Sonntag, 9. Oktober 2011

Wofür braucht das ITU soviel Plutonium?

  Franz Untersteller, 54,  derzeit Umwelt- und Energieminister in Baden-Württemberg sowie   Abgeordneter der Grünen, hat ein Problem. Er soll den Bau eines Atomlabors und eines Atombunkers für 180 Kilogramm Plutonium genehmigen. Passt wie die Faust aufs Auge ins grüne Parteiprogramm und den von allen deutschen Parteien erst kürzlich beschlossenen Atomausstieg. Antragsteller für dieses Unternehmen ist das renommierte Institut für Transurane (ITU), ein Ableger von EURATOM in Brüssel. Und hier fängt es an schwierig zu werden. Die Europäische Union (EU) betreibt nach wie vor Atomforschung, aber die (deutschen) Nachbarn des ITU sind streng dagegen.



Minister Franz Untersteller und Mediator Michael Sailer

Der Politiker Untersteller will Zeit gewinnen und hat deshalb eine "Mediation" anberaumt. Befürworter und Gegner dieses Projekts sollen in mehreren Sitzungen unter der Leitung eines Vermittlers einander ihre Argumente vortragen. Dieser heisst Michael Sailer und ist am Öko-Institut Darmstadt tätig. (Untersteller kennt ihn gut, da er selbst nach seinem Studium als Landschaftsarchitekt an der Fachhochschule Nürtingen einige Jahre am Öko-Institut Freiburg verbracht hat.)


Streit um den Bauantrag

Die erste Mediationsrunde war am 12. September in der Rheinhalle von Leopoldshafen. Es ging hoch her.  Man erfuhr, dass das ITU den Bauantrag für Labor und Lagerbunker im Dezember letzten Jahres ordnungsgemäss vorlegte und dass die Anliegergemeinde Eggenstein-Leopldshafen ihn ohne grössere Diskussion "durchgewunken" hat. Massiv Einspruch erhoben hat jedoch der Gemeinderat von Linkenheim-Hochstetten unter der Führung seines Bürgermeisters Günther Johs. Mit welchem Argument? Nun, die neuen Gebäude (Flügel M) liegen partiell auf der Gemarkung dieser Gemeinde. (Vielleicht ein taktischer Planungsfehler des ITU, wie man im nachhinein vermuten möchte).


                            Die Baumassnahmen am ITU und Gemarkungsgrenze

Bürgermeister Johs - seit 1991 im Amt und wahrscheinlich noch bis 2015 - hatte einen weiteren cleveren Schachzug getan. Gleich nach der Antragsstellung des ITU liess er von seinen Räten den Flächennutzungsplan der Gemeinde ändern und, siehe da, plötzlich war (auf dem Gelände der WAK) und in direkter Nähe zum ITU ein "Tagungs- und Kongresshotel" ausgewiesen. In bewegenden Worten machte Johs dem Mediator Sailer klar, dass er keinen Investor für diesen Standort gewinnen könne, wenn nebenan ein Plutoniumbunker steht. Ein Schelm, wer da an "Verhinderungsplanung" denkt.

Aber auch der Antragsteller, Professor Thomas Fanghänel, seines Zeichens Chef des ITU, zeigte Kante. Er betonte immer wieder, dass er auf er auf seinen Antrag bestehen und notfalls sogar Klage einreichen werde. Zur anwaltlichen Unterstützung hat er schon mal die Kanzlei Bodensohn und Partner beauftragt. Diese hatte im April diesen Jahres Schadensersatzansprüche gegen das Land Baden-Württemberg und die Gemeinde Linkenheim in Aussicht gestellt mit folgender Begründung:
Mit Artikel 2 Abs. (1) S. 1 des Standortüberlassungsvertrags vom 21.12.1060 hat das Land Baden-Württemberg als Eigentümer der streitgegenständlichen Grundstücke die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) ermächtigt, sämtliche bauliche Massnahmen auf diesem Grundstück durchzuführen, welche notwendig sind zur Erreichung der Zwecke des ITU.  
Peng!


Streit um die Kernbrennstoffe

Wahrscheinlich wäre der Streit um die Baumassnahmen des ITU nicht so ausgeufert, wenn Fanghänel bei der Beantragung seiner Kernbrennstoffmengen etwas bescheidener gewesen wäre. Aber so kam heraus, dass das ITU bereits seit den 1960er Jahren eine unbefristete Umgangs- und Lagergenehmigung  für 180 Kilogramm Plutonium besitzt. Im Jahr 1997 wurde nochmals eine atomrechtliche Genehmigung für 50 kg Uran 233 mit einer Anreicherung von 93 Prozent erteilt. Und im geplanten Neubau beantragte das ITU weitere Genehmigungen für 80 kg Uran 233 und 300 kg schwach angereichertes Uran sowie 450 kg Thorium. Das sind riesige Mengen für ein Forschungslabor und es stellt sich sofort die Frage: was machen die damit?

Die Kritiker wiesen darauf hin, dass mit dem Bau des beantragten Laborflügels die Reaktorforschung an diesem Standort für mindestens weitere 20 Jahre festgeschrieben wird. Die Frage nach dem derzeitigen radioaktiven Inventar im ITU wollte Fanghänel nicht beantworten; er berief sich auf seine Geheimhaltungsvorschriften. Das vermehrte noch den Unmut der etwa hundert Zuhörer und Medatior Sailer musste um Ruhe bitten. Schliesslich stand die exorbitante Zahl zehn hoch sechzehn Bequerel im Raum. Eine Eins mit sechzehn Nullen. Jemand im Auditorium stellte flugs einen Vergleich an: nach Tschernobyl haben wir gelernt, dass ein Salatkopf nicht mehr als 500 Bequerel haben darf; damit kann man viele Salatköpfe kontaminieren!

Schliesslich meldete sich ein ranghoher Beamter aus Unterstellers Umweltministerium mit einem Kompromiss zu Wort. Er bot den anwesenden Bürgermeistern Johs und Stober an, sie im Ministerium im Rahmen einer "Lesestunde" über das tatsächlich gelagerte Plutonium zu informieren. Allerdings mit der Auflage, in der Öffentlichkeit darüber nicht zu berichten. Doch die Bürgermeister lehnten das Angebot ab. Sie betrachten sich als Bedenkenträger ihrer Bürger und haben an "Geheimwissen" kein Interesse. Johs gab bei dieser Gelegenheit nochmals kund, wie oft er schon vom früheren Kernforschungszentrum und der Wiederaufarbeitungsanlage "betrogen" worden sei: erstere habe Klärabfälle mit Plutonium in seinen Altrheinarm geleitet und letztere habe die Flüssigabfälle der WAK nicht vollständig verglast, weshalb noch zwei Kubikmeter Konzentrat mit viel radioaktivem Cäsium und Technetium in der VEK herum stünden.


Streit ums Forschungsprogramm

Angeregt durch die hohen Kernbrennstoffmengen wurde immer wieder nach dem Forschungsprogramm des ITU gefragt. Am 26. September, bei der 2. Mediationssitzung, hatte der Moderator Sailer deshalb dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Professor Fanghänel gab einen länglichen Überblick seiner Institutsarbeiten, wobei er besonders auf die Grundlagenforschung abhob. So beschrieb er ausführlich die Herstellung von Alphapräparaten für die Krebsforschung, die Beiträge des ITU zur Bekämpfung des Nuklearschmuggels und die Unterstützung der Behörden zur Nichtweiterverbreitung von Bombentechnologie. Weitere Programme seien die Sicherheit in Reaktoren und im Brennstoffkreislauf sowie die Endlagerfrage.




Die Einbettung des ITU (Kreis) im ehemaligen Kernforschungszentrum

Hier hakte insbesondere Harry Block vom BUND ein, der einwendete, dass man für solche Kleinversuche keinesfalls diese riesigen Brennstoffmengen benötige, für welche das ITU eine Genehmigung habe. Er vermute stattdessen, dass das Institut Brennstäbe herstelle, wofür auch die Kooperationsverträge mit der französischen Firma AREVA sprächen. Ganz offensichtlich beteilige man sich an der Entwicklung fortgeschrittener Reaktoren der 4. Generation - wenn auch nur auf dem Gebiet der Brennstoffentwicklung. Dies seien u. a. Schnelle Brüter mit einem hohen Plutoniuminventar, wie sie gegenwärtig in Frankreich mit dem Prototyp "Astrid" geplant würden.

Auch die Aktinidenforschung betrachteten die Hauptkritiker - Johs, Block und der Linkenheimer Gemeinderat Professor Jaki - sehr skeptisch. Das sogenannte "partitioning" sei nichts anders als die Renaissance der Wiederaufarbeitungstechnologie, die in Deutschland mit WAK und Wackersdorf endlich zu Grabe getragen worden sei. Die Abtrennung der hochgefährlichen Transurane, wie Neptunium, Curium etc. solle man den Franzosen überlassen. Der Vertreter des Umweltministerium musste allerdings zugeben, dass das Institut in Sachen Forschung eine weitgehende Autonomie geniesse, welche die Behörde in der Genehmigung keine Einschränkung könne.

Fanghänel wies des öfteren darauf hin, dass es im Interesse Deutschlands sei, zu wissen was im benachbarten Ausland in der Kerntechnik geplant sei. Dies verfing bei den Kritikern allerdings kaum; sie brachten Beipiele aus der Vergangenheit, wonach insbesondere Frankreich jede "Inspektion" ihre Anlagen immer strikt abgelehnt habe.

Fazit:  In zwei weiteren Sitzungen wird über Emissionen und andere Themen diskutiert werden. Man kann aber schon jetzt sagen, dass die Eingriffsmöglichkeiten des Landes - ganz zu schweigen von der Gemeinde Linkenheim - nur sehr begrenzt sind. Da gibt es alte Verträge, die einzuhalten sind und Brüssel ist eine Behörde, die turmhoch über Stuttgart steht. Durch die Mediation gewinnt man etwas Zeit, aber an der vertraglichen Situation ändert sich - wie bei Stuttgart 21 - rein gar nichts. Ausserdem: der neue Lagerbunker ist -  im Gegensatz zum Bestehenden - gesichert gegen Erdbeben und Flugzeugabsturz. Wer wollte da schon gegen dieses Bauwerk sein?

Vielleicht denkt Minister Untersteller auch an die 400 Arbeitsplätze und die 45 Millionen Euro Fördergelder aus Brüssel, als er am 29. Juli 2011 in der Zeitung BNN verkündete:
"Die Arbeit des ITU wird noch wichtiger".

1 Kommentar:

  1. schon erstaunlich, daß im Zeitalter der Langobarden 1060) man schon so weitsichtig war, das auch heute wegen des begleitenden 232-U kaum handhabbare 233-U schon in solchen Kilogramm-mengen zum Umgang zuzulassen.

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