Sonntag, 23. Januar 2011

1 Million Jahre? Wohl kaum!

Den Widerstand gegen den Ausbau der Kernenergie in Deutschland kann man an zwei Themen fest machen: an der Sicherheit des Reaktorbetriebs (Stichwort "Tschernobyl ist überall") und an der Endlagerung der radioaktiven Abfälle ("Salzstock Gorleben"). Insbesondere die Endlagerung der Abfallstoffe über geologische Zeiten von einer Million Jahren und darüberhinaus weckt in weiten Kreisen der deutschen Bevölkerung Zweifel und Ängste. Doch das muss nicht andauern. Seit etwa einem Jahrzehnt kursieren bei den Wissenschaftlern verheissungsvolle Ideen, wie man auf die ungeliebte Endlagerung in tiefen Erdschichten ganz oder zumindest grösstenteils verzichten kann. Diese nehmen immer mehr Gestalt an; die Stichworte für diese weltweiten Forschungen sind: " Abtrennen und Umwandeln", oder auf englisch: "Partitioning and Transmutation".

Abfall oder Wertstoff?

Etwas vereinfacht gesprochen, entstehen bei der Kernspaltung in Reaktoren zwei Sorten von Abfällen: die eine Kategorie besteht aus Atomkernen, sprich "Isotopen", die in kurzen Zeiten (Stunden bis Tagen), beziehungsweise in überschaubaren Zeiträumen (Jahren bis wenige Jahrhunderte) abklingen. Die zweite Kategorie an Abfällen verliert ihre Radioaktivität erst in tausend oder gar Millionen Jahren und soll, nach heutigen Vorstellungen, tiefgelagert werden. Dazu gehört das berühmt-berüchtigte Plutonium, aber auch weniger bekannte Isotope wie Americium, Neptunium, Curium u.a.m., wie aus der untenstehenden Tabelle hervorgeht. Die letzteren Isotope bezeichnet man auch als Transurane, weil sie im Periodensystem der Elemente jenseits vom Uran liegen.


Die wichtigsten langlebigen Isotope; ihre Halbwertszeit und Menge (pro Tonne verbrauchter Brennstoff)

Nun besitzen die Abfallstoffe der zweiten Kategorie aber nicht nur den Nachteil, dass sie über sehr lange Zeit strahlen, sondern sie können auch - in speziellen Kernreaktoren - atomar gespalten werden. Dabei wandeln sie sich zu Abfällen der ersten Kategorie (klingen also relativ schnell ab) und, ganz wichtig, bei dieser Spaltung wird auch noch Energie erzeugt. Sie vergrössern also die knappen Uranreserven, die, nach bisherigen Vorstellungen, nur noch ein bis zwei Jahrhunderte reichen.

Es ist deshalb kein Wunder, dass diese Abfälle in letzter Zeit mehr und mehr als "Wertstoffe" angesehen werden, die man keinesfalls in Gorleben oder anderswo unter der Erde verstecken sollte. Stattdessen sollte aus ihnen durch Rezyklierung Kernbrennstoffe und Energie gewonnen werden. Die Ähnlichkeit mit den konventionellen Abfällen drängt sich auf: während diese bis 1980 noch weitgehend auf den städtischen Müllbergen landeten, werden sie seitdem - z. B. im Rahmen des dualen Systems - in Sorten getrennt und als Wertstoff wiederverwendet.

Utopie oder technische Vision?

Die technische Umsetzung der beschriebenen Ideen beginnt mit der chemischen Abtrennung der (in der Tabelle genannten) radioaktiven Isotope aus den bestrahlten Brennelementen, die oberirdisch in Philippsburg, Neckarwestheim, Biblis etc. gelagert sind. In Europa benutzt man bei dieser Aufarbeitung wässerige Säurelösungen, in den USA vorzugsweise elektrochemische Prozesse. Die erstgenannte Methode ist technisch ausgereifter, bei der zweiten kann man Brennstoffe mit kurzer Kühlzeit in kompakten Anlagen aufarbeiten. Anschliessend werden die so abgetrennten Isotope Plutonium, Americium, Neptunium und Curium einem Dauerfeuer von Neutronen ausgesetzt. Dabei verwandeln sie sich in Atomkerne, die entweder nicht mehr strahlen, oder deren Radioaktivität schon bald auf ein unschädliches Mass abklingt.

Die Idee für eine solche Maschine stammt von dem italienisches Physik-Nobelpreisträger Carlo Rubbia. Dabei schiesst ein Beschleuniger Protonen, also positiv geladene Wasserstoffkerne, auf flüssiges Blei, wobei je Proton 15 bis 30 Neutronen erzeugt werden. Durch diese sogenannte Spallation werden die langlebigen Transuranatome in Atome mit kurzer Halbwertszeit gespalten. Dieses Konzept wird als "ADS" (Accelerator-Driven System) bezeichnet und erzeugt nebenbei noch Strom im Überschuss. Ausserdem besteht, aus physikalischen Gründen, nicht die Gefahr des "Durchgehens" dieses Reaktors, weil er im unterkritischen Regime arbeitet. Im belgischen Forschungszentrum Mol plant man, mit europäischer Hilfe, die Vielzweckanlage "MYRRHA" (Multi-Purpose Hybrid Research Reactor for High-Tech Applications), welche die Machbarkeit der Elementumwandlung demonstrieren soll. Dabei handelt es sich um einen schnellen Forschungsreaktor von 50 bis 100 Megawatt Leistung, der kritisch oder auch unterkritisch betrieben werden kann. Ein 600 MeV Protonenbeschleuniger und eine Spallationstarget, das mit Blei-Wismut gekühlt ist, vervollständigt die Anlage, welche um das Jahr 2025 in Betrieb gehen soll.


Das belgische Forschungszentrum Mol mit der Transmutationsanlage "Myrrha" im Vordergrund (schematisch)

Eine zweite Möglichkeit zur Elementumwandlung bieten die Reaktoren der sogenannten 4. Generation, die vom Aufbau her den Schnellen Brütern ähneln. Sie sind effizienter für die Plutoniumverbrennung und die Stromproduktion. Ein Prototyp, genannt "ASTRID", wird derzeit in Frankreich geplant und soll ebenfalls zur Mitte des kommenden Jahrzehnts betriebsbereit sein.

An dem Grossprojekt "Abtrennung und Umwandlung" wird nicht nur in Europa, sondern auch in den USA und in Asien mit Hochdruck geforscht. Nach dem Bau der genannten Pilot- und Demonstrationsanlagen wird man die Umwandlung der Transurane in Kilo- und Tonnenmasstab betreiben können. Wegen der intensiven Vernetzung der weltweiten Forschergruppen besteht die reelle Aussicht, dass bis zum Ende dieses Jahrhunderts das schwierige Problem der Endlagerung gelöst sein könnte.

Falsch gepokert, Herr Graf ?

Die publizistischen Auswirkungen dieser Forschungen sind bereits jetzt erkennbar. Es scheint, als würden prominente Kernkraftkritiker den Verlust ihres Hauptarguments befürchten: die (angeblich) ungesicherte Entsorgung. Wie anders kann man verstehen, wenn Sprecher von Greenpeace erklären, dass ihnen die Endlagerung der Atomabfälle in geologischen Schichten lieber sei, als deren Umwandlung in Elemente mit kurzer Halbwertszeit? Wurden ihnen da ihre "Hauptwaffe" im gesellschaftlichen Diskurs entwunden? Anders kann man diese geradezu zynischen Äusserungen kaum werten.

Bei Gelingen dieser Forschungen besteht durchaus die Chance, dass man auf das Endlager Gorleben verzichten kann. Und, dass sich die vielgeschmähten oberirdischen Zwischenläger an den verschiedenen Reaktorstandorten in Zukunft als hochwillkommene "Brennstoffminen" für einen weiteren langen Reaktorbetrieb entpuppen könnten - natürlich unter Nutzung neuerer Reaktortypen.

Diese technische Entwicklung könnte indirekt auch Auswirkungen auf den Familienclan der Bernstorff im Wendland haben, der seit dreissig Jahren gegen das geplante Endlager in Gorleben streitet. Andreas Graf von Bernstorff gehören dort nicht nur 5.700 Hektar Forst und 650 Hektar Land, sondern auch ein Drittel des Salzstocks von Gorleben, der unter (einem kleinen Teil) seines Waldgebiets liegt. Die Regierung von Niedersachsen hat dem Grafen vor knapp fünfzehn Jahren satte 30 Millionen Mark für den Ankauf dieser vergleichsweise winzigen Fläche geboten. Bernstorff lehnte ab.

Möglicherweise hat der Graf zu hoch gepokert, wenn der Salzstock Gorleben gar nicht gebraucht werden sollte

2 Kommentare:

  1. Stomer aus Speyer26. Februar 2011 um 22:55

    Willi Du bist einfach klasse.

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  2. Naja ich verstehe die ganze Diskussion auch nicht. Die sollten das Zeug am besten aus DE wegschaffen

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