Mittwoch, 6. März 2013

Fukushima rekapituliert

In diesen Tagen jährt sich die Katastrophe von Fukushima zum zweiten Mal. Ein gewaltiges Erdbeben in den japanischen Gewässern war der Auslöser. Als Folge überflutete ein Tsunami diese nordjapanische Region und forderte viele Todesopfer. Eine weitere Konsequenz war die Beschädigung von vier an der Küste gelegenen Kernkraftwerken, wodurch deren Notstromversorgung ausfiel und es zu Knallgasexplosionen kam. Eine mutige Betriebsmannschaft kämpfte mit dieser Situation, konnte aber die Kernschmelze an einigen Reaktoren nicht verhindern. Als Konsequenz kam es zum Austritt radioaktiver Gase, weswegen die Bevölkerung in der unmittelbaren Umgebung evakuiert werden musste.

Die Betreiberfirma TEPCO in Tokio hat sich beim Unfallmanagement nicht mit Ruhm bekleckert und lief Gefahr bankrott zu gehen. Zwei aufeinanderfolgende Regierungschefs verkündeten zwei unterschiedliche Atomstrategien: Der Premierminister Noda wollte aus der Kernenergie aussteigen, sein Nachfolger Abe will alle (zeitweise stillgelegten ) Atomkraftwerke wieder in Betrieb nehmen und sogar den Neubau weiterer in Auftrag geben. Doch nun zu den Details.

Zwei Naturkatastrophen

Am Freitag, dem 11. März 2011, nachmittags um 14:46 Ortszeit (bzw. 6:46 MEZ) erschütterte ein riesiges Erdbeben die japanische Hauptinsel Honshu. Das Epizentrum lag etwa 150 km östlich der Küste im Pazifischen Ozean. Das Beben hatte eine Stärke von 9,0 auf der logarithmischen Skala und lag damit um 0,8 Punkte über dem bislang stärksten in Japan registrierten Beben der Magnitude 8,2. Es wurde ausgelöst durch tektonische Verschiebungen von Erdkrustenplatten etwa 20 bis 30 km unterhalb der Meeresoberfläche. Die Dauer betrug ca. zwei Minuten, es war begleitet von vielen Nachbeben.

Die hohe Energiefreisetzung verursachte eine Tsunamiwelle, die per GPS auf 23 Meter Wellenhöhe berechnet wurde. Beim Aufprall auf die Küste wuchs diese Welle auf bis zu 30 Metern an. (Noch höhere Tsunamiwellen wurden in Japan in den Jahren 1993, 1933 und 1896 registriert). Die Flutwelle drang bis zu zehn Kilometer ins Landesinnere vor, vernichtete Fischerdörfer, beliebte Ferienorte und ganze Städte. Sie forderte fast 20.000 Menschenleben, 3.000 Menschen gelten immer noch als vermisst.


Die Reaktorunfälle

In der Nähe von Fukushima, an der Küste, sind zehn Kernkraftwerke der Betreiberfirma TEPCO gelegen. Davon wurden vier im Ortsteil Daiichi vom Erdbeben und dem nachfolgenden Tsunami betroffen. Das Erdbeben regte die Seismometer der Kraftwerksblöcke 1, 2 und 3 an, wodurch diese automatisch abgeschaltet wurden. Der Block 4 war nicht in Betrieb. Infolge des Erdbebens fiel die externe Stromversorgung aller Kraftwerke aus. Daraufhin starteten zwölf der dreizehn Notdieselgeneratoren automatisch, einer am Block 4 war in der Wartung. Alle vorher betriebenen Blöcke schalteten also problemlos auf den Modus Notkühlung um.

Eine knappe Stunde später, um 15:35 Uhr, trafen an den Reaktorstandorten in Daiichi Tsunamiwellen mit einer Höhe von 13 bis 15 Metern ein. Die Anlagen waren nicht an das japanische Tsunami-Warnsystem angeschlossen, sodass das Betriebspersonal keine vorzeitige Warnung erhielt. Für den meerseitigen Teil des Kraftwerksgeländes existierte nur eine 5,70 Meter hohe Schutzmauer, weswegen die Kraftwerke meterhoch überschwemmt wurden. Das Wasser lief in die Reaktorgebäude, überspülte dort die zwölf laufenden Notstromaggregate und setzte sie zusammen mit den elektrischen Schaltschränken ausser Betrieb. Die Notstrombatterien liessen nur einen kurzzeitigen Betrieb der Notkühlsysteme zu. Arbeiter versuchten aus den Privatautos Batterien auszubauen, allerdings mit geringem Erfolg. Von der Hauptverwaltung der Tepco in Tokio kam keine nennenswerte Hilfe; der Antransport von mobilen Notstromgeneratoren über Hubschrauber wäre vorstellbar gewesen.

Mangels Kühlung kam es zur Überhitzung der Brennelemente und zur Bildung von Wasserstoff der sich mit Sauerstoff zu Knallgas vereinigte. Rekombinatoren zum Abbau des Wasserstoffs (wie in allen deutschen Kernkraftwerken) waren in Fukushima nicht vorhanden. Vom 12. bis zum 15. März erfolgten in allen Reaktorblöcken heftige Knallgasexplosionen, welche die äusseren Gebäudestrukturen schwer beschädigten und auch zu Bränden führten. Die Reaktorkerne der Blöcke 1 - 3  sind wegen der Überhitzung innerhalb weniger Stunden und Tage zumindest teilweise geschmolzen.



Zerstörtes Kernkraftwerk Nr. 3

Zur Stabilisierung der Situation pumpte die Werksfeuerwehr zunächst Süsswasser in die Reaktoranlagen. Als diese Bestände zu Ende gingen, erhielt sie vom Premierminister Naoto Kan höchstpersönlich - und gegen den Ratschlag der Tepco - die Erlaubnis, die Anlagen mit salzhaltigen Meerwasser zu kühlen. Damit waren die Reaktoren irreparabel geschädigt. Am 14. März 2011 erwog der Betreiber Tepco sogar, alle Mitarbeiter wegen der grossen Strahlengefahr aus Fukushima abzuziehen, wogegen aber Kan erfolgreich intervenierte.

Kontamination und Strahlengefahr

Wegen der Zerstörung von Kreislaufkomponenten und durch die Belüftung der Anlagen (zum Abbau des Überdrucks) kam es zum Austritt radioaktiver Spaltgase. Dies waren im wesentlichen Jod 131 und Cäsium 137. Jod sendet Betastrahlen aus und besitzt eine Halbwertszeit von 8 Tagen; Cäsium ist ein Gammastrahler mit der langen Halbwertszeit von 29 Jahren. Die meisten Radionuklide trieben mit dem Wind aufs Meer hinaus. In einem Fall allerdings belüfteten die Betreiber die Anlage just zu dem Zeitpunkt, als der Wind in umgekehrter Richtung vom Meer aufs Land wehte. Die Folge war eine rund 100 Quadratkilometer grosse radioaktive Verseuchung des Bodens. Als Folge ordneten die Behörden die zeitweilige Evakuierung von ca. 80.000 Personen an, die in einem Umkreis von 20 km um Fukushima wohnten. Sie konnten nach einigen Monaten wieder zurückkehren. Zwischenzeitlich dekontaminierten die Arbeiter der Tepco diese Landstriche, wobei eine Menge an radioaktiven Abfall entstand, der sicher gelagert werden muss.

Mittlerweile hat die Weltgesundheitsorganisation WHO einen Report vorgelegt, der sich mit dem Strahlenrisiko in der Umgebung der havarierten Reaktoren befasst. Der 200 Seiten umfassende Expertenbericht wurde kürzlich in Genf diskutiert. Die prognoszierten Risiken für die Menschen in Japan und auch auserhalb des Landes wurden als gering eingeschätzt. Eine Aufschlüsselung, welche auf Daten nach Alter, Geschlecht und der Nähe zu den Kraftwerken basiert, zeigt ein geringfügig höheres Krebsrisiko für jene Menschen, die in den am stärksten kontaminierten Gebieten leben. "Ausserhalb dieser Bereiche, auch in den Orten innerhalb der Präfektur Fukushima, haben wir keinen beobachtbaren Anstieg der Krebserkrankungen festgestellt", heisst es in dem Bericht der Weltgesundheitsbehörde.

Die Belastung der Bevölkerung im ersten schlimmsten Jahr lag - den verfügbaren Zahlen zufolge - bei höchstens 10 Millisievert (mSv). Das ist etwa das Vierfache der natürlichen Hintergrundstrahlung in Deutschland. Gesundheitliche Folgen sind bei diesen geringen Werten nicht zu erwarten. Weil sich die Fälle zudem auf viele Jahre verteilen, dürften sie in einer epidemologischen Studie nicht auffallen. Ungefähr 40 Prozent der japanischen Bevölkerung erkrankt im Laufe ihres Lebens an Krebs, wovon 25 bis 30 Prozent daran sterben. Unterhalb 100 mSv vermögen Ärzte in ihren Statistiken keine Strahlungseffekte erkennen.

Todesfälle durch akute Strahlenerkrankungen traten in Fukushima nicht auf. Drei Arbeiter starben auf der Anlage unmittelbar durch das Erdbeben und dem Tsunami, ein weiterer erlag bei den Aufräumarbeiten einem stressbedingten Herzinfarkt. Sechs Personen erhielten eine Strahlendosis um 500 Millisievert; nach heutigem Wissensstand liegt das Risiko, daran an Krebs zu erkranken, bei etwa 1 Prozent.

Immer wieder wird die Frage aufgeworfen, wie sich die Reaktorunfälle von Fukushima und Tschernobyl vergleichen lassen. Klare Antwort: der Unfall von Tschernobyl war wesentlich gravierender und folgenreicher. In Fukushima wurden im Vergleich zu Tschernobyl "nur" etwa 10 Prozent der radioaktiven Stoffe freigesetzt. Darüberhinaus gibt es in Japan keine grossflächigen Uran- und Plutoniumkontaminationen. Das ist jedoch der Fall in der Ukraine, wo der Reaktor RBMK durch eine schnell ansteigende nukleare Leistung zerstört wurde und anschliessend über eine Woche unter freiem Himmel gebrannt hat. Dabei kam es zu erheblich grösseren Strahlenschäden, bis hin zu Todesfällen bei den Einsatzkräften vor Ort.

TEPCO: ein schwächelnder Riese

Der Eigentümer und Betreiber der vier Unglücksreaktoren in Fukushima-Daiichi ist das Energieversorgungsunternehmen (EVU) "Tokyo Electric Power Company", genannt TEPCO.  Es ist das grösste EVU Japans und vom Umsatz her in etwa mit dem deutschen RWE vergleichbar. Tepco betreibt 17 Kernkraftwerke, 25 fossile Kraftwerke sowie 160 Wasserkraftwerke und versorgt unter anderem den Grossraum Tokio mit seinen 30 Millionen Einwohnern.

Die Firma Tepco trägt eine erhebliche Schuld am Ausbruch der Fukushima-Katastrophe sowie seinem schlechten Unfallmanagement. Die zu niedrige Deichhöhe gegen Tsunamis und die Nichtausstattung der Kernkraftwerke mit Wasserstoffrekombinatoren wurde bereits genannt. Die Unfähigkeit der Hauptverwaltung in Tokio, die gebeutelte Betriebsmannschaft in Daiichi per Hubschrauber rechtzeitig mit mobilen Notstromaggregaten zu versorgen, ist unverzeihlich. Auch die nur zögerlich gegebene Genehmigung zur Kühlung der Reaktoren mit Meerwasser, hat die Schäden letztendlich bedeutend vergrössert.

Schon bald nach dem Unglück wurde Tepco mit riesigen Schadensersatzforderungen der Umlieger konfrontiert. Daneben musste das EVU (umgerechnet) 10 Milliarden Euro aufbringen um die Stromversorgung (ohne Kernkraftwerke) sicherzustellen. Tepco wäre ganz schnell in Konkurs gegangen, wenn die japanische Regierung nicht eingegriffen hätte. Sie legte einen Spezialfonds in der Höhe von 50 Milliarden auf, aus denen diese Forderungen beglichen werden. Tepco wurde gezwungen aus seinen zukünftigen Erträgen diesen Kredit zu refinanzieren.


Geplante Einhausung für Kernkraftwerk Nr. 3

Ein wesentlicher Teil des Fonds wird benötigt, um die vier beschädigten Reaktoren sicher zurückzubauen. Man hofft, dies bis zum Jahr 2050 erledigen zu können. Die schwierigste Aufgabe wird sicherlich die Entnahme des geschmolzenen Brennstoffs in den Reaktortanks sein. Dazu sind fernbedienbare Roboter erforderlich, für die es derzeit noch kein technisches Vorbild gibt. Um die Strahlenemission nach aussen zu unterbinden ist geplant, jeden der Reaktoren mit einer luftdichten Umhausung zu versehen.

Die japanische Doppelwende

Unter dem Schock des vierfachen Nuklearunfalls von Fukushima ordnete die japanische Regierung von Premierminister Naoto Kan die sofortige Abschaltung aller 51 Kernkraftwerke an, welche bislang 30 Prozent des Stromaufkommens produzierten. Ein unabhängige Kommisssion wurde beauftragt, die Sicherheit dieser Kraftwerke zu überprüfen. Die darauffolgende Regierung unter dem neuen Premierminister Yoshihiko Noda beschloss den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2040. An ihre Stelle sollten die alternativen Energieformen Solar, Wind und Geothermie treten.

Dieser energetische Paradigmenwechsel führte zu massiven Engpässen und Einschränkungen bei der Stromversorgung. Japan verbrauchte plötzlich soviel verflüssigtes Erdgas wie kein anderes Land und wurde weltweit zum zweitgrössten Importeur bei der Steinkohle und zum drittgrössten beim Erdöl. Insbesondere in den heissen Sommern 2011 und 2012 war die Wirtschaft stark gehandicapt. Wegen des zurückgehenden Exports geriet die japanische Handesbilanz tief ins Defizit.

Beim Wahlkampf im Herbst 2012 stand die nationale Energieversorgung ganz oben auf der Agenda. Die liberaldemokratische Partei unter Shinzo Abe setzte sich offen für das Wiederanfahren der stillgelegten Kernreaktoren ein und errang (zusammen mit einem kleinen Partner) ein satte Zweidrittelmehrheit im Abgeordnetenhaus. Die japanischen "Grünen", die kernenergieskeptische Tomorrow Party of Japan fiel von bislang 61 Sitzen auf 9 Sitze zurück. Das Wahlvolk hatte sich eindeutig für die Fortführung der Kernenergie und gegen die alternativen Energien entschieden. Der mit überwältigender Mehrheit gewählte neue Premierminister Abe gab bekannt, dass er nicht nur die existierenden Kernkraftwerke nach ihrer Überprüfung im Sommer in Betrieb wieder setzen werde sondern, dass er sogar weitere durch die heimischen  Firmen Hitachi, Toshiba und Mitsubishi bauen lassen will.

Das deutsche Beispiel der "Energiewende" wurde in Japan nicht kopiert.
(Doch darüber mehr im nächsten Blog).

2 Kommentare:

  1. Danke WILLY MARTH, ein sehr guter, wenn auch erschreckender Gesamtüberblick zu dieser Kette von Katastrophen.
    Die bisher erfolgte bruchstückweise Information seitens öffentlicher Medien konnte diesen Zusammenhang nicht so gründlich darstellen.

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  2. Ich frage mich, warum die Japaner intelligente Politiker wählen und die Deutschen vorwiegend dumme. Gruß Drazen

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