Sonntag, 6. Februar 2011

Bill Gates sponsert Atomkraftwerke

Bill Gates ist ein modernes Genie, auch wenn er sein Hochschulstudium an der Universität Harvard schon nach zwei Jahren abgebrochen hat. Genial war er als Programmierer von Computern und ebenso genial als Unternehmer bei der wirtschaftlichen Verwertung dieser Programme. Die Firma "Microsoft Incorporation" war sein Werk; von 1975 bis 2007 fungierte er als Leiter der Entwicklungsabteilung und als Chef des Aufsichtsrats.

Während dieser Tätigkeiten akkumulierte Bill Gates ein Vermögen von rd. 30 Milliarden Dollar. Vor einigen Jahren haben Bill und seine Frau Melinda (eine ehemalige Programiererin bei Microsoft) ihr gesamtes Privatvermögen in eine Stiftung eingebracht, die sog. "Bill & Melinda Gates Foundation". Schwerpunkte des Stiftungsprogramms sind die Bekämpfung der Malaria und der Kinderlähmung - sowie die Entwicklung von neuartigen Kernreaktoren.


Bill Gates und seine Frau Melinda

Denn Bill Gates verfolgt denTraum von sicherer und sauberer Atomenergie. Er will ihn durch die Entwicklung von Kernreaktoren verwirklichen, welche jahrelang ohne Wartung Strom produzieren können und dabei möglichst wenig Uran verbrauchen. Dafür hat er vor wenigen Monaten die Energiefirma und Ideenschmiede "TerraPower" gegründet, an der auch das japanische Unternehmen Toshiba beteiligt ist, einer der grössten Anbieter von Kernkraftwerken weltweit.

Die nukleare Sicherheit steht bei diesen neuartigen Reaktoren an vorderster Stelle, deshalb will er bei TerraWatt das schon bekannte "Laufwellen-Prinzip" (englisch: travelling wave) zur Baureife weiter entwickeln.Bei dieser Betriebsart wandert die (schmale) Zone der Kernspaltung langsam durch den Brennstoffkern, während diese bei den heutigen Reaktoren sehr voluminös ist und an Ort und Stelle verharrt.

Die Betriebsweise eines solchen Reaktors kann man mit einer Kerze vergleichen. Diese brennt in einer schmalen Zone von oben nach unten ab und braucht dadurch ihren Vorrat an Wachs (=Brennstoff) auf. In Japan gibt es ein ähnliches Projekt, das folgerichtig "Candle" heisst. In analoger Weise planen die Kerntechniker bei TerraPower einen Reaktor, der einmal mit Brennstoff aufgefüllt wird und danach - jahrzehntelang - Strom und Wärme liefert. Die Brennzone wandert von oben nach unten, wie die Abbildung zeigt. Im jeweiligen Betriebszustand befindet sich unten der frische Brennstoff, oben der abgebrannte Brennstoff.


Der Laufwellenreaktor in schematischer Darstellung und in zwei verschiedenen Abbrandstufen.
Rechts zum Vergleich eine abbrennende Wachskerze.

Ein solches Kernkraftwerk, wenn es je funktionieren sollte, hätte beträchtliche Vorteile gegenüber heutigen Atomreaktoren. So könnte es, aus physikalischen Gründen, nicht "durchgehen"; ein zweites Tschernobyl wäre damit nicht zu befürchten. Und es würde den Brennstoff viel effizienter nutzen. Angereichertes Uran wäre - ausser für eine kurze Anfangsphase - nicht notwendig. Zur Beladung würde man abgereichertes Uran verwenden, das es in grosser Menge gibt. Allein mit den derzeit 700.000 Tonnen  abgereicherten "Abfalluran" in den USA könnte man die weltweite Stromversorgung über tausend Jahre sicherstellen!

Entfallen würden die kostenträchtigen Prozessschritte Anreicherung und Wiederaufarbeitung sowie (weitgehend) die Abfallentsorgung, welche auch politisch heikel sind (Proliferation!).  Wahrscheinlich könnte man bei diesem Reaktortyp sogar die Kontrollstäbe einsparen, da er mit relativ kleiner Leistung betrieben wird. Ein Slogan aus den 70er Jahren würde Auferstehung feiern: "Small is beautiful".

Aber so weit ist man noch lange nicht. Derzeit simuliert die Entwicklerfirma TerraPower mit ihren Supercomputern erst die Neutronik der Brennzone. Bis zu einem realen Reaktor mit seinen technischen Einbauten und Kühlsystemen ist noch ein weiter Weg. Aber Bill Gates, erst 55 Jahre alt, hat grosse finanzielle Ressourcen. Bis zu seinem Tod möchte er 95 Prozent seines Gesamtvermögens für technische und medizinische Zwecke spenden. Lediglich 0,02 % will er seinen zwei Töchtern Jennifer und Phoebe sowie seinem Sohn Rory vererben.

Damit erhält jedes der drei 10 Millionen US-Dollar.
Arme Kinder!

Sonntag, 30. Januar 2011

Neue Ideen bei Asse II

Die Versuchsanlage Asse II, südlich von Braunschweig gelegen, wird seit Jahren in den Medien heftig diskutiert. Im Jahr 1965 wurde dieses stillgelegte Salzbergwerk von der Bundesregierung erworben, um dort probeweise radioaktiven Abfall aus deutschen Kernkraftwerken und Krankenhäusern zu lagern. Zwischen 1908 und 1963 war in dem Bergwerk Kalisalz (Carnallit) für die Düngerherstellung, sowie Steinsalz gefördert worden. Bei der Gewinnung wurden über 100 Abbaukammern in 500 bis 800 Metern Tiefe ausgebaggert. Jede dieser Kammern ist ca. 60 m lang, 40 m breit und 15 m hoch., entsprechend dem Volumen eines grossen Wohnblocks. Darüber liegt ein mächtiges Deckgebirge aus Bundsandstein und Muschelkalk. Der Salzstock selbst entstand vor etwa 200 Millionen Jahren und hat mehrere Eiszeiten und Zwischeneiszeiten unversehrt überstanden - ebenso wie die Erdbewegungen 100 Millionen Jahre später, als sich die Alpen auftürmten.



Längsschnitt durch das Grubengebäude Asse II

Von 1965 bis in die 90er Jahre wurden auf 750 Metern Tiefe ca. 126.000 Fässer eingelagert. Zuerst waren es schwachradioaktive Stoffe, wie Verdampferkonzentrate und Fällschlämme, später kamen mittelradioaktive Abfälle aus der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK) hinzu. In der Frühzeit wurden diese 200-Liter-Fässer noch nebeneinander und übereinander gestapelt, später entwickelte man die Methode des "Einpökelns". Dabei wurden aus einem Schaufelbagger die Fässer über eine Salzböschung gekippt und anschliessend mit losem Salz zugeschüttet.


Querschnitt durch den Salzdom Asse II


Seit einigen Jahren dringt über das Deckgebirge Wasser in die Grube ein. Im Schnitt sind es 12 Kubikmeter pro Tag, die in einem Speicherbecken aufgefangen und in ein naheliegendes Salzbergwerk gebracht werden. Dieser Vorfall gibt Anlass zu heftigen politischen Diskussionen; insbesondere Parteigänger der Grünen und der SPD fordern die Rückholung der 126.000 eingelagerten Fässer. Diese Massnahme würde etwa zehn Jahre dauern und 3 bis 4 Milliarden an Kosten verursachen. Viele Experten halten die Forderung der gänzlichen Rückholung jedoch für überzogen, ja sogar für kontraproduktiv, wie im Folgenden kurz dargestellt wird.

Die Argumente

1. Das Bergwerk Asse ist durch die Einbringung des Atommülls nicht radioaktiver geworden, als es im Urzustand einmal war. Durch den früheren Kaliabbau hat man nämlich mehr an Radioaktivität - in Form des strahlenden Isotops Kalium 40 - herausgeschafft, als später durch die Atomfässer eingebracht wurde. Unvergleichlich viel grösser ist die im Berg immer noch vorhandene natürliche Radioaktivität des Kalium 40 im sog. Urgestein.

2. Nicht allgemein bekannt ist, dass die radiologische Halbwertszeit des Kalium 40 mit mehr als einer Milliarde Jahren etwa 40.000 mal länger als die Halbwertszeit von Plutonium ist.

3. Die Wasserlöslichkeit und damit die Bioverfügbarkeit ist bei Kalium 40 viel grösser als bei den chemischen Elementen in den Fässern. Sogar Uran und Plutonium - welche sich nur in geringen Mengen in Asse befinden - oxidieren rasch zu UO2 bzw. PuO2 und werden an Ort und Stelle fixiert. Damit können sie weder in die Biosphäre entweichen noch ins Grundwasser gelangen. Cäsium 137 wurde nicht eingelagert, sondern ist in der Verglasungsanlage an der WAK in Kokillen verfestigt worden.

4. Bei der Rückholung der Fässer würden die Arbeiter unkalkulierbaren bergmännischen Risiken ausgesetzt werden. Ausserdem wären Kontaminationen und Bestrahlungen zu erwarten, falls geborstene Fässer manipuliert werden müssten.

5.  Dabei ist die Gesamtstrahlung der 126.000 Fässer durchaus nicht beeindruckend. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat festgestellt, dass der Inhalt eines einzigen Castorbehälters 200 mal stätrker strahlt, als alle in Asse eingelagerten Fässer zusammen.

6. Das täglich zulaufende Sickerwasser von 12 Kubikmetern ist im Bergwerk mit geringem Pumpaufwand beherrschbar; eine typische Heimwerkerpumpe genügt dafür. Zum Vergleich: im Ruhrgebiet werden jedes Jahr mit riesigen Pumpanlagen zig Millionen Kubikmeter an Grundwasser abgepumpt, um die ehemaligen Kohlekraftwerke vor dem "Absaufen" zu bewahren. Dafür entstehen jährliche Kosten von 100 Millionen Euro! Ewigkeitskosten da wie dort - allerdings in verschiedener Höhe.

Der frühere Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat das Bergwerk Asse II kurzerhand zu einer Atomanlage erklärt, womit dort anstelle des bisherigen Bergrechts das viel rigidere Atomrecht gültig ist. Damit sind alle Arbeiten massiv erschwert. An den Eingängen der alten Schachtanlage wird nun kontrolliert, als würde man den Hochsicherheitstrakt eines amerikanischen Gefängnisses betreten. Vor kurzem wollte ein alter erfahrener Mitarbeiter von Asse eine Tüte Salz aus dem Bergwerk als Souvenir mit nach Hause nehmen. Er wurde gefeuert.

Wegen Diebstahls von radioaktivem Material nach §328 Strafgesetzbuch!

Sonntag, 23. Januar 2011

1 Million Jahre? Wohl kaum!

Den Widerstand gegen den Ausbau der Kernenergie in Deutschland kann man an zwei Themen fest machen: an der Sicherheit des Reaktorbetriebs (Stichwort "Tschernobyl ist überall") und an der Endlagerung der radioaktiven Abfälle ("Salzstock Gorleben"). Insbesondere die Endlagerung der Abfallstoffe über geologische Zeiten von einer Million Jahren und darüberhinaus weckt in weiten Kreisen der deutschen Bevölkerung Zweifel und Ängste. Doch das muss nicht andauern. Seit etwa einem Jahrzehnt kursieren bei den Wissenschaftlern verheissungsvolle Ideen, wie man auf die ungeliebte Endlagerung in tiefen Erdschichten ganz oder zumindest grösstenteils verzichten kann. Diese nehmen immer mehr Gestalt an; die Stichworte für diese weltweiten Forschungen sind: " Abtrennen und Umwandeln", oder auf englisch: "Partitioning and Transmutation".

Abfall oder Wertstoff?

Etwas vereinfacht gesprochen, entstehen bei der Kernspaltung in Reaktoren zwei Sorten von Abfällen: die eine Kategorie besteht aus Atomkernen, sprich "Isotopen", die in kurzen Zeiten (Stunden bis Tagen), beziehungsweise in überschaubaren Zeiträumen (Jahren bis wenige Jahrhunderte) abklingen. Die zweite Kategorie an Abfällen verliert ihre Radioaktivität erst in tausend oder gar Millionen Jahren und soll, nach heutigen Vorstellungen, tiefgelagert werden. Dazu gehört das berühmt-berüchtigte Plutonium, aber auch weniger bekannte Isotope wie Americium, Neptunium, Curium u.a.m., wie aus der untenstehenden Tabelle hervorgeht. Die letzteren Isotope bezeichnet man auch als Transurane, weil sie im Periodensystem der Elemente jenseits vom Uran liegen.


Die wichtigsten langlebigen Isotope; ihre Halbwertszeit und Menge (pro Tonne verbrauchter Brennstoff)

Nun besitzen die Abfallstoffe der zweiten Kategorie aber nicht nur den Nachteil, dass sie über sehr lange Zeit strahlen, sondern sie können auch - in speziellen Kernreaktoren - atomar gespalten werden. Dabei wandeln sie sich zu Abfällen der ersten Kategorie (klingen also relativ schnell ab) und, ganz wichtig, bei dieser Spaltung wird auch noch Energie erzeugt. Sie vergrössern also die knappen Uranreserven, die, nach bisherigen Vorstellungen, nur noch ein bis zwei Jahrhunderte reichen.

Es ist deshalb kein Wunder, dass diese Abfälle in letzter Zeit mehr und mehr als "Wertstoffe" angesehen werden, die man keinesfalls in Gorleben oder anderswo unter der Erde verstecken sollte. Stattdessen sollte aus ihnen durch Rezyklierung Kernbrennstoffe und Energie gewonnen werden. Die Ähnlichkeit mit den konventionellen Abfällen drängt sich auf: während diese bis 1980 noch weitgehend auf den städtischen Müllbergen landeten, werden sie seitdem - z. B. im Rahmen des dualen Systems - in Sorten getrennt und als Wertstoff wiederverwendet.

Utopie oder technische Vision?

Die technische Umsetzung der beschriebenen Ideen beginnt mit der chemischen Abtrennung der (in der Tabelle genannten) radioaktiven Isotope aus den bestrahlten Brennelementen, die oberirdisch in Philippsburg, Neckarwestheim, Biblis etc. gelagert sind. In Europa benutzt man bei dieser Aufarbeitung wässerige Säurelösungen, in den USA vorzugsweise elektrochemische Prozesse. Die erstgenannte Methode ist technisch ausgereifter, bei der zweiten kann man Brennstoffe mit kurzer Kühlzeit in kompakten Anlagen aufarbeiten. Anschliessend werden die so abgetrennten Isotope Plutonium, Americium, Neptunium und Curium einem Dauerfeuer von Neutronen ausgesetzt. Dabei verwandeln sie sich in Atomkerne, die entweder nicht mehr strahlen, oder deren Radioaktivität schon bald auf ein unschädliches Mass abklingt.

Die Idee für eine solche Maschine stammt von dem italienisches Physik-Nobelpreisträger Carlo Rubbia. Dabei schiesst ein Beschleuniger Protonen, also positiv geladene Wasserstoffkerne, auf flüssiges Blei, wobei je Proton 15 bis 30 Neutronen erzeugt werden. Durch diese sogenannte Spallation werden die langlebigen Transuranatome in Atome mit kurzer Halbwertszeit gespalten. Dieses Konzept wird als "ADS" (Accelerator-Driven System) bezeichnet und erzeugt nebenbei noch Strom im Überschuss. Ausserdem besteht, aus physikalischen Gründen, nicht die Gefahr des "Durchgehens" dieses Reaktors, weil er im unterkritischen Regime arbeitet. Im belgischen Forschungszentrum Mol plant man, mit europäischer Hilfe, die Vielzweckanlage "MYRRHA" (Multi-Purpose Hybrid Research Reactor for High-Tech Applications), welche die Machbarkeit der Elementumwandlung demonstrieren soll. Dabei handelt es sich um einen schnellen Forschungsreaktor von 50 bis 100 Megawatt Leistung, der kritisch oder auch unterkritisch betrieben werden kann. Ein 600 MeV Protonenbeschleuniger und eine Spallationstarget, das mit Blei-Wismut gekühlt ist, vervollständigt die Anlage, welche um das Jahr 2025 in Betrieb gehen soll.


Das belgische Forschungszentrum Mol mit der Transmutationsanlage "Myrrha" im Vordergrund (schematisch)

Eine zweite Möglichkeit zur Elementumwandlung bieten die Reaktoren der sogenannten 4. Generation, die vom Aufbau her den Schnellen Brütern ähneln. Sie sind effizienter für die Plutoniumverbrennung und die Stromproduktion. Ein Prototyp, genannt "ASTRID", wird derzeit in Frankreich geplant und soll ebenfalls zur Mitte des kommenden Jahrzehnts betriebsbereit sein.

An dem Grossprojekt "Abtrennung und Umwandlung" wird nicht nur in Europa, sondern auch in den USA und in Asien mit Hochdruck geforscht. Nach dem Bau der genannten Pilot- und Demonstrationsanlagen wird man die Umwandlung der Transurane in Kilo- und Tonnenmasstab betreiben können. Wegen der intensiven Vernetzung der weltweiten Forschergruppen besteht die reelle Aussicht, dass bis zum Ende dieses Jahrhunderts das schwierige Problem der Endlagerung gelöst sein könnte.

Falsch gepokert, Herr Graf ?

Die publizistischen Auswirkungen dieser Forschungen sind bereits jetzt erkennbar. Es scheint, als würden prominente Kernkraftkritiker den Verlust ihres Hauptarguments befürchten: die (angeblich) ungesicherte Entsorgung. Wie anders kann man verstehen, wenn Sprecher von Greenpeace erklären, dass ihnen die Endlagerung der Atomabfälle in geologischen Schichten lieber sei, als deren Umwandlung in Elemente mit kurzer Halbwertszeit? Wurden ihnen da ihre "Hauptwaffe" im gesellschaftlichen Diskurs entwunden? Anders kann man diese geradezu zynischen Äusserungen kaum werten.

Bei Gelingen dieser Forschungen besteht durchaus die Chance, dass man auf das Endlager Gorleben verzichten kann. Und, dass sich die vielgeschmähten oberirdischen Zwischenläger an den verschiedenen Reaktorstandorten in Zukunft als hochwillkommene "Brennstoffminen" für einen weiteren langen Reaktorbetrieb entpuppen könnten - natürlich unter Nutzung neuerer Reaktortypen.

Diese technische Entwicklung könnte indirekt auch Auswirkungen auf den Familienclan der Bernstorff im Wendland haben, der seit dreissig Jahren gegen das geplante Endlager in Gorleben streitet. Andreas Graf von Bernstorff gehören dort nicht nur 5.700 Hektar Forst und 650 Hektar Land, sondern auch ein Drittel des Salzstocks von Gorleben, der unter (einem kleinen Teil) seines Waldgebiets liegt. Die Regierung von Niedersachsen hat dem Grafen vor knapp fünfzehn Jahren satte 30 Millionen Mark für den Ankauf dieser vergleichsweise winzigen Fläche geboten. Bernstorff lehnte ab.

Möglicherweise hat der Graf zu hoch gepokert, wenn der Salzstock Gorleben gar nicht gebraucht werden sollte

Sonntag, 16. Januar 2011

"Schwarzgeld" - Transfer aus der Schweiz

Es war in der schönen Schweiz. Wir wollten, mit einigen Anverwandten, in der nahen Grenzstadt Basel den Geburtstag meiner Frau Brigitte feiern. Geplant war ein Abendessen in dem renommierten Hotel "Drei Könige", Übernachtung inclusive und Rückfahrt am folgenden Montag nach Karlsruhe.

Gesagt, getan. Das Dîner im Restaurant, mit Blick auf den Rhein und die Stadtsilhouette, war superb, die Übernachtung in der Suite dem Preis angemessen. Am nächsten Morgen, nach dem Frühstück, zückte ich an der Rezeption meine Kreditkarte und bezahlte die Rechnung, welche für einen Rentner durchaus substantiell war. Man wollte mein Auto aus der Tiefgarage holen lassen, es aber vorher noch waschen, was im Hotelservice wohl inbegriffen ist. Somit ergab sich vor der Abreise noch eine kleine Zeitspanne, während der Brigitte und ich noch etwas durch die Altstadt schlendern wollten.

Die Geschäfte der Basler Innenstadt unterscheiden sich von jenen in Karlsruhe sehr vorteilhaft, was die Ladenausstattung und das Angebot anlangt. So kauften wir da und dort eine Kleinigkeit, zum Beispiel in einem Schreibwarengeschäft einige Bogen edlen Briefpapiers, welches zudem noch in eine attraktive Tragtasche verpackt wurde. Auf dem Rückweg konnte ich es mir nicht verkneifen, den Schalterraum einer berühmten Schweizer Bank aufzusuchen und nach einigen Informationsmaterial zur wirtschaftlichen Entwicklung Ausschau zu halten.

In der Zwischenzeit war unser Auto, wohlbepackt und blitzsauber vor der Hoteleinfahrt geparkt. Ich versenkte meine Tragtasche im Kofferraum, gab dem Hotelbediensteten den erwarteten Obolus und fuhr los.

Verfolgt und angehalten

Meiner Veranlagung entsprechend wollte ich mein Auto mit billigerem Schweizer Benzin auftanken, um die Gesamtaufwendungen dieses Kurzurlaubs - relativ - etwas zu drücken. Auf der Suche nach einer Tankstelle fuhren wir kreuz und quer durch die Stadt und dabei hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass mir ein weisses Sportauto folgen würde. Als wir bei der Rheinbrücke ankamen und auf die Zollgrenzstation einmündeten, war das weisse Auto immer noch hinter uns, ja es wechselte sogar - genauso wie wir - öfters die Fahrspur. Kurz vor der Einfahrt in den Zollbereich bog es jedoch in eine unauffällige Sonderspur ab, welche nur für LKWs zugelassen war und die wieder nach Basel zurück führte. Brigitte, welche das ebenfalls beobachtete, konnte noch erkennen, dass der Fahrer bei dieser Gelegenheit sein Handy am Ohr hielt, also offensichtlich (unerlaubterweise) ein Telefonat führte.



Hotel Drei Könige

Wie wir erkennen konnten, winkten die deutschen Grenzbeamten die Autos zügig und ohne Kontrolle durch. Gleiches erwarteten wir bei uns - aber weit gefehlt. Zwei Zöllner nahmen uns von weitem schon ins Visier, es schien, als hätten sie geradezu auf uns gewartet. Man stoppte uns uns sehr bestimmt und dirigierte uns in eine Wartebucht. Dort kontrollierten sie, relativ oberflächlich, unsere Personalausweise, denn Brigittes Ausweis war bereits seit einigen Tagen abgelaufen, ohne dass dies moniert wurde. Stattdessen fragte der (von den Achselklappen her erkennbare) Oberzöllner ganz dediziert und im ernsten Ton: "Führen Sie mehr als 1o.000 Euro Bargeld mit sich?" Mich überraschte und amüsierte dies, denn Bargeld in diesem Umfang habe ich praktisch nie bei mir. Deshalb gab ich etwas flapsig zurück: " Meine Herren, ich habe all mein Geld im Hotel "Drei Könige" abgeliefert". Der Zollbeamte ging auf diesen müden Scherz nicht ein, setzte eine noch ernstere Miene auf und wiederholte: "Ich frage Sie jetzt noch einmal ganz offiziell: haben Sie Bargeld im Wert von über 10.000 Euro bei sich"? Im vollen Bewusstsein meiner Unschuld replizierte ich: "Das würde mich freuen, aber ich glaube nein."



Deutsche Zöllner

Daraufhin befahl uns der sichtlich verschnupfte Oberzöllner auszusteigen und seinen Unterzöllner wies er an, unser Fahrzeug zu durchsuchen. Das geschah nicht nach der üblichen bekannten Methode, wie Kofferöffnen und so, sondern offensichtlich hatte man es auf unsere Tragtaschen abgesehen. Zuerst stürzten sich die Staatsdiener auf meine weisse Tasche mit der ich aus der Bank kam. Als sie dort nur Briefpapier und volkswirtschaftliche Prospekte vorfanden, waren sie sichtlich enttäuscht. Sie liessen noch den Koffer öffnen, in der Brigitte zwei ähnliche Tragtaschen mit ähnlich unverdächtigen Inhalt verstaut hatte. Nun, um die Story kurz zu machen, die Herren Beamten fanden nichts, was zu verzollen war, insbesondere kein Bargeld in grösserem Umfang. Sie winkten mich aus der Bucht und ich konnte mich bei der Abfahrt nicht zurückhalten, sie mit der süffisanten Bemerkung zu trösten: "Meine Herren, nehmen Sie es nicht tragisch, man kann nicht immer fündig werden."

Eine Vermutung

Auf der Rückfahrt nach Karlsruhe besprachen Brigitte und ich diesen Vorfall und wir kamen zu folgender Vermutung: offensichtlich hatte ein "Spitzel" mich bei meinem Abstecher in die Bank beobachtet. Als meine Tragtasche - wegen des Prospektmaterials - beim Verlassen der Bank reichlicher gefüllt war, als beim Eintritt, hatte er wohl vermutet, dass ich dort Geld abgehoben und es (unauffälligerweise) in der weissen Tasche mit dem Aufdruck des Schreibwarengeschäfts verborgen hätte. Vermutlich wird er bereits beim Hotel die Grenzbeamten informiert haben, mich aber noch bis zur Zollstation begleitet haben um mich dort "sicher" zu übergeben. Der Rest ist bekannt.

Die deutschen Zollbeamten konnten eines nicht wissen: noch nie hatte ich - obwohl ich schon sehr oft die schöne Schweiz besucht habe - das Bedürfnis gefühlt, dort ein Bankkonto zu eröffnen. Bekanntermassen sind die Zinsen (und damit die Rendite) in der Schweiz noch geringer als in Deutschland. Lohnen würde sich eine derartige Transaktion also nur mit unversteuertem Schwarzgeld, am Finanzamt vorbei.

Aber das überlasse ich Zumwinkel & Co.

Sonntag, 12. Dezember 2010

Das Grossprojekt Kalkar und seine Politiker

Grossprojekte im Milliardenbereich sind riskant, weil sich ihre Realisierung über viele Jahre, manchmal gar Jahrzehnte, erstreckt. Das gilt besonders, wenn sie nicht privatwirtschaftlich, sondern staatlich finanziert sind, womit sie dem Wohl und Wehe der Parteien und ihren schwankenden Koalitionen ausgesetzt sind. Ein Beispiel ist Stuttgart 21, das von 1994 über 15 Jahre hinweg von allen Parteien im Stuttgarter Landtag gestützt wurde. Als 2009 die ersten Demonstrationen aufzogen, kippten die Grünen ganz und die Roten halb um, mit dem Ergebnis, das allgemein bekannt ist.

Ein Grossprojekt der frühen siebziger Jahre war der Schnelle Brüter in Kalkar, ein Kernkraftwerk, das auch als Schneller natriumgekühlter Reaktor (SNR) bekannt geworden ist. Nur wenige wissen, dass es der ehemalige sozialdemokratische Bundeskanzler Willy Brandt war, der es aus der Taufe gehoben hat.

Willy Brandt, der Visionär (1913 - 1992); deutscher Bundeskanzler von 1969 bis 1974

Brandts tüchtige Minister

Bei einer Kabinettssitzung im Februar 1972 verwies Brandt auf die knappen Uranressourcen in Deutschland und beauftragte seinen damaligen Forschungsminister Klaus von Dohnany, den Bau eines Schnellen Brüters in Kalkar am Niederrhein (überwiegend) aus Bundesmitteln zu finanzieren. Das Kernkraftwerk Kalkar zeichnete sich dadurch aus, dass es das Uran in seinem Reaktorkern etwa 50 mal besser ausnutzte als ein gängiges leichtwassergekühltes Atomkraftwerk.

Dohnany gelang es, die Belgier und Holländer ins Boot zu holen und schon im November des gleichen Jahres standen fast zwei Milliarden DM für den Bau des sog. SNR 300 mit seiner elektrischen Leistung von 300 Megawatt zur Verfügung. Siemens gründete die Tochterfirma Interatom, welche das Kraftwerk erstellen sollte; ein Ableger des Energieunternehmens RWE wurde mit der Bauüberwachung beauftragt und sollte später das Kernkraftwerk (KKW) betreiben. Ähnliche Tochterfirmen entstanden in Belgien und Holland. Die Zustimmung der damals in der Opposition verweilenden Parteien CDU/CSU sowie FDP brauchte man gar nicht erst einzuholen; deren frühere Forschungsminister Strauß (CSU), Balke (CDU), Lenz (FDP) und Stoltenberg (CDU) hatten bereits während ihrer Amtszeit die Planungsarbeiten für den Schnellen Brüter im Kernforschungszentrum Karlsruhe nach Kräften gefördert.

Im Dezember 1972 wurde Horst Ehmke (SPD) Forschungsminister; unter seiner Ägide erteilte die Genehmigungsbehörde die hochwichtige erste atomrechtliche Teilerrichtungsgenehmigung (1.TEG), womit gleichzeitig das Grundkonzept des Reaktors genehmigt war. Wie erwartet wurde diese Planfeststellung von einem Anlieger, dem Bauern Maas beklagt, der allerdings 1973 vom Verwaltungsgericht Düsseldorf in erster Instanz abgewiesen wurde.

Im Mai 1974 wurde Hans Matthöfer (SPD) zum Forschungsminister ernannt. Der knorrige Gewerkschaftler war ein besonders standfester Förderer des SNR 300. In einem Interview aus dem Jahr 1976 brachte er die Idee des Brüters in nur zwei Sätzen auf den Punkt: "Der Schnelle Brüter soll das in den Leichtwasser-Reaktoren erzeugte hochradioaktive Abfallprodukt Plutonium sinnvoll wiederverwerten. Zudem soll er die knappen Vorräte an Uran so wirtschaftlich nutzen, dass dessen Bedarf in einigen Jahrzehnten nahezu gegen Null geht." Als Ende 1974 Bundeskanzler Willy Brandt wegen der Guillaume-Affäre zurücktreten musste, wurde Matthöfer vom nachfolgenden sozialdemokratischen Kanzler Helmut Schmidt erneut mit dem Forschungsministerium betraut.

Die Ära Matthöfer war eine turbulente Zeit für das KKW Kalkar, in der viele richtungsweisende Entscheidungen gefällt worden sind. Durch zusätzliche Anforderungen der Genehmigungsbehörden auf den Risikogebieten Erdbeben, Flugzeugabsturz und Kernschmelzen erhöhten sich die Kosten des Kraftwerks beträchtlich. Matthöfer gelang es, seine Parteigenossen zur Finanzierung dieser Mehrkosten zu bewegen. 1977 wollte der neugewählte Präsident der USA, Bill Carter, die Brüterprojekte weltweit - ausser in seinem eigenen Land - stoppen; Matthöfer entgegnete diesem Ansinnen erfolgreich durch die globale Expertenkonferenz INFCE. Schliesslich richtete der Deutsche Bundestag eine sog. Enquête-Kommission zum Schnellen Brüter ein, die das Projekt fortan kritisch begleiten sollte

Im Februar 1978 wurde der ehemalige Frankfurter Oberbürgermeister Volker Hauff (SPD) zum Bundesforschungsminister ernannt. Er konnte erreichen, dass das Bundesverfassungsgericht die Gültigkeit des Atomgesetzes auch für den Schnellen Brüter feststellte. Ausserdem waren zwischenzeitlich ein weiteres Dutzend wichtiger Teilgenehmigungen für Kalkar ergangen. Die besagte Enquête-Kommission hatte zudem das Projekt SNR 300 akzeptiert und lediglich zwei weitere Studien verlangt.

Im November 1980 folgte (als letzter SPD-Forschungsminister) Andreas von Bülow nach. Unter ihm gab der Deutsche Bundestag seine politische Zustimmung zur (späteren) Inbetriebnahme des Brüterreaktors; ausserdem konnte Bülow die Industrie zu einer signifikanten finanziellen Eigenbeteiligung am Projekt bewegen.

Die Wende

Im Oktober 1982 erfolgte in Bonn ein Regierungswechsel. Im Zuge der sogenannten "Wende" wurde Helmut Kohl (CDU) zum Kanzler der Bundesrepublik ernannt; er bestimmte Heinz Riesenhuber (CDU) zum Forschungsminister. Im Dezember des gleichen Jahres hob der Deutsche Bundestag den politischen Inbetriebnahmevorbehalt gegen den Schnellen Brüter in Kalkar auf. Durch Einschiessen neuer Finanzmittel kam es zu einem kräftigen Anstieg der Baustellentätigkeit. Mittlerweile waren bereits 17 Teilgenehmigungen (TG) für das Kraftwerk erteilt; die 18. TG - für die Beladung des Reaktors mit Brennelementen und seine Inbetriebnahme - war in Bearbeitung. Das Projekt schien auf dem besten Weg zu seiner Vollendung zu sein.


Der Schnelle Brüter SNR 300 am Niederrhein im Bauzustand 1981

Aber weit gefehlt! Im Mai 1985 gewann Johannes Rau, SPD-Genosse, gelernter Buchhändler und Freizeitprediger, mit absoluter Mehrheit die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und wurde Ministerpräsident dieses Landes, das für die Erteilung der weiteren atomrechtlichen Genehmigungen zuständig war. Er schien der richtige Gegenkandidat zu Helmut Kohl bei der 1987 anstehenden Bundestagswahl zu sein, nachdem Hans-Jochen Vogel zwei Jahre zuvor dem Pfälzer unterlegen war.

Rau war voller Ehrgeiz und drängte seine Partei dazu, sich thematisch neu zu positionieren. Im Parteirat der SPD verlangte er eine "Kurskorrektur" bei den Projekten Kalkar und Wackersdorf, die vorher jahrelang von der SPD getragen wurden. Als sein zuständiger Fachminister Reimut Jochimsen darauf hinzuweisen wagte, dass für Kalkar bereits 17 atomrechtliche Einzelgenehmigungen erteilt worden waren und die Betriebsgenehmigung aus rechtlichen Gründen nicht mehr versagt werden könne, wurde er zurückgepfiffen und sogar gerügt, weil er nicht genügend "Dialektiker" sei. Jochimsen solle eben zusätzliche Forderungen stellen und im übrigen auf Zeit spielen. Hans Apel, der frühere Bundesfinanzminister, nahm an dieser Strategiesitzung teil und beschreibt die Kontroverse recht offen in seinen Lebenserinnerungen "Der Abstieg" auf den Seiten 351ff.
Hans Apels Lebenserinnerungen (Knaur - Taschenbuch)

Das Ende

Minister Jochimsen tat, was ihm sein Chef Rau befohlen hatte. Er erfand immer "neue Bedenken", die dann durch umfängliche Gutachten zeitraubend ausgeräumt werden mussten.

"Mäusetennis" bezeichneten die Leute in Kalkar dieses Procedere in sehr anschaulicher Weise. Im April 1988 riss dem damaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer die Geduld und er forderte in einer "rechtlichen Bundesanweisung" das Land Nordrhein-Westfalen ultimativ auf, das Genehmigungsverfahren des SNR 300 zu beschleunigen. Kess reichte NRW beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Klage gegen diese Weisung ein - und verlor in allen Punkten! Der Bund hatte seine Weisungskompetenz rechtmässig in Anspruch genommen.

Aber dieser Sieg in Karlsruhe war nur ein Phyrrussieg. Die Landesbehörde durfte zwar nicht mehr offen die Betriebsgenehmigung für das KKW Kalkar verweigern, aber "prüfen" war ihr erlaubt. So wurde der SNR 300 letztlich zu Tode geprüft. Der Bundesrichter Fritz Ossenbühl nannte das Kind beim Namen, indem er formulierte: "Das Land hat unter dem Schein der Legalität Obstruktion betrieben". Minister Jochimsen behauptete zwar in der Öffentlichkeit "nach Recht und Gesetz" zu handeln, das wurde ihm aber nicht abgenommen. Die Wochenzeitung "Die Zeit" hat diese Verschleppungstaktik zutreffend als "kalkarisieren" bezeichnet und damit ein neues Wort geprägt. Im juristischen Sprachgebrauch bildete sich dafür die Bezeichnung "ausstiegsorientierter Gesetzesvollzug" heraus. Horst Sendler, der ehemalige Präsident des Bundesverwaltungsgericht, definierte ihn zugespitzt als "Nichtvollzug durch Vollzug" und verglich ihn mit "Dienst nach Vorschrift", welcher gelegentlich bei Tarifstreitigkeiten im öffentlichen Dienst geübt wird.


Johannes Rau (1931 - 2006); verkniffener Blick zurück

Als im Jahr 1990 die deutsche Wiedervereinigung in Kraft trat, waren die Bundeskassen leer und für Kalkar war kein Geld mehr vorhanden. Im März 1991 musste der Forschungsminister Heinz Riesenhuber deshalb das internationale Brüterprojekt beenden, indem er alle Verträge auflöste. In seiner öffentlichen Presseerklärung liess er verlauten: "Die Verantwortung für das Ende von Kalkar liegt eindeutig beim Land Nordrhein-Westfalen".

Fazit

Rekapitulieren wir: Bundeskanzler Willy Brandt, SPD, hat den Brüter politisch auf den Weg gebracht. Seine - und Helmut Schmidts - fünf sozialdemokratische Forschungsminister Dohnany, Ehmke, Matthöfer, Hauff und Bülow haben die Finanzierung dieses Grossprojekts über alle Genehmigungshürden hinweg sichergestellt.

Als Helmut Kohl, CDU, im Herbst 1982 ans Ruder kam, forcierte sein Forschungsminister Riesenhuber erfolgreich den Weiterbau des SNR 300 bis zu dessen Vollendung im Jahr 1985. Zu dieser Zeit beschloss Ministerpräsident Johannes Rau, Bundeskanzler Kohl bei der im Jahr 1987 anstehenden Bundestagswahl herauszufordern. Er fand es opportun, auf der damaligen (grünen) Antiatomwelle zu schwimmen und zwang seinen Fachminister Jochimsen, die Betriebsgenehmigung für Kalkar zu hintertreiben. Sogar einer Bundesanweisung leistete er keine Folge. Damit "hungerte" er das Projekt finanziell aus, sodass es aus Geldgründen 1990 zwangsweise beendet werden musste.

Das einzige Erfreuliche an dieser Malaise ist, dass Johannes Rau 1987 die Bundestagswahl gegen Helmut Kohl krachend verlor -

und nicht als "Kanzler der Wiedervereinigung" in die Geschichtsbücher eingehen durfte.

Sonntag, 5. Dezember 2010

Stuttgart 21: Ein brüchiger Frieden

Einen Gewinner gibt es bei den Schlichtungsgesprächen um den Stuttgarter Bahnhof S 21 auf alle Fälle: den Nachrichtensender "Phönix", dem die Liveübertragungen aller acht Schlichtungsrunden Zuschauerrekorde bescherten. Während sonst zu nachmittäglichen Stunden seine Einschaltquoten kaum messbar sind, zappten an den Schlichtungstagen Hunderttausende, ja Millionen, auf diesen TV-Kanal, um Heiner Geißlers Moderationskünste in Echtzeit mitverfolgen zu können.

Am 30. November war das Finale angesagt und es dauerte fast bis 5 Uhr abends bis der Schlichter seinen Spruch verkünden konnte: "Der Stuttgarter Tiefbahnhof S 21 darf gebaut werden, ebenso die Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm".

Bedeutende Fernverkehrsstrecken der deutschen Bahn (aus DB, StZ)

Aber unter Auflagen! So soll eine Stiftung darüber wachen, dass die neu gewonnenen Freiflächen zu erschwinglichen Preisen bebaut werden. Im Schlossgarten sollen keine gesunde Bäume mehr geschlagen, sondern allenfalls umgepflanzt werden. Der Bahnhof soll für Alte und Kranke verkehrssicher werden und ist bei Bedarf um zwei weitere Gleise zu erweitern. Per Computersimulation soll nachgewiesen werden, dass der neue Bahnhof tatsächlich 30 Prozent mehr Kapazität besitzt als der alte Kopfbahnhof. ("Stresstest")

Diese Massnahmen kosten natürlich Geld. Erste Schätzungen gehen von 150 Millionen Euro aus. Die Grünen rechnen sogar mit 500 Millionen, womit die bisherige Kostenplanung überschritten wäre und das Projekt aus wirtschaftlichen Gründen womöglich doch noch zu Fall käme. Die projektführende Bahn hält sich mit Statements vornehm zurück und will in aller Ruhe die Zusatzkosten analysieren. (Wahrscheinlich nach der Landtagswahl.)

Die Befürworter von S 21 sind mit einem blauen Auge davon gekommen und zeigten sich insgeheim zufrieden. Die Gegner waren enttäuscht darüber, dass Geißler weder den Baustopp verlängerte, noch eine Volksbefragung in Erwägung zog. Der öffentliche Streit wird also - vielleicht in moderaterer Form - weitergehen und bei der Wahl im März 2011 wird es dann doch noch zu der (demokratisch legitimierten) Volkabstimmung kommen. Gemäss einer Umfrage ist die Stimmung der Bevölkerung bereits gekippt; mehr als die Hälfte der Menschen in Stuttgart und Umgebung sind mit Geißlers Schlichtungsspruch einverstanden und halten S 21 für ein gutes Projekt, das man bald verwirklichen sollte.



Modell des neuen Stuttgarter Tiefbahnhofs (links das alte Bahnhofsgebäude)

Die Politiker sprechen sich dafür aus, das derzeitige Baurecht zu straffen, um zu kürzeren Planungszeiten zu kommen. Die öffentlichen Anhörungen sowie das Recht zur Klage vor den Verwaltungsgerichten soll aber nicht eingeschränkt werden. Eine Schlichtung - Mappus nennt es "Dialogforum" - könnte man sich zu Beginnn der Projektplanung vorstellen. Ob das die kontroversen Diskussionen vermeidet, wird man sehen, wenn demnächst Grossprojekte wie Stromtrassen und Pumpspeicherkraftwerke auf dem Plan stehen. Unbeeindruckt von diesen Überlegungen ist der harte Kern der Grünen:

Sie haben für kommenden Samstag bereits wieder zu einer "Grossdemo" gegen Stuttgart 21 aufgerufen.

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