Sonntag, 11. Dezember 2011

Energiewende - magere Halbjahresbilanz

Vor einem knappen halben Jahr, im Sommer 2011, haben Bundestag und Bundesrat, mit grossem politischem Getöse, die sogenannte Energiewende vollzogen. Mit der Abkehr von der Kernenergie sollte alles besser werden. Bilanziert man jedoch die wirtschaftspolitischen Ergebnisse während der vergangenen 5 bis 6 Monate, so kommt man zu einer enttäuschenden Bilanz.

Der Bundesrat, also die Länderkammer, stoppte zwei ganz wichtige Gesetzesvorlagen der Regierung. Noch im Juli kippte er das Programm für die energetische Sanierung der Gebäude; im September blockierte er das Pilotvorhaben zur Einlagerung von Kohlendioxid in den Untergrund. Darüberhinaus streiten sich seit Monaten der Bundesumweltminister Norbert Röttgen und der Wirtschaftsminister Philipp Rösler über verbindliche Regeln zur Energieeinsparung; eine Einigung ist nicht in Sicht. Darüberhinaus haben Finanzgerichte in Hamburg und München die Brennelementesteuer gekippt, was dem Bund pro Jahr 2,3 Milliarden Euro kosten kann. Das Energieversorgungsunternehmen (EVU) Vattenfall klagt zudem auf Schadensersatz für seine zwangsweise stillgelegten Meiler, die anderen grossen EVU (Eon und REW) werden wohl folgen.

Bis heute folgte kein weiteres Land dem deutschen Beispiel zum Atomausstieg - noch nicht einmal das hart betroffene Japan. Unmittelbar um Deutschland herum werden 29 Kernkraftwerke (KKW) betrieben, die zum Teil noch viel älter sind, als die abgeschalteten hierzulande. In den USA besitzen 66 der 104 KKW eine Betriebsgenehmigung für 60 Jahre. Weltweit sind derzeit 434 Atomkraftwerke im Betrieb, 62 weitere sind im Bau.

Schleichende De-Industrialisierung

Grosse deutsche Firmen und Stromversorger ziehen sich aus der Kernkraftwerkstechnologie zurück oder werden dazu gedrängt. Siemens ist bereits ganz ausgestiegen, die Firma Areva in Erlangen kündigte massive Entlassungen an. Ähnliches gilt für die vier grossen deutschen Energieversorgungsunternehmen. RWE und Eon wollen je 8 - 10.000  Mitarbeiter entlassen und ihre Geschäftstätigkeit zum Teil ins Ausland verlegen.


Das Kernkraftwerk Philippsburg

Besonders betroffen von der Energiewende ist der baden-württembergische Konzern EnBW. Zwei seiner vier grossen Kernkraftwerke (Philippsburg 1 und Neckarwestheim I) musste der Stromproduzent nach den Ereignissen in Fukushima sofort stillegen, die beiden restlichen werden im Laufe dieses Jahrzehnts folgen. In der Konzernbilanz hat sich dies desaströs ausgewirkt. Während EnBW in den früheren Jahren konstant einen Gewinn von 2 Milliarden Euro ausweisen konnte, ist die Firma nun mit einem Verlust von 600 Millionen Euro geplagt. Hinzu kommt ständiger Streit im Aufsichtsrat über strategische Entscheidungen. Die Vertreter der grün-roten Landesregierung verlangen den raschen Umstieg auf erneuerbare Energien, blockieren aber seit Monaten die dafür erforderliche Kapitalerhöhung. Anfang dieser Woche hat der Vorstandsvorsitzende Hans-Peter Villis das Handtuch geworfen und angekündigt, dass er den Konzern verlassen werde. Fähige Nachfolger werden für diesen Himmelfahrtsjob kaum schlangestehen.

"Wind und Sonne kosten nichts"

Der Ausbau der erneuerbaren Energien (Wind, Sonne, Geothermie, Biomasse) ist von seiten der deutschen Regierung erwünscht. Ihr Anteil an der Stromerzeugung soll bis zum Jahr 2050 auf 80 Prozent ansteigen. Dabei spielen Wind und Sonne im Investitionsportfolio die grösste Rolle. Doch insbesondere diese sind keineswegs kostenfrei, weil Angebot und Nachfrage nur in seltenen Fällen zusammen passen. Der Strom aus Wind und Sonne wird häufig zur falschen Zeit und am falschen Ort produziert und muss - mangels Speichermöglichkeit - nicht selten ins Ausland (wie Österreich) geradezu verschenkt werden. Dort wird er in Pumpspeicherkraftwerken verwendet, deren Strom bei Spitzenbedarf in Deutschland dann wieder teuer zurückgekauft werden muss.

Die erneuerbaren Energien lassen auch die Stromrechnung der deutschen Verbraucher drastisch ansteigen. In diesem Jahr beträgt die sogenannte EEG-Umlage schon 14 Milliarden Euro; in 2013 wird sie auf 17,1 Milliarden ansteigen. Diese beängstigende Entwicklung kommt vorallem deswegen zustande, weil die Bundesregierung die teuersten Ökostromvarianten (Solar!) am meisten fördert. Für die Privatkunden steigt damit ihre Umlage von jetzt schon 3,5 auf 4,79 Cent pro Kilowattstunde im Jahr 2013. Und das wird sich, nahezu ungebremst, weiter so fortsetzen. Zur Erinnerung: bei der Kernenergie betrug die kumulative staatliche Förderung in Deutschland zwischen den Jahren 1950 bis 2010 insgesamt 17,2 Milliarden Euro!

Die Stromnetze haben die EVU - auf politischen Druck hin - bereits vor Jahren an private Finanzinvestoren verkauft. Da es der Regierung bis jetzt nicht gelungen ist, einen Bedarfsplan für die nationale Stromversorgung vorzulegen, kommt der Bau neuer Hochspannungstrassen nicht voran. Der Widerstand der betroffenen Bevölkerung ist bereits spürbar. Die Freileitungen für die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) wird Masten erfordern, die beträchtlich höher sind als die derzeitigen 240/380-kV-Überlandleitungen. Ohne Enteignungen vieler Grundstückseigentümer wird das wohl nicht möglich sein.

Wegen der extremen Überkapazitäten im Norden Deutschlands wird bei Starkwind und Sonneneinstrahlung viel zu viel Leistung in das Überlandnetz gedrückt, die sich beim heutigen Ausbauzustand der Trassen oftmals nur unter Zuzahlung "verkaufen" lässt. Der Netzausbau - und zwar europaweit! - ist also für Deutschland extrem wichtig. Noch wichtiger als die Förderung der unwirtschaftlichen Stromerzeugung aus Wind und Sonne. Leider ist die Realität eine andere.


Stromnetze: Energie zu den Verbrauchern

Wegen der Fluktuation in der Stromerzeugung bei den erneuerbaren Energien müssen schnell regelbare Reservekapazitäten vorgehalten werden. Bei Windkraft sind Reservekraftwerke für mindestens 90 Prozent, bei der Photovoltaik sogar für 97 Prozent erforderlich. Da diese Kraftwerke nur zeitlich begrenzt eingesetzt werden, sind sie zwangsläufig teuer und ineffizient. Deswegen stehen derzeit in Emden und Landsbergen auch zwei Gaskraftwerke vor dem Aus. Um den Weiterbetrieb dieser Kraftwerke zu rechtfertigen, müsste der Strompreis (im Handel) 85 bis 90 Euro pro Megawattstunde erreichen, was 50 Prozent über dem gegenwärtigen Marktpreis liegt.

Mittelfristig sind Kurz- und Langzeitspeicher in den deutschen Mittelgebirgen einzurichten, nachdem Norwegen in dieser Hinsicht bereits abgewunken hat. Da hierbei die Eingriffe in die Natur sehr grossflächig sind, kann man gewaltigen Protest bei der anwohnenden Bevölkerung erwarten. Deswegen denkt man auch an die Nutzung der überschüssigen (Wind-)Energie zur Herstellung von Wasserstoff mittels Elektrolyse. Das ist zwar technisch machbar, aber die Verluste bei der Erzeugung von Wasserstoff und Methan, sowie bei der Rückverwandlung in Strom sind enorm und dürften deshalb den Prozess unwirtschaftlich machen.

Ausstieg vom Ausstieg?

Sollte sich der Ausbau der Netze und der Speicheranlagen weiterhin verzögern, dann sind überregionale Blackouts nicht mehr auszuschliessen. Für die deutsche Industrie aber wären ungeplante Abschaltungen wahre Milliardengräber. Die ZEIT berichtet in einer ihrer letzten Ausgaben, "dass hochrangige Leute aus den oberen Etagen des Umweltministeriums den Ausstieg vom Ausstieg nicht mehr ausschliessen". Ja, selbst die atompolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, die Karlsruherin Sylvia Kotting-Uhl, kann sich vorstellen, dass es dazu kommen könnte - insbesondere dann, wenn in knapp zehn Jahren  sechs der neun heute noch aktiven Meiler in kurzem Zeitabstand vom Netz gehen sollten. Vor die Wahl gestellt, Atomstrom zu importieren oder ihn selbst zu machen, könnte die Laufzeitverlängerung zu einer "moralischen Frage" werden.

Die Juristen haben sogar schon Überlegungen darüber angestellt, wie das im Atomgesetz legal geregelt werden könnte. Bislang sind im Paragraf 7 dieses Gesetzes unter den Abschnitten (1a) bis (1e) die Abschaltdaten aller noch betriebenen Atommeiler verbindlich geregelt. Für den beschriebenen "Notfall" bräuchte man nur einen weiteren Abschnitt -  (1f) -  anzufügen, etwa mit folgenden Wortlaut:

"Drohen Störungen in der Elektrizitätsversorgung, so wird die Berechtigung zum Leistungsbetrieb über die in Abschnitt (1a) bis (1e) hinaus genannten Zeitpunkte verlängert".

Der Atomausstieg wäre gekippt.

Sonntag, 4. Dezember 2011

Vom Fusionsreaktor zum Kostenreaktor

Das Fusionsreaktorprojekt ITER (englisch: International Thermonuclear Experimental Reactor) befindet sich in einer schwierigen Phase. Das Projekt wurde 2006 mit grossem Aplomb gestartet, aber schon drei Jahre später waren die Vertragskosten von 5 Milliarden Euro auf 16 Milliarden angestiegen und der Inbetriebnahmetermin hatte sich um satte 10 Jahre verzögert. Der japanische Projektleiter Ikeda wurde  - zusammen mit seinem deutschen Stellvertreter Holtkamp -  gefeuert; ein weiterer Japaner, Osamu Motojima, trat an die Stelle der beiden. Über die Finanzierung der Mehrkosten, insbesondere im Bereich der Europäischen Union (EU) und in Deutschland wird immer noch heftig gestritten. Doch darüber weiter unten.

ITER ist ein Projekt der sechs Länder China, Indien, Japan, Korea, Russland, USA und der EU, die mit Geld und Sachmitteln zur Finanzierung beitragen. Darin liegt auch eine Schwäche des Unternehmens, denn die Abstimmung zwischen diesen vielen Ländern kostet viel Zeit und Geld. Als Standort für ITER wurde das südfranzösische Forschungszentrum Cadarache benannt -  übrigens nach heftigem Ringen mit Japan, weswegen diesem Land auch die Projektleiterposition zugestanden werden musste.



Das Logo des ITER

Weitere Kostenerhöhungen und Terminverzögerungen sind zu erwarten durch ein kürzliches Ereignis in Japan. Das Erdbeben von Fukushima und der nachfolgende Tsunami haben nämlich die wichtige Fabrik für Fusionskomponenten in der benachbarten Stadt Naka stark beschädigt. Die dort zu fertigenden supraleitenden Magnetspulen können wegen dieser Naturkatastrophe wohl erst ein bis zwei Jahre später ausgeliefert werden. Da es sich um Schlüsselkomponenten für den ITER handelt, ist man derzeit hektisch bemüht, den Schaden soweit als möglich zu begrenzen.

Technischer Gigantismus

Der technische Aufwand, welcher für ITER betrieben werden muss, ist beeindruckend. In Cadarache musste eine Hügellandschaft eingeebnet werden, um die plane Oberfläche für den Bauplatz der verschiedenen ITER-Gebäude zu schaffen. Dafür waren 2,5 Millionen Kubikmeter Erde zu bewegen, was ziemlich genau dem Volumen der ägyptischen Cheopspyramide entspricht. Die geschaffene Plattform besitzt eine Fläche von 42 Hektar, entsprechend der Grösse von 60 Fussballfeldern.
Zur seismischen Isolierung gegen Erdbeben sind 360.000 Tonnen Beton etc. einzubringen, was dem Gewicht des Empire State Buildings in New York gleichkommt.

Der Tokamak, das Herzstück des ITER, wird voll montiert 23.000 Tonnen wiegen, entsprechend dem Gewicht von drei Eiffeltürmen. Er wird aus mehr als einer Million Einzelteilen bestehen. Sein Plasmavolumen wird 840 Kubikmeter umfassen, verglichen mit gerade mal 100 cbm beim Vorläufer JET in England.
Jede der 18 D-förmigen Toroidalfeldspulen besitzt ein Gewicht von 360 Tonnen, entsprechend dem Gewicht einer vollbesetzten Boeing 747. Die Spulen sind 14 Meter hoch und 9 m breit.
Sie sind mit supraleitenden Niob-Zinn-Drähten ausgestattet, die in ihrer Länge zwei Mal um den Globus reichen würden. Die Produktion dieser Drähte haben den Preis dieser Legierung auf dem Weltmarkt merkbar beeinflusst.

Der Bauplatz des ITER in Cadarache

Die Grosskomponenten werden am nächstliegenden Mittelmeerhafen Marseille angelandet und auf der sogenannten ITER-Strasse zum Standort in Cadarache gebracht. Diese 104 Kilometer lange Strasse wurde eigens für die 200 Schwerlasttransporte des ITER gebaut und besitzt Kurven, Brücken etc., die für solche Transporte geeignet sind. Die schwerste Komponente wird 900 Tonnen wiegen und 4 Stockwerke hoch sein. Andere sind 61 m lang bzw. 9 m breit.

Ungelöste Finanzierungsfragen

Die Kostenüberschreitungen bei ITER und die damit verbundenen Mehrkostenforderungen schlugen bei den finanzierenden Regierungen wie eine Bombe ein. Insbesondere beim deutschen Forschungsministerium war man stocksauer. Die Ministerin, Frau Anette Schavan, sprach offen von "Missmanagement und Planungspannen". Sie verlangte Korrekturen bei der organisatorischen Struktur des Projekts, was letztlich zu dem bereits beschriebenen Stühlerücken beim oberen Management führte. Die Bundestagsabgeordnete der Grünen (Kotting-Uhl) forderte gar ein Moratorium für das Fusionsprojekt. Aber so weit wird es nicht kommen, denn noch steht die Bundeskanzlerin Angela Merkel - die sich in den kritischen Situationen selbst einschaltete - eindeutig hinter ITER.

Die Europäer haben sich beim ITER per Vertrag zu 2,7 Milliarden Euro verpflichtet, entsprechend ihrem Anteil von 45 Prozent. Für sie steigen die Kosten nun auf 7,2 Milliarden. Im nächsten Haushalt der Europäischen Union in Brüssel sind von den Mehrkosten aber lediglich 1,3 Milliarden unterzubringen. Aus welchem "Fördertopf" das geschehen soll, darüber wird noch heftig gestritten. Am einfachsten wäre die Finanzierung aus dem Agrartopf. Bei ihm gibt es derzeit noch einen Überschuss von 1,68 Milliarden unausgeschöpfter Mittel. Da sie aber an die Mitgliedsstaaten zurückfliessen sollen, bestehen diese auf  Rückgabe. Insbesondere Deutschland will sein nicht benötigtes Geld zurück. Im Augenblick sieht es so aus, dass zur Finanzierung in erster Linie der Forschungshaushalt beaufschlagt werden soll. Die endgültige Entscheidung wird erst 2012 getroffen werden, aber bereits jetzt ist das "Geschrei" der vielen Förderempfänger aus Universitäten und Forschungsinstituten zu vernehmen, deren - zum Teil winzige Projekte -  durch ITER beschnitten werden sollen.

Trüber Ausblick

Kommen wir zurück auf die (wahrscheinliche) terminliche Abwicklung des Projekts. In etwa zehn Jahren soll der ITER so weit fertiggestellt sein, dass er mit Wasserstoff gefüllt werden kann. Das erste Deuteriumplasma kann man zwischen 2025 und 2030 erwarten. Danach werden weitere zehn Jahre Betrieb gemacht, der hoffentlich erfolgreich ist. Wir sind nun im Jahr 2040, aber keineswegs am Ende der Fusionsentwicklung. Denn nach dem ITER werden - nach Meinung der Experten - mindestens zwei weitere Demonstrationsreaktoren (DEMO 1 und DEMO 2) benötigt, bis das Fusionsprinzip wirtschaftlich ist. Jeder dieser Demos benötigt von der Planung, über den Bau bis zum Betrieb einen Zeitrahmen vom mindestens 30 Jahre. Damit sind wir im Jahr 2100 angelangt. Zu diesem Zeitpunkt sollte das weltweite Energieproblem aber längst gelöst sein; ob dann jemand noch auf die Fusionsreaktoren wartet, ist höchst unwahrscheinlich. Ganz abgesehen davon, dass die Finanzierung der teueren Demos durch die Energieversorgungsunternehmen mehr als fraglich ist und die Staaten sie wohl nicht schultern können oder wollen.

Und der ITER ist - verglichen mit dem Demonstrationsreaktoren - nur ein "kleines Maschinchen". Trotz der oben aufgeführten beeindruckenden Grösse seiner Komponenten! Und, entgegen der allgemeinen Vermutung, produziert er noch nicht einmal Strom. Ja, was denn sonst denn -  wird sich der finanzierende Steuerzahler fragen?

Nun, dem Tokomak entströmt gerade mal Wasserdampf  von 150 Grad Celsius - und das auch nur mit langen Unterbrechungen.

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