Sonntag, 2. August 2015

Leseprobe: Die Anfänge des Atomausstiegs

Der Atomausstieg vollzog sich in Deutschland in drei Phasen und im ziemlichen Zick-Zack. Dies wird in meinem kürzlich erschienenen Buch "Energiewende und Atomausstieg" ausführlich beschrieben. (Ankündigung siehe rechts). Es kann bezogen werden über die Buchhandlungen Amazon und Thalia für 14, 99 Euro. Einige verbilligte Autorenexemplare sind für 10 Euro bei mir erhältlich. Bitte kontaktieren Sie mich unter willy.marth (at) t-online.de

Nachstehend eine Leseprobe zum moderaten Atomausstieg im Jahr 2001 unter der Kanzlerschaft Gerhard Schröder.

2.1  Der moderate Atomausstieg unter Rot-Grün (2001)

Die politischen Forderungen zum Ausstieg aus der Kernenergie reichen zurück bis in die siebziger Jahre, als die neue Partei der Grünen die Beendigung dieser Technologie verlangte. Auf dem Nürnberger Parteitag der SPD 1986, nach dem Unfall in Tschernobyl, sprachen sich auch die sozialdemokratischen Delegierten für einen "geordneten Rückzug" aus dieser Art der Stromerzeugung aus. Bei der Bundestagswahl am 27. September 1998 erreichte Rot-Grün die absolute Mehrheit, womit das Ende der Kernenergie in Deutschland gekommen schien.

Die "Scharfmacher" bei der Umsetzung des Atomausstiegs waren in den ersten Monaten der neu ernannte Bundesumweltminister  Jürgen Trittin von den Grünen und der mächtige Wirtschafts- und Finanzminister Oskar Lafontaine, SPD. Trittin kündigte an, innerhalb der ersten hundert Tage ein Gesetz zum sofortigen Ausstieg einzubringen und Lafontaine wollte "an der Steuerschraube drehen", um die Kosten für die EVU hochzutreiben. Keinem gelang ein sofortiger Sieg. Lafontaine legte schon im März 1999 seine politischen Ämter nieder, Trittin präsentierte im Kabinett zwar mehrfach rigide Gesetzesvorschläge für einen schnellen Atomausstieg, die aber von Bundeskanzler Schröder allesamt "kassiert" wurden.

Ausstieg im Konsens

Nach dem Abgang von Lafontaine wurde der neue Bundeswirtschaftsminister Werner Müller vom Kanzler mit der Leitung der Ausstiegsverhandlungen beauftragt. Als Devise gab dieser vor:  Konsens statt Konflikt. Die Regierung wollte zwar - wegen der angeblich großen Sicherheitsrisiken - den Atomausstieg weiter betreiben, aber die Bedingungen für die EVU erträglich gestalten. Müller brachte die Verhandlungen denn auch in ruhiges Fahrwasser, wobei er anerkannte, dass die Kraftwerksbetreiber in Form der unbefristeten Betriebsgenehmigungen ein dickes Pfund in den Händen hielten. Schadensersatzforderungen oder gar Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht sollten auf Weisung des Kanzlers unbedingt vermieden werden. Auch den EVU war klar, dass ihre Kernkraftwerke aus technischen Gründen einmal das Lebensende erreichen würden, sodass es letztlich nur um eine einvernehmliche Begrenzung der Restlaufzeit für die Anlagen gehen konnte.

Müllers anfängliche Strategie sah vor, jedem der 19 Kernkraftwerke eine eigene Jahreszahl als Laufzeitbegrenzung zuzuweisen. Keines der Kraftwerke sollte aber länger als 30 Jahre betrieben werden. Doch diese Vorstellung war nicht konsensfähig.  Die EVU wollten eine flexiblere Lösung auf der Basis einer maximal noch genehmigten Menge an Kilowattstunden. Diese Mengenrechnung hatte den Charme, dass sich dabei leichter eine (goldene) Brücke bauen ließ zwischen der unterschiedlichen Position der 30 Kalenderjahre - wie die Regierung es wollte - und den 35 Volllastjahren, welche die Energiewirtschaft sich wünschte. Die "Stellschraube" dafür war der durchschnittliche Auslastungsgrad der Kraftwerke, welcher üblicherweise zwischen 75 und 90 Prozent lag. Außerdem machte es die Mengenfestlegung für die Politik unattraktiv, die KKW-Betreiber zu schikanieren und Stillstände zu erzwingen, denn diese hätten das Betriebsende nur hinausgeschoben.

Als sich die Verhandlungspartner schon in der Endphase wähnten, rollte der RWE-Chef Dietmar Kuhnt doch noch einen Bremsklotz auf den Weg. Er wollte nicht 19, sondern 20 Kernkraftwerke einbeziehen, nämlich auch seinen Meiler Mülheim-Kärlich. Diesem war nach kurzer Betriebszeit die atomrechtliche Genehmigung entzogen worden, da den damaligen Mainzer Aufsichtsbehörden ein gravierender  Fehler bei der Erdbebenbewertung unterlaufen war. Schließlich löste man das neue Problem dadurch, dass ein Teil der Mühlheim-Kärlich zustehenden Strommengen auf andere KKW übertragen werden durften.

Der Ausstieg wird Gesetz

In der Nacht vom 14. auf den 15. Juni 2000 wurden sich die Bundesregierung und die Chefs der vier großen Energieversorgungsunternehmen (damals: EnBW, RWE, VEBA und VIAG) einig, sodass der Vertrag paraphiert werden konnte. Im Kern sollte die Nutzungszeit der 20 deutschen Kernkraftwerke individuell befristet und ein Verbot für den Neubau von KKW ausgesprochen werden. Die Deckungsvorsorge für schwere Reaktorunfälle wurde von 500 Millionen DM auf 2,5 Milliarden Euro angehoben, also verzehnfacht. Die Forschung auf dem Gebiet der Kernenergie durfte ohne Einschränkungen weiter geführt werden. Die EVU verpflichteten sich, vom Bund keine Entschädigung für die Stilllegung ihrer Kernkraftwerke zu verlangen. Am 14. Dezember 2001 beschloss der Bundestag in zweiter und dritter Lesung das "Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung".

In der zweiten rot-grünen Legislaturperiode (2002 - 2005) wurden bereits zwei kleinere Atomkraftwerke auf Dauer abgeschaltet: das Kernkraftwerk Stade (KKS) und das Kernkraftwerk Obrigheim (KWO) . Das KKS, im Eigentum von Eon und Vattenfall, besaß eine Leistung von 660 Megawatt und war 31 Jahre in Betrieb. Das KWO, mit 360 MW Leistung, wurde von EnBW bereits 36 Jahre betrieben. Dieser erste Atomausstieg vollzog sich damals noch ziemlich "gesittet", weshalb ich ihn als "moderat" bezeichnen möchte.

1 Kommentar:

  1. " 500 Millionen DM auf 2,5 Milliarden Euro angehoben, also verzehnfacht" nach Adam Riese: verfünfacht!.

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