Samstag, 17. Februar 2018

Warum ist das Eis so rutschig?

Bei der gegenwärtigen Winterolympiade mag sich mancher die Frage stellen, warum Schlittschuhe und Schier so gut gleiten. Und die Antwort scheint naheliegend: So wie Öl die Reibung des Autogetriebes verringert, so fördert eine dünne Wasserschicht auf der Eisoberfläche das Gleiten der Schier und der Schlittschuhe. Diese Antwort ist im Prinzip richtig, führt aber schon zur nächsten Frage:

Woher kommt diese Wasserschicht, welche das Gleiten ermöglicht?


Druckschmelzen

Eine Antwort auf diese Frage wird heute noch in manchen gymnasialen Physiklehrbüchern angeboten - ist aber falsch. Dort behauptet man zuweilen: Weil sich das Gewicht des Eisläufers nur durch die sehr schmalen Kufen auf das Eis überträgt, ist der Druck auf das Eis so hoch, dass es lokal aufschmilzt. Damit entsteht ein dünner Wasserfilm, auf dem die Kufen (bzw. Schier oder Schlitten) dann leicht zu gleiten vermögen. Diese Druckaufschmelzung ist auch bei Gletschern bekannt, welche durch ihr eigenes Gewicht eine Schmiere geschmolzenen Wassers auf dem darunter liegenden Felsgestein erzeugen, auf der sie dann ins Tal gleiten.

Was bei Gletschern funktioniert, muss aber auf das Eislaufen noch lange nicht zutreffen. An der Universität lernt man bei den Anfängervorlesungen in Physik, dass man bei diesem Problem die Gleichung von Clausius-Chapeyron anwenden sollte. Sie stellt den Zusammenhang zwischen dem Druck auf das Eis und der Verminderung des Schmelzpunktes her. Demnach erzeugt ein Eisläufer mit 75 Kilogramm Gewicht und dessen Schlittschuh-Kufen eine Auflagefläche von 6 Quadratzentimeter haben, auf dem Eis einen Druck von 12 bar. Dieser würde, gemäß Clausius-Chapeyron, den Schmelzpunkt des berührten Eises aber nur um knapp ein Zehntel Grad verringern. Das ist zur Herstellung einer Wasserschicht jedoch viel zu wenig, denn schon bei Eistemperaturen von wenigen Grad unter Null wäre Eislaufen dann nicht mehr möglich. (Selbst ein Pferd auf Kufen käme nicht ins Gleiten). Im Übrigen stünde man bei der Druckschmelzung schon bei Stillstehen nach kurzer Zeit in einer Wasserpfütze, was erfahrungsgemäß nicht der Fall ist.


Schmelzen durch Reibung

Heute weiß man, dass die Reibungswärme den wesentlichen Beitrag zur Bildung der Wasserschicht liefert. Die Schlittschuh- bzw. Rodelkufen erzeugen auf dem Eis Reibungswärme, bringen die Oberfläche des Eises zum Schmelzen und generieren dadurch einen dünnen Wasserfilm. In Experimenten konnte tatsächlich nachgewiesen werden, dass die Reibung an der Schnittstelle Kufe/Eis das überfahrene Eis zum Schmelzen bringt. Ein typischer Eisläufer verflüssigt mit der Reibungswärme bis zu 12 Kubikmillimeter Eis entlang seiner Kufe und erzeugt dadurch einen Wasserfilm von 0,04 Millimeter Dicke. Vermutlich ist dieser Film nach kurzer Zeit sogar noch dünner, weil das Schmelzwasser, wegen des Gewichts des Schlittschuhläufers, seitlich herausgedrückt wird und damit nicht zum Gleitprozess beiträgt.


Kunst auf Kufen

Oberflächenschmelzen

Druck und Reibung können jedoch nicht die einzige Erklärung für das rutschige Eis sein. Es muss noch einen dritten Beitrag geben. Das merkt man, wenn man sich beim ersten Betreten der Eisfläche auf den Hosenboden setzt:  die schmierende Schicht auf dem Eis scheint unabhängig von Gewicht, Temperatur und Bewegung zu sein. Denn das Eis ist - auch ohne äußere Einwirkungen, wie Kufen und Schier - von einem dünnen, flüssigen Film überzogen. Den darf man sich nicht wie eine Pfütze vorstellen, sondern es handelt sich um eine Wasserschicht, die nur wenige Moleküllagen dick ist.

Zur Erklärung sei folgendes gesagt: während die Wassermoleküle im Eisinneren regelmäßig angeordnet und gegeneinander fixiert sind, verlieren sie an der Oberfläche (also an der "Luft") ihren Zusammenhalt. Sie befinden sich zwar auf dem darunter liegenden Eiskristallgitter - sind aber beweglich. Dieser Wasserfilm ist also eine Phase mit ungeordneten, leicht verschiebbaren Molekülen. Er verleiht dem Eis seine Rutschigkeit. Mit komplizierten Apparaturen (Röntgendiffraktometer, Synchrotronstrahlenquellen etc.) haben die Physiker erst in den letzten Jahren diese Schicht erforscht. Sie ist nur wenige Nanometer (nm) dick, wobei 1 nm einem millionstel Millimeter entspricht. Ab minus 38 Grad verliert diese Oberflächenschicht allerdings ihre Beweglichkeit und hemmt damit das Schlittschuhlaufen.

Glücklicherweise ist es in Pyeonchang nur minus 20 Grad kalt.
Deshalb gilt die Prognose: Schi und Rodel gut!

3 Kommentare:

  1. Ich dachte ich wüsste die Antwort aus der Schule, aber Sie haben mich eines besseren belehrt. Vielen Dank für die interessante Ausführung!

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  2. Ihr Blog ist wie immer ein Segen, nicht vom hohen Pult, sondern wie unter Kollegen!

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  3. Es unglaublich , welches Spektrum Willy Marth abdeckt. Vielen Dank

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