Sonntag, 2. Februar 2014

Eine Oper für die Atombombe (1)

Am Badischen Staatstheater in Karlsruhe wir derzeit eine Oper unter dem leicht gruseligen Titel "Doctor Atomic" aufgeführt. Sie ist unbedingt sehenswert, auch wenn sie ein Sujet zum Inhalt hat, das man normalerweise nicht in der Welt des Gesangs vermutet. In zwei Akten zu je drei Szenen und über drei Stunden hinweg wird die Geschichte des Tests der ersten Atombombe in der Wüste von New Mexico dargestellt. Die sängerischen Leistungen und insbesondere die Musik verdienen höchstes Lob. Die Oper wurde von dem Amerikaner John Adams im modernen Musikstil komponiert und ist erstmals vor knapp zehn Jahren in San Francisco aufgeführt worden. Interessenten sei gesagt, dass (bis zum Mai) nur noch sieben Aufführungen eingeplant sind.

Die spannende Vorgeschichte

Die Oper hält sich eng an die historischen Begebenheiten, wie sie vor gut 70 Jahren abgelaufen sind. Im Jahr 1942 beschloss der damalige amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt eine Atombombe bauen zu lassen. Sie war gedacht zum Abwurf über Nazi-Deutschland, aber (glücklicherweise) wurde diese Superbombe erst im Juni 1945 fertig - also einen Monat nach der deutschen Kapitulation. Genauer gesagt, es gab davon erst zwei Prototypen: eine Uranbombe und eine Plutoniumbombe. Letzterer trauten die Wissenschaftler nicht ganz, sodass sie vor dem Abwurf einen Test mit einer "Probebombe" für erforderlich hielten. Dieser "Trinity-Test" (das war der Codename) sollte in der Wüste des US-Staates New Mexico, in einer menschenleeren Gegend, stattfinden.

Die Arbeiten dafür standen unter einem enormen Zeitdruck, denn am 17. Juli 1945 war der Beginn der sogenannten Potsdamer Konferenz geplant, wo Harry S. Truman ( Roosevelt war kurz vorher verstorben) mit Winston Churchill und Josef Stalin die Neuordnung Europas und den noch andauernden Krieg gegen Japan besprechen wollten. Den Wissenschaftlern in Amerika war bedeutet worden, dass Truman das Testergebnis unbedingt vor Konferenzbeginn brauche. Und es sollte natürlich "positiv" sein.

Unter grösster Anstrengung gelang es dem wissenschaftlichen Projektleiter J. Robert Oppenheimer und seinem militärischen Counterpart General Leslie Groves die Probebombe auf ein Stahlgerüst in zehn Kilometer Entfernung von den Beobachtungsbunkern plazieren zu lassen. Die Zündung war für 4 Uhr nachts des 16. Juli 1945 angesetzt, also gerade noch rechtzeitig vor Trumans Terminforderung. Dann aber passierte etwas, das man in dieser Wüstengegend selten erlebt: um 2 Uhr nachts setzte ein gewaltiger Gewitterregen ein, der auch zwei Stunden später noch nicht aufhörte. An eine Zündung der Bombe war angesichts der durchnässten elektrischen Zuführungsleitungen nicht zu denken.

Im Gegenteil: während dieser quälend langen Wartezeit kam es bei den versammelten Wissenschaftlern zu wilden Diskussionen, bei denen auch "defätistische" Gedanken geäussert wurden. Die Gruppe der jüngeren (um Wilson) schlug vor, die Versuche aufzuschieben und der japanischen Regierung vor dem Bombenabwurf ein Ultimatum zu stellen. Natürlich hatten sie keine Information darüber, dass die Generäle und Politiker im fernen Washington längst die Städte Hiroshima und Nagasaki als Bombenziele festgelegt hatten. Eine andere Gruppe (um Teller) brachte die höchst verstörende Vermutung auf, dass bei der Detonation der Atombombe möglicherweise die Erdatmosphäre in Brand geraten könne, mit der Folge der Auslöschung der gesamten Menschheit. Die dritte Gruppe (zu der zeitweise auch Oppenheimer gehörte), plagte der Gedanke, dass die Bombe von zu niedriger Sprengkraft sein könnte. So wurden Wetten darüber abgeschlossen, mit wieviel Tonnen des Normalsprengstoffs TNT diese Atombombe wohl vergleichbar sein würde.  Die Werte lagen zwischen 45.000 Tonnen TNT (Teller) und Null Tonnen (Ramsey). Oppenheimer tippte auf 300 Tonnen, hoffte aber inständig auf weitaus höhere Werte.

Um 4 Uhr regnete es immer noch "cats and dogs" und General Groves geriet in ein heftiges Wortgefecht mit dem Chefmeteorologen Frank Hubbard. Schliesslich prophezeite dieser für 5 Uhr 30 eine geringe Aufhellung und Oppenheimer schob den Zeitpunkt der Zündung entsprechend auf. Die Nerven waren zum Zerreissen gespannt, als um 5 Uhr 29 Minuten 45 Sekunden der Zündstromkreis geschlossen wurde: der Stosspannungsgenerator entlud sich, an 32 Zündpunkten wurden gleichzeitig die Zündkapseln getriggert und die anschliessende Implosionswelle drückte das Plutonium im Innern zur Grösse einer kleine Apfelsine zusammen. Im Millionenbruchteil einer Sekunde entwickelte sich die nukleare Energie  mit einer Temperatur von über zehn Millionen und einem Druck von Millionen Atmosphären. Zum ersten Mal zeigte sich der Atompilz am Nachthimmel. Ein neues Zeitalter war angebrochen, die Büchse der Pandora hatte sich geöffnet.

Die Theateraufführung in Karlsruhe

Das Libretto für die Oper stammt von dem vielseitigen Peter Sellars, der für seine Inszenierungen von Mozartopern im zeitgenössischen amerikanischen Setting bekannt ist. Bei Doctor Atomic stammt der Text zur Hälfte aus Originalquellen der beteiligen Personen, zur anderen Hälfte ist es Dichtung, die der Komposition poetische Vorlagen für tiefe Empfindungen liefert. Die Diskussionen der Wissenschaftler sind ebenso wie die der Chöre aus unzähligen Zitaten zusammengesetzt, wobei die Quellen lange Zeit den Stempel "streng geheim" trugen. So gelang Sellar eine lebendige Fiktion, wie es in Wirklichkeit gewesen sein könnte bei den langen Debatten über die Folgen der Atombombe in der Nacht des gewitterbedingten Wartens. Auch der fast unmenschliche Druck, den General Groves auf die Wissenschaftler ausübte, ist durch diese Quellen gedeckt.

In den lyrischen Szenen, etwa der Liebesszene zwischen Oppenheimer und seiner Frau Kitty, flickt der polyglotte Physiker (der sogar Sanskrit lesen konnte), Gedichte von Baudelaire ein. Den Abschluss des ersten Aktes bildet ein geistliches Sonett des englischen Dichters John Donne, das später Benjamin Britten vertont hat: "Batter my heart". Es ist der Ausdruck einer gemarterten Seele, die den Glauben verloren hat und dennoch darum kämpft, von Gott zurückgeholt zu werden.

Für Furore sorgte auch die Inszenierung durch Yuval Sharon. Der junge amerikanische Regisseur stammt aus der freien Musiktheaterszene in den USA. In Karlsruhe konnte er zum ersten Mal die reichen technischen Möglichkeiten eines deutschen Stadttheaters nutzen. Und er tat es brillant. Die ganze Handlung des ersten Aktes spielt hinter einer durchsichtigen Leinwand. Auf dieser ist der schwere Gewitterregen angedeutet, daneben laufen Animationen und Comicstrips ab, die einerseits zum Bühnenbild gehören, andererseits die Handlung kommentieren . (Übrigens perfekt visualisiert von Künstlern der Karlsruher Hochschule für Gestaltung beim ZKM). Immer wieder öffnen sich auf dieser Leinwand kleine Fenster für kurze Dialoge, während die inneren Vorgänge der Figuren im Hintergrund nüchtern auf Millimeterpapier ablaufen.

Im zweiten Akt scheint die Zeit aufgelöst zu sein. Nur wenige Stunden vor dem Test der Bombe spürt man die Nervosität der Wissenschaftler. Alle sind bis zum Äussersten angespannt. Dem szenischen Problem des Stillstands begegnet der Regisseur durch den intensiven Einsatz des bewegten Chors und der Statisterie. Erst am Ende, wenn sich die extreme Spannung des finalen Countdowns auch musikalisch verstärkt und in einem markerschütternden Schrei gelöst wird, kommt der langsame zweite Akt zu seiner zwingenden Wirkung.



Armin Kolarczyk als Robert Oppenheimer (2. Akt)

Die Musik von John Adams verfügt über einen unglaublichen Reichtum von Klangfarben. Das Orchester "swingt" bisweilen, es kann eine nukleare Entladung ebenso in Musik setzen wie das Sonett eines englischen Lyrikers. Die Experte sehen Adams als einen Vertreter der sogenannten postminimalistischen Musik, die aber durchaus ins Ohr geht, nicht zuletzt weil sie unüberhörbar auch Anteile von Wagner und Strauss enthält. Es gab deshalb viel Applaus für den Dirigenten der Badischen Staatskapelle, Johannes Willig, und dem glänzend agierenden Chor. Höchstes Lob erntete auch zu Recht der famose Armin Kolarczyk, der die hochkomplexe Titelrolle des Robert Oppenheimers mit packender Intensität erfüllte. Alle weiteren Gesangsrollen waren ebenfalls sehr gut besetzt.

Postskriptum: die Wette um die Höhe der Sprengkraft der Plutoniumbombe gewann der Physiker Rabbi, ein Freizeit-Pokerer von hohen Graden. Er tippte auf 18.000 Tonnen TNT - die theoretischen Physiker hatten vorher 20.000 Tonnen errechnet!

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