Sonntag, 8. Mai 2011

Wohin mit dem Schrott aus Fukushima?

Die vier havarierten Kernkraftwerke in Fukushima sollen nicht mehr in Betrieb genommen, sondern abgerissen werden. Zumindest nach den Vorstellungen der japanischen Regierung. Der Betreiber TEPCO hat sich dazu noch nicht so eindeutig geäussert; vielleicht hält er die Wiederinbetriebnahme des einen oder anderen Blocks doch noch für möglich. Da die Kraftwerke jedoch wochenlang mit hochkorrosivem Meerwasser besprüht wurden, ist dies eher unwahrscheinlich.

Der Rückbau eines lange betriebenen Atomkraftwerks unterliegt anderen Regeln als beispielsweise der Abriss eines Hochhauses. Deutschland hat auf diesem Gebiet weltweit den grössten Erfahrungsschatz, ist gewissermassen Weltmeister im Abreissen von Kernkraftwerken. Von den ursprünglich 36 Meilern sind nur noch 17 in Betrieb, wobei 8 von der Bundesregierung aufgrund der Fukushima-Störfälle zur Stilllegung verpflichtet wurden. Von den schon seit längerem ausser Betrieb gestellten 19 Kernkraftwerken sind drei bereits bis zu der berühmten "Grünen Wiese" vollständig abgebaut (VAK Kahl, KKN Niederaichbach, HDR Grosswelzheim); der Rest befindet sich in den verschiedenen Stadien des Rückbaus.



Der ehemalige Standort des KKN Niederaichbach bei Landshut, nunmehr "Grüne Wiese" mit Gedenkstein und neu gepflanzten Baum.
(Im Bild der Verfasser)

Die strahlende Bratpfanne

Wie baut man ein Kernkraftwerk ohne Gefahr für die mitwirkenden Arbeiter und die Umwelt ab? Nun, dafür gibt es mittlerweile wohlerprobte Regeln. Zuerst werden die Brennelemente und das Kühlmedium entfernt. Die Brennelemente bringt man zu einer Wiederaufarbeitungsanlage (in England oder Frankreich) oder in ein externes Zwischenlager. Das Kühlmittel, zumeist Wasser - in seltenen Fällen auch Natrium - wird aus den Kreisläufen entfernt und in Spezialanlagen von der Strahlung befreit. Was dann an Materialien noch übrig bleibt ist im wesentlichen Metall aus den Kreisläufen und Betonschutt aus den Reaktorgebäuden, zuzüglich geringen Mengen an Plastik.

Der Rückbau eines weitläufigen Kernkraftwerks wird so organisiert, dass man zuerst  die äusseren - nichtradioaktiven - Gebäude (mit der Abrissbirne) abreisst und sich von dort ins Innere (Richtung Reaktortank) vorarbeitet. Ab einer gewissen Stelle ist die "hands on - Methode" aus Gründen der Strahlung nicht mehr möglich und man muss ferngesteuerte Abrissroboter einsetzen. Die abgebrochenen Materialien werden sortiert, sodass man zum Schluss - bildlich gesprochen - im wesentlichen zwei Haufen vorliegen hat: den Metallschrott und den Betonschrott.

Diese Haufen werden nun feinsortiert je nach der Stärke ihrer Strahlung. Die stark strahlenden Materialien werden zur (späteren) Endlagerung vorgesehen, die nichtstrahlenden können wie jedes normale Abbruchmaterial weiterverwendet werden und die dazwischen liegenden Chargen müssen vor ihrer Rezyklierung gesondert behandelt werden, insbesondere von der Strahlung (so gut wie möglich) befreit werden. Der Laie macht sich häufig ein falsches Bild von den Quantitäten dieser drei Kategorien. Im Falle des KKN Niederaichbach waren insgesamt 75.000 Tonnen Schrott angefallen. Davon waren 92 Prozent nicht radioaktiv und konnten sofort wiederverwendet werden. Zwei Prozent, also weniger als 2.000 Tonnen mussten dem Endlager zugeführt werden; sechs Prozent, also etwa 5.000 Tonnen, wurden nach der Dekontamination wieder verwendet.

Grosse Sorgfalt ist darauf zu legen, dass die strahlenden Chargen keinesfalls mit den nichtstrahlenden  vermengt werden. Radioaktiver Eisenschrott darf nicht in normale Hochöfen gelangen und von dort zu Bratpfannen oder Blechen für Automobile verarbeitet werden. Die Hausfrau bzw. der Taxifahrer würden sich sonst unbewusst permanent bestrahlen. Da am Ende der Rezyklierungskette im allgemeinen nicht mehr auf Radioaktivität kontrolliert wird, hat dies am Anfang, also gleich beim Rückbau der Kernkraftwerke zu geschehen. Dafür gibt es bindende Richtwerte, die von der Bundesregierung erlassen und von den Aufsichtsgremien überwacht werden.

Grenzwerte und Freigabe

Die Internationale Atombehörde in Wien (IAEO) hat einige grundlegende Empfehlungen für die Beseitigung und Verwertung von radioaktiven Stoffen aus zurückgebauten Kernkraftwerken aufgestellt. Die wohl Wichtigste ist, dass die Strahlendosis, welche auf die Kerntechnik zurückzuführen ist, sich im Bereich der Schwankungen der natürlichen Radioaktivität bewegen soll. Die Strahlendosis, welcher jeder Mensch in Deutschland im Mittel aufgrund der kosmischen und terrestrischen Stahlung ausgesetzt ist, beträgt im Mittel 2.400 Mikro-Sievert plus/minus 10 Prozent. Den rechnerischen Wert von 240 Mikro-Sievert hat die Deutsche Strahlenschutzkommision (SSK) nochmals auf 10 Mikro-Sievert reduziert.

Die SSK hat auch Regeln für die tägliche Praxis erlassen. So erhält beispielsweise der Metallschrott aus Kernkraftwerken die Freigabe zur Wiederverwertung, wenn seine Aktivität weniger als 0,1 Becquerel pro Gramm (Bq/g) beträgt. Bequerel ist ein Mass für die pro Sekunde ausgesandten Strahlen. Liegt die Aktivität (oder die Oberflächenkontamination) über 1 Bq/g, so muss der Schrott zu einer speziellen Giesserei gegeben werden, welche die Lizenz zur Handhabung solcher Materialien besitzt. Interessant ist, das die Radioaktivität von Eisenschrott nur zum geringen Teil aus dem Eisen selbst stammt, sondern grösstenteils von dem zulegierten Cobalt. Das im Reaktor generierte Nuklid Co-60 sendet eine intensive Gammastrahlung aus und besitzt eine Halbwertszeit von 5,3 Jahren. Das bedeutet, dass die Strahlung des Eisenschrotts nach etwa 25 Jahren auf 4 Prozent des Ausgangswerts abgeklungen ist.

Die Freigabe von Betonschutt erfolgt sinngemäss nach den gleichen Regeln. In Falle seiner Wiederverwertung wird er häufig für den Unterbau von Strassen bzw. zur Auffüllung von Hohlwegen verwendet. Stark strahlender Schutt und Schrott werden dem Endlager zugeführt.

Die genannten Bequerel-Grenwerte lassen sich am besten durch den Vergleich mit natürlichen radioaktiven Stoffen beurteilen, von den einige in der untenstehenden Tabelle zusammengestellt sind.


Bq/Gramm
Mensch0,1
gedüngter Ackerbodem0,4
Zement0,2 bis 1,0
Beton0,3 bis 2,2
natürlicher Gips0,1 bis 1,3
Granit0,9 bis 1,2
Phosphat0,3 bis 10,0
Kalidünger15


Tabelle einiger "natürlich" radioaktiverStoffe


Die wichtigsten natürlichen Radioisotope im menschlichen Körper sind die Betastrahler, wie Kalium-40. Ihre Zerfallsenergie wird nahezu vollständig im Körper absorbiert. Baumaterialien, wie Beton und Gips, geben Radon ab und belasten hauptsächlich die Lungen der Hausbewohner. Die im Boden, z. B. im Granit enthaltenen Radionuklide sind die Ursache des terrestrischen Anteils der natürlichen Strahlenbelastung des Menschen. Sie wird vorallem durch Gammastrahlung verursacht. Der Kalidünger, schliesslich, ist ein Beispiel für für den langen Weg eines Radioisotops vom Boden über die Pflanze und das Tier zum Menschen.

Deshalb: den Rasen mit Kalidünger aufbessern und auf der granitenen Steinbank den Blumen beim Wachsen zusehen, ist nicht ganz ungefährlich.

2 Kommentare:

  1. Wir sind insbesondere auch Weltmeister im Rückbau von Industrieanlagen und der Mox-Brennelemtanlagen.

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  2. Da gibt es dann nur das Problem, dass es den hochradioaktiven Müll, der für Jahrtausende strahlt, immernoch gibt. Meistens wird er von der beschworenen "grünen Wiese" zu einer anderen gebracht und in, wie manche sagen, "einer Kartoffelscheune" weitergelagert. Möglicherweise muss man dort dann Umpackstationen errichten und hoffen, dass es für die nächsten Jahrtausende qualifizierte Menschen gibt, die alle 40 Jahre die Glaskokillen oder Brennstäbe von alten in neue Zwischenlagerbehälter umpacken, denn eine Endlagerung könnte sich als undurchführbares Risiko erweisen. Vermutlich verlassen sich "die Entscheider" aber wie immer darauf, dass es erst nach ihrer Amts- oder Lebenszeit richtig schiefgeht.

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