goldene deutsche Zeitalter der Physik war zu Ende. Deutschland hat sich von diesem Verlust - bis heute - nicht erholt. Die Stellen der Emigranten wurden vielfach von Zweit- und Drittklassigen besetzt.

Die Unschärferelation Heisenbergs in eigenhändiger Aufzeichnung

Sehr verhängnisvoll wirkten sich die Eingriffe der Nazis bei der theoretischen Physik aus. Insbesondere die Quantenphysik wurde als "jüdisches, unfruchtbares Blendwerk" gegeisselt. Selbst Werner Heisenberg, der 1933 den Nobelpreis für seine sechs Jahre vorher entdeckte "Unschärferelation" erhalten hatte, blieb davon nicht verschont. Er wurde als "Ossietzky der Physik" und sogar als "weisser Jude" geschmäht. Als er 1937 zum Nachfolger von Arnold Sommerfeld auf den Lehrstuhl der theoretischen Physik an der Universität München vorgeschlagen wurde, blockte der "Reichsdozentenführer" seine Ernennung ab und bestellte einen gewissen Wilhelm Müller als Institutsleiter. Die Eingabe von Ludwig Prandtl beim "Reichsmarschall" war vergeblich. Schliesslich intervenierten der Chemiker und Industrielle Robert Bosch sowie Max Planck persönlich bei Hitler. Die Antwort des "Führers", die sie zum Verstummen brachte, lautete:

"Dann muss Deutschland eben für hundert Jahre ohne Physik und Chemie auskommen".

Sonntag, 4. April 2010

Finanzprobleme bei FAIR

Fast 40 Jahre lang existierte in Darmstadt ein kleines, aber feines, Forschungszentrum, betrieben von der "Gesellschaft für Schwerionenforschung" (GSI). Zentriert um den Linearbeschleuniger UNILAC widmete man sich dort mit 900 Mitarbeitern praktisch nur einer einzigen Aufgabe: der Synthese superschwerer Atomkerne mittels Fusion. Im benachbarten, vier Mal grösseren Kernforschungszentrum Karlsruhe, hatte man sich umgekehrt der Spaltung schwerer Atome, wie Uran und Plutonium, verschrieben - und erntete dafür statt Lob manche mediale Hiebe.

Theoretische Physiker, wie Gamov, Bohr und v. Weizsäcker hatten vorher in ihrem "Tröpfchenmodell" superschwere und gleichzeitig stabile Elemente, weit jenseits des Urans postuliert. Dorthin wollte man vordringen. Während sich hinter Uran mit der Ordnungszahl 92 ein "Meer der Instabilität" ausbreitet, vermutete man, etwa ab der Ordnungszahl 100, "stabile Inseln", wo die Atomkerne nicht mehr spontan zerstrahlen, sondern stabil bleiben und deshalb chemisch analysiert werden können. Besonders aufregend schien die Suche nach den "magischen" und "doppelt-magischen" Kernen, bei denen die Protonen und Neutronen in einem bestimmten Verhältnis standen und die "Schalen" aufgefüllt waren.

Die Suche nach superschweren - aber noch nicht stabilen Elementen - war durchaus nicht erfolglos. Im Laufe von Jahrzehnten fand die Forschergruppe um Peter Armbruster, Gottfried Münzenberg und Sigurd Hofmann ein halbes Dutzend dieser Exoten. Sie sind auf der Nuklidkarte als Bohrium, Meitnerium, Roentgenium und Copernicium vermerkt. Hinzu kommen Hahnium und Darmstadtium, deren Namensgebung eine Hommage an Darmstadt und das Land Hessen darstellt. Die meisten dieser Elemente existierten nur Bruchteile von Sekunden und konnten in der Regel nur als einzelne Atomkerne erzeugt werden. Sie bildeten sich beim (wohldosierten) Zusammenstoss zweier mittelgrosser Kerne.



Die stolzen Entdecker des Elements 112

Armbruster, ein Schüler von Maier-Leibnitz, war der Teamführer und wurde zuweilen als Kandidat für den Physiknobelpreis angesehen. Zur Verleihung kam es aber dann doch nicht; über die Gründe dafür kann man nur spekulieren. Vielleicht wurde das "Zusammenbacken" von Atomkernen mehr als diffizile Handwerkskunst denn als hohe Wissenschaft gesehen. Vielleicht wollte man auch in Stockholm auf das postulierte Endziel, das Erreichen der stabilen Inseln warten; vorderhand bildeten die generierten Elemente lediglich "Landungsbrücken" über das Meer der Instabilität. Möglicherweise wollte sich das Nobelkommittee aber auch aus einem "Wespennest" heraushalten, denn neben dem GSI gab es ähnliche Forschungsgruppen in Berkeley (USA) und Dubna (Russland), zwischen denen es immer wieder zu Streitigkeiten bei der Erstentdeckung und der Namensgebung kam.

Vor etwa fünf Jahren beschloss man bei der GSI die thematische Monokultur der superschweren Atomkerne zu verlassen und sich der programmatischen Vielfalt der Kernphysik zu öffnen. Die Anlage FAIR - "Facility for Antiproton and Ion Research" - wurde vorgestellt und der wissenschaftliche Geschäftsführer Horst Stöcker versprach, "die Physik des Universums in das Labor zu holen". Als Vielzweckmaschine sollte FAIR die Physik der Hadronen bis zur Astrophysik abdecken. Über das frühe Universum und den Ursprung der Elemente sowie grundlegende Fragen des Quark-Gluon-Plasma sollen im Endausbau 3000 Physiker aus aller Welt in Darmstadt forschen. CERN lässt grüssen!

Apparatives Kernstück von FAIR werden zwei grosse Beschleunigerringe mit 1.100 Metern Umfang sein, die übereinander in einem gemeinsamen unterirdischen Tunnel gebaut werden. Die derzeitigen Beschleuniger der GSI dienen dann als Vorbeschleuniger. An die beiden Beschleunigerringe schliesst sich ein komplexes System von weiteren Speicherringen und Experimentierstationen an. Die Fertigstellung der Anlage und der Experimentierbeginn ist auf das Jahr 2016 avisiert.



Computergrafik zeigt Altanlage GSI (links) und FAIR-Komplex (rechts)

Derzeitiger Knackpunkt des ganzen Unternehmens ist seine Finanzierung. Die Investitionskosten sind seit Planungsbeginn (2005) von 675 über 940 auf jetzt 1.200 Millionen Euro gestiegen. Das muss noch nicht das Ende sein, denn schwierige Planungsphasen und vorallem der Bau stehen noch aus. Hinzu kommen noch die jährlichen Betriebskosten, welche auf mindestens 120 Millionen veranschlagt werden. Die Zuwendungsgeber sind der Bund (65 %), das Land Hessen (10 %) sowie die 16 internationalen Partner (25 %). Zur Zeit klafft noch eine Finanzierungslücke von gut 100 Millionen Euro, was eine gewichtige Änderung der Gesamtplanung erforderlich machte: einige Anlagenmodule mussten auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.

Nicht enthalten im Investitionsbudget sind zusätzliche Kosten in Höhe von 110 Millionen Euro, die standortbedingt sind. Testbohrungen haben nämlich gezeigt, dass das Gelände neben dem bestehenden GSI-Areal keinen (wie eigentlich erwartet) felsigen Untergrund hat, weswegen 2000 jeweils 50 Meter lange Pfähle den Boden stabilisieren müssen. Da die Partnerländer nicht bereit waren, zusätzliche Millionen "in Beton" zu investieren, mussten sich Bund und Land zähneknirschend zur Kostenübernahme bereit erklären. Im Frühjahr soll dann die FAIR GmbH als internationaler Projektträger gegründet werden.

Angesichts dieses holprigen Projektbeginns mag sich mancher Beteiligter an die Worte der Bundesforschungsministerin Annette Schavan erinnern, die bei der offiziellen Festveranstaltung im November 2007 zum Start von FAIR folgendes gesagt hat:

"Physiker müssen einen genetischen Defekt haben, der ihnen übergrossen Optimismus verleiht".

Sonntag, 7. März 2010

Der zweite Mößbauer-Effekt

Als Rudolf Mößbauer seine Doktorarbeit abgeschlossen hatte - für die er drei Jahre später den Nobelpreis der Physik erhalten sollte - fuhr er im Herbst 1958 erwartungsvoll nach Essen zur Deutschen Physikertagung. Er wollte den von ihm gefundenen "rückstossfreien Kernresonanzeffekt" seinen Fachkollegen vorstellen und erhoffte sich insgeheim eine lebhafte Diskussion darüber. Aber er wurde enttäuscht. Man hatte seine Präsentation an das Ende einer Nachmittagssitzung gelegt, die Stuhlreihen waren bereits beträchtlich gelichtet und sein Vortrag fand keinen Widerhall. Es gab kaum Fragen, schon gar nicht die von ihm erwartete Diskussion unter Physikerkollegen.


Rudolf Mößbauer als 31-jähriger

Ganz anders war es ein Jahr später bei einem Kolloqium an der Universität Heidelberg. Hier war es vorallem der auf Besuch weilende US-Amerikaner (und gebürtige Schweizer) Felix Böhm, der intensiv nachfragte und sich für alle Details seines Effekts interessierte. Und nicht nur das. Noch am gleichen Abend telegrafierte Böhm einen Bericht an seine Kollegen der Universität "California Institute of Technology" in Pasadena, kurz Caltech genannt. Dort vertiefte sich sein berühmter Physikerkollege (und späterer Nobelpreisträger) Richard Feynman in Mößbauers Arbeit, erkannte ihren revolutionären Gehalt und kabelte tags darauf an Böhm nach Heidelberg zurück: "Get this guy! Feynman". Kurze Zeit danach übersiedelte Mößbauer nach Pasadena, erhielt dort ein hervorragend ausgestattetes Labor und bald sogar den Titel eines Professors dieser kalifornischen Universität. Die Technische Hochschule München verlor einen ihrer vielen Assistenten, was (ausser Maier-Leibnitz) niemand sonderlich berührte.

Das änderte sich, als Rudolf Mößbauer im Herbst 1961 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde. Der 32-jährige Deutsche mit dem sympathisch-frischen Aussehen elektrisierte die Nation. Obwohl der Inhalt seiner Forschungen dem grossen Publikum kaum verständlich gemacht werden konnte, waren die Deutschen stolz auf "ihren Mößbauer". Für die Studenten wurde er sogar zu einer Art Popstar. In einer SPIEGEL-Umfrage, bei der die Hochschüler nach ihren Vorbildern befragt wurden, rangierte Mößbauer im Spitzenfeld, nach Carl Friedrich von Weizsäcker und Konrad Adenauer. Weit abgeschlagen waren Willy Brandt, Uwe Seeler und Hans-Joachim Kulenkampff.

Kein Wunder, dass man den verlorenen Sohn aus Amerika nach Deutschland zurückholen wollte. Reihum boten renommierte Universitäten und Forschungseinrichtungen dem Auswanderer ihre Physiklehrstühle an. So die Uni Mainz, wo man mit dem Otto-Hahn-Ordinariat lockte und sogar das Kernforschungszentrum Karlsruhe warf den Hut in den Ring. Aber Mößbauer lehnte kühl ab. Er kannte die hiesigen schlechten Laborbedingungen aus eigener Erfahrung und die traditionelle Geheimratswissenschaft der deutschen Professoren hatte er auch erlebt.

Typisches Diplomandenlabor an der TH München in den 50er Jahren (mein Arbeitsplatz war vorne links)

Schliesslich war es Doktorvater Heinz Maier-Leibnitz, der seinen Schüler Mößbauer zur Rückkehr an die TH München überreden konnte. Aber dieser stellte Bedingungen und die waren happig. Erstens: in der Physikfakultät ist die Trennung in experimentelle, technische und theoretische Physik aufzuheben; stattdessen soll ein Department für Physik eingerichtet werden. Zweitens: alle Professoren dieses Departments sind gleichberechtigt; sie wählen aus ihrem Kreis für die anfallenden Tagesgeschäfte einen Drei-Mann-Vorstand, der im Turnus wechselt. Drittens: die Last des Anfängerkollegs, bisher allein vom Chef der experimentellen Physik gehalten, wird demokratisch verteilt; jedes Jahr weiht ein anderer Department-Professor die Anfangssemester in die Grundlagen der Physik ein. Viertens: Hilfseinrichtungen, wie Werkstätten, Bilbliotheken, Materialausgabe, aber auch der Kernreaktor FRM stehen allen zur Verfügung und werden zentral verwaltet. Fünftens: gewissermassen um "Butter bei die Fische zu geben" verlangte Mößbauer kühn die Einrichtung von 16 (statt bisher 7) Professorenstellen sowie 234 Planstellen für Assistenten und Hilfskräfte. Sechstens: Mößbauer erklärte sich bereit einen Lehrstuhl in Experimentalphysik zu übernehmen; er bedingte sich jedoch aus, jedes Jahr drei Monate in den USA arbeiten zu dürfen, um den Kontakt mit der amerikanischen Wissenschaft nicht zu verlieren.

Die bayerische Ministerialbürokratie war platt ob der Chupze dieses jungen Professors. In den zuständigen Kultus- und Finanzministerien rechnete man schnell aus, dass diese Neuorganisation dem Freistaat jährlich 2,5 Millionen Mark zusätzlich kosten würde. Viel Geld, verglichen mit den 96.000 Mark, die das Stockholmer Nobelkomittee - einmalig - an Mössbauer für die Entdeckung seines kernphysikalischen Effekts auszahlte. Aber der Reformer liess nicht locker. Schliesslich knickten die Landespolitiker (auch unter dem Druck der Studenten und der Medien) ein und das Physik-Department wurde eingerichtet. Das Wort vom "zweiten Mößbauer-Effekt" machte schnell die Runde; Mößbauer hatte ihn nicht entdeckt, sondern mit fast brachialer Gewalt erzwungen.

Im Vorlesungsverzeichnis 1965/66 der TH München sind erstmals die gleichberechtigt agierenden Professoren des Physik-Departments verzeichnet: Brenig, Dransfeld, Kaiser, Kienle, Lüscher, Maier-Leibnitz, Mang, Mößbauer, Riehl und Wild. Später kamen mit Moringa, Kalvius, Alefeld, Gläser, Schmidt etc. noch weitere hinzu. Der geschäftsführende Vorstand setzte sich aus Wild (Vorsitz), Lüscher und Maier-Leibnitz zusammen. Für die Infrastruktur waren Geuge und Koester (Reaktor) benannt.

Das Departmentsystem besteht heute noch an der TH (mittlerweile in Technische Universität=TUM umbenannt) und kann rückblickend als Erfolg gewertet werden. Aber den Chefs unterliefen natürlich auch Fehler. Ein ganz schlimmer 1984, als man den wenig beachteten Extraordinarius Klaus von Klitzing, damals 41 Jahre alt, zum Max-Planck-Institut für Festkörperforschung nach Stuttgart ziehen liess und dieser im Jahr darauf den Physik-Nobelpreis für die Entdeckung des Quanten-Hall-Effekts erhielt, den er ausschliesslich in München ausgeknobelt hatte. Schnell bot man dem Flüchtling ein auf ihn zugeschnittenes 20 Millionen teures Halbleiter-Elektronik-Institut für seine Rückkehr an, aber Klitzing blieb in Stuttgart. Ein Hauch von Mößbauer lag in der Luft - nur, dass der Rückholtrick wie vor einem Vierteljahrhundert, nicht mehr funktionierte.

Für viele Kollegen überraschend, wandte sich Mößbauer Anfang der 70er Jahre von der weiteren Erforschung des von ihm entdeckten Effekts ab. Man kann sagen, dass er von seinem eigenen Erfolg überwältigt worden war. Denn zu jener Zeit wurde fast jedes Jahr eine grosse internationale Mößbauer-Konferenz veranstaltet, wo seine Präsenz erwartet wurde. Gleichzeitig erschienen pro Jahr etwa tausend wissenschaftliche Arbeiten zur Mößbauer-Spektroskopie. Ein Grossteil dieser Autoren schickte ihm ihre Veröffentlichungen mit Widmung zu, die er (zumindest flüchtig) lesen und mit einigen freundlichen Sätzen beantworten sollte. Und das zu den Zeiten, da sowohl der PC als auch das Word-Programm noch unbekannt waren. Kurzum, Mößbauer wurde das zuviel und er sattelte - thematisch - um.

Er begann sich für die Physik des Neutrinos zu interessieren. Im damaligen Standardmodell der theoretischen Physik war angenommen worden, dass dieses Teilchen, ähnlich wie das Licht, keine Masse besitze. Mößbauer bezweifelte dies und führte Experimente (wie GALLEX) durch, welche die sogenannten Neutrino-Oszillationen vermuten liessen. Tatsächlich stellte sich nach aufwendigen Versuchen, insbesondere in Japan, heraus, dass die Neutrinos durchaus Masse besitzen und - wegen ihrer Vielzahl - sogar signifikant zur Gesamtmasse des Universums beitragen.

Aber Mößbauer war nicht nur Forscher, sondern auch ein begnadeter Lehrer. Die Studenten der TUM waren begeistert von seinen brillanten Vorlesungen, die nicht zuletzt auf perfekter didaktischer Vorbereitung beruhten. Trotz zahlreicher Angebote anderer Universitäten und Forschungsorganisationen im In-und Ausland ist er seiner Heimatuniversität, der TU München, lebenslang treu geblieben.

Seit 1997 ist Professor Rudolf Mößbauer emeritiert.

Sonntag, 21. Februar 2010

Ein Nobelpreis, zwei Anwärter

Es geschah vor mehr als einem halben Jahrhundert, genauer gesagt, im Jahr 1957. Ich werkelte zu jener Zeit gerade als Student der Physik an der Technischen Hochschule (TH) München an meiner Dissertation, als sich unter den Kollegen im Labor das Gerücht verbreitete, dass "einer der Unsrigen" bei seiner Doktorarbeit etwas ganz Besonderes ausgeknobelt habe. Der Doktorand hiess Rudolf Mößbauer und seine Arbeit handelte von der Emission und der Absorption der Gammastrahlen. Eigentlich nichts Aussergewöhnliches im Institut von Professor Heinz Maier-Leibnitz - von uns auch ML genannt - , wo die überwiegende Anzahl der Diplomanden und Doktoranden auf dem Gebiet der Kernphysik forschte.


Rudolf Mößbauer (geb. 1929) --- Heinz Maier-Leibnitz (geb.1911)

Aber es war doch etwas Besonderes, ja sogar etwas Einzigartiges. Mößbauer hatte im Verlauf seiner Doktorarbeit die sogenannte "rückstossfreie Kernresonanzabsorption durch Gammastrahlen" gefunden. Im Rahmen eines Blogs kann dieses Phänomen kaum allgemein verständlich dargestellt werden, deshalb möge ein Beispiel aus dem täglichen Leben den Effekt veranschaulichen: Will ein Junge von einem kleinen Boot aus an Land springen, so landet er im Wasser, weil das Boot durch den Rückstoss beim Absprung nach hinten wegfährt. Liegt das Boot aber in einem gefrorenem See, so kann es nicht weggleiten und der Junge landet sicher am Ufer. Mößbauer nahm anstelle des Boots Iridium-191-Atome, welche Gammastrahlen aussenden. Wie der Junge überträgt das davon eilende hochenergetische Gammateilchen einen gewaltigen Stoss auf das Iridiumatom und verliert dabei an Energie. Ist das Atom aber fest in einem Kristallgitter eingebaut, dann geht es dem Gammaquant wie dem Jungen auf dem zugefrorenem See: es kann seine ganze Energie mitnehmen. Trifft es nun auf ein exakt gleichartiges (Iridium-)Atom, dann kann es ihm diese Energie auch übertragen (Absorption).

Mößbauers Versuchsanordnung

Mößbauer begann seine Messungen bei Zimmertemperatur mit einer Anordnung, die oben schematisch dargestellt ist. Als er Quelle und Absorber abkühlte, erhöhte sich die Zählrate am Detektor. Grund: der Rückstossimpuls wird nicht mehr an ein einzelnes Atom, sondern an das ganze Kristallgitter übertragen (festgefrorenes Boot). Ausgerechnet bei Iridium-191 sind aber die zu messenden Effekte extrem klein. Es war Mößbauers wissenschaftlicher Akribie zu verdanken, dass er die beobachteten Abweichungen nicht einem Messfehler zuschob und an dieser Stelle aufhörte. An Eisen-57 wäre dieser Effekt viel deutlicher aufgetreten und hätte leichter gemessen werden können.

Durch das Prinzip der rückstossfreien Emission von Gammaquanten erhält man ein Strahlungssignal von ausserordentlich hoher Frequenzschärfe. Mößbauer fand heraus, dass man - wie beim Radio - Sender und Empfänger aufeinander abstimmen kann. Bei seiner Versuchsanordnung bewegte er die Quelle auf die Probe zu oder von ihr weg und konnte ermitteln, bei welcher Geschwindigkeit eine Absorption eintritt. Die grosse Bedeutung des Mößbauereffekts besteht also darin, dass man winzige Frequenzänderungen (in der Grössenordnung von einem Milliardstel) feststellen und vermessen kann. Der Effekt wurde bald zur Grundlage eines unerhört genauen Messverfahrens, der Mößbauer-Spektroskopie. Es gelang es nachzuweisen, dass Lichtquanten (Photonen) vom Schwerefeld der Erde angezogen werden, womit man die Einsteinsche Allgemeine Relativitätstheorie erstmals im Labor bestätigen konnte.

Die Mößbauer-Spektroskopie hat eine herausragende Bedeutung für viele Forschungsgebiete von der Physik über die Chemie, Geologie, Mineralogie, Archäologie bis hin zur Medizin. Auch die jüngst auf dem Mars gelandeten Roboter "Spirit" und "Opportunity" hatten Mößbauer-Spektrometer an Bord. Damit entdeckten sie auf ihren kilometerlangen Touren Minerale, die nur in Gegenwart von Wasser entstehen konnten. Das war der Nachweis, dass es einst auf dem Mars nicht nur Wasser, sondern auch eine viel sauerstoffreichere Atmosphäre als heute gegeben haben muss.

Niemand war mehr sonderlich verwundert, dass Rudolf Mößbauer im Herbst 1961 den Nobelpreis für Physik (zusammen mit Robert Hofstadter) erhielt, "für seine Forschungen über die Resonanzabsorption der Gammastrahlung und seine Entstehung, die den Namen Mößbauer trägt". Diese Begründung des Nobelkommittees war höchst ehrenvoll, kam doch darin - zum ersten und einzigen Mal - der Name des Laureaten vor.

Trotzdem: in den Kreisen der Münchener Physiker, insbesondere der jüngeren, war man enttäuscht darüber, dass nicht auch Professor Maier-Leibnitz mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden war. Die nominelle Möglichkeit dafür hätte bestanden, denn nach den Regularien des Nobelkommittees können in jedem Jahr bis zu drei Kandidaten nominiert werden. Warum also nicht Mößbauer und Maier-Leibnitz, zusammen mit Hofstadter, der den Preis für ein anderes Forschungsgebiet erhielt?

Der Beitrag von Maier-Leibnitz (ML) bei der Entdeckung der rückstossfreien Kernresonanz und auch bei der nachfolgenden Mößbauer-Spektroskopie war offenkundig. ML hatte den jungen Mößbauer betreut und ihm ein Doktorthema gegeben, bei dem bedeutsame Ergebnisse zu erwarten waren durch vorausgehende Veröffentlichungen der angloamerikanischen Forscher Moon, Metzger und Lamb. Um nochmal ein Beispiel zu bemühen: ML hatte Mößbauer das Waldstück gezeigt, in dem er Pilze vermutete - die Steinpilze hatte Mößbauer allerdings selbst gefunden. Des weiteren schickte ihn ML 1955 als einzigen seiner Doktoranden zum Max-Planck-Institut nach Heidelberg, wo er bessere Arbeitsmöglichkeiten hatte als in dem (noch im Aufbau befindlichen) Münchener Institut.

Und schliesslich: Schon im März 1958, also unmittelbar nach der Entdeckung des Effekts - und volle dreieinhalb Jahre vor der Nobelpreisvergabe - hatte Maier-Leibnitz in nahezu visionärer Weise fast alle Anwendungen des Mößbauer-Effekts aufgeschrieben. Die Auflistung (Ausriss unten) umfasst im Original 15 Punkte; es fehlten eigentlich nur die Gravitationsexperimente.


Anwendungen des Mößbauer-Effekts
(nach Maier-Leibnitz, Mai 1958)

Es bleibt also die Frage, warum ML trotz seiner engen Beteiligung an diesem Thema, nicht mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden ist. Die einzig schlüssige Antwort darauf ist: er wollte nicht. Er wollte Mößbauer offenbar - in einem Überschwang von Altruismus, wie viele von uns meinten - allein diese Ehrung zukommen lassen. Die Entscheidung fiel vermutlich im Sommer 1961, als Professor Waller als Abgesandter des schwedischen Nobelkommittees Maier-Leibnitz am Rande einer Konferenz in Paris aufsuchte. Nach Meinung (nicht anwesender) Beobachter wäre es für ML ein Leichtes gewesen, "sich in Position zu bringen". Er wollte dies nicht und verzichtete zugunsten seines Schülers auf den Nobelpreis.

Umgekehrt war das Bemühen auf seiten Mößbauers. Er war nicht nur intelligent und fleissig, sondern besass auch einen gesunden, ja robusten Ehrgeiz. Dafür gibt es eine aufschlussreiche Episode aus jener Zeit, in der er am Münchener Institut seine Diplomarbeit fertigte. Sie befasste sich mit der besonders genauen Messung der Intensität von Gammastrahlen. (Man registriere die thematische Nähe zur späteren Doktorarbeit!) Dafür erhielt er Zugriff auf einen Oszillografen, der allerdings Gemeinschaftseigentum mehrerer Kollegen war. Um dieses Gerät aber für sich allein nutzen zu können - das ist verbürgt - machte es Mößbauer in seiner Abwesenheit (durch Auslöten einer Komponente?) stets "kaputt" und "reparierte" es wieder, wenn er es brauchte.

Dass Mößbauer in den Gespräche mit den Abgesandten des Nobelkommittees seine eigene Leistung nicht unter den Scheffel gestellt hat - eventuell sogar zu Lasten von ML - dafür gibt es keine direkte Beweise, aber zumindest zwei indirekte Indizien, die kurz angeführt seien.

Im Jahr 1986, also volle 25 Jahre nach der Nobelpreisverleihung wurden die Schüler von Maier-Leibnitz aufgefordert, ihren wissenschaftlichen Werdegang kurz zu beschreiben. Diese "Lebensläufe" wurden von Otto Schult in einem schönen Buch zusammengestellt und Professor Maier-Leibnitz zu seinem 75. Geburtstag feierlich übergeben. Natürlich war Mößbauer ML´s renommiertester Schüler und sicherlich wurde sein Beitrag von den allermeisten gelesen. Er war enttäuschend, um das mindeste zu sagen; auf einer knappen dreiviertel DIN A4-Seite beschrieb er seine Doktorandentätigkeit unter ML auf eine Weise, die man nur als knochentrocken und anteilslos bezeichnen kann. Da die Handschrift des damals bereits 57-jährigen (unten) etwas schwer zu lesen ist, sei die Passage vom Eintritt in das Institut Maier-Leibnitz, über die Nobelpreisarbeit bis zu seinem Abgang in die USA nochmals in Maschinenschrift wortgetreu wiedergegeben.


Mößbauer beschreibt seine Diplom- und Doktorandentätigkeit
bei Maier-Leibnitz

"...Die Diplomarbeit bei Herrn Professor Maier-Leibnitz, die in einer Atmosphäre grosser Freiheit durchgeführt werden konnte, war von vornherein als Vorläufer einer Dissertation angelegt. Es war ebenfalls Herr Professor Maier-Leibnitz, der mir nach Abschluss meiner Diplomarbeit im Jahre 1955 die Möglichkeit verschaffte, an das Institut für Physik am MPI für medizinische Forschung in Heidelberg zu gehen, um dort unter seiner Leitung eine Dissertation durchzuführen. Als mit nur mässigen theoretischen Vorkenntnissen ausgestatteter junger Physiker war die wissenschaftliche Atmosphäre Heidelbergs für die Durchführung meiner Arbeiten, die 1957 zu der Entdeckung und Deutung der "Rückstoßfreien Resonanzabsorption von Gammastrahlung" führten, von entscheidendem Einfluss. Nach Abschluss der Dissertation im Jahre 1958 war ich zwei Jahre lang wissenschaftlicher Assistent bei Herrn Maier-Leibnitz..."

Ich glaube nicht, dass selbst ein aufmerksamer Leser in diesen wenigen Sätzen eine Mitwirkung von ML an seiner Dissertation herauslesen kann. Eine hommage an seinen früheren Lehrer war es sicherlich nicht.

Zu einer gewissen Misstimmung kam es bei der nachfolgenden Feier zu ML´s 75 Geburtstag, die in einem grossen Rahmen statttfand. Als Laudator war Mößbauer bestimmt und alle erwarteten eigentlich, dass er seinem Doktorvater (rhetorisch) Blumen überreichen würde. Das war aber nicht der Fall, ganz im Gegenteil. Mößbauer rollte nocheinmal die ganze Geschichte der Entdeckung des Effekts auf und liess keinen Zweifel daran, dass die Messungen und ihre Deutung allein auf sein Konto gingen. Für seinen väterlichen Betreuer Maier-Leibnitz fiel wenig bis nichts ab. Ich höre heute noch das ärgerliche Gegrummel im Auditorium; einige verliessen sogar ostentativ vorzeitig die Veranstaltung. Zum 80. Geburtstag, fünf Jahre später, stand Mößbauer nicht mehr auf der Rednerliste eines ähnlichen Festkolloquiums.

Nun, ich möchte mit dieser historischen Darstellung nicht den Stab über Mößbauer brechen; das wäre vermessen, angesichts seiner unbezweifelbaren Leistungen. Gerne hätte ich ihn zu diesen Dingen nochmals selbst befragt. Das ist aber nicht mehr möglich, denn er leidet seit Jahren an einer schweren, altersbedingten Krankheit.

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