Sonntag, 29. November 2009

Post Nr. 100

Nun ist die Zahl "100" also erreicht!
Als ich vor knapp zwei Jahren - Weihnachten 2007 - mit dem Bloggen aus einer Laune heraus anfing, hätte ich mir nicht vorstellen können, dieses Hobby so lange zu betreiben. Aber es machte mir zunehmend Spass, jeden Sonntag um 18 Uhr 30 einen Post ins Internet zu stellen und meine zunehmende Leserschar damit zu erfreuen - oder auch etwas zu vergrätzen.

Mehr als einmal wurde ich gefragt, woher ich all diese Themen nähme. Nun, ich musste nicht danach suchen, ich habe sie alle gefunden, ja sie kamen geradewegs auf mich zu. Als Ruheständler hat man endlich die Musse (mehrere) Zeitungen und Bücher zu Ende zu lesen, ins Theater und in Museen zu gehen und während des Urlaubs die Gedanken schweifen zu lassen. Der Besuch der Bayreuther Festspiele hat mich zu einer Privatrezension angeregt (Katharina: "versungen und vertan"?) ebenso wie eine Austellung des Museums Frieder Burda in Baden-Baden (Schaun mer mal). Die Entscheidungen der Karlsruher Stadtverwaltung habe ich stets kritisch verfolgt (Fenrich knickt ein) ebenso wie die - aus meiner Sicht - zum Misslingen verurteilte Fusion des Forschungszentrum mit der Karlsruher Uni (KIT beschlossen, FZK in der Landesliga). Die Probleme bei den Grossprojekten LHC (Ein Teilchen namens Higgs) und bei ITER (Fehlstart bei ITER) habe ich nie aus den Augen verloren. Beim Bundesgerichtshof war ich Zuhörer und "Berichterstatter", wenn es um Prominente (Utz Claassen und kein Ende) oder auch nur um kleine Handwerker - aber interessante Sachverhalte - ging (Schwarzarbeiter müssen gewährleisten).

Fasziniert hat mich, bis auf den heutigen Tag, das Gebiet der Astrophysik (Das Schicksal unseres Universums). Ich bin den Physikprofessoren der Uni dafür dankbar, das sie mich als Oldtimer jahrelang inmitten einem Dutzend 8-semestriger Studenten an Hauptseminaren teilnehmen liessen und dabei meine simplen Fragen ertrugen (Die ersten drei Minuten des Universums). Bei einer Urlaubsreise in die USA habe ich nicht nur den "Indian Summer" genossen, sondern auch eine historische Finanzstätte besucht (Als leaf-peeper in Bretton Woods). Und schliesslich habe ich einige Male meinen Freundeskreis zitiert (Rotter Stammtisch Gespräche). Ich könnte noch eine Zeitlang so weiter machen, will es mir aber versagen und stattdessen die Liste meiner 100 Posts unten anhängen. Anklicken gestattet!

Das Ausformulieren dieser Essays auf ein Standardformat von etwa drei Seiten machte mir grossen Spass. Deutsche Aufsätze zu schreiben gehörte schon zu Gymnasiumszeiten (neben Physik) zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Ich will aber nicht verhehlen, dass zuweilen doch etwas Stress aufkam, wenn ich( zu Urlaubszeiten) mein selbstgestecktes Ziel - jedes Wochenende einen Post ins Netz zu stellen - nur mit Mühe erreichen konnte.

Nun, nach dem 100. Post habe ich beschlossen, die Sache zukünftig etwas lockerer anzugehen. Meine Kolumne wird nicht mehr streng wöchentlich erscheinen. Ich werde eine Pause einlegen. Diese kann kurz sein -

vielleicht aber auch länger.


Und nun die Liste aller bisherigen Posts

(Anklicken genügt)

Sonntag, 22. November 2009

Künstlerinnen unter sich

Brigitte M.: Hallo, habt ihr schon das nächste Jahr geplant? Fahren wir wieder nach Basel zur art-Austellung?

Gaby O.: Bin mir nicht sicher, habe manches noch von diesem Jahr in schlechter Erinnerung: viele Bilder und Skulpturen in enge Kabüffchen gequetscht und ebenso gequetscht fühlt man sich als Besucher.

Ursel R.: Ja, die Kuben des Minimalisten Donald Judd stehen neben den trash-Skulpturen eines Jonathan Meese und niemand stört es, dass die Werke sich gegenseitig die Luft nehmen.

Brigitte: Das ist eben typisch für diese Kunstmessen: das Heterogene wird homogenisiert bis man selbst krudeste Gegensätze für vereinbar hält. Man wird bestürmt von tausend Eindrücken, sieht alles und sieht nichts.

Gaby: Ein Zapping-Erlebnis, fast wie beim Fernsehen. Man springt hin und her, weil man immer wieder hinter der nächsten Stellwand das grosse Erlebnis erwartet.

Ursel: Und die Geschäfte der Galeristen laufen bestens; inzwischen verkaufen sie auf Messen mehr Kunstwerke als zuhause in ihren Galerien. Der Handel hat das Hinterzimmer verlassen und sucht das Marktgeschrei.

Brigitte: Ähnliches geschieht auf den Auktionen. Wie die Messen erzeugen die Auktionshäuser vorwiegend Emotionen. Stille, oder gar Erhabenheit bei der Betrachtung der Werke ist nicht mehr gefragt.

Gaby: Es zählen die Rekordumsätze und die Rekordpreise. Die Qualität eines Kunstwerks muss man nicht mehr - wie früher - mühsam im Kunstwerk selbst suchen, sondern sie ergibt sich aus dem Preis.

Ursel: Ja, manche "Kunstkenner" sehen in der Versteigerung die einzige Möglichkeit, den Wert eines Bildes festzustellen. Die teuersten Werke sind die besten. Basta!

Brigitte: Völlig verrrückt ist, dass man neuerdings für Bilder der klassischen Moderne weit höhere Preise bezahlt als für seltene ältere Kunstwerke. Jackson Pollock schlägt Jan Vermeer und Damien Hirst überbietet Peter Paul Rubens.

Gaby: Womit wir bei den Sammlern wären. Für den in durchsichtigen Kunststoff eingelegten Hai von Hirst hat ein Sammler satte 12 Millionen Dollar hingelegt.

Ursel: Nun, was tut man nicht alles um die physische Unsterblichkeit ständig vor Augen zu haben.

Brigitte: Die meisten Sammler haben ihr Geld als selbständige Unternehmer verdient; warum sollten sie nur Autos und Rennyachten kaufen, wenn Kunst langfristig viel wertbeständiger ist.

Gaby: Aber kurzfristig kann es schon mal zum crash kommen. Der japanische Unternehmer Ryoai Saito kaufte vor zwanzig Jahren Vincent van Goghs Gemälde "Portrait des Dr. Gachet" für 82,5 Millionen Dollar und verlor in der darauffolgenden Immobilienkrise damit viel Geld.

Ursel: Trotzdem, nirgendwo verwandelt sich viel Geld so umstandslos in Prestige wie beim Kunsthandel. Flick, Guggenheim etc. etc. sind der Beweis.

Brigitte: Insbesondere seit Sammler nicht nur kaufen und in öffentlichen Museen ausstellen, sondern sich sogar ihre eigenen Museen von internationalen Stararchtitekten bauen lassen.

Gaby: Reinhold Würth in Künzelsau und Frieder Burda in Baden-Baden sind da prominente Beispiele. In der Kurstadt wird inzwischen die altehrwürdige Kunsthalle fast an die Wand gedrückt und muss um ihre Existenz fürchten.

Ursel: Oftmals drücken grosse Privatsammler auch ihre Bestände in öffentliche Museen, wie es im Falle von Udo Brandhorst bei der Neuen Pinkothek in München geschehen ist und durch Ströher im Bonner Kunstmuseum.

Brigitte: Und nicht selten kommt es dabei zum Krach mit der Museumsleitung, wenn der Sammler sich nicht hinreichend gewürdigt fühlt. Ganze Sammlungen werden plötzlich wieder abgezogen und auf den Auktionsbühnen der Welt zu Geld gemacht. Die zeitweilige Präsentation in einem renommierten Museum hat den Wert der Objekte in aller Regel deutlich erhöht.

Gaby: Zuweilen läuft es aber auch umgekehrt. Die Sammlung des knorrigen Lothar-Günter Buchheim in seinem grossen alten Haus in Feldafing am Starnberger See enthielt ja nicht nur Bilder von Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner sondern auch Karusselpferde aus Holz, Zirkusplakate, Wurzelhölzer, Briefbeschwerer, Muscheln und Murmeln. Diese Trouvaillen waren in den Schränken seiner Privatwohnung gewissermassen ein Gesamtkunstwerk. Sie wirken aber vergleichsweise steril und mager seit sie in das von Günter Behnisch am Seeufer erbauten Museum überführt wurden.

Ursel: Sprechen wir mal vom Künstler, schliesslich steht er am Anfang der "Nahrungskette".
Und der alte Spruch, wonach die Kunst nach Brot geht, stimmt wohl noch immer.

Brigitte: Ja, wie man in der "ZEIT" lesen konnte, können 95 Prozent der Abgänger aus Kunstakademien von ihrer erlernten Kunst nicht leben und werden vom Ehepartner durchgeschleppt oder fahren Taxi.

Gaby: Gut sind diejenigen dran, denen es geglückt ist, Werke mit hoher Wiedererkennbarkeit zu produzieren. Da hat sich einer auf Autoschrott (John Chamberlain) spezialisiert, der andere auf Nägel (Günther Uecker)...

Ursel: ...der nächste zerschlitzt Leinwände (Lucio Fontana) oder hängt die Bilder kopfüber (Georg Baselitz) oder legt Tierkadaver ein wie der schon genannte Damien Hirst.

Brigitte: So erkennt eben auch der eiligste Museumsbesucher schon im Vorbeigehen, dass es sich bei diesen Werken um "Kunst" handelt - auch wenn er den Namen des Künstlers häufig nicht parat hat.

Gaby: Eben hat irgendeine Weltorganisation den 19. November zum "Tag der Toilette" ernannt, weil es davon angeblich zu wenige gäbe. Dazu fällt mir doch gleich Marcel Duchamp ein, der schon 1917 ein Toilettenbecken mit seinem Namen signierte und anschliessend zum Kunstwerk erklärte.

Ursel: Ja, und Piero Manzoni lieferte dazu das Pendant, indem er 1959 seine berühmte "Merda d´Artista" (Künstlerscheisse!) produzierte. Gleich 90 Dosen zu je 30 Gramm füllte er ab und verkaufte sämtliche Werke - oder sollte man sagen Privaterzeugnisse? - zum (damaligen) Preis von einer Unze Gold.
Was sie wohl heute noch wert sind?

Sonntag, 15. November 2009

Gas im Überfluss?

Die USA sind derzeit von einem "Gas-Rausch" erfasst. Gas, ein besonders edler Brennstoff, weil er relativ wenig Kohlendioxid produziert, ist bislang knapp und teuer, da die Weltvorräte schon in 30 bis 40 Jahren zu Ende gehen sollen. Nun hat man neue Ressourcen entdeckt, welche diesen Zeitpunkt bis zum Jahrhundertende und darüberhinaus verschieben könnten.

Freilich handelt es sich nicht um das klassische Erdgas, das als Nebenprodukt bei der Erdölförderung gewonnen wird, sondern um ein Naturgas, das sich in geschichtetem Sedimentgestein befindet. Im amerikanischen Sprachgebrauch heisst es "shale-gas" (Schiefergas), wobei nicht der Schiefer im petrographischen Sinne gemeint ist, sondern eben das Sedimentgestein aus eingetrockneten Meeren früherer Jahre. Abgestorbene Kleinlebewesen, Algen und Plankton sind in vielen Meeresregionen in die Tiefe gesunken und haben über Jahrmillionen durch bakterielle Zersetzung Kohlenwasserstoffe (insbes. Methan) in den Sedimentfolgen gebildet.

Grundsätzlich bekannt waren diese Energievorräte schon seit längerer Zeit. Neu ist, dass sich in den letzten Jahren die technischen Methoden, wie Bohrtechnik und Gastransport dramatisch verbessert haben. Die Ausbeutung dieser Lagerstätten mit vertretbaren Kosten und Umweltrisiken scheint nun technisch möglich geworden zu sein.

Die renommierte amerikanische Zeitung "The New York Times" berichtete kürzlich (am 10. Oktober 2009) auf Seite 1, dass nach Expertenschätzungen diese Gasvorräte den 200- bis 600-fachen Jahresverbrauch der USA entsprechen würden. Inbes. in Texas, Lousiana und Pennsylvania wurde schon so viel Gas gefunden, dass die Gaspreise in den Vereinigten Staaten beträchtlich nach unten gedrückt werden konnten.

Ein ganz besonderer Vorzug dieses Naturgases ist, dass es auf der ganzen Erde vorkommt. In China und Indien vermutet man riesige Vorkommen und wenn man bedenkt, dass vorallem in China bislang jedes Jahr hundert (schmutzige) Kohlekraftwerke in Betrieb genommen werden müssen, dann könnte die Umstellung auf Naturgas die ökologische Situation dieser Schwellenländer drastisch verbessern. Auch in Europa haben die Explorationen bereits begonnen. Exxon macht Versuchsbohrungen in Deutschland, Total in Frankreich und die italienische ENI sowie die norwegische Statoil, haben sich in einigen US-Staaten eingekauft, um die Bohrtechniken zu erlernen. Bedenkt man die Abhängigkeit Europas (und Deutschlands) vom russischen Erdgas und die regelmässigen Unterbrechungen bei der Durchleitung durch die Ukraine, so könnte das Naturgas signifikant zur Autonomie auf diesem bislang prekären Energiegebiet beitragen.

In den USA sieht man sogar noch weitere Konsequenzen. Bekanntlich möchte dieses Land in den nächsten Jahren mehrere Kernkraftwerke bauen. Sollte das Naturgas aber alsbald in genügender Menge und zu wirtschaftlich stabilen Preisen zur Verfügung stehen, dann könnten die Nuklearprogramme gekippt werden zugunsten von Gaskraftwerken mit niedrigeren Kapitalkosten.

Und die Vereinigten Staaten, welche sich bisher strikt weigerten, den Kyoto-Vertrag zu unterzeichnen, könnten plötzlich als ökologischer Musterknabe dastehen.

Sonntag, 8. November 2009

Gestatten, Robert Oppenheimer

Vor wenigen Monaten ist die Biografie "J. Robert Oppenheimer" im Propyläen-Verlag erschienen, jenes Physikers, den die Welt inbesondere unter der makaberen Bezeichnung "Vater der Atombombe" kennt. Die 672 Seiten der Autoren Kai Bird und Martin J. Sherman bieten ausreichend Lesestoff für eine Woche und sind ein erwägenswertes Geschenk an Naturwissenschaftler sowie politisch und historisch Interessiert (30 Euro).

Robert Oppenheimer kam im April des Jahres 1904 als Sohn eines aus dem hessischen Hanau eingewanderten jüdischen Tuchhändlers zur Welt; die Mutter, Kunsterzieherin mit einer Malerausbildung in Paris, hatte ihre Wurzeln in Bayern. Der junge Robert, dessen vielseitige Begabung die Eltern von Anbeginn erkannten, wurde an einem privaten Gymnasium erzogen und studierte anschliessend an der Harvard-Universität Chemie, klassische Philologie und Orientalistik.

Trotz Bestnoten fühlte sich Robert nicht glücklich, weshalb er für das Master-Studium nach England an das Cavendish Laboratory der Universität Cambridge wechselte und dort von Ernest Rutherford mit experimentellen Arbeiten im Bereich der Physik beauftragt wurde. Für Versuche hatte der mehr theoretisch ausgerichtete Oppenheimer aber weder Neigung noch Begabung. Er entwickelte eine nervliche Krise, die eine längere psychiatrische Heilbehandlung erforderlich machte. Danach verlegte er sich ganz auf die theoretische Physik. Max Born in Göttingen wurde auf den jungen Studenten aufmerksam wurde und bot ihm eine Doktorarbeit an.

Die Universität Göttingen war in den zwanziger Jahren das Mekka der Physik. Werner Heisenberg hatte (zusammen mit Nils Bohr und Max Planck) die Quantenmechanik "erfunden" und in seiner Umgebung bewegten sich so berühmte Physiker wie Pascual Jordan, Wolfgang Pauli, Enrico Fermi, Paul Dirac und Edward Teller. In Göttingen erlebte Robert Oppenheimer eine glückliche Zeit, wie er später oftmals bekannte. Seine Nervenkrise verschwand und das Leben in der überschaubaren Kleinstadt tat ihm gut. Wenn man zum "Schwarzen Bären", einem Wirtshaus aus dem 15. Jahrhundert, zum Biertrinken ging, war es häufig Robert, der die Rechnung beglich. Materieller Besitz war ihm gleichgültig, nicht aber die Bewunderung seiner Freunde. Nach nur zwei Jahren promovierte er in Göttingen "mit Auszeichnung" mit einer Arbeit über die Atomspektren. Dem damaligen Brauch entsprechend musste der frischgebackene Doktor in den Brunnen vor dem Rathaus steigen und die "Gänseliesel", eine Bronzefigur, küssen.

In seiner Heimat Amerika wurde man auf den jungen Wissenschaftler Robert Oppenheimer aufmerksam und eine Reihe von Universitäten boten ihm Professuren an. Er entschied sich schliesslich für Kalifornien, wo er abwechselnd in Pasadena und Berkeley Vorlesungen abhielt. Bezeichnend für den damaligen Stand der Phyik in den USA war die Tatsache, dass es - vor Oppenheimer - an der Universität Berkeley keinen einzigen Lehrstuhl für theoretische Phyik gab! Für "Oppie", wie ihn seine Freunde nannten, waren die dreissiger Jahre eine sehr kreative Zeit. Er veröffentlichte Dutzende wissenschaftlicher Arbeiten, zumeist aus dem Gebiet der Quantenphysik. Darüberhinaus interessierte er sich aber auch für die Astrophysik, welche erst zwanzig Jahre später in das Blickfeld der Physiker und Astronomen gelangte. Seine Veröffentlichungen über Neutronensterne und den gravitativen Kollaps schwerer Sterne zu Schwarzen Löchern (ein Begriff der erst viel später von Hawking geprägt wurde) belegen das.

Im politischen Spektrum der Vereinigten Staaten, das bislang nur die Demokraten und Republikaner kannte, war mittlerweile eine dritte Partei hinzu gekommen: die Kommunistische Partei der USA (KPUSA). Die Weltwirtschaftskrise und der "New Deal" des Präsidenten Franklin D. Roosevelt hatte viele Verlierer hinterlassen, insbesondere im Mittelstand. Studenten und Professoren waren zudem angewidert von den rechtsnationalen Bewegungen in Deutschland und in Spanien. "Gleichheit und Solidarität" war ein beliebtes Schlagwort, wobei man die Freiheitsbeschränkung in der Sowjetunion schlichtweg ausblendete. Auch Robert Oppenheimer war in seinem Freundeskreis umgeben von Anhängern der KPUSA. Er selbst war zwar nicht Mitglied dieser Partei, liebäugelte aber offensichtlich mit ihren Zielen und brüstete sich, auf einer Zugreise nach Washington D.C., sämtliche drei Bände des "Kapital" von Karl Marx gelesen - und verstanden! - zu haben.

Im privaten Bereich war der junge Professor Oppenheimer kein Kind von Traurigkeit. Und die Damen, ledig und verheiratet, umschwärmten den gut aussehenden Junggesellen, der seine schlanke Figur (1,77 Meter bei 57 Kilo) vorteilhaft in Massanzügen aus feinem Tuch zur Geltung brachte. Geradezu ein Markenzeichen war die Zigarette - später die Pfeife - im Mundwinkel und der knautschige Hut, den die Amerikaner "pork-pie" nannten. Nach einer Vielzahl von Affären (auch mit Ehefrauen von Kollegen) brachte ihn schliesslich Katherine Puening Harrison, genannt "Kitty" zur Strecke. Er heiratete die bereits zwei Mal Geschiedene 1940, worauf im Hause Oppenheimer der Alkohol nie mehr ausging. Robert mischte seine berühmten Martini-Cocktails auf unnachahmliche Weise: ein Tropfen Wermouth und den Rest des Glasses mit Gin auffüllend. Ehefrau Kitty war Oppies beständigste Abnehmerin! Schon ein Jahr nach der Eheschliessung wurde der Sohn Peter geboren, zu dem Kitty zeitlebens keine Bindung fand. Drei Jahre später kam das Mädchen Toni hinzu, dem Kitty in wahrer Affenliebe anhing.

Die Entdeckung der Uranatomspaltung durch die deutschen Wissenschaftler Otto Hahn und Fritz Strassmann wurde in den USA mit grösster Sorge registriert. Die von Hitler vertriebenen Physiker waren sich "sicher", dass in Deutschland an einer Atombombe geforscht würde. Einstein wandte sich deshalb in einem Brief an den Präsidenten Roosevelt mit der Aufforderung, dass die USA ebenfalls eine Bombe bauen sollten. Tatsächlich wurde ein "Urankomitee" ins Leben gerufen, das ein Stab des Weissen Hauses koordinierte. In Oak Ridge und Hanford sollten die bombenfähigen Isotope produziert werden.

Zur Entwicklung und zum Bau der eigentlichen Atomwaffen benötigte man ein gesondertes Forschungszentrum, das unter dem Namen Los Alamos im Hochland von New Mexico, etwa 50 Kilometer nördlich von Santa Fe gegründet wurde. Zum wissenschaftlichen Direktor benannte man den inzwischen charismatischen Wissenschaftler J. Robert Oppenheimer, der formell dem Armeegeneral Leslie R. Groves unterstellt wurde. Oppenheimer gelang es (bis auf wenige Ausnahmen) alle Top-Wissenschaftler der USA für sein Unternehmen zu gewinnen, das unter der Code-Bezeichnung "Manhattan-Projekt" lief und von der Inlandsspionageabwehr FBI als "top secret" eingestuft wurde. Los Alamos wurde 1943 in wenigen Monaten praktisch aus dem Boden gestampft; zwei Jahre später arbeiteten dort mehr als 3.000 Ingenieure und Wissenschaftler. Auch Oppenheimers acht Jahre jüngerer Bruder Frank, ein ausserordentlich begabter Experimentalphysiker, war dort in leitender Funktion tätig.

Die Wissenschaftler in Los Alamos, welche gewohnt waren, mit begrenzten Mitteln und praktisch ohne Termine zu arbeiten, mussten nun lernen, mit unbegrenzten Mitteln und strengen Terminvorgaben zurecht zu kommen. Schon bald hatten die Theoretiker herausgefunden, wieviel Spaltstoff für eine Atombombe mit der Explosionswirkung von 20.000 TNT notwendig war: bei der Uranbombe benötigte man einen Urankern von der Grösse einer Melone, bei der Plutoniumbombe wäre der Kern nicht grösser als eine Orange gewesen. Übrigens verbot Oppenheimer seinen Forschern die Benutzung des Wortes "Bombe"; stattdessen sollte von "Gadget" gesprochen werden, was mit Apparat bzw. Gerät übersetzt werden könnte.

Dennoch geriet das Projekt bald in eine Krise; die kurz bemessene Zeit eilte davon und noch immer glaubte man sich mit den "Nazi-Forschern" in Deutschland im Wettbewerb. Als man erfuhr, dass Werner Heisenberg, in welchem man den "deutschen Oppenheimer" vermutete, in der Schweiz einen Vortrag halten wollte, schickte der US-Geheimdienst sogar einen Agenten dorthin, um Heisenberg zu entführen oder gar zu töten. Der ehemalige Baseballspieler Moe Berg konnte sich jedoch weder zum Einen noch zum Anderen entschliessen.

Ein grosses Problem war die geringe verfügbare Menge an spaltbarem Uran. Es wurde durch fraktionierte Diffusion und und elektromagnetische Trennung gewonnen. Im Sommer 1944 ordnete Oppenheimer deshalb den Aufbau einer weiteren Anlage zur Thermodiffusion in Oak Ridge an, was sich als voller Erfolg herausstellte. In wenigen Monaten war der Nachschub an Uran gesichert. Zur Zündung des Uran-235 setzte man auf den sogenannten "Gun-Design". Dabei wurde eine solche Menge spaltbaren Materials in ein anderes, ebenfalls spaltbares Material geschossen, sodass der kritische Zustand erreicht wurde und es zu einer unkontrollierten Kettenreaktion, sprich Kernexplosion, kam.

Schon bald zeigte sich, dass bei der Plutoniumbombe die Methode der Kompaktifizierung nicht funktionierte, weil es dort (wegen der Neutronen) zu einer Frühzündung gekommen wäre, was die Brisanz der Bombe drastisch vermindert hätte. Die neue Idee war, Linsen aus Sprengstoff um die pampelmusengrosse, lose gepackte Plutoniumkugel herum zu lagern; die nach innen zielende symmetrische Sprengstoffexplosion sollte das Plutonium spontan zu einer Kugel von Golfballgrösse verdichten, worauf die nukleare Explosion in Gang gekommen wäre. Aber die Forscher waren sich ihrer theoretischen Analysen nicht vollkommen sicher, worauf Oppenheimer - nur für die Plutoniumbombe - eine Testexplosion anordnete. Sie fand im Juli 1945 auf dem "Trinity"-Gelände in New Mexico statt und war ein "voller Erfolg". Zum ersten Mal erhob sich eine pilzförmige Wolke über Ground Zero kilometerhoch in den Himmel.
Ein neues Zeitalter hatte begonnen.

Mittlerweile war den Bombenbauern aber ihr "Lieblingsfeind" abhanden gekommen. Deutschland hatte am 8. Mai 1945 bedingungslos kapituliert - gerade noch rechtzeitig bevor die amerikanischen Kernwaffen zur Verfügung standen. (Einige Monate später stellte sich, u. a. bei den sogenannten Farmhall-Gesprächen heraus, dass die deutschen Wissenschaftler nie an dieser Massenvernichtungswaffe gearbeitet hatten und dass sie auch von den deutschen Politikern nie in Erwägung gezogen worden war.) Viele in Los Alamos waren enttäuscht, dass sie zu spät gekommen waren. So richteten sie ihre Blicke auf Japan, ein Land, mit dem man sich noch im Krieg befand, der aber sichtbar dem Ende zuging. Ausserdem war unstrittig, dass die japanischen Wissenschaftler kein Atomprojekt verfolgten. Trotzdem unterzeichnete Oppenheimer im Juni 1945 ein Memorandum, in dem er "den sofortigen Einsatz von Atomwaffen auf Japan" empfahl.


Am 6. und 9. August 1945 warfen amerikanische Flugzeuge zwei Atombomben (mit den banalen Namen "Little Boy" und "Fat Man") über die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki ab. Die Folgen sind bekannt: mehr als 200.000 Menschen starben sofort oder in unmittelbarer Folge. Viel später, 1960, reiste Oppenheimer zum ersten Mal nach Japan und auf dem Flughafen Tokio bestürmten ihn die Journalisten mit Fragen. "Ich bedauere es nicht", sagte er leise, "dass ich mit dem technischen Erfolg der Bombe zu tun hatte. Ich will nicht sagen, dass ich mich nicht schlecht fühle; aber ich fühle mich heute Abend nicht schlechter als gestern Abend". Die Übersetzung dieser vieldeutigen Gedanken ins Japanische wird nicht einfach gewesen sein.


Zurück ins Jahr 1945. Oppenheimer, den vorher - ausserhalb der Sphäre der Wissenschaft - praktisch niemand kannte, wurde als "Vater der Atombombe" schnell zu einer Berühmtheit, ja zu einer amerikanischen Ikone. Die Zeitungen bestürmten ihn wegen Interviews, überallhin wurde er zu Vorträgen eingeladen. Auch Präsident Harry S. Truman, der dem im April 1945 verstorbenen Franklin D. Roosevelt nachgefolgt war, wollte den berühmten Physiker kennenlernen und lud ihn ins Weisse Haus ein. Bei dieser Unterredung verärgerte Oppenheimer den Präsidenten, weil er die Bemerkung fallen liess, dass er "Blut an den Händen" habe. Truman, ein Politiker simplen Zuschnitts, bezeichnete ihn daraufhin als "cry-baby" (Heulsuse) und entliess ihn schon nach einer halben Stunde ziemlich abrupt aus dem Oval Office.


Der Popularität (und der weiteren Karriere) Oppenheimers tat dies jedoch keinen Abbruch. Oppie wurde nach wie vor zu unzähligen Veranstaltungen eingeladen und betätigte sich als Berater bei höchsten Regierungsstellen, z. B. beim Aussenministerium, beim Kriegsministerium und bei der Amerikanischen Energie Commission (AEC), welche den weiteren Bau der Atombomben zu koordinieren hatte. Zunehmend jedoch verärgerte er den Vorsitzenden der AEC Lewis Strauss dadurch, dass er öffentlich die Rüstungskontrolle forderte und vorschlug, das "Atomgeheimnis" mit dem ehemaligen Verbündeten, der Sowjetunion, zu teilen. Die offizielle US-Politik dachte aber nicht im Traum daran. Bereits fünf Jahre nach dem Krieg hatte man 300 Kernwaffen im Depot und mit der Atombombe wähnte man sich auf dem Weg zur absoluten Weltmacht.


Einen politischen Einschnitt brachte die Zündung der ersten sowjetischen Atombombe am 2. August 1949. Amerika und insbesondere der Präsident Truman konnten nicht glauben, das es dem technisch rückständigen und vom Krieg noch darnieder liegenden Russland gelungen war, das Manhattan-Projekt nachzumachen. Da konnte nur Verrat im Spiel sein. Der Senator Joseph McCarthy und der FBI-Chef Edgar Hoover suchten fortan nach diesen kommunistischen Spionen und wurden fündig. Das jüdische Ehepaar Ethel und Julius Rosenberg wurde der Atomspionage für die Sowjetunion bezichtigt, 1961 zum Tode verurteilt und auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet.


Nun wurde auch die Luft für Oppenheimer dünner, dessen Neigung zum Kommunismus in den dreissiger Jahren dem FBI natürlich bekannt war. Besonders belastet hat ihn der Fall des deutsch-britischen Atomspions Klaus Fuchs, der 1944 eine Zeitlang in Los Alamos gearbeitet hatte und dabei streng geheime Unterlagen zur Atom - und sogar zur Wasserstoffbombe an die Sowjets weiter leitete. Der AEC-Vorsitzende Lewis Strauss verlangte von Oppenheimer, dass er seine Beratertätigkeit einstelle und als sich dieser weigerte, kam es zur Bildung eines Untersuchungsausschusses. Oppenheimer wurden u. a. seine Versäumnisse im Fall Fuchs vorgeworfen und Edward Teller beschuldigte ihn darüberhinaus, dass er die Entwicklung der Wasserstoffatombombe bewusst verzögert habe. Mit 2 : 1 Richterstimmen wurde Oppenheimer für schuldig befunden - aber er verlor nicht sein Leben, sass noch nicht einmal einen einzigen Tag im Gefängnis, sondern es wurde ihm lediglich die "security clearance", also die Unbedenklichkeitsbescheinigung, entzogen. Ab sofort hatte er keinen Zugang mehr zu geheimen Papieren, was seine Beratertätigkeit bei den verschiedenen Regierungskommissionen beendete.


Über den etwa zwei Monate andauernden Prozess schrieb der deutsche Theaterautor und Psychiater Heinar Kipphardt 1964 sein Stück "In der Sache J. Robert Oppenheimer", das die Theaterbesucher in ganz Europa elektrisierte. Nur Oppenheimer selbst gefiel es nicht, er wollte sogar den Autor verklagen. Insbesondere mit dem Schlussmonolog war er gar nicht einverstanden, weil Kipphardt ihm Schuldgefühle wegen des Baus der Atombombe in den Mund gelegt hatte!


Von 1947 bis zu seinem Tode war Oppenheimer Leiter des berühmten "Institute of Advanced Study" (IAS) in Princeton, das seinem Ruf vorallem der Tatsache schuldete, dass es Wohnort und intellektuelle Zuflucht von Albert Einstein war. Die durch private Sponsoren gut dotierte Stelle erlaubten Oppie einen grosszügigen Lebenswandel. Vortagsreisen durfte er weiterhin unternehmen und 1962 erhielt er mit dem Fermi-Preis (durch Kennedy) sogar eine Art regierungsamtliche Wiedergutmachung. Ab 1954 verbrachte die Familie Oppenheimer jedes Jahr einige Monate auf der kleinen Karibikinsel St. John die zu den (amerikanischen) Virgin Islands gehören. An der Hawksnest Bay erwarben sie ein Grundstück und liessen dort durch einen renommierten Architekten ein Ferienhaus bauen. Palmen säumten den weissen Strand dieses Schlupfwinkels, Papageienfische tummelten sich im türkisblauen Wasser und gelegentlich zog ein Schwarm Barrakudas vorbei. Eine wahre Idylle!


Ab 1966 entwickelte sich bei Oppenheimer ein bösartiger Kehlkopfkrebs, der wahrscheinlich mit seinen Rauchergewohnheiten zusammen hing. Trotz mehrfacher Bestrahlungen liess sich der Tumor nicht zurück drängen. Am 18. Februar 1967, gerade 62 Jahre alt, starb J. Robert Oppenheimer ziemlich qualvoll. Sein Leichnam wurde eingeäschert und die Urne wunschgemäss in St. John, unweit von seinem Haus im Meer versenkt. Lewis Strauss sandte Kitty Oppenheimer umgehend ein Telegramm: Die Nachricht von Roberts Tod habe ihn "betrübt".




Epilog


Kitty Oppenheimer zog nach dem Tod von Robert mit Bob Serber, einem Schüler und engen Mitarbeiter ihres Mannes, zusammen. 1972 kauften sie sich das Segelboot "Moonraker" und beschlossen damit die Welt zu umsegeln. Sie kamen nicht weit; vor der Küste Kolumbiens wurde Kitty so krank, dass Serber wenden und den Hafen von Panama ansteuern musste. Dort starb Kitty; ihre Asche wurde auf St. John, nahe bei der von Robert, verstreut.


Frank Oppenheimer, Roberts brillanter und liebenswürdiger Bruder, wurde 1949 während der McCarthy-Ära, aufgrund seiner früheren Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei der USA aus allen Universitätsämtern entlassen. Volle zehn Jahre schlug er sich in den Bergen Colorados als Viehrancher durch. Robert kam fast jeden Sommer auf die Ranch und es schmerzte ihn tief, dass sein Bruder so ein ärmliches Leben führen musste. Erst im August 1969 war es Frank möglich - gefördert durch verschiedene Stiftungen - in San Francisco ein kleines technisches Museum aufzubauen und als Familienprojekt zu betreiben.


Peter Oppenheimer, Kittys wenig geliebter Sohn, betrieb eine Zeitlang eine Ranch in den Bergen von New Mexico. Er hatte drei Kinder, wurde zweimal geschieden und liess sich schliesslich in Santa Fe als Bauunternehmer und Zimmermann nieder. Gelegentlich ging er als Umweltaktivist von Haustür zu Haustür und agitierte gegen die Risiken des Atommülls in seiner Gegend.


Toni Oppenheimer, die Tochter, fand nach dem Tod ihres Vaters keinen Halt mehr. Die willensstarke Mutter hatte sie noch in ein Masterstudium gedrängt, doch nach einer kurzen Weile steckte sie auf. Zweimal verheiratet und zweimal geschieden erlebte sie nur ein flüchtiges Glück. Sie kehrte schliesslich nach St. John zurück und versuchte mit Hilfe eines Psychiaters ihre Depressionen zu überwinden. Vergebens. Im Januar 1977 erhängte sie sich in dem Haus, welches ihr Vater an der Hawksnest Bay hatte bauen lassen.


Während der letzten dreissig Jahre bin ich einige Male urlaubshalber auf St. John gewesen. Die Bucht und der Sandstrand von Hawksnest sind mir wohl vertraut. Das Haus der Oppenheimer aber konnte ich dort nicht entdecken. Auf Befragen teilte mir ein einheimischer Karibe mit, dass es durch einen Hurrikan hinweg gefegt worden sei...









Sonntag, 1. November 2009

Wo ist der Neandertaler geblieben?

Vor etwa 7 Millionen Jahren soll sich die menschliche Linie von dem gemeinsamen Vorfahren mit dem Schimpansen abgespalten haben. Während der folgenden 5 Millionen Jahre lernten diese Hominiden zwar den aufrechten Gang, waren aber in Bezug auf Aussehen, Intelligenz und Gehabe noch sehr "affenartig", weshalb die Paläanthropologen sie der Kategorie "Australopithecus" (Südaffen") zurechnen. Die Menschwerdung zum "Homo" begann erst vor 2 Millionen Jahren, als das Gehirn zu wachsen anfing und die Fähigkeit zur Entwicklung von Sprache, Werkzeugen und kulturellen Dingen (wie Höhlenmalereien) folgte. Zugespitzt kann man sagen: "die Menschheit stand zuerst auf und wurde danach erst klug".

Unbestritten ist, dass sich die menschliche Rasse in Afrika entwickelt hat; etwa in dem Gebiet zwischen Äthiopien und Kenia befindet sich die "Wiege der Menschheit". Von dort breiteten sich unsere Vorfahren in Wellen immer wieder nach Europa und Asien aus, gemäss der "out-of Africa - These". Die Urmenschenforscher suchen deshalb bevorzugt in Ostafrika nach Fossilien und werden immer wieder fündig. Vor einiger Zeit haben sie das Skelett einer Hominiden-Dame aus dem äthiopischen Sand gescharrt, der sie den Spitznamen "Ardi" gaben und deren Alter man auf 4,4 Millionen Jahre schätzt. Dem amerikanischen Wissenschaftsblatt "Science" war dieser Fund sogar die Herausgabe eines Sonderheftes wert. Von Ardis Skelett sind 125 Teile erhalten, mehr als vom bisherigen Prunkstück, dem weiblichen Hominidenkörper "Lucy", welcher mit 3,2 Millionen Jahren zudem beträchtlich jünger ist. Der menschliche Körper besitzt 206 Knochen, aber da sich viele gleichen, ist ein Halbskelett anatomisch schon sehr aussagekräftig.

Unsere Kenntnis der Vorgeschichte des Menschen stützt sich auf ca. 5.000 Individuen. Manchmal ist es nur ein einzelner Zahn, aus dem die Wissenschaftler aber erstaunlich viel herauslesen können. Die Gesamtzahl der Fossilienfunde würde in einem mittleren Lieferwagen bequem Platz finden. Seit Anbeginn der Zeit haben mehrere Milliarden menschliche (oder menschenähnliche) Lebewesen die Erde bevölkert und jedes hat zum Gesamtbestand der Menschen ein klein wenig an genetischer Variabilität beigetragen. Leider ist aber wenig an Fossiliensubstanz bis jetzt aufgespürt worden. Dies gilt insbes. für den Verzweigungspunkt Affe-Mensch, das sog. "missing link", aber selbst für die jüngste Vergangenheit vor einigen zehntausend Jahren, als der Neandertaler noch existierte. Hinzu kommt, dass die relativ wenigen Fossilien nicht in gerader Linie zu uns führen, sondern, dass viele in einer Sackgasse der Evolution geendet haben, also für die Anthropologen von geringerer Bedeutung sind. Würde man das "Tonband des Lebens" nocheinmal ablaufen lassen, dann wäre es ganz und gar unwahrscheinlich, dass die Evolution in gleicher Weise den modernen Menschen hervorgebracht hätte.

Vor etwa 2 Millionen Jahren mutierten die Hominiden, die Menschenaffen, zu Menschen der Gattung "Homo". (Bitte keine unkeuschen Assoziationen!) Die Linie der Homo beginnt mit dem homo habilis, setzt sich fort über h. erectus, h. ergaster, h. floreszensis, h. heidelbergensis, h. rudolfensis bis zum homo neanderthalensis und endet mit dem homo sapiens, womit sich - in wahrer Bescheidenheit - der moderne Mensch charakterisiert. Die Homo-Gattung war, im Gegensatz zu ihren Vorläufern, in der Lage, komplizierte Werkzeuge, wie Haumesser, Meissel und Schaber herzustellen und lernte mit dem Feuer umzugehen. Vermutlich entwickelte sich damals auch kontinuierlich die Fähigkeit zu sprechen; aus der Art der Bestattungsriten kann man sogar bereits auf einen Totenkult schliessen. All diese technischen und kulturellen Anforderungen liessen das Hirnvolumen von 400 auf 800 Kubikzentimeter (und darüber) ansteigen.

Ein naher Verwandter des homo sapiens - also von uns Jetztmenschen - ist der homo neanderthalensis. Der Neandertaler leitet seinen schönen Namen vom ersten Fundort ab, dem Neandertal (zwischen Düsseldorf und Wuppertal), wo Steinbrucharbeiter im Jahr 1856 einen fossilen Schädel entdeckten. Aus vielen späteren Funden weiss man, dass diese Gattung über 200 - 300.000 Jahre ganz Europa von Gibraltar bis Usbekistan besiedelt hat. Die Neandertaler waren stämmige und muskulöse Menschen, die ein bisschen den heutigen Eskimos und Lappen ähnelten. Sie fertigten Präzisionswaffen und hatte Jagdtechniken, womit sie damals anzutreffende Grosstiere, wie Mammuts und Riesenhirsche, zur Strecke bringen konnten. Ihre Frauen trugen Schmuck und ihre Bestattungsriten lassen auf religiöse Vorstellungen schliessen. Mit grosser Wahrscheinlichkeit hatten sie bereits die Sprache entwickelt oder zumindest kommunikative Vorformen. Besonders erstaunlich ist, dass sie ein erheblich grösseres Gehirn hatten als die Jetztmenschen. Es umfasste Berechnungen zufolge 1.800 ccm, während wir uns mit 1.400 ccm zufrieden geben müssen. Häufig hört man das Argument, unser Gehirn sei zwar kleiner, aber aus irgend einem Grunde leistungsfähiger. Es verwundert, dass dieses Argument an keiner anderen Stelle der Evolution des Menschen vorgebracht wird.

Aber warum ist dieser intelligente und hochentwickelte Neandertaler ausgestorben? Darüber herrscht bis heute keine Klarheit, es gibt nur Vermutungen. Tatsache ist, dass der Bestand an Neandertalern immer mehr dezimiert worden ist, seit der homo sapiens - also wir - vor 70'000-100'000 Jahren von Ostafrika nach Europa hinein schwappte. Die letzten Neandertaler scheinen vor 25.000 Jahren gelebt zu haben, also praktisch "vorgestern".

Eine Hypothese zum Aussterben der Neandertaler ist, dass die Jetztmenschen - auch Cromagnon, nach ihrem ersten Fundort benannt - aus Afrika Krankheitskeime mitgebracht hätten, denen die Urbewohner nicht gewachsen waren. Einer anderen Vorstellung zufolge kam es zu einer Durchmischung beider Arten, wodurch der Neandertaler nicht wirklich ausgestorben ist, sondern quasi absorbiert wurde. Dagegen sprechen allerdings die neuesten Befunde der genetischen DNA-Analysen. Der Münchener Zoologe Reichholf macht den Übergang von der letzten Eiszeit zur Warmzeit für ihr Aussterben verantwortlich. Nach seiner Theorie besiegelte das Verschwinden der grossen Jagdtiere auch das Schicksal der Neandertaler. Also nicht die grössere Kälte, sondern die einsetzende Erwärmung brachte das Aus für diese Menschengattung. Die meisten Paläanthropologen glauben, dass der homo sapiens die kulturelle und technische Entwicklung viel schneller voran getrieben hat als alle seine Vorläufer. Was vorher im Schneckentempo voran schritt, wurde durch den Jetztmenschen in wenigen tausend Jahren bewerkstelligt. Durch hochfeine Werkzeuge, überlegene Waffen und eine vielschichtige Sprache war der Kampf ums Dasein leichter geworden. Diesem zivilisatorischen Höhenflug hatte der Neandertaler nicht genügend entgegen zu setzen er wurde "an die Wand gedrückt" und war somit zum Aussterben verurteilt.

Aber vielleicht leben doch noch einige Rest-Neandertaler unter uns. Im abendlichen Fernsehen ist gelegentlich ein (Finanz-) Promi zu sehen, dessen vortretende Augenwülste an unsere urzeitlichen Verwandten erinnern. Und in manchen ländlichen Regionen, z. B. in Niederbayern und Tirol, gibt es diese robusten Bauernburschen...

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