Freitag, 10. Juli 2009

Die dunkle Seite des Lichts

Wer kennt ihn nicht, den alten Kinderreim:
"Weisst du, wieviel Sternlein stehen,
an dem blauen Himmelszelt?"

Früher konnte man mit blossem Auge etwa 3.000 Lichtpunkte am nächtlichen Sternhimmel ausmachen. Heute sind es gerade mal noch 300, in den Städten sogar nur einige Dutzende. Der atemberaubende Anblick der Milchstrasse ist heute kaum jemanden noch beschieden, jener "nachlässig drapierte, strassbesetzte Seidenschal", der sich von Nord nach Süd über den Nachthimmel erstreckt.

Schuld daran ist die sog. Lichtverschmutzung, auch Lichtsmog genannt. Von Menschen installierte künstliche Lichtquellen senden Licht in den Himmel, das in den unteren Luftschichten der Atmosphäre gestreut wird. Der Nachthimmel ist voll von Streulicht. Die grössten Verursacher dieser Lichtverschmutzung sind die Grosstädte und Industrieanlagen, welche durch Strassenbeleuchtung und Lichtreklamen die bekannten Lichtglocken über den Metropolen erzeugen. Belgien beleuchtet sogar überflüssigerweise seine Autobahnen. Seit einigen Jahren verwenden Diskothekenbetreiber auch noch Projektionsscheinwerfer, welche taumelnde Lichtkegel am Nachthimmel erzeugen. Las Vegas ist stolz auf hunderte himmelwärts strahlende Skybeamer.

Manche Städte, wie Karlsruhe, legen bei ihrer Strassenbeleuchtung sogar öffentliche Wettbewerbe auf. Bei der Kampagne "Wo brennt eine Strassenlampe nicht?" werden alljährlich Einwohner ausgezeichnet, die den Stadtwerken ausgebrannte Lampen melden. Sinnvoller wäre es, die Zahl der Strassenlampen zu reduzieren und ihre Lichtabstrahlung zur Seite und zur Höhe hin zu unterbinden. Das würde nicht nur der Stromverschwendung entgegenwirken, sondern auch die Navigation nachtaktiver Insekten und Zugvögel erleichtern und letztlich auch empfindlichen Menschen zu einem gesunden Nachtschlaf verhelfen.

Die Stadt Augsburg geht hier mit gutem Beispiel voran. Sie gilt deutschlandweit als die "Modellstadt für umweltfreundliche Beleuchtung". Durch Einsparungen bei den Lampen konnte der Stromverbrauch bei der Strassenbeleuchtung um 20 Prozent gesenkt werden. Der immer wieder vorgebrachte Einwand, dass weniger Beleuchtung mehr Kriminalität nach sich ziehe, wurde dabei auch entkräftet. Letztlich sind Einbrecher, Strassenräuber und Graffitimaler eben auch nur Menschen wie du und ich: sie können im Dunkeln nicht "arbeiten".

Einen grossen Schritt weiter geht man mit der Einrichtung der "Dark Sky Parks". Darunter versteht man ein klar umrissenes Gebiet, in dem der bestirnte Nachthimmel vor Verschmutzung durch Kunstlicht geschützt wird. Solche dunkle Himmelsparks gibt es bereits in Utah, Arizona und Kanada; weitere sollen (vielleicht) im Bayrischen Wald und sicherlich in den Pyrenäen und in Schottland entstehen. Dort sind die Nächte tatsächlich noch pechschwarz. Trotzdem wirft der Mensch beim Spaziergang einen Schatten. Wie das? Es ist das Licht der Sterne, das diesen Schatten erzeugt. Ein grandioses Erlebnis.

Am stärksten betroffen durch die Luftverschmutzung sind die Amateurastronomen, von denen es in Deutschland etwa 40.000 gibt. Zählt man die gelegentlichen Sterngucker hinzu, dann geht die Zahl vermutlich in die Hundertausende. Ihre Arbeit ist wichtig für den Fortschritt der Astronomie und Astrophysik. Sie überwachen zum Beispiel die ca. 2.000 veränderlichen Sterne, welche in regelmässiger oder unregelmässiger Weise ihre Helligkeit variieren. Die Amateure besitzen viele Teleskope und können ein sehr dichtes Netz der Überwachung über diese Sterne legen. Die Lichtkurven der Sterne melden sie der Fachwissenschaft zur genaueren Auswertung.

Die Hightech-Teleskope der Wissenschaftler dringen zwar tiefer ins All ein, aber es sind nur vergleichsweise wenige Sternwarten. Ihr Blick ins All beschränkt sich oftmals nur auf ein wichtiges Detail, das aber Wochen und Monate mit Akribie verfolgt wird. Damit können die Amateurastronomen natürlich nicht mithalten. Aber: viele Augen sehen mehr als wenige, das ist die Stärke der Hobby-Forscher. Mancher Amateur hat schon Kometen, Kleinplaneten, ja sogar Exo-Planeten und Galaxien entdeckt. Kein anderer Amateurbereich ist so eng mit der Wissenschaft verzahnt. Aldi und Lidl tragen dazu bei, indem sie preiswerte Teleskope auf ihren Wühltischen anbieten.

Richtig Spass machen Teleskope, wenn sie Elektromotoren und Schneckengetriebe für die optische Nachführung besitzen; dann muss das Fernrohr nicht mehr ständig von Hand nachjustiert werden. In Verbindung mit dem Computer entstand daraus die sog. Computerastronomie - der digital vermittelte Zugang zum Sternenhimmel. Er ist besonders im Winter attraktiv. Kein Zähneklappern, keine Nackenstarre, keine steif gefrorenen Hände mehr. Stattdessen Astronomie im warmen Wohnzimmer auf dem Sofa - vielleicht sogar bei einem Glas Rotwein.

Die ultimative Steigerung ist, wenn man gar nicht mehr selbst am Fernrohr steht, sondern, wenn das Fernrohr "irgendwo" ist. Zum Beispiel in Namibia, wo es solche Teleskope bereits zu mieten gibt, die man von Deutschland aus über das Internet steuern kann. Am dortigen klaren Nachthimmel werden die astronomischen Aufnahmen gemacht, die dann der Drucker in Castrop-Rauxel prompt ausspuckt. Inzwischen gibt es bereits ganze "Farmen", die solchen "Astrourlaub" anbieten. Wow!

Hoffen wir, dass die Lichtverschmutzung nicht auch noch in diesen bislang unberührten Gegenden ankommt. Denn wir sollten bedenken, dass das Licht entfernter Sterne und Galaxien Hunderte, Tausende, ja Millionen Jahre braucht um zu uns zu gelangen.

Was für eine Tragödie, es in der letzten Millisekunde seiner Reise zu verlieren.

1 Kommentar:

  1. Ich komme gerade von einer zweiwöchigen Radtour durch das Kimberley im nordwesten Australiens zurück,so ich täglich unter gefühlten 10.000 (anderen!) Sternen inkl. Milchstraße im Freien geschlafen habe - was für ein überwältigender Anblick, und wie schade, dass wir ihn hier nicht erleben können. Und bei dieser Frequenz an Sternschnuppen gehen einem sogar ganz schnell die Wünsche aus...

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