Samstag, 12. Mai 2012

Mit Schummeln zum Doktor?

Nun hat es also auch Deutschlands oberste Professorin, die Bildungsministerin Frau Professor Dr. Annette Schavan, erwischt. In ihrer vor 32 Jahren an der Universität Düsseldorf eingereichten Doktorarbeit wollen Internetjäger auf ca. 50 der 350 Seiten Stellen gefunden haben, in denen sie nicht korrekt zitiert hat. Damit ist Frau Schavan in guter (politischer) Gesellschaft, wie wir weiter unten sehen werden.

Derzeit werden in Deutschland pro Jahr etwa 25.000 Doktorarbeiten angefertigt und von den Fakultäten angenommen. Da es etwa auch 25.000 Professoren gibt, die berechtigt sind Doktorthemen zu vergeben, so produziert ein Professor - im Schnitt! - pro Jahr einen Doktor. Das ist eigentlich nicht viel und bei einem funktionierenden Doktorandenseminar sollte sich die (zuweilen übertrieben dargestellte) Arbeitsbelastung für die Profs in Grenzen halten.

In der öffentlichen Kritik stehen vor allem Doktorarbeiten aus den Geisteswissenschaften, also Philosophie, Jura, Wirtschaftswissenschaften, Politik etc. Aber auch bei Veröffentlichungen in den Naturwissenschaften wird zuweilen heftig getrickst; die voreiligen Veröffentlichungen angeblich überschneller Neutrinos in Italien sind dafür ein Beispiel. Die Mediziner sind nach allgemeiner Einschätzung aussen vor, weil die Qualität des deutschen Dr. med. - ausser er wurde in Biochemie erlangt - zumeist "sub standard" ist.


Sünder nur in Regierungsparteien?

Das öffentliche Theater mit den Doktorarbeiten begann im Februar 2011, als dem CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg von einer Internetplattform vorgeworfen wurde, er habe wesentliche Teile seiner Dissertation abgeschrieben. Guttenberg hatte die Arbeit von 450 Seiten mit dem Titel Verfassung und Verfassungsvertrag - Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und in der EU  im Jahr 2007 bei der Universität Bayreuth eingereicht und dafür die Bestnote summa cum laude erhalten. Nach massiven Vorwürfen, auch von Frau Schavan ("ich schäme mich dafür...") musste er bekanntlich von allen politischen Ämtern zurücktreten; die Universität erkannte ihm den Doktortitel rückwirkend ab.

Kurze Zeit darauf verloren aus ähnlichen Gründen die FDP-Politiker Frau Silvana Koch-Mehrin und Georgios Chatzimarkakis ihre Dr.-Titel, behielten aber die Ämter als Abgeordnete bei. Der Gründer von VroniPlag, Martin Heidingsfelder, ein Mitglied der SPD,  hatte sie "enttarnt".

Ende 2011 geriet der niedersächsische Minister Bernd Althusmann ins Visier der Plagiatsjäger. Dieser Fall war besonders heikel, denn Althusmann war damals nicht nur Kultusminister dieses Landes, sondern auch noch amtierender Präsident der Kultusministerkonferenz KMK. Er hatte es besonders toll getrieben, indem er sogar aus den Werken seines Doktorvaters abgeschrieben hatte und dabei auch noch falsch zitierte. (Seite 257, obwohl der Band nur 186 Seiten hatte). Der Reserveoffizier Althusmann, auch "Panzer" genannt, erhielt für seine Forschungsleistung von der Universität Potsdam das wohl angemessene Prädikat rite (ausreichend) und war damit zufrieden. Zufrieden konnte er auch mit der Entscheidung der Gutachter seiner Universität sein: sie bestätigten ihm zwar zahlreiche formale Mängel in der Dissertation, aber er durfte seinen Dr.-Titel behalten.

Dieses Glück hatte der ungarische Staatspräsident Pal Schmidt nicht. Der einstige Olympia-Fechter war als treuer Parteigänger seines politischen Ziehvaters und Ministerpräsidenten Viktor Orbán in dieses hohe Amt gelangt. Als eine Expertenkommission der Budapester Semmelweis-Universität zu der Feststellung kam, dass Pal Schmidt mindestens 197 der 215 Seiten starken Dissertation von anderen Autoren abgeschrieben hatte, war der Präsident als Staatsoberhaupt nicht mehr zu halten.

Auffallend ist, dass sich das Interesse der deutschen Plagiatjäger ausschliesslich auf Politiker der Regierungsparteien konzentriert. Dabei gibt es auch bei den Oppositionsparteien eine Vielzahl von Bundestagsabgeordneten, die mit hoffentlich berechtigtem Stolz den Doktortitel tragen. Ich nenne nur bei der SPD: Dr. Frank-Walter Steinmeier, Dr. Karl Lauterbach und Dr. Dieter Wiefelspütz.
Bei den Grünen fallen mir ein: Dr. Harald Terpe, Dr. Gerhard Schick und Dr. Konstantin von Notz. Bei der Fraktion der Linken ragen heraus: Dr. Gregor Gysi, Dr. Gesine Lötsch und Dr. Dagmar Enkelmann.


Was kann man tun?

Eine besondere Verantwortung trifft sicherlich den Doktorvater und seine beiden Co-Referenten. Sie bekommen als erste das Werk zu sehen und sollten es gründlich durchlesen. Das war zumindest bei   Guttenberg nicht der Fall. Dem Doktorvater Professor Peter Häberle hätten eine Reihe von Ungereimtheiten auffallen müssen und in der Anfangsphase wären diese noch ganz diskret zu eliminieren gewesen. Als die öffentliche Diskussion anbrach - vieles davon politisch inszeniert -  zog sich die Universität Bayreuth in ihren Elfenbeinturm zurück. Ein Professorenkreis sprach sich selbst von aller Schuld frei und entzog Guttenberg, dem Alleinschuldigen, den Doktortitel.

Ein besonderes Problem stellen die überlangen Dissertationen bei den Geisteswissenschaftlern dar. Sie erstrecken sich über 4 - 500 Seiten, manchmal streifen sie sogar die Tausendergrenze. Um diese Textflut zu bändigen, hat der Altbundespräsident Roman Herzog, ein Jurist, einen bemerkenswerten Vorschlag gemacht. Er erwägt, eine Obergrenze für diese Dissertationen einzuführen, die bei maximal 250 bis 300 Seiten liegt und welche sicherlich ausreicht, das originale Eigenwissen des Kandidaten darzustellen.

Mit einem Augenzwinkern möchte ich den Vorschlag von Herzog ergänzen. Man könnte diese langen Dissertationen grundsätzlich in zwei Abschnitte teilen und auf verschiedenfarbiges Papier schreiben: im ersten Band, auf weissem Papier, stünde das Fremdwissen, welches wie bislang zitiert werden müsste; der zweite Band, auf grünem Papier, würde zitatfrei das Eigenwissen des Kandidaten dokumentieren, also den Fortschritt der Wissenschaft darstellen.  Im allgemeinen bräuchten die drei Gutachter also nur den (wohl wesentlich dünneren) zweiten Band zu lesen und zu bewerten.

Einen bemerkenswerten Vorschlag zur Entkriminalisierung relativ alter Doktorarbeiten hat kürzlich der Bonner Professor Wolfgang Löwer ins Spiel gebracht. Er schlägt eine Verjährungsfrist für Plagiatsvergehen bei Dissertationen vor. "Wir müssen über einen Zeitraum nachdenken, nach dem wir uns die Arbeiten amtlich nicht mehr ansehen müssen" sagt der Jurist, welcher gleichzeitig Ombudsmann der Deutschen Forschungsgemeinschaft für wissenschaftliches Fehlverhalten ist. Alle Straftaten verjähren, selbst Verbrechen, auf die lebenslange Haft steht, können nach nach dreissig Jahren nicht mehr geahndet werden (ausser Mord). Es ist unverhältnismässig, dass dies nicht für Vergehen bei Dissertationen gilt. Professor Löwer schlägt bei Promotionen eine Verjährungsfrist von zehn Jahren vor


Schavans Gewissensfrage

Die Causa Schavan ist derzeit noch weitgehend offen. Der Titel ihrer 1980 an der Universität Düsseldorf angefertigten Doktorarbeit lautet Person und Gewissen - Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung. Schavan wurde im Jahr 2009 zur Honorarprofessorin an der Freien Universität Berlin ernannt. Eine Gruppe von Plagiatsjägern beschäftigte sich seit Anfang 2012 mit Recherchen zur Dissertation der Ministerin und kam zu der Ansicht, dass ausser kleinen Verfehlungen nichts zu kritisieren sein. Ein Mitglied dieser Gruppe war jedoch anderer Meinung, stellte dies als "unsaubere Zitierweisen" (anonym) ins Netz und brachte damit den Stein ins Rollen.

Schavan wird vorallem vorgeworfen, dass sie Primärquellen, wie Texte von Sigmund Freud, die sie in der Sekundärliteratur gelesen hatte, nur mit der Primärquelle zitierte und die Autoren der Sekundärliteratur unterschlug. Der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Professor Bernhard Kempen, warnt vor Vorverurteilungen mit dem Hinweis, dass die Zitiertechniken in den Geisteswissenschaften unterschiedlich seien und auch die von Schavan gewählte Variante zuliessen. Das hindert Politiker wie Oppermann (SPD) nicht, Schavan heftig zu krisieren. Und selbst in ihrer eigenen Partei, der Jungen Union Baden-Württemberg, werden offensichtlich alte Rechnungen vorgelegt, wenn der Landesvorsitzende Nikolas Löbel die Ministerin daran erinnert, dass ihre eigene harte Kritik an Guttenberg der "Todeskuss" für diesen Minister gewesen sei und, dass für sie jetzt die gleiche Messlatte zu gelten habe.

Im Moment liegt der Ball bei der Universität Düsseldorf. Sie hat darüber zu entscheiden, ob Schavan der Doktortitel für Zitierungsfehler (die sie als 25jährige begangen hat) aberkannt wird oder nicht. Die Universität wird sich ihr Votum nicht leicht machen, denn Schavan ist inzwischen eine hochwichtige Person für alle deutsche Universitäten. Sie wird demnächst über die Finanzzuwendungen der dritten Exzellenzinitiative massgeblich mitentscheiden und ausserdem eine Verfassungsänderung auf den Weg bringen, die den Hochschulen mehr Bundesmittel gewähren wird. Daneben ist bekannt, dass Schavan das volle Vertrauen der Kanzlerin besitzt.

Aber vielleicht machen es sich die Düsseldorfer Professoren auch ganz leicht: Schavan hat nur mit der zweitbesten Note promoviert (magna cum laude), was man auch so interpretieren kann, dass man ihr den einen oder anderen kleinen Klops in ihrer Dissertation nach 32 Jahren nicht mehr ankreiden muss.










2 Kommentare:

  1. kann es nicht erwarten, den Blog zum "wie Schummel ich mich zur Elite-Uni" (und wie steige ich als KIT ab) zu lesen ...

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  2. ... noch viel problematischer ist für unsere Gesellschaft, dass solche "gehobenen" Politiker, wie Claudia Roth über gar keinen Hoch- oder Fachschulabschluss verfügen. Das hindert sie jedoch nicht daran, dem gemeinen Wahlvolk die Welt erklären zu wollen.
    Da ist mir ein intelligenter KTzG. schon sympatischer.

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