Sonntag, 11. Dezember 2011

Energiewende - magere Halbjahresbilanz

Vor einem knappen halben Jahr, im Sommer 2011, haben Bundestag und Bundesrat, mit grossem politischem Getöse, die sogenannte Energiewende vollzogen. Mit der Abkehr von der Kernenergie sollte alles besser werden. Bilanziert man jedoch die wirtschaftspolitischen Ergebnisse während der vergangenen 5 bis 6 Monate, so kommt man zu einer enttäuschenden Bilanz.

Der Bundesrat, also die Länderkammer, stoppte zwei ganz wichtige Gesetzesvorlagen der Regierung. Noch im Juli kippte er das Programm für die energetische Sanierung der Gebäude; im September blockierte er das Pilotvorhaben zur Einlagerung von Kohlendioxid in den Untergrund. Darüberhinaus streiten sich seit Monaten der Bundesumweltminister Norbert Röttgen und der Wirtschaftsminister Philipp Rösler über verbindliche Regeln zur Energieeinsparung; eine Einigung ist nicht in Sicht. Darüberhinaus haben Finanzgerichte in Hamburg und München die Brennelementesteuer gekippt, was dem Bund pro Jahr 2,3 Milliarden Euro kosten kann. Das Energieversorgungsunternehmen (EVU) Vattenfall klagt zudem auf Schadensersatz für seine zwangsweise stillgelegten Meiler, die anderen grossen EVU (Eon und REW) werden wohl folgen.

Bis heute folgte kein weiteres Land dem deutschen Beispiel zum Atomausstieg - noch nicht einmal das hart betroffene Japan. Unmittelbar um Deutschland herum werden 29 Kernkraftwerke (KKW) betrieben, die zum Teil noch viel älter sind, als die abgeschalteten hierzulande. In den USA besitzen 66 der 104 KKW eine Betriebsgenehmigung für 60 Jahre. Weltweit sind derzeit 434 Atomkraftwerke im Betrieb, 62 weitere sind im Bau.

Schleichende De-Industrialisierung

Grosse deutsche Firmen und Stromversorger ziehen sich aus der Kernkraftwerkstechnologie zurück oder werden dazu gedrängt. Siemens ist bereits ganz ausgestiegen, die Firma Areva in Erlangen kündigte massive Entlassungen an. Ähnliches gilt für die vier grossen deutschen Energieversorgungsunternehmen. RWE und Eon wollen je 8 - 10.000  Mitarbeiter entlassen und ihre Geschäftstätigkeit zum Teil ins Ausland verlegen.


Das Kernkraftwerk Philippsburg

Besonders betroffen von der Energiewende ist der baden-württembergische Konzern EnBW. Zwei seiner vier grossen Kernkraftwerke (Philippsburg 1 und Neckarwestheim I) musste der Stromproduzent nach den Ereignissen in Fukushima sofort stillegen, die beiden restlichen werden im Laufe dieses Jahrzehnts folgen. In der Konzernbilanz hat sich dies desaströs ausgewirkt. Während EnBW in den früheren Jahren konstant einen Gewinn von 2 Milliarden Euro ausweisen konnte, ist die Firma nun mit einem Verlust von 600 Millionen Euro geplagt. Hinzu kommt ständiger Streit im Aufsichtsrat über strategische Entscheidungen. Die Vertreter der grün-roten Landesregierung verlangen den raschen Umstieg auf erneuerbare Energien, blockieren aber seit Monaten die dafür erforderliche Kapitalerhöhung. Anfang dieser Woche hat der Vorstandsvorsitzende Hans-Peter Villis das Handtuch geworfen und angekündigt, dass er den Konzern verlassen werde. Fähige Nachfolger werden für diesen Himmelfahrtsjob kaum schlangestehen.

"Wind und Sonne kosten nichts"

Der Ausbau der erneuerbaren Energien (Wind, Sonne, Geothermie, Biomasse) ist von seiten der deutschen Regierung erwünscht. Ihr Anteil an der Stromerzeugung soll bis zum Jahr 2050 auf 80 Prozent ansteigen. Dabei spielen Wind und Sonne im Investitionsportfolio die grösste Rolle. Doch insbesondere diese sind keineswegs kostenfrei, weil Angebot und Nachfrage nur in seltenen Fällen zusammen passen. Der Strom aus Wind und Sonne wird häufig zur falschen Zeit und am falschen Ort produziert und muss - mangels Speichermöglichkeit - nicht selten ins Ausland (wie Österreich) geradezu verschenkt werden. Dort wird er in Pumpspeicherkraftwerken verwendet, deren Strom bei Spitzenbedarf in Deutschland dann wieder teuer zurückgekauft werden muss.

Die erneuerbaren Energien lassen auch die Stromrechnung der deutschen Verbraucher drastisch ansteigen. In diesem Jahr beträgt die sogenannte EEG-Umlage schon 14 Milliarden Euro; in 2013 wird sie auf 17,1 Milliarden ansteigen. Diese beängstigende Entwicklung kommt vorallem deswegen zustande, weil die Bundesregierung die teuersten Ökostromvarianten (Solar!) am meisten fördert. Für die Privatkunden steigt damit ihre Umlage von jetzt schon 3,5 auf 4,79 Cent pro Kilowattstunde im Jahr 2013. Und das wird sich, nahezu ungebremst, weiter so fortsetzen. Zur Erinnerung: bei der Kernenergie betrug die kumulative staatliche Förderung in Deutschland zwischen den Jahren 1950 bis 2010 insgesamt 17,2 Milliarden Euro!

Die Stromnetze haben die EVU - auf politischen Druck hin - bereits vor Jahren an private Finanzinvestoren verkauft. Da es der Regierung bis jetzt nicht gelungen ist, einen Bedarfsplan für die nationale Stromversorgung vorzulegen, kommt der Bau neuer Hochspannungstrassen nicht voran. Der Widerstand der betroffenen Bevölkerung ist bereits spürbar. Die Freileitungen für die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) wird Masten erfordern, die beträchtlich höher sind als die derzeitigen 240/380-kV-Überlandleitungen. Ohne Enteignungen vieler Grundstückseigentümer wird das wohl nicht möglich sein.

Wegen der extremen Überkapazitäten im Norden Deutschlands wird bei Starkwind und Sonneneinstrahlung viel zu viel Leistung in das Überlandnetz gedrückt, die sich beim heutigen Ausbauzustand der Trassen oftmals nur unter Zuzahlung "verkaufen" lässt. Der Netzausbau - und zwar europaweit! - ist also für Deutschland extrem wichtig. Noch wichtiger als die Förderung der unwirtschaftlichen Stromerzeugung aus Wind und Sonne. Leider ist die Realität eine andere.


Stromnetze: Energie zu den Verbrauchern

Wegen der Fluktuation in der Stromerzeugung bei den erneuerbaren Energien müssen schnell regelbare Reservekapazitäten vorgehalten werden. Bei Windkraft sind Reservekraftwerke für mindestens 90 Prozent, bei der Photovoltaik sogar für 97 Prozent erforderlich. Da diese Kraftwerke nur zeitlich begrenzt eingesetzt werden, sind sie zwangsläufig teuer und ineffizient. Deswegen stehen derzeit in Emden und Landsbergen auch zwei Gaskraftwerke vor dem Aus. Um den Weiterbetrieb dieser Kraftwerke zu rechtfertigen, müsste der Strompreis (im Handel) 85 bis 90 Euro pro Megawattstunde erreichen, was 50 Prozent über dem gegenwärtigen Marktpreis liegt.

Mittelfristig sind Kurz- und Langzeitspeicher in den deutschen Mittelgebirgen einzurichten, nachdem Norwegen in dieser Hinsicht bereits abgewunken hat. Da hierbei die Eingriffe in die Natur sehr grossflächig sind, kann man gewaltigen Protest bei der anwohnenden Bevölkerung erwarten. Deswegen denkt man auch an die Nutzung der überschüssigen (Wind-)Energie zur Herstellung von Wasserstoff mittels Elektrolyse. Das ist zwar technisch machbar, aber die Verluste bei der Erzeugung von Wasserstoff und Methan, sowie bei der Rückverwandlung in Strom sind enorm und dürften deshalb den Prozess unwirtschaftlich machen.

Ausstieg vom Ausstieg?

Sollte sich der Ausbau der Netze und der Speicheranlagen weiterhin verzögern, dann sind überregionale Blackouts nicht mehr auszuschliessen. Für die deutsche Industrie aber wären ungeplante Abschaltungen wahre Milliardengräber. Die ZEIT berichtet in einer ihrer letzten Ausgaben, "dass hochrangige Leute aus den oberen Etagen des Umweltministeriums den Ausstieg vom Ausstieg nicht mehr ausschliessen". Ja, selbst die atompolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, die Karlsruherin Sylvia Kotting-Uhl, kann sich vorstellen, dass es dazu kommen könnte - insbesondere dann, wenn in knapp zehn Jahren  sechs der neun heute noch aktiven Meiler in kurzem Zeitabstand vom Netz gehen sollten. Vor die Wahl gestellt, Atomstrom zu importieren oder ihn selbst zu machen, könnte die Laufzeitverlängerung zu einer "moralischen Frage" werden.

Die Juristen haben sogar schon Überlegungen darüber angestellt, wie das im Atomgesetz legal geregelt werden könnte. Bislang sind im Paragraf 7 dieses Gesetzes unter den Abschnitten (1a) bis (1e) die Abschaltdaten aller noch betriebenen Atommeiler verbindlich geregelt. Für den beschriebenen "Notfall" bräuchte man nur einen weiteren Abschnitt -  (1f) -  anzufügen, etwa mit folgenden Wortlaut:

"Drohen Störungen in der Elektrizitätsversorgung, so wird die Berechtigung zum Leistungsbetrieb über die in Abschnitt (1a) bis (1e) hinaus genannten Zeitpunkte verlängert".

Der Atomausstieg wäre gekippt.

Sonntag, 4. Dezember 2011

Vom Fusionsreaktor zum Kostenreaktor

Das Fusionsreaktorprojekt ITER (englisch: International Thermonuclear Experimental Reactor) befindet sich in einer schwierigen Phase. Das Projekt wurde 2006 mit grossem Aplomb gestartet, aber schon drei Jahre später waren die Vertragskosten von 5 Milliarden Euro auf 16 Milliarden angestiegen und der Inbetriebnahmetermin hatte sich um satte 10 Jahre verzögert. Der japanische Projektleiter Ikeda wurde  - zusammen mit seinem deutschen Stellvertreter Holtkamp -  gefeuert; ein weiterer Japaner, Osamu Motojima, trat an die Stelle der beiden. Über die Finanzierung der Mehrkosten, insbesondere im Bereich der Europäischen Union (EU) und in Deutschland wird immer noch heftig gestritten. Doch darüber weiter unten.

ITER ist ein Projekt der sechs Länder China, Indien, Japan, Korea, Russland, USA und der EU, die mit Geld und Sachmitteln zur Finanzierung beitragen. Darin liegt auch eine Schwäche des Unternehmens, denn die Abstimmung zwischen diesen vielen Ländern kostet viel Zeit und Geld. Als Standort für ITER wurde das südfranzösische Forschungszentrum Cadarache benannt -  übrigens nach heftigem Ringen mit Japan, weswegen diesem Land auch die Projektleiterposition zugestanden werden musste.



Das Logo des ITER

Weitere Kostenerhöhungen und Terminverzögerungen sind zu erwarten durch ein kürzliches Ereignis in Japan. Das Erdbeben von Fukushima und der nachfolgende Tsunami haben nämlich die wichtige Fabrik für Fusionskomponenten in der benachbarten Stadt Naka stark beschädigt. Die dort zu fertigenden supraleitenden Magnetspulen können wegen dieser Naturkatastrophe wohl erst ein bis zwei Jahre später ausgeliefert werden. Da es sich um Schlüsselkomponenten für den ITER handelt, ist man derzeit hektisch bemüht, den Schaden soweit als möglich zu begrenzen.

Technischer Gigantismus

Der technische Aufwand, welcher für ITER betrieben werden muss, ist beeindruckend. In Cadarache musste eine Hügellandschaft eingeebnet werden, um die plane Oberfläche für den Bauplatz der verschiedenen ITER-Gebäude zu schaffen. Dafür waren 2,5 Millionen Kubikmeter Erde zu bewegen, was ziemlich genau dem Volumen der ägyptischen Cheopspyramide entspricht. Die geschaffene Plattform besitzt eine Fläche von 42 Hektar, entsprechend der Grösse von 60 Fussballfeldern.
Zur seismischen Isolierung gegen Erdbeben sind 360.000 Tonnen Beton etc. einzubringen, was dem Gewicht des Empire State Buildings in New York gleichkommt.

Der Tokamak, das Herzstück des ITER, wird voll montiert 23.000 Tonnen wiegen, entsprechend dem Gewicht von drei Eiffeltürmen. Er wird aus mehr als einer Million Einzelteilen bestehen. Sein Plasmavolumen wird 840 Kubikmeter umfassen, verglichen mit gerade mal 100 cbm beim Vorläufer JET in England.
Jede der 18 D-förmigen Toroidalfeldspulen besitzt ein Gewicht von 360 Tonnen, entsprechend dem Gewicht einer vollbesetzten Boeing 747. Die Spulen sind 14 Meter hoch und 9 m breit.
Sie sind mit supraleitenden Niob-Zinn-Drähten ausgestattet, die in ihrer Länge zwei Mal um den Globus reichen würden. Die Produktion dieser Drähte haben den Preis dieser Legierung auf dem Weltmarkt merkbar beeinflusst.

Der Bauplatz des ITER in Cadarache

Die Grosskomponenten werden am nächstliegenden Mittelmeerhafen Marseille angelandet und auf der sogenannten ITER-Strasse zum Standort in Cadarache gebracht. Diese 104 Kilometer lange Strasse wurde eigens für die 200 Schwerlasttransporte des ITER gebaut und besitzt Kurven, Brücken etc., die für solche Transporte geeignet sind. Die schwerste Komponente wird 900 Tonnen wiegen und 4 Stockwerke hoch sein. Andere sind 61 m lang bzw. 9 m breit.

Ungelöste Finanzierungsfragen

Die Kostenüberschreitungen bei ITER und die damit verbundenen Mehrkostenforderungen schlugen bei den finanzierenden Regierungen wie eine Bombe ein. Insbesondere beim deutschen Forschungsministerium war man stocksauer. Die Ministerin, Frau Anette Schavan, sprach offen von "Missmanagement und Planungspannen". Sie verlangte Korrekturen bei der organisatorischen Struktur des Projekts, was letztlich zu dem bereits beschriebenen Stühlerücken beim oberen Management führte. Die Bundestagsabgeordnete der Grünen (Kotting-Uhl) forderte gar ein Moratorium für das Fusionsprojekt. Aber so weit wird es nicht kommen, denn noch steht die Bundeskanzlerin Angela Merkel - die sich in den kritischen Situationen selbst einschaltete - eindeutig hinter ITER.

Die Europäer haben sich beim ITER per Vertrag zu 2,7 Milliarden Euro verpflichtet, entsprechend ihrem Anteil von 45 Prozent. Für sie steigen die Kosten nun auf 7,2 Milliarden. Im nächsten Haushalt der Europäischen Union in Brüssel sind von den Mehrkosten aber lediglich 1,3 Milliarden unterzubringen. Aus welchem "Fördertopf" das geschehen soll, darüber wird noch heftig gestritten. Am einfachsten wäre die Finanzierung aus dem Agrartopf. Bei ihm gibt es derzeit noch einen Überschuss von 1,68 Milliarden unausgeschöpfter Mittel. Da sie aber an die Mitgliedsstaaten zurückfliessen sollen, bestehen diese auf  Rückgabe. Insbesondere Deutschland will sein nicht benötigtes Geld zurück. Im Augenblick sieht es so aus, dass zur Finanzierung in erster Linie der Forschungshaushalt beaufschlagt werden soll. Die endgültige Entscheidung wird erst 2012 getroffen werden, aber bereits jetzt ist das "Geschrei" der vielen Förderempfänger aus Universitäten und Forschungsinstituten zu vernehmen, deren - zum Teil winzige Projekte -  durch ITER beschnitten werden sollen.

Trüber Ausblick

Kommen wir zurück auf die (wahrscheinliche) terminliche Abwicklung des Projekts. In etwa zehn Jahren soll der ITER so weit fertiggestellt sein, dass er mit Wasserstoff gefüllt werden kann. Das erste Deuteriumplasma kann man zwischen 2025 und 2030 erwarten. Danach werden weitere zehn Jahre Betrieb gemacht, der hoffentlich erfolgreich ist. Wir sind nun im Jahr 2040, aber keineswegs am Ende der Fusionsentwicklung. Denn nach dem ITER werden - nach Meinung der Experten - mindestens zwei weitere Demonstrationsreaktoren (DEMO 1 und DEMO 2) benötigt, bis das Fusionsprinzip wirtschaftlich ist. Jeder dieser Demos benötigt von der Planung, über den Bau bis zum Betrieb einen Zeitrahmen vom mindestens 30 Jahre. Damit sind wir im Jahr 2100 angelangt. Zu diesem Zeitpunkt sollte das weltweite Energieproblem aber längst gelöst sein; ob dann jemand noch auf die Fusionsreaktoren wartet, ist höchst unwahrscheinlich. Ganz abgesehen davon, dass die Finanzierung der teueren Demos durch die Energieversorgungsunternehmen mehr als fraglich ist und die Staaten sie wohl nicht schultern können oder wollen.

Und der ITER ist - verglichen mit dem Demonstrationsreaktoren - nur ein "kleines Maschinchen". Trotz der oben aufgeführten beeindruckenden Grösse seiner Komponenten! Und, entgegen der allgemeinen Vermutung, produziert er noch nicht einmal Strom. Ja, was denn sonst denn -  wird sich der finanzierende Steuerzahler fragen?

Nun, dem Tokomak entströmt gerade mal Wasserdampf  von 150 Grad Celsius - und das auch nur mit langen Unterbrechungen.

Sonntag, 27. November 2011

ITU-Schlichtung: lauter Verlierer

Wir erinnern uns worum es ging: das Institut für Transurane (ITU) im ehemaligen Kernforschungszentrum Karlsruhe hatte den Bau eines Labor- und Lagerbunkers für ihre radioaktiven Materialien beim Stuttgarter Umweltministerium (UM) beantragt. Die Gemeinde Linkenheim-Hochstetten, auf deren Gemarkung dieser sogenannte "Flügel M" teilweise errichtet werden sollte, intervenierte durch entsprechende Änderung des Bebauungsplans. Über Monate hinweg tobte in den Medien ein heisser Streit, den der grüne baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller durch eine öffentliche "Mediation" schlichten , bzw. etwas abdämpfen wollte.

Zum Mediator benannte Untersteller den derzeitigen Geschäftsführer des Ökoinstituts Darmstadt, Michael Sailer. Da Untersteller früher selbst einmal Mitarbeiter des Ökoinstituts war und sein für die Genehmigung des Flügels M zuständiger Ministerialdirektor Helmfried Meinel sogar Vorstandssprecher, war die Ökofamilie gewissermassen unter sich.


Geplanter Labor- und Lagerbunker des ITU; genannt: Flügel M

An der baulichen Auslegung des Labor- und Lagerbunkers gab es wenig herumzumäkeln. Er ist ein massives dreigeschossiges Gebäude von der Grundfläche 40 mal 60 Meter und einer Höhe von 25 Metern. Die Aussenwände sind 1,80 Meter dick, wodurch der Bunker gegen Erdbeben und Flugzeugabsturz bestens gesichert ist. Im Verlaufe der 5-tägigen und 25-stündigen Mediation stellte sich heraus, dass es keine gewichtigen Einwände gegen den Bau dieses Flügels M gibt. Indes, jeder der Hauptbeteiligten des Forschungsinstituts ITU und der Gemeinde Linkenheim-Hochstetten musste tüchtig Federn lassen, wie im Folgenden dargestellt wird.

Verlierer Professor Fanghänel

Der Leiter des ITU, Professor Dr. Thomas Fanghänel, wurde stundenlang (und zuweilen geradezu inquisitorisch) befragt zu den in seinem Institut gelagerten und zusätzlich beantragten Mengen an Kernbrennstoffen, zu den radioaktiven Emissionen und zu seinem Forschungsprogramm. Um den Bau des Bunkers nicht zu gefährden, musste er eine Reihe einschneidender Konzessionen machen.

Bei den Kernbrennstoffen wurde die Lager- und Umgangsgenehmigung von 180 Kilogramm Plutonium auf 80 kg reduziert. Statt 50 kg Uran-233 sollen zunächst nur 20 kg genehmigt werden. Des weiteren ist an eine signifikante Reduktion des sonstigen radioaktiven Inventars gedacht. Die beantragten Mengen an Thorium (450 kg) sollen vorzugsweise nicht für die Forschung, sondern für die Ausbildung der internationalen Inspektoren verwendet werden.  Erstaunlich war bei der länglichen Diskussion über diese Dinge, dass Fanghänel nicht schlüssig erklären konnte (oder wollte) wofür er die grossen Mengen an Spalt- und Kernmaterial wirklich benötigt.

Die Emission, also die zulässigen jährlichen Ableitungen aus dem Institut werden für die langlebigen Alpha- und Betastrahler auf ein Zehntel des derzeit erlaubten Werts gesenkt. Zwar schöpft das ITU die jetzigen Obergrenzen bei weitem nicht aus, aber mit den neuen Grenzwerten könnte es künftig gelegentlich in Störfallnähe kommen.

Beim Forschungsprogramm gab es vom Anfang bis zum Schluss heftige Diskussionen. Unstrittig waren die Gebiete Medizin, Sicherheitsüberwachung von Kernmaterialien sowie Aus- und Weiterbildung. Gerungen wurde um die Entwicklung von Kernbrennstoffen für die sogenannten Reaktoren der 4. Generation, also der Schnellen Brüter. Auch die Separation und Transmutation wurde zu "Teufelszeug" erklärt. Insbesondere die Vertreter des BUND (Harry Block, Armin Gabler) wollten dem Institut die Forschungsarbeiten auf diesem Sektor verbieten, was der UM-Beamte Meinel mit Blick auf die im Grundgesetz verankerte "Freiheit der Forschung" jedoch nicht zuliess. Schliesslich einigte man sich - auf Vorschlag des Mediators - darauf, dass das ITU nicht (wie in der Vergangenheit beim Projekt Masurca) tausende von Brennstäben herstellen darf, sondern nur noch gelegentlich einige wenige "Brennstäble". Man sieht, wir sind in Baden-Württemberg.

Verlierer Bürgermeister Johs

Der Bürgermeister Günther Johs von Linkenheim-Hochstetten musste zugestehen, dass die Kernmaterialien im neuen geplanten Bunker weitaus sicherer gelagert sind, als im jetzigen Gebäude, welches nur partiell gegen Erdbeben und Flugzeugabsturz ausgelegt ist. Er musste auch (zähneknirschend) andeuten, dass er den Bebauungsplan so abändern werde, damit Flügel M (und später auch noch ein Flügel P) gebaut werden könne. Für dieses Zugeständnis verlangte er allerdings, dass die Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK) und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) verbindlich erklären, keine weiteren Bauten für radioaktive Materialien auf der Linkenheimer Gemarkung zu errichten. Da beide Institutionen als Gesellschafter wesentlich von der Berliner Bundesregierung gesteuert werden, ist an eine rasche  Zustimmung allerdings kaum zu denken.

Aber man muss sich auch fragen, wie verbindlich eine solche Erklärung des Bundes überhaupt sein kann. Per Weisung - und in Konformität mit dem Atomgesetz - könnte eine Bundesregierung  jederzeit vom Land die Änderung der atomrechtlichen Genehmigungen und der gemeindlichen Bebauungspläne verlangen. Immerhin gilt der Grundgesetzartikel: "Bundesrecht bricht Landesrecht".

Ein Szenario wurde unter den Zuhörern der Mediation bereits heftig diskutiert: Im benachbarten Philippsburg wurde aufgrund der sogenannten Energiewende der Reaktor 1 im Sommer dauerhaft abgeschaltet, der Reaktor 2 soll in fünf Jahren folgen. Beide Reaktoren müssen zurückgebaut werden, aber wohin mit dem Atommüll? Das Zwischenlager am Standort ist jetzt bereits randvoll. Der Bau eines weiteren Lagers würde, wegen zu erwartender Einsprüche und Gerichtsverfahren, mindestens zehn Jahre dauern und bis dahin alle Abrissarbeiten blockieren.



Die Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK);
links (rot angeleuchtet) die Verglasungseinrichtung VEK      

Ist es da verwunderlich, dass sich die Augen der Philippsburger auf das alte WAK-Gelände richten, wo der Bunker für die ehemalige Verglasungsanlage (VEK) nutzlos herumsteht? Er wurde vor wenigen Jahren erst gebaut und erfüllt - sogar mit Bahnanschluss - alle Anforderungen in Bezug auf Erdbeben und Flugzeugabsturz samt Aussenwänden von 1,8 Metern Dicke. Also - so die Philippsburger unter den Zuhörern bei der Mediation - warum die VEK nicht als temporäres Zwischenlager verwenden?

Bis sich die deutschen Politiker auf ein nationales Endlager geeinigt haben.

Sonntag, 20. November 2011

"Nein" bedeutet "Ja" für Stuttgart 21

Am kommenden Sonntag, den 27. November 2011, wird im Land Baden-Württemberg darüber abgestimmt, ob der neue Durchgangsbahnhof Stuttgart - abgekürzt S21 - weiter gebaut werden soll. Die Bauarbeiten sind sind zwar schon seit knapp zwei Jahren im vollem Gange, aber die vor wenigen Monaten ans Ruder gekommene Partei der Grünen schert das wenig. Sie wollen den Abbruch des Projekts und die Kündigung der Verträge. Mit ihrem Koalitionspartner, der (eigentlich bauwilligen) SPD, haben sie sich darauf geeinigt, dass in einer Volksabstimmung alle Baden-Württemberger dazu befragt werden sollen. In der 50-jährigen Landesgeschichte ist es das erste Mal, dass Politiker das Wahlvolk über ein Bauprojekt abstimmen lassen.

Komplizierter Stimmzettel

Die Wahlprozedur ist keineswegs so einfach wie bei den alle paar Jahre stattfindenden Parteiwahlen, wo die Bürger im allgemeinen nur ein Kreuz bei der CDU oder der SPD oder einer anderen Partei anzubringen haben. Bei dieser Volksabstimmung wird im Kern über ein vorher vom Landtag beschlossenes "Kündigungsgesetz" befunden, was die Sache kompliziert macht. Die Abstimmungsfrage lautet nämlich:
Stimmen Sie der Gesetzesvorlage "Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21 (S21-Kündigungsgesetz)" zu?

Verstanden? Möglicherweise nein! Nun das befürchten wohl auch die Stuttgarter Koalitionäre, weswegen sie auf dem Stimmzettel "Hinweise" für den ratlosen Wähler gegeben haben.

Ausriss aus dem amtlichen Stimmzettel

Aber auch diese Hinweise sind für Nichtjuristen - und das ist wohl die Mehrzahl - schwer verständlich. Jedenfalls ist es so, dass die Befürworter des Bauprojekts S21 mit "Nein" stimmen müssen, während die Ablehnenden bei "Ja" ankreuzen dürfen. Ein trickreiches Prozedere des Herrn Kretschmann. Honny soit qui mal y pense!

Fünf gute Gründe für Stuttgart 21

1.  Der bisherige Kopfbahnhof wird in einen 11 Meter tiefer gelegten Durchgangsbahnhof umgewandelt. Die Kapazität des neuen Bahnhofs erhöht sich damit um ca. 50 Prozent, was durch einen Stresstest nachgewiesen wurde. Der markante Bahnhofsturm und das Hauptgebäude ("Bonatzbau") bleiben erhalten. Die berühmten Mineralquellen in 70 Metern Tiefe werden nicht beeinträchtigt.

2.  Der Verkehrsknoten Stuttgart wird neu geordnet. Er enthält den Hauptbahnhof, den Bahnhof Flughafen/Messe und eine zusätzliche S-Bahnstation. Darüberhinaus wird zwischen Wendlingen und Ulm eine neue leistungsfähigere Bahnstecke gebaut. Damit wird die "Europäische Magistrale" zwischen den Städten Paris-Karlsruhe-Stuttgart-Wien-Budapest verwirklicht.

3.  Das Gleisvorfeld des bisherigen Kopfbahnhofs wird abgebaut. Dadurch werden etwa hundert Hektar Grundstücksfläche für die Stadt Stuttgart gewonnen auf denen Immobilien und Parklandschaften entstehen können.

Bahnbewegungen im bisherigen Gleisvorfeld

4.  Das Bahnprojekt S21 hat seit 1995 alle demokratischen (und juristischen) Etappen erfolgreich durchlaufen; der Finanzierungsvertrag wurde am 2. April 2009 geschlossen. Die Kostenbeteiligung des Landes liegt bei 930 Millionen Euro. Bei Vertragskündigung muss Baden-Württemberg mit Schadensersatzkosten zwischen 500 und 2.000 Millionen Euro rechnen ( lt. Ministerpräsident Kretschmann in der Ludwigsburger Kreiszeitung vom 3. Septemer 2011).

5.  Bei Bruch des derzeitigen Projektvertrags verfallen alle Finanzmittel der übrigen Projektteilnehmer, insbesondere der Deutschen Bahn und des Bundes. Ein alternative Planung würde bei Null anfangen und 15 bis 20 Jahre bis zur Erstellung baufähiger Unterlagen dauern. Währenddessen bestünde die Gefahr, dass Stuttgart durch nördliche Gleisführungen umgangen wird und seine Position als grosser deutscher Bahnhof verlieren würde.

Möglicherweise gehen manche Befürworter des Bahnprojekts S21 gar nicht zur Wahl, weil sie auf das sogenannte Quorum spekulieren. In der Landesverfassung ist nämlich festgelegt, dass bei Volksabstimungen ein Drittel der Stimmberechtigten gegen S21 stimmen müssten, damit das Kündigungsgesetz seine Wirksamkeit entfaltet. Das sind 2,5 Millionen Bürger, was nach den Prognosen der Wahlforscher sehr unwahrscheinlich ist.

Hinzu kommt, dass der Wahlsonntag auf den 1. Advent fällt, den viele Menschen zur Glühweinprobe auf den Weihnachtsmärkten nutzen.

Sonntag, 13. November 2011

Golfen Sie schon?

Zum ersten Mal kam ich in den USA mit Golf in Berührung. Unmittelbar nach meinem Studium in München, wurde mir eine Arbeitsstelle in Washington D.C. angeboten und dort forschte ich ein gutes Jahr auf dem Gebiet der Festkörperphysik. Noch Junggeselle, mietete ich mir ein Apartment direkt am Golfplatz meiner Firma. An den Abenden und insbesondere den Wochenenden war Golfspiel mit den Arbeitskollegen sozusagen Pflicht.

Meine Wohnung lag ganz in der Nähe des vertrackten Loches 4 und durch das Küchenfenster konnte ich immer wieder (schwächere) Spieler beobachten, welche dieses Loch offensichtlich mit dem falschen Schläger anspielten, wodurch der Ball entweder im vorgelagerten Sandbunker landete oder über das Grün hinausflog. Bevor es zu solchen Unglücken kam, gab ich manchem Spieler gelegentlich per Zuruf den Tipp: "iron seven". Landete der Ball dann auf dem "green", weil richtigerweise das 7er Eisen benutzt wurde, so mehrte das meinen Ruf als Golfkundiger.

Wieder nach Deutschland zurückgekehrt, konnte ich hier das Aufblühen des Golfsports miterleben. Anfangs gab es nur ganz wenige Golfplätze und die Clubbeiträge waren erheblich. Deswegen sah man auch wenige Spieler auf den Parcours, stattdessen zumeist reifere, ältere Herrschaften. Ein bezeichnender Witz machte die Runde: "Haben Sie noch Sex - oder spielen Sie schon Golf"?  Mit der Zeit wurde der Golfsport erschwinglicher und auch populärer - insbesondere als Bernhard Langer seine spektakulären Erfolge hatte. Ich selbst kam vom Golf ab und wendete mich wieder dem Turnsport zu.

Ausgedehnte Wiesen, schweres Gerät

Ein normaler Golfplatz mit 18 Löchern, den Könner mit 72 Schlägen ("par 72") beherrschen, ist ungefähr sechs Kilometer lang. Und er ist beileibe keine Wiese, sondern ein von mehreren Platzwarten  ("greenkeepers") gepflegtes botanisches Juwel. Die Grünflächen in der Nähe des Lochs werden - zumindest in den USA - mit Unmengen von Kunstdünger und Pestiziden bestreut. Im Verlaufe einer 18-Loch-Runde ist der durchschnittliche Spieler 4 bis 5 Stunden unterwegs und legt dabei 12 bis 15 Kilometer zurück. Mark Twain, der alte Spötter, pflegte deshalb zu sagen: "Golf ist ein verdorbener Spaziergang". Zeitknappe Manager laufen heutzutage kaum mehr zu Fuss, sondern benutzen ein Elektrocart und werden von mobilen Erfrischungsständen am Rande der Fairways versorgt.



Golfplatz Castelfalfi (Toskana)

Eine normale Golftasche ("bag") sollte 12 bis 14 Schläger ("clubs") beinhalten. Die driver sind für die ganz langen Schläge um die 300 Meter. Früher waren sie aus Holz, nun sind es hochkomplexe Schlaggeräte aus verschiedenen Metalllegierungen und einem genau austarierten Schlagpunkt. Der runde Schwung ist hier besonders wichtig, wenn man ein gutes Ergebnis erzielen will. Leider führt er bei älteren Spielern nicht selten zu heftigen Rückenschmerzen, weil die Wirbelsäule beim Golfen der meistbelastete Körperteil ist.

Zur Annäherung an das jeweilige Loch benutzt man die Eisen ("iron, wedge"), deren  Schlagkopf so geneigt ist, dass die Flugbahn des Balles höher und zugleich kürzer wird. Kunstwerke der besonderen Art sind die sogenannten putter. Sie sollen auf dem Grün den Ball endlich ins Loch befördern, was wesentlich schwieriger ist, als es aussieht. Auch hier gibt es einen Witz vom Vater und seinem Kind: "Papi, warum versuchen denn die Spieler den ersten Putt immer vorbeizuschieben und dann erst den zweiten einzulochen"?

Natürlich ist, von den Profis abgesehen, kein Normalspieler in der Lage, eine Runde mit 72 Schlägen zu beenden. (Für viele bedeutet eine Runde unter 100 bereits ein stolzes Ergebnis). Deswegen hat man auch das "handicap", die Vorgabe, erfunden. Ein Spieler mit dem Handicap 40 darf sich nach 72+40=112 Schlägen so gut fühlen, wie der Platzkönig. Für die Mehrzahl der Amateurgolfer sind das grösste Handicap jedoch der Ball und die Schläger! Trotzdem gelingt  dem einen oder anderen auf einem kurzen 3er-Loch immer wieder mal den Ball mit einem einzigen Schlag ins Loch zu befördern. Das ist traditionsgemäss  der Anlass für eine Cocktailrunde im Clubhaus, dem 19. Loch.

Unsere Supergolfer

International waren die deutschen Golfprofis lange Zeit nur zweite oder gar dritte Wahl - bis Bernhard Langer 1985 (als 28-jähriger) völlig überraschend das U.S. Masters-Turnier in Augusta, Georgia, gewann. Dies ist das prestigeträchtigste Golfturnier der Welt und in etwa vergleichbar mit Wimbledon im Tennis. Die übrigen drei Grand-Slam-Turniere (auch "Majors" genannt), sind das U.S. Open, das British Open und die PGA Championship. Acht Jahre später, 1993, gelang es Langer noch einmal das Masters-Turnier zu gewinnen, worauf er im Jahr 2002 in die "Hall of Fame" einziehen durfte.

Derzeit ist der beste deutsche Berufsgolfer der 27-jährige Martin Kaymer aus Düsseldorf. Er gewann 2010 die PGA Championship und stand im Februar 2011 sogar für einige Monate an der Spitze der Weltrangliste. Vor wenigen Wochen gewann Kaymer das internationale Golfturnier in Shanghai, China, mit einer Superplatzrunde von 63 Schlägen. Dabei lag er neun Schläge unter par und erspielte neun "birdies".


Martin Kaymer präsentiert den Siegerpokal beim Shanghai-Turnier




Tiger Woods beim Abschlag

So gut auch Langer und Kaymer sein mögen, an den derzeitigen Weltchampion Tiger Woods reichen sie nicht heran. Der 36-jährige "Tiger" hat im Verlaufe seiner Golfkarriere mehr als eine Milliarde US-Dollar mit seinem Spiel verdient und 14 Grand-Slam-Titel gewonnen. Bei letzteren wird er allerdings noch übertroffen von Jack Nicklaus, der 18 Majors gewann. Seit einiger Zeit befindet sich der Tiger in einem emotionalen und spielerischen Tief, ausgelöst durch selbstverschuldete Sexkapriolen und es ist deshalb fraglich, ob er den Rekord von Nicklaus noch wird brechen können.

Der scheinbar mechanische Ablauf des Golfspiels hat golfende Physiker immer wieder gereizt, sich mit der Biomechanik dieses Sports zu befassen. Einer von ihnen ist mein Freund Helmut Appel, weiland Professor und Dekan an der Universität Karlsruhe. Unter dem Titel "Physikalische Aspekte des Golfspiels" veröffentlichte er eine Darstellung der Strömungsphysik und des Designs von Bällen und Schlägern über sechs Seiten hinweg. (Siehe: Physikalische Blätter 56 (2000) Nr. 10). Der physikalische Laie wird seinem Darlegungen zum Magnuseffekt, den Bernoulli-Gleichungen und dem dynamischen und statischen Druck nicht immer folgen können, aber zum Schluss seiner Veröffentlichung kommt er zu ernüchternd-ehrlichen Erkenntnissen.

"Der praktizierende Golfer möge nicht erwarten, nach der Lektüre unmittelbar ein niedrigeres Handicap zu erspielen. Zur Warnung sei auf die Berichte der Konferenz "Golf and Science" verwiesen. Auf diesen, eine Woche währenden Konferenzen, wird jeweils der Mittwoch frei gehalten, um praktisches Golf zu üben. Von den Konferenzteilnehmern wird berichtet, dass sie dann das schlechteste Golf des ganzen Jahres spielen".

"Die Erklärung ist offenbar:  Paralyse durch Analyse".

Sonntag, 6. November 2011

Die EnBW in Schieflage

Die Energiewerke Baden-Württemberg (EnBW) mit Sitz in Karlsruhe ist das drittgrösste deutsche Energieversorgungsunternehmen (EVU). Es war eine kerngesunde Aktiengesellschaft und machte in den zurückliegenden Jahren stets um die zwei Milliarden Euro Gewinn bei einem Umsatz von 17 Milliarden. Der Aktienkurs bewegte sich stetig in der Spanne zwischen 35 bis 40 und konnte Witwen und Waisen wegen seines geringen Risikos durchaus empfohlen werden.

Das hat sich seit einem halben Jahr dramatisch verändert. Der Vorstand der EnBW musste im Sommer einen Halbjahresverlust von 600 Millionen Euro verkünden und deutete dabei dunkel an, dass er die Belegschaft an diesem Minus "beteiligen" und eine Reihe von Firmen, die zum Konzern gehören, verkaufen wolle. Manche Wirtschaftsblätter sahen die EnBW schon an der Grenze zur Insolvenz - aber so weit wird es (hoffentlich) nicht kommen.

Zwei Gewinnbringer fehlen

Was war geschehen? Nun, nach dem Atomunfall von Fukushima wurde bekanntlich durch die Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Moratorium für die deutschen Kernkraftwerke verfügt. Die EnBW, welche 51 Prozent ihres Stroms aus Kernkraftwerken erzeugt, traf dies besonders heftig. Aus rein politischen Gründen wurden die beiden Meiler Philippsburg 1 und Neckarwestheim I abgeschaltet. Das waren  insgesamt 1.766 Megawatt (MW) an Kapazität, wodurch sich die Kernenergieproduktion der EnBW spontan um 20 Prozent verringerte. Beide Kraftwerke waren während ihrer Laufzeit sehr zuverlässig, und hatten eine Arbeitsverfügbarkeit von über 90 Prozent - bei Erzeugungskosten von 2 bis 3 Cent pro Kilowattstunde (!). Um die laufenden Stromlieferverträge erfüllen zu können, musste die EnBW alte (und teure) fossile Kraftwerke hochfahren, sowie Strom aus dem benachbarten Ausland einkaufen.


Die Kernkraftwerke Philippsburg 1 (oben) und Neckarwestheim I (unten)

Die Abschaltung dieser Kraftwerke hat auch Auswirkungen auf das Steueraufkommen der Standortgemeinden. Philippsburg kann dieses Jahr nicht mit Gewerbesteuereinnahmen rechnen; der Bürgermeister Stefan Martus will sich "revanchieren", indem er seine EnBW-Aktien verkauft.

Umsteuern - doch wohin?

Im Frühjahr 2011 kam es - im Gefolge von Fukushima - auch zu einem Wechsel der Landesregierung. Erstmals seit mehr als einem halben Jahrhundert wird diese nicht mehr von der CDU (und der FDP) gestellt, sondern von den Grünen und der SPD. Ministerpräsident Winfried Kretschmann und sein roter Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid sitzen nun an den Hebeln der Energiewirtschaft in Baden-Württemberg.

Kurz vor dem Regierungswechsel, nämlich Ende 2010, hatte das Land ein EnBW-Aktienpaket von 45,01 Prozent für 4,7 Milliarden Euro vom französischen Stromkonzern EdF erworben. Die jährlichen Zinsen in Höhe von 110 Millionen Euro sollten aus den Dividendenzahlungen der EnBW bezahlt werden. Nach dem Atomausstieg und der damit verbundenen finanziellen Schieflage der EnBW, war dies jedoch nicht mehr möglich.

Seit Monaten tobt im "Ländle" ein heftiger Politikerstreit darüber, ob der Kaufpreis dieser Anteile gerechtfertigt war und ob der frühere Ministerpräsident Stefan Mappus berechtigt war, diesen Deal ohne vorherige Zustimmung des Landtags einzufädeln. Fakt ist, dass die EdF dieses Aktienpaket abgeben wollte und Mappus hat zugegriffen, damit es nicht die Hände zockender Hedgefonds gelangte. Die jetzige Aktionärsstruktur - Land 46,55 %, Kommunale Versorger OEW 46, 55 %,  Rest: Gemeinden und Kleinaktionäre - sollte dem Land die ideale Möglichkeit geben, den Konzern nach seinen Vorstellungen auszurichten.

Stattdessen gibt es nur Streit im Aufsichtsrat. Der Vorstandsvorsitzende Hans-Peter Villis und die OEW mahnen die Deckung des Konzerndefizit an, z. B. über eine Kapitalerhöhung, während die klammen Stuttgarter Regierungsvertreter dagegen halten. Gleichzeitig drängen diese den Vorstand auf eine stärkere Ausrichtung des Konzerns in Richtung erneuerbarer Energien. Das würde jedoch erheblich Investitionsmittel erfordern, wie sich bereits an dem Ostsee-Windpark Baltic 2 gezeigt hat. Je nach Wassertiefe werden dort die Windräder entweder auf Monopiles oder (ab 33 Meter Tiefe) auf Jackets montiert. Das Windprojekt wird eine Gesamtkapazität von 288 MW haben und soll 2013 in Betrieb gehen. Sowohl hinsichtlich der Leistung als auch der Verfügbarkeit ist diese Anlage aber kein Ausgleich für die abgeschalteten Blöcke KPP 1 und GKN I.


Windräder beim Projekt Baltic 2; Gründung in Jackets (links) und Monopiles (rechts)

Noch bescheidener ist der Stromertrag beim Solarpark Leibertingen, der bereits im Dezember 2009 im Landkreis Sigmaringen in Betrieb ging. Auf einem Feld von 7,3 Hektar ist eine Anlage  von der bescheidenen Leistung von 2,1 MW platziert, die etwa 10 Prozent des Jahres Strom produzieren dürfte.

Villis braucht Geld

Bis jetzt wird in den alle zwei Monate stattfindenden Aufsichtsratssitzungen zwar viel diskutiert, aber wenig entschieden. Zu der von Villis angemahnten Kapitalerhöhung ist es jedenfalls noch nicht gekommen. Die OEW würde der Aufstockung zwar zustimmen, aber das Land legt sich quer. Frisches Geld benötigt der Vorstand auch zur Abdeckung möglicher Risiken bei der Beteiligungsfirma EWE. Mit dem Kauf dieses Oldenburgischen Energieversorgers wollte sich die EnBW einen besseren Zugang zum Gasmarkt sichern, aber irgend etwas ging wohl schief. Möglicherweise muss sich die EnBW auf Risiken in Millionenhöhe einstellen.

In den letzten Wochen hat Villis angekündigt, dass er die 20.000 Mitarbeiter der EnBW in die Pflicht nehmen werde. Rund 250 Millionen Euro soll der "Verzicht" auf freiwillige Leistungen einbringen, weitere 500 Millionen will der Konzern durch Umstrukturierungen und den Verkauf von Beteiligungsfirmen einsparen. Die Gewerkschaften, insbesondere Verdi, befinden sich bereits auf den Barrikaden.

Richtig viel Geld soll eine Anleihe in die leeren EnBW-Kassen spülen, die der Konzern letzte Woche auf den Markt gebracht hat. Es handelt sich um eine sogenannte Hybrid-Anleihe im Volumen von 750 Millionen Euro und einer Laufzeit von 60 Jahren. Die Rückzahlung ist für den 2. April 2072 vereinbart. Der Zinskoupon von 7,375 Prozent wird so manchen Investor anlocken.
Aber Vorsicht: bei Hybridanleihen darf die Zinszahlung unter bestimmten Umständen verschoben bzw. ganz ausgesetzt werden. Der relativ hohe Zins ist ein Ausgleich für das erhöhte Risiko - das bis zum Totalverlust des Kapitals im Falle einer Insolvenz reicht.

Lehmann lässt grüssen!

Sonntag, 30. Oktober 2011

Studiengebühren gestern und heute

Oktoberzeit ist Erntezeit. Die Winzer sammeln ihren Wein ein, die Universitäten ihre Erstsemester. An der Universität Karlsruhe (Pardon: KIT Campus Süd) haben sich 4.900 dieser "Erstis" eingeschrieben; ihnen werden gute Ratschläge zur unfallfreien Überwindung der vielen Baustellen mitgegeben. An den Münchener Eliteuniversitäten ist man da schon generöser. Jeder der 9.000 Inscribenten an der Ludwig-Maximilian-Universität (LMU) erhält einen schickem Rucksack mit Aufschrift und die Alma Mater bietet sogar Einführungsseminare für das Münchener Nachtleben an. Bei der konkurrierenden Technischen Universität München (TUM) grummelten die 8.000 Erstsemester zwar über die zu wenigen Parkplätze beim Garchinger Campus, aber Präsident Herrmann konnte sie mit 5.000 Litern Freibier aus der TU-eigenen Brauerei Weihenstephan beruhigen.

Diskussionsstoff, wie in den vergangenen Jahren, boten wieder die Studiengebühren. 500 Euros müssen Alt- und Neusemester bei der Verwaltung löhnen, wenn ihre Einschreibung rechtswirksam sein soll. Vielen Studis ist diese Summe zu hoch, nicht wenige wollen sie ganz abschaffen und bedrängen mit diesem Verlangen die Politiker. Nicht ohne Erfolg, denn in den ehemaligen CDU/FDP-regierten Ländern Hamburg, Saarland, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sind die Studiengebühren nach Wahlniederlagen der Konservativen bereits wieder abgeschafft; nur in Niedersachsen und in Bayern besteht man noch darauf. Aber auch im Freistaat, denkt Ministerpräsident Horst Seehofer, dieser ewige Wendehals, an deren Verzicht.

Münchener Reminiszenzen

Vor gut fünfzig Jahren, von 1952 bis 1961 studierte ich nacheinander an der Universität München und der (damaligen) Technischen Hochschule München Physik (Diplom und Dr.) sowie dann wiederum an der Universität Betriebswirtschaft (Diplomkaufmann). So kurz nach dem Krieg kam kaum ein Student mit dem eigenen Auto, stattdessen schätzte sich jeder glücklich, wenn er ein Fahrrad besass, das er während der Vorlesungen einfach an die Gebäudewand der Uni lehnte. Die Aufnahme der Erstsemester, hingegen, war nicht einfach ein bürokratischer Verwaltungsakt, sondern eine feierliche Angelegenheit. Die Zeremonie begann mit dem gemessenen Einzug des Professorenkollegiums in ihren - je nach Fakultät - verschiedenfarbigen Talaren in die prächtige Aula der Universität. Es folgte die Aufführung eines Musikstücks; nach meiner Erinnerung war es die Egmont-Ouvertüre, gespielt von den Münchener Philharmonikern unter der Leitung von Hans Knappertsbusch(!). Der Rektor, welcher auf den eindrucksvollen Namen Mariano San Nicolo hörte, wollte es sich nicht nehmen lassen, jeden der Neuinscribenden per Handschlag auf seine studentischen Aufgaben hin zu verpflichten. Es dauerte eine geschlagene Stunde bis ich, einer der Letzten, "dran war".

Aber Studiengebühren - man sprach damals vom "Unterrichtsgeld" - gab es auch schon. Und die Höhe dieses Unterrichtsgeldes war beachtlich, insbesondere, wenn man es mit dem damaligen Einkommen verglich. Zum Beweis lege ich drei Ausrisse aus meinen damaligen Studienbüchern vor, die jeder Student handschriftlich zu führen hatte. So zahlte ich im Sommersemester 1953 die stattliche Summe von 226 Deutsche Mark (DM), wobei ein chemisches Praktikum - das ich, wegen Platzmangels, in den Semesterferien ganztägig abzuleisten hatte - mit 65 DM zu Buche schlugen.

Unterrichtsgeld im Sommersemester 1953 an der Uni München

Nach sieben Semestern an der Uni wechselte ich zur nahen Technischen Hochschule (TH), weil dort ein Professor gekommen war (Maier-Leibnitz), dem man einen Forschungsreaktor in Garching versprochen hatte. Es war das später berühmt gewordene "Atom-Ei". Auch an der TH, jetzt nennt sie sich Techniche Universität, war das Studium nicht kostenlos. Der Studienbuchausriss aus dem Wintersemester 1956/57 mit 150 DM für Unterrichtsgeld beweist dies. An der TH München legte ich 1957 mein Diplom ab und promovierte 1959 zum Dr. rer.nat. Während der Promotion erhielt ich monatlich 200 DM, musste dafür aber jede Woche einen Praktikumsversuch in Kernphysik abhalten und die Übungen der Studenten korrigieren.
Unterrichtsgeld im Wintersemester 1956/57 an der TH München

Von 1957 bis 1960 schrieb ich mich wieder an der Uni ein, um (parallel zur Promotion) dort Betriebswirtschaft zu studieren. Das war damals noch möglich, aber auch dafür war ein Unterrichtsgeld fällig. Wie unten ersichtlich, zahlte ich (beziehungsweise mein Vater) im Sommersemester 1958 die Summe von 128 DM.

Unterrichtsgeld im Sommersemester 1958 an der Uni München

Zahlenspiele

Bei Durchsicht meiner drei Studienbücher komme ich auf ein durchschnittliches Unterrichtsgeld von 150 DM pro Semester. Heutzutage zahlt ein Student 500 Euro an die Universitätsverwaltung. Man kann die Frage stellen, wie diese beiden Zahlenwerte sich miteinander vergleichen. Ohne gleich eine Doktorarbeit daraus zu machen, habe ich mich an die Hauptverwaltung der IG-Metall in Stuttgart gewandt. Dort erfuhr ich die Tariflöhne von damals im Vergleich zu heute. So hatte ein Metallarbeiter 1955 einen Stundenlohn von 1,75 DM bei einer Wochenarbeitszeit von 48 Stunden. Heute bekommt der gleiche Arbeiter einen Monatslohn von 2.600 Euro und muss dafür 35 Stunden pro Woche schaffen.

Berücksichtigt man, dass tarifrechtlich ein Monat 4,35 Wochen entsprechen, dann hatte der Arbeiter im Jahr 1955 einen fiktiven Monatslohn von 365 DM. Sein Kollege, der heute 2.600 Euro = 5.200 DM erhält, verdient also 14 mal soviel. Das Unterrichtsgeld von 150 DM entspricht heute also 2.100 DM bzw. 1.050 Euro. Mit ein bisschen Mut zur Extrapolation kann man also behaupten, dass die heutigen Studenten nur halb soviel an Studiengebühren berappen, wie wir damals an Unterrichtsgeld!

Ein Plädoyer für die Studiengebühr

Die Studiengebühr kommt insbesondere den Massenfächern zugute, also den Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. (Die Naturwissenschaften, Medizin und Pharmazie können sich vom Überranntwerden durch den Numerus Clausus schützen). Die Ausbildung eines Germanisten, beispielsweise, kostet einer typischen Universität 5.000 Europro Semester. Die Mitfinanzierung über die Studiengebühr bedeutet zwar nur zehn Prozent, aber es ist Geld, das die Hochschulen nach eigener Einschätzung verwenden können. Zum Beispiel für die Aufstockung der Bibliothek, die Einstellung von Tutoren oder den Kauf von Musikinstrumenten.

Immer wieder ist von Härtefällen die Rede. Dabei sollte man bedenken, dass pro Familie nur ein Kind zur Zahlung der Studiengebühren verpflichtet ist; das zweite  Kind ist freigestellt und sollten drei oder mehr Kinder in einer Familie studieren, so sind überhaupt keine Studiengebühren fällig. Auch Doktoranden studieren gratis. Und für fleissige und kluge Studenten gibt es ja Stipendien. Im Ausland sind die Studiengebühren entschieden höher. In Grossbritannien liegen sie bei 1.000 bis 3.000 Pfund; in den USA - an den Eliteuniversitäten - gar bei 40.000 Dollar.

Dass ein Universitätsstudium kostenlos sein soll, hat sich seit den siebziger Jahren eben so herausgebildet, weil die Landesregierungen damals noch liquide waren. Auf andere Ausbildungsgänge ist diese Mode nicht übergesprungen. So zahlt der Handwerker, welcher ein Meisterdiplom anstrebt, sämtliche Kosten selbst. Und sogar für die Kindertagesstätten (Kitas) entstehen nicht selten Kosten von mehrere hundert Euros pro Monat(!). Einige Länder, welche die Studiengebühren abschafften, haben versprochen, diese Einnahmeverluste zu kompensieren. Doch das ist eine Mogelpackung. Zusätzliche Finanzierungen erfolgen nur, wenn die Hochschulen auch mehr Studenten aufnehmen.

Trotz manch berechtigter Kritik hat es der heutige Student viel leichter als jener in den fünfziger Jahren. Ich sass ein volles Jahr bei der Vorlesung für Experimentalphysik auf den Treppen des Hörsaals, weil die vorausgehende Vorlesung räumlich weit entfernt war. Skripten gab es nicht und die wenigen Lehrbücher in der Bibliothek waren meist über Monate hinweg vorbestellt sodass man die Ergüsse des Professors mitkritzeln musste. Auch heute sind die Hörsäle manchmal noch überfüllt, aber fast jeder Student besitzt einen Laptop und kann die Folien, welche der Professor an die Wand projiziert, schon während der Vorlesung herunterladen. Selbst Audioaufnahmen gibt es online.

Der Gipfel ist das "Electronic-Voting" bei manchen Informatikvorlesungen: per Knopfdruck kann der Student seinem Professor mitteilen, ob er ihn verstanden hat!

Sonntag, 23. Oktober 2011

Öl und Gas - (fast) in Überfluss

Dass immer wieder weniger Öl und Gas in der Erdrinde gefunden wird, gehört zum Allgemeinwissen. Die "ADAC-Motorwelt" vom Oktober 2011 titelt beispielsweise "Das Ende ist in Sicht" und "Die Länder pumpen immer weniger Rohöl aus der Erde". Doch diese Feststellung ist grundfalsch. Sie mag noch vor fünf Jahren gegolten haben, aber heute haben sich die Ressourcen an Öl und Gas beträchtlich erhöht. Der Grund dafür sind neue Explorationstechniken - und die hohen Verbraucherpreise, welche teuere Investitionen ermöglichen. Unternehmen wir eine Grand Tour um den Globus zur Bestätigung meiner Behauptungen.

Israel

Auf eine energetische Bonanza gestossen sind die Israelis. Vor der Küste von Haifa wurden im Mittelmeer die beiden riesigen Gasfelder "Tamar" und "Leviathan" entdeckt. Zusammen mit drei bereits seit längerem bekannten Feldern werden sie die israelische Stromproduktion, die bisher auf importierter Kohle basierte, von ausländischen Lieferanten unabhängig machen. Auch die (aus politischen Gründen) seit langem unterbrochenen Gaslieferungen aus Ägypten sind nun kein sonderliches Problem mehr. Im Gegenteil, man denkt sogar an den Gasexport nach Jordanien, womit die riesigen Kosten für die Exploration in der Tiefsee - man spricht von einer Million Dollar pro Tag - wieder hereingeholt werden könnten.


Gasfelder vor der Küste von Israel

Europa

Auch in Europa wurden neue Öl- und Gasfelder entdeckt. Die Norweger berichten von einem grossen Fund in der Nordsee, wie er seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr vorgekommen sein soll. Die staatliche Ölgesellschaft Statoil schätzt die Kapazität des Feldes auf 1,2 Milliarden Fass (bzw. barrels zu 159 Litern).

Die Briten haben in der Nähe des Seebades Blackpool ein grosses Erdgasreservoir aufgespürt, das den Bedarf des Königreichs für sechs Jahrzehnte decken könnte. Der Fund entspricht damit 40 Prozent der Erdgasreserven von Norwegen, dem grössten europäischen Erdgasförderer. Es handelt sich dabei um sogenanntes "unkonventionelles Erdgas" bzw. "Schiefergas", zu dessen Förderung, wie unten beschrieben, ein Cocktail aus Wasser, Sand und Chemikalien in die Tiefe gepumpt werden muss.

Beträchtliche Schiefergasvorkommen gibt es auch in Deutschland, Frankreich und Polen. In Niedersachsen nimmt Exxon-Mobil Probebohrungen vor, kritisch begleitet von den Umweltschutzverbänden. In Frankreich, das 59 Kernkraftwerke betreibt, will man sich diese Konkurrenz vom Leibe halten und hat Bohrungen sogar verboten. In Polen hingegen ist die Exploration im Gange.


Die weltweiten Rohölreserven

Schliesslich wird in Kürze Libyen seine Ölförderung wieder aufnehmen, nachdem der Bürgerkrieg beendet ist. Dieses Land sitzt auf 3,2 Prozent der globalen Ölreserven und hat in seinen besten Zeiten zwei Prozent zur weltweiten Versorgung beigetragen. Heftig diskutiert wird derzeit noch wem überhaupt das libysche Öl gehört: der Zentralregierung oder den regionalen Stämmen.

Nord- und Südamerika

In den USA gibt es grosse Vorräte an Schieferöl in den Staaten Texas und North Dakota. Sie werden derzeit auf 2,1 Milliarden Fass geschätzt - es könnte aber auch die fünffache Menge sein! Noch bis vor kurzem schien diese Ressource nicht nutzbar zu sein, aber seit man die Methode des "Fracking" entwickelt hat, kann man auch das Schieferöl an die Oberfläche bringen. (Die Gasreserven im Schiefergestein werden schon seit einigen Jahren im grossen Stil ausgebeutet; die USA sind dadurch von Gasimporten weitgehend unabhängig geworden).


Schematische Darstellung der Fracking-Methode

Beim Fracking wird ein Loch in den Fels gebohrt, das im höffigen Schiefergestein waagrecht verläuft (1). Kleine Sprengladungen werden zur Explosion gebracht, welche Risse im Schiefergestein erzeugen (2). Eine Mischung von Wasser, Sand und Chemikalien wird unter hohem Druck in die Risse gepresst, wodurch das darin befindliche Gas freigesetzt wird (3). Schliesslich wird das Gas nach oben gepresst bzw. gesaugt und kann an der Oberfläche gesammelt werden (4).
In Australien ist diese Methode technisch verfeinert worden und der Verkauf von "Naturgas" ist dort bereits ein Milliardengeschäft. Bedeutende Rohölexporteure - zumeist in die USA - sind die Nachbarstaaten Kanada und Mexiko. In Kolumbien steigt die Produktion steil an und wird demnächst die von Libyen (Vorkriegszustand) übertreffen. Venezuelas Ölreserven übertreffen sogar jene von Saudi-Arabien, auch wenn die Förderkosten dort noch höher sind.

Brasilien vermutet riesige Mengen an Öl und Gas vor seiner Küste. Die nationale Ölfirma Petrobras investiert sage und schreibe 200 Milliarden Dollar um gegen Ende dieses Jahrzehnts 5,5 Million Fass pro Tag zu fördern. Sogar U-Boote sind in der Entwicklung, um den fossilen Reichtum des Landes strategisch abzusichern.

Mein Fazit

Es besteht überhaupt keine Veranlassung, sich aus Furcht vor dem baldigen Versiegen der Öl- und Gasquellen in eine unfertige Technologie wie die der Elektroautos zu begeben. In der Erdrinde befinden sich noch ungeheure Mengen an Öl und Gas, die man in der Zukunft mit neuen Techniken an die Oberfläche holen kann. Ein weiteres Reservoir sind die alten Quellen, welche bei weitem nicht ausgeschöpft sind und die man ebenfalls mit fortschrittlichen Explorationsmethoden wieder zum Sprudeln bringen kann.
Meine Prognose:
Rohöl und Gas wird unserer Generation nicht ausgehen, vermutlich auch nicht der unserer Kinder.
Und wahrscheinlich werden sogar unsere Enkel noch mit dem Benzinauto durch die Gegend fahren.

Sonntag, 16. Oktober 2011

Ein Abstecher nach Budapest

Wenn man schon mal in Wien ist - um zwischen Grinzing und dem Burgtheater Kultur zu tanken - dann sollte man einen Abstecher nach Budapest nicht scheuen. Gesagt, getan und so fuhren Brigitte und ich in knapp drei Stunden mit der Bahn in die ungarische Hauptstadt.

Hinreissender Anblick, verblichene Pracht

"Man muss Budapest von oben und zur Nacht gesehen haben", sagte Klaus Mann einmal und recht hat er. Der Hauptbahnhof, auf dem die Züge von Wien ankommen, sieht samt seiner Umgebung etwas ramponiert aus und so waren wir froh, als uns Freund Hess in seinem Auto sogleich auf die hochgelegene Zitadelle kutschierte. (Übrigens: ich spreche nicht von Rudolf Hess, weiland Stellvertreter des "Führers", sondern von Dr. Bernhard Hess, früher Wissenschaftler bei der Firma Interatom/Siemens, der in seiner Berufszeit die Welt mit Schnellen Brütern beglücken wollte.) Bernhard und seine charmante Frau Dagmar führten uns an die geografisch richtigen Stellen und Budapest lag buchstäblich zu unseren Füssen: im Westen der bergige Stadtteil Buda, im Osten weit hingestreckt der flache Stadtteil Pest. Beide zusammen bilden die Stadt Budapest. Und dazwischen der Donaustrom, den die Ungarn Duna nennen. Ein Fluss, der gleichermassen trennt und verbindet: vierhundert Meter breit und sechs Meter tief. Damit verglichen ist die vielbesungene Donau in Wien ein armseliges Gerinne.


Blick vom Stadtteil Buda auf Pest;
im Vordergrund die Donau und die Kettenbrücke

Neun Brücken überqueren die Donau im Bereich der Stadt Budapest. Die Kettenbrücke ist die imposanteste. Sie wurde vor hundertfünfzig Jahren, während der Habsburger Zeit, von dem Engländer Adam Clark gebaut. Er war auf sein Bauwerk so stolz, dass er öffentlich verkündete, sich in die Donau stürzen zu wollen, falls es jemand fertigbrächte, ihm einen Baufehler nachzuweisen. Das gelang schliesslich einem  Bäckerjungen, der darauf hinwies, dass die vier steinernen Löwen an Auf- und Abfahrt der Brücke in ihren aufgerissenen Mäulern keine Zungen hätten. (Es ist nicht bekannt, dass Mister Clark daraufhin den Freitod gesucht hätte.)

Budapest besitzt eine Vielzahl repräsentativer Gebäude, die zumeist aus der k u. k - Zeit stammen. Kaiser Franz-Joseph und vorallem seine ungarophile Gemahlin Elisabeth (genannt "Sisi") versorgten Budapest mit den erforderlichen finanziellen Ressourcen. So entstanden eine grosse Zahl von Bauten im Stil der Neo-Klassik, des Neo-Barocks und sogar des Jugendstils, welche Wien durchaus Konkurrenz machen konnten. Mit dem Ende des Habsburgerreiches nach dem verlorenen 1. Weltkrieg verfielen diese Bauten und der 2. Weltkrieg sowie die nachfolgende sowjetische Besatzung taten ihr Übriges. Heute ist teilweise eine verblichene Pracht sichtbar, der man gerne finanzkräftige Investoren wünschen möchte.

Wenn man als Tourist nach Budapest kommt, sollte man die Badehose im Gepäck haben. Die Stadt besitzt nämlich 120 heisse Quellen und nennt sich zu Recht "Spa Capital of Europe". Es gibt eine Unzahl prächtiger Thermalbäder, zumeist in türkischem Stil, wovon das Gellertbad mit seinen hohen Marmorsäulen und seine bunten Mosaiken wohl das bekannteste ist. Der grösste badetaugliche Thermalsee mit sage und schreibe 4,4 Hektar befindet sich am Plattensee (Balaton) und erneuert sein Wasser alle 48 Stunden. Selbst im Winter sinkt die Temperatur nie unter 23 Grad Celsius. Der Seegrund ist von radioaktivem Schlamm überzogen und dies wird offensichtlich hingenommen. (Wie die vier uralten Kernkraftwerke russischer Bauart, welche Ungarn 43 Prozent seines Strombedarfs liefern.)

"Ich denke oft an Piroschka"

Im Nachkriegsdeutschland wurde ein Film mit Liselotte Puver zum Renner. Als Piroschka und Tochter eines Stationsvorstehers lernt sie in der ungarischen Provinz den deutschen Austauchstudenten Andreas (Gunnar Möller) kennen und lieben. Die beiden kommen sich trotz der Sprachprobleme näher, aber der Name des winzigen Orts in der Puszta - den es wirklich auch heute noch gibt - war lange Zeit ein Lacherfolg für das Kinopublikum. Er hiess:  Hódmezövásárhelykutasipuszta.

Das Ungarische kennt keinen vorgeschriebenen Satzbau, stattdessen "klebt" man die Silben aneinander, was zu irritierender Länge der Ausdrücke führt. Hinzu kommt, dass die Akzente die Silben zuweilen ganz anders klingen lassen; Beispiel: Úngaarland. Mancher gebürtige Ungar, wie Franz Liszt hat darauf verzichtet ungarisch zu lernen und zeitlebens deutsch und französisch gesprochen. Andererseits konnte die schon genannte Kaiserin Sisi fliessend ungarisch sprechen, was wohl ein Grund ihrer Beliebtheit bei den Magyaren war.

Das Ungarische hat keine Verwandschaft mit den den germanischen, romanischen oder slawischen Sprachen, sondern ist in Mitteleuropa vollkommen isoliert. Angeblich ging es aus der finno-ugrischen Sprachfamilie hervor. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass die Finnen Ungarisch verstehen oder die Ungarn Finnisch. Für einen Ausländer ist es schlechterdings unmöglich die ungarische Sprache ratend zu verstehen oder sie korrekt auszusprechen. Schon ein einfacher Akzent kann zu einer totalen Bedeutungsveränderung führen. Bekannt ist folgendes Beispiel: ein ungarisches Wort, lang ausgesprochen, hat die Bedeutung von "Zeug"; bei kurzer Aussprache aber - Pardon - von "Arsch".
Zum Glück verstehen noch viele Ungarn deutsch (oder englisch), sodass man als Tourist selten in Verlegenheit kommt.

Vom Gulasch zum Tokayer

 Wer sich auf Diät befindet, beziehungsweise Vegetarier (oder gar Veganer) ist, sollte Ungarn tunlichst meiden. Die Küche der Magyaren ist ländlich und fleischlastig. Man kocht schwer, mit viel Schweineschmalz und saurer Sahne. Bei meiner Ankunft in Budapest und mit kräftigen Hunger ausgestattet, bestellte ich nach Durchsicht der Speisekarte Gulyás - worauf ich enttäuschenderweise nur eine dünne Gulaschsuppe erhielt. Noch wusste ich nicht, dass unser deutsches Gulasch im Ungarischen Pörkölt und so als Schmorgericht überall erhältlich ist. Das kleine grüne Gemüseschnitzchen (aufgestellt am Rand der Suppenschale) ass ich so nebenbei - und fiel fast vom Stuhl. Es war eine Paprikaschote und zwar von der ganz scharfen Sorte, welche man so in Deutschland nie bekommt.

Zum Repertoire der Magyarenküche gehörte in unserem Hotel auch die Gänsestopfleber (Libamáy). Sie wurde in grossen Stücken serviert und ein kundiger Hotelgast erzählte mir, dass Ungarn der grösste Gänsestopfleberproduzent der Welt sei. Der bedeutendste Abnehmer sei Frankreich und insbesondere das Departement Elsass. Ein Hoch der Grande Nation für ihre ausgezeichnete Foie Gras! Ein Beitrag der Ungarn zum weltweiten "Fast Food" ist der Lángos, ein Hefegebäck in Schmalz herausgebacken. Beim Karlsruher Weihnachtsmarkt schmeckt er mir immer ausgezeichnet, sodass ich ihn einmal im Ursprungsland geniessen wollte. Dazu begab ich mich zu den Markthallen, einem 150 Meter langen luftigen Bau aus Glas und Stahl an der Donau. Der Lángos war nicht länglich sondern kreisrund und hatte die Grösse einer mittleren Pizza. Er triefte vor Fett und war bedeckt mit einem Zentimeter intensiv gezuckertem Pfirsichmus. Nach der Hälfte musste ich aufgeben.

Kommen wir zu den Weinen. Ganz Ungarn könnte ein einziger Weinberg sein, zumindest was die klimatischen Voraussetzungen anlangt. Am bekanntesten ist die Region um Tokay im Nordosten des Landes. Der Tokayer war früher jener edelsüsse Dessertwein, den sich nur Fürsten und Könige leisten konnten. Inzwischen haben die Winzer dort ihr Sortiment verbreitert, sie bieten ihn auch sehr trocken an  - ohne an Qualität zu verlieren.
Das "Erlauer Stierblut" war früher ein ordinärer Rotwein, bei dem der anschliessende Kater gesichert war. Die ungarischen Soldaten tranken ihn vor ihren üblichen Scharmützeln mit den Türken, worauf diese regelmässig die Flucht ergriffen. Heute ist auch er in der Klasse so gestiegen, dass ihn sogar der britische Weinpapst Hugh Johnson als "Bulls Blood" der Domaine Szekszárdi Bikavér in seinem Handbuch lobend erwähnt.

Ein Erlebnis der besonderen Art war eine Weinprobe tief im "Faust-Keller" des Hilton-Hotels auf dem Burgberg. Dort konnten wir, bei anregenden Gesprächen, acht verschiedene Weiss-und Rotweine der ungarischen Provenienz geniessen. Der Keller liegt so tief, dass elektromagnetische Geräte, wie Mobiltelefon oder Kasse, nicht funktionieren. Wir mussten also bar bezahlen!

Bernhard und Dagmar wollen sich diesen Umstand nicht immer antun und haben deshalb ihren eigenen Weinberg am Balaton. Besucher sind willkommen. Stossen wir schon mal mit den beiden an:

Egészségedre!

Sonntag, 9. Oktober 2011

Wofür braucht das ITU soviel Plutonium?

  Franz Untersteller, 54,  derzeit Umwelt- und Energieminister in Baden-Württemberg sowie   Abgeordneter der Grünen, hat ein Problem. Er soll den Bau eines Atomlabors und eines Atombunkers für 180 Kilogramm Plutonium genehmigen. Passt wie die Faust aufs Auge ins grüne Parteiprogramm und den von allen deutschen Parteien erst kürzlich beschlossenen Atomausstieg. Antragsteller für dieses Unternehmen ist das renommierte Institut für Transurane (ITU), ein Ableger von EURATOM in Brüssel. Und hier fängt es an schwierig zu werden. Die Europäische Union (EU) betreibt nach wie vor Atomforschung, aber die (deutschen) Nachbarn des ITU sind streng dagegen.



Minister Franz Untersteller und Mediator Michael Sailer

Der Politiker Untersteller will Zeit gewinnen und hat deshalb eine "Mediation" anberaumt. Befürworter und Gegner dieses Projekts sollen in mehreren Sitzungen unter der Leitung eines Vermittlers einander ihre Argumente vortragen. Dieser heisst Michael Sailer und ist am Öko-Institut Darmstadt tätig. (Untersteller kennt ihn gut, da er selbst nach seinem Studium als Landschaftsarchitekt an der Fachhochschule Nürtingen einige Jahre am Öko-Institut Freiburg verbracht hat.)


Streit um den Bauantrag

Die erste Mediationsrunde war am 12. September in der Rheinhalle von Leopoldshafen. Es ging hoch her.  Man erfuhr, dass das ITU den Bauantrag für Labor und Lagerbunker im Dezember letzten Jahres ordnungsgemäss vorlegte und dass die Anliegergemeinde Eggenstein-Leopldshafen ihn ohne grössere Diskussion "durchgewunken" hat. Massiv Einspruch erhoben hat jedoch der Gemeinderat von Linkenheim-Hochstetten unter der Führung seines Bürgermeisters Günther Johs. Mit welchem Argument? Nun, die neuen Gebäude (Flügel M) liegen partiell auf der Gemarkung dieser Gemeinde. (Vielleicht ein taktischer Planungsfehler des ITU, wie man im nachhinein vermuten möchte).


                            Die Baumassnahmen am ITU und Gemarkungsgrenze

Bürgermeister Johs - seit 1991 im Amt und wahrscheinlich noch bis 2015 - hatte einen weiteren cleveren Schachzug getan. Gleich nach der Antragsstellung des ITU liess er von seinen Räten den Flächennutzungsplan der Gemeinde ändern und, siehe da, plötzlich war (auf dem Gelände der WAK) und in direkter Nähe zum ITU ein "Tagungs- und Kongresshotel" ausgewiesen. In bewegenden Worten machte Johs dem Mediator Sailer klar, dass er keinen Investor für diesen Standort gewinnen könne, wenn nebenan ein Plutoniumbunker steht. Ein Schelm, wer da an "Verhinderungsplanung" denkt.

Aber auch der Antragsteller, Professor Thomas Fanghänel, seines Zeichens Chef des ITU, zeigte Kante. Er betonte immer wieder, dass er auf er auf seinen Antrag bestehen und notfalls sogar Klage einreichen werde. Zur anwaltlichen Unterstützung hat er schon mal die Kanzlei Bodensohn und Partner beauftragt. Diese hatte im April diesen Jahres Schadensersatzansprüche gegen das Land Baden-Württemberg und die Gemeinde Linkenheim in Aussicht gestellt mit folgender Begründung:
Mit Artikel 2 Abs. (1) S. 1 des Standortüberlassungsvertrags vom 21.12.1060 hat das Land Baden-Württemberg als Eigentümer der streitgegenständlichen Grundstücke die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) ermächtigt, sämtliche bauliche Massnahmen auf diesem Grundstück durchzuführen, welche notwendig sind zur Erreichung der Zwecke des ITU.  
Peng!


Streit um die Kernbrennstoffe

Wahrscheinlich wäre der Streit um die Baumassnahmen des ITU nicht so ausgeufert, wenn Fanghänel bei der Beantragung seiner Kernbrennstoffmengen etwas bescheidener gewesen wäre. Aber so kam heraus, dass das ITU bereits seit den 1960er Jahren eine unbefristete Umgangs- und Lagergenehmigung  für 180 Kilogramm Plutonium besitzt. Im Jahr 1997 wurde nochmals eine atomrechtliche Genehmigung für 50 kg Uran 233 mit einer Anreicherung von 93 Prozent erteilt. Und im geplanten Neubau beantragte das ITU weitere Genehmigungen für 80 kg Uran 233 und 300 kg schwach angereichertes Uran sowie 450 kg Thorium. Das sind riesige Mengen für ein Forschungslabor und es stellt sich sofort die Frage: was machen die damit?

Die Kritiker wiesen darauf hin, dass mit dem Bau des beantragten Laborflügels die Reaktorforschung an diesem Standort für mindestens weitere 20 Jahre festgeschrieben wird. Die Frage nach dem derzeitigen radioaktiven Inventar im ITU wollte Fanghänel nicht beantworten; er berief sich auf seine Geheimhaltungsvorschriften. Das vermehrte noch den Unmut der etwa hundert Zuhörer und Medatior Sailer musste um Ruhe bitten. Schliesslich stand die exorbitante Zahl zehn hoch sechzehn Bequerel im Raum. Eine Eins mit sechzehn Nullen. Jemand im Auditorium stellte flugs einen Vergleich an: nach Tschernobyl haben wir gelernt, dass ein Salatkopf nicht mehr als 500 Bequerel haben darf; damit kann man viele Salatköpfe kontaminieren!

Schliesslich meldete sich ein ranghoher Beamter aus Unterstellers Umweltministerium mit einem Kompromiss zu Wort. Er bot den anwesenden Bürgermeistern Johs und Stober an, sie im Ministerium im Rahmen einer "Lesestunde" über das tatsächlich gelagerte Plutonium zu informieren. Allerdings mit der Auflage, in der Öffentlichkeit darüber nicht zu berichten. Doch die Bürgermeister lehnten das Angebot ab. Sie betrachten sich als Bedenkenträger ihrer Bürger und haben an "Geheimwissen" kein Interesse. Johs gab bei dieser Gelegenheit nochmals kund, wie oft er schon vom früheren Kernforschungszentrum und der Wiederaufarbeitungsanlage "betrogen" worden sei: erstere habe Klärabfälle mit Plutonium in seinen Altrheinarm geleitet und letztere habe die Flüssigabfälle der WAK nicht vollständig verglast, weshalb noch zwei Kubikmeter Konzentrat mit viel radioaktivem Cäsium und Technetium in der VEK herum stünden.


Streit ums Forschungsprogramm

Angeregt durch die hohen Kernbrennstoffmengen wurde immer wieder nach dem Forschungsprogramm des ITU gefragt. Am 26. September, bei der 2. Mediationssitzung, hatte der Moderator Sailer deshalb dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Professor Fanghänel gab einen länglichen Überblick seiner Institutsarbeiten, wobei er besonders auf die Grundlagenforschung abhob. So beschrieb er ausführlich die Herstellung von Alphapräparaten für die Krebsforschung, die Beiträge des ITU zur Bekämpfung des Nuklearschmuggels und die Unterstützung der Behörden zur Nichtweiterverbreitung von Bombentechnologie. Weitere Programme seien die Sicherheit in Reaktoren und im Brennstoffkreislauf sowie die Endlagerfrage.




Die Einbettung des ITU (Kreis) im ehemaligen Kernforschungszentrum

Hier hakte insbesondere Harry Block vom BUND ein, der einwendete, dass man für solche Kleinversuche keinesfalls diese riesigen Brennstoffmengen benötige, für welche das ITU eine Genehmigung habe. Er vermute stattdessen, dass das Institut Brennstäbe herstelle, wofür auch die Kooperationsverträge mit der französischen Firma AREVA sprächen. Ganz offensichtlich beteilige man sich an der Entwicklung fortgeschrittener Reaktoren der 4. Generation - wenn auch nur auf dem Gebiet der Brennstoffentwicklung. Dies seien u. a. Schnelle Brüter mit einem hohen Plutoniuminventar, wie sie gegenwärtig in Frankreich mit dem Prototyp "Astrid" geplant würden.

Auch die Aktinidenforschung betrachteten die Hauptkritiker - Johs, Block und der Linkenheimer Gemeinderat Professor Jaki - sehr skeptisch. Das sogenannte "partitioning" sei nichts anders als die Renaissance der Wiederaufarbeitungstechnologie, die in Deutschland mit WAK und Wackersdorf endlich zu Grabe getragen worden sei. Die Abtrennung der hochgefährlichen Transurane, wie Neptunium, Curium etc. solle man den Franzosen überlassen. Der Vertreter des Umweltministerium musste allerdings zugeben, dass das Institut in Sachen Forschung eine weitgehende Autonomie geniesse, welche die Behörde in der Genehmigung keine Einschränkung könne.

Fanghänel wies des öfteren darauf hin, dass es im Interesse Deutschlands sei, zu wissen was im benachbarten Ausland in der Kerntechnik geplant sei. Dies verfing bei den Kritikern allerdings kaum; sie brachten Beipiele aus der Vergangenheit, wonach insbesondere Frankreich jede "Inspektion" ihre Anlagen immer strikt abgelehnt habe.

Fazit:  In zwei weiteren Sitzungen wird über Emissionen und andere Themen diskutiert werden. Man kann aber schon jetzt sagen, dass die Eingriffsmöglichkeiten des Landes - ganz zu schweigen von der Gemeinde Linkenheim - nur sehr begrenzt sind. Da gibt es alte Verträge, die einzuhalten sind und Brüssel ist eine Behörde, die turmhoch über Stuttgart steht. Durch die Mediation gewinnt man etwas Zeit, aber an der vertraglichen Situation ändert sich - wie bei Stuttgart 21 - rein gar nichts. Ausserdem: der neue Lagerbunker ist -  im Gegensatz zum Bestehenden - gesichert gegen Erdbeben und Flugzeugabsturz. Wer wollte da schon gegen dieses Bauwerk sein?

Vielleicht denkt Minister Untersteller auch an die 400 Arbeitsplätze und die 45 Millionen Euro Fördergelder aus Brüssel, als er am 29. Juli 2011 in der Zeitung BNN verkündete:
"Die Arbeit des ITU wird noch wichtiger".

Sonntag, 2. Oktober 2011

Die Sehnsucht der Physiker nach der Weltformel

In der Physik wird seit jeher in zwei Abteilungen geforscht - und das mit grossem Erfolg. Die Experimentalphysiker stellen mit ihren Versuchen grosse Datenmengen bereit, die Theoretiker verdichten diese zu abstrakten Gedankengebäuden oder gar zu Axiomen. Einige Beispiele aus den verschiedenen Fachgebieten der Physik soll dies veranschaulichen.

Die klassische Mechanik befasst sich mit den Bewegungen der Körper und lässt sich bis zur Antike zurückverfolgen. Das Hebelgesetz oder die Wurfparabel kennt jeder Gymnasiast. Dem Engländer Isaac Newton gelang es bereits 1687 all diese Bewegungsphänomene in nur drei allgemeingültige Gesetze zu packen. Das zweite newtonsche Axiom heisst beispielsweise: Die Bewegungsänderung einer Masse ist proportional zur einwirkenden Kraft.

Auf dem Gebiet der Elektrik entwickelte der Schotte James Clerk Maxwell 1864 seine berühmten Maxwell-Gleichungen. In nur vier mathematischen Beziehungen beschrieb er den Zusammenhang von elektrischen und magnetischen Feldern mit elektrischen Ladungen und dem elektrischen Strom.



Eine der vier Maxwell-Gleichungen

Das Gebiet der Wärmelehre bzw. der Thermodynamik haben die Theoretiker durch drei sogenannte Hauptsätze strukturiert. Einer heisst z. B. ganz lapidar: Der absolute Nullpunkt ist unerreichbar. Ein anderer bestimmt, dass ein "perpetuum mobile" - also eine Maschine, die dauernd Arbeit leistet ohne, dass man ihr Energie zuführt - unmöglich sei. ( Viele "Erfinder" hat das allerdings bis heute nicht davon abgehalten, solche Maschinen dem Publikum vorzustellen). 


Die Kernphysik im Visier

Nach dem 2. Weltkrieg beschäftigten sich viele Physiker mit der Physik der Elementarteilchen. Die immer mehr ausufernde Kernphysik war ihnen jedoch ein Gräuel und sie versuchten dieses Fachgebiet in ein theoretisches Korsett zu pressen. Der deutsche Nobelpreisträger Werner Heisenberg war der erste, welcher 1958 mit seiner sog. Weltformel an die Öffentlichkeit ging. Das riesige Gebiet der Kernphysik hatte er auf eine einzige Gleichung reduziert. Leider war sie falsch und er musste sie bald darauf zurückziehen.

Auch Albert Einstein beschäftigte sich damals mit ähnlichen Ideen zur formalen Reduktion der Kernteilchenphysik. Er war jedoch klug genug, seine Gedanken darüber nicht zu veröffentlichen. Sie wären - wie die Durchsicht seines Nachlasses ergab - ebenfalls nicht richtig gewesen.

In den siebziger Jahren hatte man über Beschleunigerexperimente in Europa und den USA mittlerweile mehr als 200 Elementarteilchen entdeckt, die sich durch Merkmale, wie Masse, Ladung, Spin, Strangeness etc. voneinander unterschieden. Es war Zeit, eine gewisse Ordnung in diesen "Teilchenzoo" zu bringen. Das gelang mit dem sogenannten Standardmodell. Seine fundamentalen Objekte sind Raumfelder, innerhalb derer die schwachen und die starken Kernkräfte, sowie die elektromagnetischen Kräfte wirken. Viele Voraussagen des Standardmodells wurden später durch Experimente bestätigt.

Mit der Zeit deuteten sich aber auch die Defizite dieser Theorie an. Sie konnte beispielsweise das vermutete Higgs-Boson nicht erklären, ebensowenig wie die Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie. Darüberhinaus enthielt sie nicht weniger als 18 freie Parameter, also Naturkonstanten, die man erst durch Messungen bestimmen musste und die nicht vom Standardmodell vorhergesagt wurden. Eine neue Theorie war also fällig geworden.


Die Stringtheorie - eine harte Nuss

Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts tauchte eine neue Idee zur Vereinheitlichung des physikalischen Wissens auf, die bis heute die klügsten Köpfe der Physik in ihrem Bann hält. Ausgangspunkt war das scheinbar unlösbare Problem, dass die Gleichungen für die Kernteilchen immer wieder kollabierten, weil man sie als unendlich kleine Punkte betrachtet hatte. Der neue Ansatz war, dass man nun von Fäden bzw. Saiten endlicher Länge ("strings") ausging. Die Stringtheorie war geboren.



Verschiedenartige Strings und deren Umwandlung

Die Schwingungen dieser Saiten waren typisch für die bekannten Elementarteilchen. Alle Vibrationen zusammen liessen eine "Symphonie" erklingen, welches den Namen "Universum" trug. Die Physiker waren euphorisch. Aber nicht nur deswegen, sondern auch weil die Stringhypothese erlaubte, die vierte Kraft - die Gravitation - in das Gedankengebäude einzubeziehen. Jetzt hatte man endlich eine Theorie, welche in der Lage war, den Mikrokosmos und den Makrokosmos zu vereinen. Die Quantenphysik und Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie waren unter einem Dach. Die angelsächsischen Physiker prägten den Begriff  "Theory Of Everything" (TOE), der fortan den europäischen Terminus "Weltformel" ersetzen sollte.

Doch bald kehrte die Ernüchterung ein. Die strings "weigerten" sich, in einem dreidimensionalen Raum, wie es unserer Vorstellung entspricht, ihre Vibrationen auszuführen. Stattdessen benötigte man eine zehndimensionale Raumzeit. Da nun aber die für uns sichtbare Welt eindeutig dreidimensional ist (bzw. vierdimensional, wenn man die Zeit hinzurechnet), waren die sechs Zusatzdimensionen zu erklären. Die Theoretiker John Schwarz und Michael Green fanden den Ausweg, indem sie diese sechs Dimensionen als "zusammengeknäult" betrachteten. Sie waren also für das menschliche Auge nicht sichtbar, da sie zu einem winzigen Gebilde "kompaktiert" waren. Bald waren auch die "Superstrings" geboren, die ein ausserordentlich reichhaltiges Schwingungsspektrum zeigten, was auf einen neuen Satz von Elementarteilchen hindeutete. Sie werden in der Nomenklatur durch den Zusatz "-ino" gekennzeichnet. Dementsprechend hat jedes Photon ein Photino als Pendant und so fort.

Aber die Probleme mit der neuen Theorie setzten sich fort. Es stellte sich nach einiger Zeit heraus, dass es mindestens fünf Stringtheorien gab. Nur eine konnte unser Universum beschreiben. Welche Bedeutung hatten die vier anderen; wer lebte in jenen Universen? Die Hilfe kam bei diesem Dilemma von Edward Witten, einem US-Physiker, der schon im Alter von 28 Jahren den Lehrstuhl für theoretische Physik an der renommierten Universität von Princeton inne hatte. Wir befinden uns mittlerweile bereits im Jahr 1995, als er die sogenannte M-Theorie aufstellte und damit die "zweite Stringrevolution" einläutete. (Die erste war von Schwarz und Green begründet worden.). Witten verkündete, dass die früheren fünf Stringtheorien nichts weiter seien als spezielle Erscheinungsformen eines einzigen Urgesetzes, nämlich seiner M-Theorie. Dabei liess er offen, ob der Buchstabe M für Membran, Magie oder Mysterium steht. Das US-Nachrichtenmagazin "Time" bezeichnete ihn daraufhin "als den vielleicht brillantesten Physiker, der je gelebt hat". (Journalisten wissen darüber Bescheid.)



Offener String endet auf Membrane

Aber auch Witten musste Kompromisse machen. Seine M-Theorie benötigt nicht nur zehn sondern sogar elf Dimensionen. Und von der Verifikation durch Experimente ist sie weit entfernt. Die ca. 3.000 Stringforscher in aller Welt sind frustriert, weil sie anerkennen müssen: die Theorie ist intelligenter als wir. Die Kritik, insbesondere von Seiten der Experimentalphysiker wächst. Die meisten können diese mathematischen Exkursionen nicht nachvollziehen; nicht wenige halten sie für naturwissenschaftliche Esoterik. Neunzig Prozent der personellen und finanziellen Ressourcen für die theoretische Physik sind während der vergangenen 35 Jahre in die Stringtheorie gegangen, ohne, dass sich ein sichtbarer (oder verwertbarer) Erfolg gezeigt hätte. Die Community wird allmählich ungeduldig; sie ist unsicher, ob sie die Zukunft der Physik erlebt - oder deren Ende.

Der Fels in der Brandung sind die Auguren in Stockholm. Sie beobachten -
und haben bisher noch keinen einzigen Nobelpreis an die Stringtheoretiker vergeben.

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