Sonntag, 26. Juni 2011

Japanisches Durcheinander

Preisfrage:  Gesetzt den Fall, ein Kernkraftwerk gerät in eine bedrohliche Lage - sei es,dass die Abschaltstäbe nicht funktionieren oder, dass die Kühlung versagt - wem traut man dann am ehesten zu, diese Situation zu beherrschen? Dem Betriebsleiter der Anlage, dem Generaldirektor des Konzerns oder gar dem Ministerpräsidenten des Landes? Bei allem Respekt für die beiden Letztgenannten: die allermeisten würden wohl hilfesuchend auf den Betriebsleiter blicken und ihm das grösste Vertrauen entgegen bringen. Wenn ein Schiff beim Kap der Guten Hoffnung in Seenot gerät, wird man auch nicht den Reeder in Hamburg um Hilfe ersuchen.

Das war anders bei den wohlbekannten Reaktorstörfällen in Fukushima. Und das hängt zusammen mit der andersartigen Mentalität der Japaner.

Als am 11. März 2011, einem Freitag Nachmittag um 14 Uhr 46 (japanischer Zeit), ein Seebeben der Magnitude 9,0 die vier Kernkraftwerke im Ortsteil Daiichi durchrüttelte, war die Welt, vergleichsweise, noch in Ordnung. Drei Reaktoren schalteten sich selbsttätig ab, der vierte war wegen Wartungsarbeiten gar nicht in Betrieb. Die elektrische Stromversorgung des umliegenden Netzes war zwar ausgefallen, aber die für solche Fälle bereitstehenden Diesel sprangen automatisch an und sicherten die Kühlung der Reaktorkerne mit Wasser.

Eine Stunde später traf ein Tsunami von 14 Metern Höhe ein und überschwemmte den nur 5,7 Meter hohen Schutzwall sowie alle Dieselaggregate. Die Notstromversorgung kam zum Erliegen, die Urankerne der Reaktoren heizten sich wegen der verbliebenen Nachwärme stetig auf. Der generierte heisse Wasserdampf reagierte chemisch mit dem Zirkonmetall der Brennstabhüllen unter Freisetzung von Wasserstoff. Einen Tag danach kam es beim Reaktor Fukushima 1 (später bei 2 und 3) zu einer heftigen Knallgasexplosion, welche die Reaktorgebäude massiv beschädigte und undicht machte. Die Urankerne waren inzwischen ganz oder teilweise geschmolzen und setzten die radioaktiven Gase Jod, Cäsium und Strontium in die Umgebung frei.

Hier setzt die Kritik ein, die man unseren japanischen Freunden nicht ersparen kann. In den überaus wichtigen Stunden unmittelbar nach dem Ausfall der Notkühlung wurde zuviel Zeit verschwendet. Statt mobile Notstromgeneratoren und Pumpen schnellstens per Hubschrauber aus dem 300 Kilometer entfernten Tokio heranzuschaffen, liess man die vergleichsweise schwachen betrieblichen Akkus leerlaufen. Die Konzernmutter TEPCO in Tokio war nicht in der Lage die Betriebsleute vor Ort wirkungsvoll zu unterstützen. Zur gleichen Zeit offerierte die US-Regierung - welche die Gefährlichkeit der Lage von Anfang an richtig einschätzte - der japanischen Regierung ihre Hilfe. Aus militärischen Beständen auf den japanischen Stützpunkten bot man Pumpenwägen, unbemannte Drohnen und Messroboter an. Doch der Ministerpräsident Naoto Kan lehnte höflich ab; ein Asiate will eben nicht sein Gesicht verlieren.


Ministerpräsident Naoto Kan;
Fukushima brachte ihn ins Schwitzen

Auch zwischen Tepco und dem Regierungschef funktionierte die Kommunikation nicht. Als Kan die Konzernmanager am Samstag abend (12. März) zur Berichterstattung empfing, erzählten ihm diese alles Mögliche - nur nicht, dass es wenige Stunden vorher bei Block 1 zu einer Wasserstoffexplosion gekommen war. Der Ministerpräsident erfuhr das nach der Sitzung von den Presseleuten und war entsprechend wütend. Nach weiteren Explosionen bei den Reaktoren 2 und 3 tags darauf, marschierte der Naoto Kan - einmalig für japanische Verhältnisse - um 5 Uhr 30 früh(!)  samt Gefolge zur Tepcozentrale und verlangte sofortige Aufklärung über alle Vorkommnisse. Gleichzeitig liess er seinen Vertrauensmann Goshi Hosono dort, der zukünftig an allen wichtigen Vorstandssitzungen  teilnehmen sollte, um Kan Bericht zu esrtatten. (Geheimnisse konnten ab dann also nur noch in der Herrentoilette besprochen werden.)

Ein Drama für sich war die Entscheidung zum Bespritzen der Reaktorkomponenten mit Meerwasser aus Feuerwehrschläuchen. Der Betriebs- und Anlagenleiter Masao Yoshida forderte die Genehmigung für diese  Massnahme von seinen Chefs in Tokio an, insbesondere um die hochgefährdeten Reaktortanks sowie die innenliegenden Brennelemente abzukühlen. Tepco sträubte sich längere Zeit dagegen, gab aber schliesslich doch die Zustimmung - um sie 21 Minuten später wieder zurück zu ziehen. Angeblich hatte man "aus der Umgebung des Ministerpräsidenten gehört", dass dieser ebenfalls dagegen sei. Das war jedoch nur vorgeschoben; in Wirklichkeit wusste Tepco, dass nach dem Einpumpen des korrosiven Seewassers die Kernkraftwerke nicht mehr zu gebrauchen waren. Den Betriebsleiter Yoshida im fernen Fukushima focht dies jedoch nicht an. Geradezu einmalig für japanische Verhältnisse ignorierte er den Stopp-Befehl aus Tokio und besprühte weiterhin seine Reaktoren mit Meerwasser. Auch der Anordnung zum Verlassen der Anlage kam er nicht nach, wobei er die Unterstützung des Ministerpräsidenten hatte, der darin ein unheilvolles Fanal gesehen hätte.


Masao Yoshida, Betriebschef der Fukushima-Kernkraftwerke

Die früher hoch angesehene Firma Tepco hat sich bei der bisherigen "Bewältigung" des Fukushima-Desasters nicht mit Ruhm bekleckert. Besonders zu kritisieren ist ihre verspätete und lückenhafte Informationspolitik. Beispielhaft dafür ist, dass Tepco erst Mitte Mai - also zwei volle Monate nach Beginn des Unglücks - der Öffentlichkeit mitteilte, dass in allen drei Reaktoren die Urankerne zumindest angeschmolzen sind.

Es wird noch viele Monate dauern, bis die Anlagen in Fukushima in einen stabilen Zustand überführt sind - und noch viele Jahre, bis die Reaktorkerne gesichert entladen sind.

Postscriptum:
Fukushima ist offensichtlich überall. Nun  haben die Folgen des Bebens und des Tsunamis auch den Ort Naka erreicht. Dort, nördlich von Tokio, werden die Supraleitungsmagnete des Fusionsprojekts ITER erforscht. Wegen der Zerstörung der Gebäude und der Labors rechnet der japanische Vizeminister für Forschung mit einer Unterbrechung der Arbeiten um ein Jahr oder sogar länger. Die Errichtung des ITER, (derzeit auf 2018 geplant) und die Volllastinbetriebnahme (auf 2026 geschätzt), wird sich also weiter hinauszögern und die Kosten (bisher 16 Milliarden Euro) werden sich entsprechend erhöhen.

2 Kommentare:

  1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  2. Hallo Herr Marth,

    ich wollte kurz "Danke" sagen für Ihren interessanten Blog, den ich erst kürzlich entdeckt habe. Wenn Sie jetzt noch ein wenig produktiver wären - sagen wir mal ein Eintrag pro Tag - wäre ich rundum glücklich ;-)

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