Freitag, 22. August 2008

Festspiele in der Provinz

Eigentlich sollte für Richard Wagners "Ring der Nibelungen" und seine übrigen Werke in München ein monumentales Opernhaus hoch über den Isarufern gebaut werden. König Ludwig II von Bayern, Wagners Förderer, plante es so und hatte bereits den Architekten Gottfried Semper engagiert, den Erbauer des Dresdner Hoftheaters. Aber Wagner, sonst durchaus dem Prunk ergeben, wollte es anders. Für seine Tetralogie stellte er sich ein schmuckloses Aufführungstheater in der Provinz vor, fernab vom Getümmel der Metropole.

Als Wagner München zeitweilig verlassen musste und in der Schweiz lebte, wurde er beim Durchblättern eines Konversationslexikons (!) auf Bayreuth aufmerksam. Er besuchte 1871 diese Kleinstadt von damals 17.000 Einwohnern und sie gefiel ihm. Hier in"Bareid"
(oberfränkische Dialektbezeichnung) wollte er sein Opernhaus bauen, in dem ausschliesslich seine eigenen Werke aufgeführt werden sollten. Die Stadtverwaltung war darüber entzückt und schenkte ihm ein Grundstück, das Markgrafenpaar hiess ihn gnädig willkommen. Im Mai 1872 wurde der Grundstein für das Festspielhaus gelegt und schon im August des darauffolgenden Jahres konnte das Richtfest gefeiert werden. So schnell ging es damals, als Genehmigungsverfahren und Bürgerinitiativen noch unbekannt waren. Parallel dazu wurde sogar noch Wagners Wohnhaus, die "Villa Wahnfried" gebaut. Im Garten liess Wagner gleich eine Grabstelle für sich und seine Frau Cosima ausheben, in die er - detailversessen wie er war - mehrmals hinab stieg um die Raumverhältnisse zu überprüfen.

Zuschauerraum und Bühnenhaus des zukünftigen Festspielhauses sind als Holzfachwerk ausgeführt; die Aussenwände sind weitgehend aus rotem Ziegelstein und fast schmucklos, was dem Theater lange Zeit die despektierliche Bezeichnung "Scheune" eingetragen hat. (Erst 1960 wurde ein Tragwerk aus Beton und Stahl eingesetzt.) Der Zuschauerraum besteht aus gleichmässig ansteigenden Sitzreihen nach dem Vorbild der antiken Amphitheater, wodurch von allen 1976 (!) Plätzen eine perfekte Sicht zur Bühne gewährleistet ist. Fussboden, Pfeiler und Säulen sind aus Holz, natürlich auch die bekannt harten Sitzplätze, was dem Zuschauerraum eine hervorragende Akustik verleiht. Um diese nicht zu gefährden werden keine architektonische Änderungen zugelassen, lediglich den Festspielbesuchern wird ein dünnes Sitzkissen zugestanden. (Echte Wagnerianer verzichten auch darauf.)

Die Musiker sitzen - unsichtbar für die Zuschauer - in einem abgedeckten Orchestergraben. Er lässt den typischen "Bayreuther Mischklang" entstehen, der die Lokalisierung einzelner Instrumente unmöglich macht. Stattdessen hat man den Eindruck, dass sich der Orchesterklang "allgegenwärtig" im Raum ausbreitet. Der Philosoph Theodor v. Adorno prägte deshalb die Bezeichnung von der "Verdeckung der Produktion durch die Erscheinung des Produkts". Wagner führte im Orchestergraben auch eine neue Sitzordnung für die Musiker ein: die Ersten Violinen, die im Orchester die Führungsstimme haben, sitzen nicht, wie üblich, links, sondern rechts von Dirigenten. Diese seitenverkehrte Anordnung der Streicher führt bis heute bei neu engagierten musikalischen Leitern zu erheblicher Verwirrung.

Die Finanzierung des Theaters wollte Wagner durch einen Patronatsverein sichern, der als eine Art künsterischer Aktiengesellschaft, Anteilsscheine zum Verkauf anbot. Wie vorhersehbar, lief der Absatz nur schleppend und Wagners königlicher Freund Ludwig musste mehrmals in die Bresche springen, um das Bayreuther Projekt zu retten. Vorher hatte Wagner in fast demütigender Weise in Berlin antichambriert, aber der Reichskanzler Bismarck und Kaiser Wilhelm rückten nicht einen Pfennig heraus. Sau-Preiß´n!

Nach vielen Mühen konnten 1876 die ersten Festspiele in Bayreuth aufgeführt werden. Es war durchaus ein Erfolg, trotz mancher erkennbarer Mängel. So war bei der Premiere der riesige Drachen offensichtlich unvollständig und mit der Mechanik haperte es - zum Vergnügen der Zuschauer. Dies war jedoch kein Wunder, denn Siegfrieds Lindwurm wurde in London zwar nach exakten Vorgaben Wagners gebaut, aber dann an eine falsche Adresse versandt.

Er landete in Beirut (heute Libanon) und den langen Rückweg nach Bayreuth überlebte er nur in derangierter Form.

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