Sonntag, 27. September 2009

Aller Anfang ist schwer

Wer erinnert sich nicht an die Zeit im Pennal, wenn bei der Klassenarbeit "Deutscher Aufsatz" der allererste Satz einfach nicht aus der Feder fliessen wollte. Umgekehrt: hatte man einen guten Einstieg ins Thema gefunden, dann waren sogar die folgenden 10 oder 20 Seiten keine Qual mehr.

Anfangen heisst auswählen. Das fällt auch gestandenen Schriftstellern und sogar Dichtern nicht immer leicht. Im Idealfall ist der Anfang der Roman "in nuce", in der Nussschale. Und der erste Satz ist der Türöffner. Bei dem riesigen Literaturangebot in den Buchhandlungen entscheidet er nicht selten darüber, ob ein Buch gekauft wird oder ob man sich von ihm abwendet. Der amerikanische Schriftsteller William Faulkner hat folgende Regel für den ersten Satz aufgestellt: "Schreibe den ersten Satz so, dass die Leser unbedingt den zweiten lesen möchten - und dann immer so weiter." Einfach, nicht wahr?

Zwei Extrembeispiele sollen das verdeutlichen. In Frank Schulz´ Buch "Kolks blonde Bräute" ist der erste Satz reduziert auf ein einziges Wort: Strapse! Und James Joyce beginnt in "Finnegans Wehg" (deutsche Fassung) wie folgt: Flussaufs, vorbei an Adam und Eva, von KüstenKurven zur BuchtBiegung, führt uns durch einen kommodien Uoikuss der Rezierkuhlation zurück nach Haus Castell und Emccebung. Bei diesen beiden Werken gibt es vermutlich keine Überlappung der Käufergruppen.

Berühmte Anfänge gab es bereits bei den Werken der Antike. Wie Julius Caesar seine Erinnerungen "De bello Gallico" begann, wusste (früher) jeder Gymnasiast: Gallia divisa est in partes tres. (Die Übersetzung: Gallien zerfällt in drei Teile wirkt demgegenüber fast banal.) Und Homer eröffnet die Gesänge der "Ilias" mit: Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus, / ihn, der entbrannt den Achaiern unnennbaren Jammer erregte. (Leider beschränkt sich meine humanistische Bildung lediglich auf Latein.)

Die Klassiker Goethe und Schiller glänzen in ihren Dramen und Prosawerken natürlich auch mit Passagen, die heute noch viele zitieren können. Allen voran Goethe mit seinem Eingangsmonolog beim "Faust": Habe nun ach! Philosophie,/ Juristerei und Medizin / und leider auch Theologie / durchaus studiert, mit heissem Bemühn... (Verglichen damit wirkt der Eingangstext beim "Hamlet" relativ belanglos; der berühmte Monolog Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage befindet sich in der Mitte des Dramas.) Schiller möchte ich zitieren mit seinem "Don Carlos", wo am Anfang der Beichtvater Domingo den wundervollen Satz spricht: Die schönen Tage von Aranjuez sind nun zu Ende, mein Prinz. Und nochmals Goethe, er kann es auch ganz nüchtern, denn "Dichtung und Wahrheit" beginnt mit: Am 28. August 1749, mittags mit dem Glockenschlag zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt.

Viel Information packte E.T.A. Hoffmann in den Romananfang bei "Das Fräulein von Scuderi": In der Strasse von St. Honore war das kleine Haus gelegen, welche Madeleine de Scuderi, bekannt durch ihre anmutigen Verse, durch die Gunst Ludwig des XIV und der Maintenon, bewohnte.

In der Neuzeit angelangt sind wir mit Franz Kafka, dessen Roman "Der Process" wie folgt beginnt: Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne, dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet. Und noch verdichteter ist der Anfang beim "Schloss": Es war spät in der Nacht, als K. ankam.

Günter Grass leitet seinen Roman "Die Blechtrommel" mit einer (versteckten) Negation ein, konfrontiert den Leser mit einem verwunderlichen Sachverhalt und macht ihn dadurch neugierig: Zugegeben: ich bin Insasse einer Heil-und Pflegeanstalt, mein Pfleger beobachtet mich, lässt mich kaum aus dem Auge; denn in der Tür ist ein Guckloch und meines Pflegers Auge ist von jenem Braun, welches mich, den Blauäugigen, nicht durchschauen kann; mein Pfleger kann gar nicht mein Feind sein. Im "Butt" macht er es dann kürzer mit dem klassischen Satz: Ilsebill salzte nach.

Superb ist der Anfang bei Max Frisch´Roman "Stiller". Er beginnt mit: Ich bin nicht Stiller! Die Thematik der folgenden 400 Romanseiten sind kondensiert auf die 4 Worte des Anfangs.

Der Komponist Richard Wagner hat seine Libretti bekanntlich selbst geschrieben. Sie sind von so hoher sprachlicher Qualität, dass man ihn durchaus als Schriftsteller bezeichnen könnte. In der "Walküre", einer Oper aus den Ringzyklus, stürzt Siegmund nach den Vorspiel erschöpft in Hundings Hütte und singt den ersten Satz: Wess´Herd dies auch sei / hier muss ich rasten. Und im "Rheingold" goutiert man sogar den (alliterativen) Gesang der hübsch anzusehenden Rheintöchter, weil er mit der Musik und dem szenischen Geplantsche konform geht: Weia! Waga / Woge, du Welle, / walle zur Wiege! / Wagala weia! / Wallala weiala weia.

Abschliessend noch ein Beispiel für einen Schlussgag, den sich der ansonsten weniger bekannte Schriftsteller Thomas Kapielskis in seinem Roman "Aqua Botolus" geleistet hat:

Beim nächsten Mal habe ich die Dinger aber doch gekauft, und dann ist folgendes passiert.

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