Sonntag, 17. April 2011

Die Japaner ticken anders

Während in Deutschland -  im Nachgang zu den Atomstörfällen von Fukushima - bereits ein Moratorium für Kernkraftwerke und der Komplettumstieg auf erneuerbare Energien verkündet wurde, hört man aus Japan nichts dergleichen. Im Gegenteil: der japanische Ministerpräsident Naoto Kan spricht vom "Wiederaufbau" seiner zerborstenen Kernmeiler, wiewohl an anderer Stelle und nach besserer Bauart. Dabei war Japan, vor noch nicht allzu langer Zeit, sogar weltweit führend auf dem Gebiet der regenerativen Energien. Bis 1955 hatte Japan die Hälfte seines Energiedarfs aus erneuerbaren Quellen wie Photovoltaik, Wind und Erdwärme gwonnen.

Wegen der um 25 Prozent höheren Sonneneinstrahlung als in Mitteleuropa waren auf vielen Dächern der japanischen Häuser Sonnenkollektoren installiert. Heute sind diese weitgehend verschwunden und die Herstellerfirmen (Hitachi, Sanjo, Sharp etc.) verkaufen ihre Anlagen vorwiegend ins Ausland. Weitgehend ungenutzt ist auch die Erdwärme der rund hundert Vulkane und der 10.000 heissen Quellen, genannt Onsen, welche die Japaner bevorzugt zu Badezwecken benutzen. Die aus Sonne, Wind und Erdwärme gewonnene Energie machen derzeit in Japan nur jeweils magere 3 Prozent aus. ( Deutschland gewinnt zur Zeit 17 Prozent aus den Erneuerbaren).

Der Grund für den geringen Ausbau, bzw. den Rückgang der erneuerbaren Energieträger war ihre mangelnde Wirtschaftlichkeit. Um 1970 begann Japan im grossen Stil die Kernkraft auszubauen. Heute verfügt dieses Land über 55 Kernkraftwerksblöcke  in 18 Kernkraftwerksstandorten (einschliesslich Fukushima, von dessen 6 Blöcken mindestens 4 stillgelegt werden sollen). Von den 55 Kernkraftwerksblöcken sind 16 älter als 30 Jahre. Die 28 Siedewasserreaktoren und die 26 Druckwasserreaktoren tragen knapp 30 Prozent zur japanischen Stromerzeugung bei. Darüberhinaus besitzt Japan noch einen Schnellen Brüter der Leistung von 350 Megawatt, welcher in seinem Aufbau weitgehend dem deutschen SNR 300 in Kalkar ähnelt, der 1991 aus politischen Gründen stillgelegt worden ist.

Der Ausbau des Brennstoffkreislaufs

Grosse Anstrengungen wurden in Japan in den letzten Jahrzehnten unternommen, um den Brenstoffkreislauf auszubauen. Darunter versteht man jene periphären Anlagen, welche die Kernkraftwerke mit Brennelemente versorgen, bzw. die abgebrannten Brennelemente entsorgen. Während in Deutschland diese Fabriken - Stichwort Hanau, Wackersdorf - auf politischen Druck hin stillgelegt worden sind, wurden sie in Japan, mit Unterstützung der Politik, in grossem Stil aufgebaut.

Die Versorgung mit Uran wird durch Importe aus Australien, Kanada, Kasachstan und anderen Ländern gedeckt, wozu viele Joint-Ventures japanischer Firmen mit ausländischen beitragen. Für die Anreicherung stehen in Oishitai sieben Zentrifugenkaskaden bereit; derzeit werden diese durch effizientere Ultrazentrifugen ersetzt. Im Endausbau soll um das Jahr 2020 eine Anreicherungskapazität von 1.500 t SWU pro Jahr zur Verfügung stehen.

Die Uranbrennelemente werden grösstenteils in Tokai Mura gefertigt, wofür eine Anlage mit der Jahreskapazität von 440 Tonnen zur Verfügung steht. Eine weitere Fertigungsanlage für 600 jato ist im Aufbau. Die Mischoxidbrennelemente, welche das überschüssige Plutonium verbrennen sollen, werden im Iyasakatai (Hokkaido) hergestellt; die Fabrik besitzt eine Kapazität von 130 jato.

Eine Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Brennelemente wird seit 1981  in Tokai Mura betrieben. Sie besitzt eine Kapazität von 210 Tonnen pro Jahr. Die wesentlich grössere Anlage, für 800 jato, wird derzeit in Rokkasho Mura in Betrieb genommen. Mit ihrer Kapazität entspricht sie dem zweifachen dessen, was in den achziger Jahren in Wackersdorf geplant war. Ausserdem wird nächstes Jahr in Mutsu ein Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente in Betrieb gehen, das eine Aufnahmefähigkeit von 5.000 Tonnen Schwermetall besitzt.

Schliesslich sind zwei Verglasungsanlagen für hochradioaktive Abfälle zu nennen. Die eine, in Tokai, ist schon seit 1995 in Betrieb; die andere, wesentlich grössere, soll nächstes Jahr die Produktion von Glaskokillen aufnehmen. An diesem Standort lagern auch die Kokillen aus der Wiederaufarbeitung japanischer Brennelemente im Ausland (La Hague, Sellafield). Die hochradioaktiven Abfälle sollen später in ein Tiefenlager verbracht werden.

Kernkraftwerke der dritten Generation

Die Planung neuer verbesserter Kernkraftwerke geschieht in allen Industrieländern der Welt - ausgenommen Deutschland. Diese Kernkraftwerke der sogenannten dritten Generation sind heute marktreif und bilden die Grundlage für die Neubauten der kommenden Jahre und Jahrzehnte. Üblicherweise unterscheidet man 4 Kategorien - bzw. Generationen - in der nunmehr 60 Jahre andauernden Evolution der Kernkraftwerke. Die erste Generation umfasst die frühen Prototypen der 1950er Jahre. Ihnen folgten die Mehrzahl der heute noch betriebenen Meiler. Durch sorgfältige Wartung und laufende Erneuerung wurde ihre Laufzeit in den meisten Ländern auf 60 Jahre verlängert. Parallel dazu wurden in den vergangenen Jahrzehnten die fortgeschrittenen Reaktoren der dritten Generation entwickelt, von den einzelne bereits im Bau sind. Der Europäische Druckwasserreaktor, genannt EPR, ist ein solcher Typ der 3. Generation. Aber schon arbeiten Forscher an der vierten Generation von Kernkraftwerken, worunter man u. a. innovative Schnelle Brüter versteht.


Die vier Generationen der Kernkraftwerke

Die Schwerpunkte bei der Entwicklung der Kernkraftwerke der dritten Generation sind Sicherheit, Ressourcenschonung und Wirtschaftlichkeit. Eine innovative Entwicklung der letzten Jahrzehnte sind die sogenannten passiven Sicherheitssysteme. Sie basieren auf physikalischen Naturgesetzen, wie der Schwerkraft. Im Unterschied zu den aktiven Sicherheitssystemen benötigen passive Systeme keine Pumpen oder motorgetriebene Ventile, sondern erfüllen ihre Funktion ohne Energiezufuhr von aussen. Im Falle einer schweren Störung sind, je nach Reaktortyp, für 12 bis 72 Stunden keine Eingriffe durch Menschen erforderlich. (Der Fukushima-Störfall findet bei ihnen nicht statt!)

Insbesondere gegen Einwirkungen von aussen - wie Erdbeben, Überschwemmungen, Flugzeugabsturz und terroristische Angriffe - sind die Kernkraftwerke der dritten Generation weitaus besser geschützt als die derzeitigen Reaktoren. Alle Auswirkungen eines Unfalls sind auf die Anlage selbst beschränkt. Es findet keine Freisetzung von Radioaktivität nach aussen statt, weshalb im Falle eines Störfalls auch keine Evakuierungen erforderlich sind. Durch passive bauliche Barrieren wird sichergestellt, dass die verbleibende Wärme ohne Beeinträchtigung der Umwelt abgeführt werden kann und die radioaktiven Stoffe eingeschlossen bleiben. Insbesondere die Risiken starker Erdbeben und daraus erwachsender Tsunamis sind in Japan höher als andernorts. Die untenstehende Karte verdeutlicht dies.



Die Reaktorstandorte Japans sind umgeben von geologischen Spalten

Im Bau und in der Planung von Kernkraftwerken der dritten Generation ist Japan weiter voran als die meisten anderen Länder. Ursächlich dafür sind die grossen eigenen Herstellerfirmen im Land sowie wettbewerbsfähige internationale Konsortien. So plant die Weltfirma Mitsubishi Heavy Industries drei Einheiten des sogenannten APWR 1500 in Japan; sie stellen eine Weiterentwicklung des derzeitigen Druckwasserreaktors dar, der eine Leistung von 1.500 Megawatt besitzen soll.
Auf dem Gebiet der Siedwasserreaktoren sind zwei Einheiten des sogenannten ABWR im Bau und weitere acht Einheiten in der Planung; die Reaktorleistungen schwanken zwischen 1350 und 1600 MWe. Das japanisch-amerikanische Herstellerkonsortium besteht aus Hitachi/Toshiba/General Electric.

Was bringt die Zukunft?

Die Japaner gehen mit dem Reaktorstörfall im eigenen Land weniger hysterisch um als die Deutschen, welche ihn aus zehntausend Kilometern beobachten. Die möglicherweise mehr als 30.000 Toten sind für sie aufgrund des starken Bebens und des nachfolgenden Tsunamis gestorben; die Reaktoren haben keine Menschenleben gefordert. Ob durch die Strahlung (wenige) Menschen früher Krebserkrankungen erleiden ist, nach Meinung ihrer Wissenschaftler, durchaus fraglich. Die Evakuierungen sind objektiv Auswirkungen der Umgebungskontamination, werden aber von den meisten mit erstaunlichem Gleichmut hingenommen. Protestveranstaltungen gegen die Kernenergie haben, ausser in Tokio, kaum Zulauf.

Die politische und wirtschaftliche Elite Japans denkt offensichtlich nicht daran, die Kernenergie aufzugeben und beispielsweise auf erneuerbare Energien umzuschwenken. Aus wirtschaftlichen Gründen und um die globale Wettbewerbsfähigkeit nicht zu verlieren, will man an der Kernkraft festhalten. Allerdings werden wohl in Zukunft die Genehmigungsanforderungen an die bestehenden und neu zu bauenden Kraftwerke erhöht werden. Dabei bleibt bemerkenswert, dass selbst die "Altmeiler" wie Fukushima - welche in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts geplant wurden - ein Jahrtausenderdbeben durch Abschaltung überstanden haben und erst durch den nachfolgenden Tsunami bei der Notkühlung beschädigt wurden.

Inzwischen wird der Unfall von Fukushima in die gleiche Katagorie wie der von Tschernobyl eingereiht, welcher vor 25 Jahren passierte. Damals konnte man in den Medien lesen, dass dieses Gebiet auf Jahrhunderte hinaus nicht mehr betretbar sei. Inzwischen gibt es spezielle Reisebüros, die Touristen (für 760 Euros) dorthin locken wollen und garantieren, dass kein Gesundheitsschaden damit verbunden ist. Gegen Aufpreis darf man sogar im Kühlwasserbecken des Unglücksreaktors angeln!

Da erinnert man sich doch an den vielgeschmähten Philosophen Karl Marx. Er hat einmal gesagt, dass alle weltgeschichtlichen Tatsachen sich zweimal ereignen:

das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce.

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