Donnerstag, 31. Mai 2012

Was ist los beim KIT?

Beim Karlsruher Institut für Technologie (KIT) rumort es immer noch. Die Mitarbeiter sind nicht zufrieden mit den neuen Tarifverträgen; der Betriebsrat beklagt die (gegenüber früher) zurückgestutzte Beteiligung an den Gremien. Ein ehemaliger Betriebsratsvorsitzender  kritisiert in den Medien die Zulassung der "Militärforschung" an den Instituten des KIT. Der Karlsruher Bundestagsabgeordnete Ingo Wellenreuther fordert von Forschungsministerin Annette Schavan mehr Autonomie für KIT im Finanz- und Personalbereich. Und allenthalben wird bei den Mitarbeitern über die ausufernde und lähmende Bürokratie gejammert. In den letzten Wochen sind noch einige weitere Ereignisse hinzugekommen, welche die Öffentlichkeit mit Verwunderung zur Kenntnis genommen hat und die hier kurz dargestellt werden sollen.

Der Präsident ist entfleucht

Eine Überraschung allerersten Ranges war, dass der Präsident des KIT, Professor Horst Hippler, kürzlich die Kommandobrücke verliess. Er bewarb sich am 24. April 2012 um die Präsidentschaft der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), wurde in einer Kampfabstimmung gewählt und trat bereits eine Woche später seinen neuen Job in Hamburg an. Alleiniger Präsident der 8000-Personen-Organisation KIT ist ( mindestens bis zum 30. September nächsten Jahres!) der zurückgelassene Professor Eberhard Umbach. Wenn Hippler, wie er in einem Interview bekannte, unter einer 100-Stunden-Woche litt, was kommt dann auf seinen Nachfolger zu?

Dass Hippler, der "Vater des KIT", seinen bisherigen Posten - auf dem er fast ohne Limit operativ gestalten konnte - wegen einer vergleichsweise bürokratischen Verbandstätigkeit verlassen würde, leuchtet kaum jemanden ein.  Die HRK ist eine lose Vereinigung von 266 Hochschulen, die in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. Die inneren Unterschiede des Verbands, insbesondere zwischen den Universitäten und Fachhochschulen sind beträchtlich und können auch von Hippler nicht eingeebnet werden. Vorallem deswegen, weil Hippler die Universitäten bisher stets in der ersten Liga, die Fachhochschulen jedoch nur in der zweiten Liga sah. (Und darüber stehen seit einigen Jahren die sogenannten Eliteuniversitäten, wovon das KIT die erste war).

Hippler, der bisher gerne - und oft mit Erfolg - provozierte, muss sich jetzt, als Verbandschef, in Harmonie üben. In Karlsruhe konnte er für seine Absolventen den Titel Diplomingenieur solange beibehalten, bis ihn die Wissenschaftsministerin des Landes, Frau Theresia Bauer, zur Aufgabe zwang. In Hamburg muss er sich Bologna-konform geben, insbesondere, weil die Fachhochschulen und die kleineren Universitäten Gefallen an den neuen System der Bachelor und Master gefunden haben. Aber wer kann schon vorhersagen was Hippler dort tun wird? Vielleicht krempelt er die HRK in mehrere verschiedenartige Klubs um - oder er schafft sie ganz ab. Zuzutrauen wäre ihm beides.

Beim KIT wird der Abgang Hipplers kaum thematisiert. Bezeichnend dafür ist, dass in dem Mitarbeitermagazin "KIT-Dialog" nur auf Seite 5 links unten eine winzige Mitteilung darüber steht, unter der Überschrift Hippler neuer HRK-Präsident. Sic transit gloria mundi.



Horst Hippler
(aus "KIT-Dialog")


Ein Minister wittert Panikmache

Hohe Wellen schlug eine 200-Seiten-Studie des KIT zur Entwicklung der Energiebranche nach dem Atomausstieg. Sie entstand im Auftrag der baden-württembergischen Industrie- und Handelskammer (IHK) und wurde vom Vizepräsidenten des KIT, Dr. Peter Fritz, dort vorgetragen. Die Kernaussagen dieser Studie sind:  die Strompreise werden bis zum Jahr 2025 im Grosshandel um 70 Prozent     steigen, für Privathaushalte wahrscheinlich noch stärker. Und: die Energiewende wird ohne kräftige Stromeinsparungen nicht klappen.

Als der Umweltminister des Landes, Franz Untersteller von dieser Studie erfuhr, war er stocksauer. Er warf den Autoren (Fritz, Ziegahn) "Panikmache" vor, bezeichnete die Zahlen in der Studie als "hochspekulativ" und verstieg sich zu dem Satz: das Orakel von Delphi ist im Vergleich zu diesem Papier eine hochseriöse Veranstaltung. Gleichzeitig drohte er an, dass er die KIT-Studie von anderen Instituten überprüfen lassen wolle. Vermutlich meint der Grünen-Politiker damit die ihm ohnehin näher stehenden Öko-Institute. Für das KIT ist die Verstimmung des Ministers durchaus ernst zu nehmen, ist er doch für die Genehmigungen zuständig und (mittelbar) auch für die Finanzierung dieser Grossorganisation.

Von aussen betrachtet kann man die Verärgerung Unterstellers durchaus nachvollziehen. Was hat das KIT-Management veranlasst für einen Industrieverband eine Studie zur Energiesituation anzufertigen - und das in der gegenwärtig hoch aufgeheizten Diskussion um die Folgen des Atomausstiegs? Man darf bezweifeln, ob das KIT als Forschungsorganisation die richtige Adresse für Studien zur Stromwirtschaft ist. Dieses Thema ist bei den Energieversorgungsunternehmen sicherlich besser aufgehoben. Ganz daneben ist schliesslich das Bemühen um die Evaluierung des zukünftigen Strompreises; da wird man an die (allesamt falschen) Strompreisprognosen zu den frühen Zeiten des Schnellen Brüters erinnert.

Mässige Platzierungen beim CHE-Ranking

Mit Spannung werden von den Hochschulen immer wieder die Ergebnisse des sogenannten CHE-Rankings erwartet. Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) testet im Dreijahresrhythmus die beliebtesten Studienfächer nach einem bestimmten Prinzip. Die fünf Kriterien sind: Forschungsgelder, Zitationen, Ausstattung Praktikumslabore, Betreuung sowie Studiensituation insgesamt. Die Bewertung erfolgt durch Befragung von Studenten und Professoren und orientiert sich bei der Finanzierung an Budgetzahlen. Das CHE-Ranking vergibt jedoch keine Rangplätze; stattdessen sind die Hochschulen pro Fach und Kriterium einer Spitzengruppe (grüner Punkt), einer Mittelgruppe (gelber Punkt) oder nur der Schlussgruppe (blauer Punkt) zugeordnet. Genaueres findet man im Internet unter der Adresse www.che-ranking.de

Erstaunlich sind die durchweg nur mässigen Bewertungen des KIT in den Kernfächern Mathematik, Physik und Chemie. Im Fach Mathematik ist das KIT bei den Kriterien vier Mal in der Mittelgruppe und einmal sogar (bei den Zitationen) nur in der Schlussgruppe vertreten. Es liegt damit weit abgeschlagen hinter den Universitäten Kaiserslautern, Darmstadt und Göttingen. Im Fach Physik rangiert das KIT sogar durchweg nur in der Mittelgruppe, in grossem Abstand hinter Göttingen und Bochum. Auch in der Chemie reicht es nur zu einem Mittelplatz; vorweg marschieren die Universitäten von Bayreuth, Jena und LM München. Absoluter Spitzenreiter in diesem Fach ist die holländische TU Eindhoven mit fünf grünen Punkten!

Diese mittelmässige Bewertung des KIT in den genannten Kernfächern ist umso erstaunlicher, als die Fusion mit dem Forschungszentrum eigentlich zusätzliche Ressourcen bei den naturwissenschaftlichen Instituten gebracht haben sollte. Hinzu kommen die 200 Millionen Euro aus der Hector II Stiftung, welche zur Anwerbung hochrangiger ausländischer Wissenschaftler verwandt werden können. Nun, warten wir das Ergebnis der dritten Exzellenzinitiative ab. Im Juni sind wir schlauer.

Montag, 28. Mai 2012

Der KSC im freien Fall

Die Saison 2011/12 war grottenschlecht; der Karlsruher Sport Club (KSC) spielte miserabel. Und so waren seine Anhänger bereits froh, dass ihr Club wenigstens die sogenannte Relegation erreichte. Als Drittletzter der 2. Bundesliga durfte er sich in zwei Spielen mit dem Drittbesten der 3. Liga, also Jahn Regensburg, messen. Die Fans und alle Experten waren siegessicher, denn beim Hinspiel in Regensburg war Karlsruhe ein 1:1 gelungen. Und in der Liga hatte der KSC die letzten vier Heimspiele ohne Gegentore(!) gewonnen. Der Karlsruher Manager Oliver Kreuzer brachte es in einem Zeitungsinterview auf den Punkt: "Wir gewinnen das Spiel. Aus die Maus. Ich verschwende keinen Gedanken an den Abstieg."

Um so härter war die Pleite am Montag, dem 14. Mai, beim Spiel im heimischen Wildparkstadion. Der KSC musste einem frühen Tor der Regensburger hinterher laufen, führte dann zwar zeitweise nochmal 2:1, aber im Endspurt gelang den auswärtsstarken Domstädtern aus einer Ecke heraus der Ausgleich zum 2:2. Das bedeutete - wegen der doppelt so wertvollen Auswärtstore - den Aufstieg der Regensburger und den Abstieg des KSC in die Regionalliga.

Das konnten eine ultraextreme Gruppe von ca. 200 Fans nicht ertragen. Sie machten Randale, warfen Leuchtmunition und Böller, stürmten das Spielfeld, belagerten stundenlang die Geschäftsstelle und plünderten sowie verwüsteten das Vereinsheim. Selbst 210 Polizeibeamte und 350 Ordner konnten den Mob erst nach zwei Uhr nachts in den Griff kriegen. Karlsruhe war geschockt; die Sanktionen des DFB werden nicht auf sich warten lassen.

Eine durchwachsene Vergangenheit

Der Karlsruher Sport Club war 1952 durch Fusion der beiden Ortsvereine Phönix und Mühlburg entstanden und gehörte zu den spielstärksten Mannschaften der damaligen Oberliga Süd. Mehrfach gewann er den Deutschen Fussballpokal und zwei Mal stand er sogar im Enspiel um die nationale Meisterschaft. So war es kein Wunder, dass der Traditionsverein KSC mit mehr als 6000 Mitgliedern 1963 sogar Gründungsmitglied der Fussballbundesliga wurde. Dort hielt er sich fünf Jahre und erzielte damals sogar zwei Rekordergebnisse, die heute noch Bestand haben: 1964 gewann er bei Eintracht Frankfurt 7:0 und einige Monate später verlor er bei 1860 München mit 0:9.

Danach kam eine wechselvolle Periode, welche dem KSC den Spitznamen "Fahrstuhlmannschaft" eintrug. Zwischen 1967 und 1987 stieg der Club vier Mal in die zweite Liga ab und drei Mal in die erste auf. Mit der Verpflichtung des ehemaligen Mönchengladbacher Spielers Winfried Schäfer als Trainer änderte sich das: zwischen 1987 und 1998 lagen die "goldenen Jahre" des KSC. Der blondgelockte "Winnie" und sein Manager Carl-Heinz Rühl bewirkten die zehn erfolgreichsten Jahre des Vereins. Aus jungen, namenlosen (aber hungrigen) Spielern formte Schäfer eine Mannschaft, die drei Mal den 6. Platz (1993, 1994, 1997) in der 1. Bundesliga erreichte. Auch in den UEFA-Runden schlugen sich die jungen Spieler wacker. Unvergessen ist der 7:0 - Sieg über Valencia, ein Ereignis, das heute noch als "Wunder im Wildpark" bezeichnet wird und dem vierfachen Torschützen Edgar Schmitt den Ehrennahmen "Euro-Eddy" zukommen liess.

Eine ganze Nationalmannschaft hätte man aus (den damaligen) Karlsruher Spielern bestücken können. Ich nenne nur die wichtigsten Namen: Oliver Kahn, Michael Sternkopf, Jens Nowotny, Mehmet Scholl, Thorsten Fink, Michael Tarnat, Oliver Kreuzer u.a.m. Leider hat sie der damalige Präsident Roland Schmider (zumeist) an Bayern München verkauft. Oft zu relativ niedrigem Preisen und dafür teuere Nobodys geholt, die nicht eingeschlagen haben. Im März 1998 wurde Trainer Schäfer entlassen, nach Saisonende war der KSC in die zweite Liga abgestiegen. Aber auch das war noch nicht das Ende. Nach zwei Spielzeiten in der 2. Liga sah sich der KSC im Jahr 2000 in der 3. Liga wieder. Der Trainer, mit dem es nach unten ging, hiess übrigens Jogi Löw, derzeit Coach der deutschen Nationalmannschaft.

Eine triste Gegenwart

Die Fehler, welche damals gemacht wurden, wirken bis zum heutigen Tag nach, insbesondere weil die finanzielle Basis des Clubs zerstört worden war. Roland Schmider, seit 26 Jahren Vereinsvorstand, musste zurücktreten. Gerhard Seiler, ehemals Oberbürgermeister wurde Notvorstand und konnte (mit Hilfe der Stadt) die drohende Insolvenz abwenden. Sein Nachfolger war der Steuerberater Hubert Raase mit Manager Rolf Dohmen. Diesen gelang es, den KSC einigermassen zu konsolidieren, sodass er nochmals zwei Spielzeiten  im Oberhaus mitspielen durfte. Ede Becker war der verdienstvolle Trainer. Danach kam als Vorstand der ex-Bürgermeister der Kleinstadt Bretten - ein begnadeter Populist und Spalter. Mit ihm ging es nicht lange gut: Ingo Wellenreuther, ein Bundestagsabgeordneter der CDU, wurde 2010 in einer stürmischenVersammlung zum Vorstand des KSC gewählt.



Ligazugehörigkeit und Platzierungen des KSC seit 1963


Dem KSC hat es wenig genützt. Er ist trotzdem - siehe oben - in die Regionalliga abgestiegen. Wellenreuther versuchte alles. Vier Trainer sind allein in seiner kurzen Amtszeit in die Wüste geschickt worden: Schupp, Rapolder, Scharinger und Andersen. Der jetzige, Markus Kauczinski, darf bleiben; vielleicht auch, weil man sich einen fünften Rauswurf nicht mehr leisten kann. Von den 33 Spielern des KSC besitzen nur vier einen Vertrag für die 3. Liga. Viel Arbeit für den Manager Kreuzer, der offenbar bleiben soll, aber auch keine Fortüne hatte.

Der KSC war in den letzten Jahren weitgehend ein Söldnerverein. Einige Namen der Spieler deuten darauf hin:  Luis Robles, Bakary Soumare, Elias Charalambous, Giuseppe Aquaro, Ionut Rada, Aleksandre Iaschwili, Delron Buckley, Marco Terrazino, Makhtar Thioune, Boubacar Fofana, Moses Lamidi, Andrei Cristea, Louis Ngawat-Mahop, Klemen Lavric etc. Die Karawane zieht weiter, mit der Region fühlt sich kaum einer verbunden.

Eine dunkle Zukunft

Die finanziellen und personellen Sorgen werden den KSC auch in die Zukunft begleiten. Der Verein hat kein finanzielles Polster. Stattdessen sind alle Kreditlinien der Banken bis zum Limit beansprucht. Darüberhinaus drücken noch Schulden aus der Vergangenheit, insbesondere bei Medienfirmen (Kölmel!), die bedient werden müssen. Für ein Jahr hat der wohlhabende Vizepräsident Günter Pilarsky noch seine private Unterstützung zugesagt; er ist in der Recyclingindustrie tätig und ausserdem Honorarkonsul der Republik Armenien. Der Energiekonzern EnBW (mit Hauptsitz in Karlsruhe) ist als Trikotsponsor schon ausgeschieden.

Der Präsident Ingo Wellenreuther will sich im Herbst nochmals zur Wahl stellen. Man weiss nicht, ob man darüber froh sein soll. Wellenreuther ist der typische Multifunktionär. Im Hauptberuf ist er Bundestagsabgeordneter der CDU in Berlin und dort auch in Ausschüssen tätig. Daneben ist er auch Gemeinderat der Stadt Karlsruhe sowie Parteivorsitzender des Kreises. Hinzu kommen noch eine Reihe von Ehrenämtern. Zum Jahresende steht die Wahl des Oberbürgermeisters der Stadt Karlsruhe an, die für ihn kein Selbstläufer werden wird. Woher soll Wellenreuther die Zeit für den KSC nehmen? Aber vielleicht denkt er an eine Werbekampagne mit Aufklebern aus den Restbeständen seines Vorgängers Roland Schmider.



Sonntag, 20. Mai 2012

Das "Imperium" schlägt zurück

Dichter leben in Deutschland zuweilen gefährlich; schnell können sie in eine unbequeme politische Ecke gerückt werden. Günter Grass ist dafür ein prominentes Beispiel. Nach der Veröffentlichung seines Gedichts zum Thema Israel/Iran hagelte es so heftige Kritik, dass er sich zeitweilig mit Herzbeschwerden in einer Klinik erholen musste.

Weitgehend parallel zu der Diskussion um Grass' Gedicht (oder ist es ein Essay?) tobt ein Streit  der Feuilletonisten um den Roman "Imperium" des schweizer, aber deutschsprachigen Schriftstellers Christian Kracht. Er ist dem grossen Publikum weit weniger bekannt als der berühmte deutsche Nobelpreisträger, aber von der dichterischen Potenz her Grass durchaus ebenbürtig. Sein Genre sind "Abenteurerromane" in der Art von Daniel Kehlmann, dessen 2005 erschienener Roman "Die Vermessung der Welt" wohlbekannt ist.

Wer mit Christian Kracht bekannt werden möchte, der sollte zuerst seinen Debütroman "Faserland" lesen, welcher bereits 1995 erschienen ist. Er beschreibt das Lebensgefühl und die Bewusstseinskrisen der jungen Menschen in der Mitte der neunziger Jahre (dtv, 10 Euro). Ein namenloser junger Mann durchstreift als Abenteuerer ganz Deutschland von Sylt bis in die Schweiz nach Zürich und nimmt sich in der Mitte des dortigen Sees (vermutlich) das Leben. Kracht beschreibt in diesem Roman ein Land im Champagner- und Drogennebel, eine elternlose Generation auf der Suche nach Schmerz und Verletzung, ein reiches Land, das emotional arme Kinder in die Welt gesetzt hat.


Christian Kracht, 45

Krachts letzter Roman mit dem Titel "Imperium" erschien 2012 im Verlag Kiepenheuer  & Witsch (18 Euro) und war von Beginn an ein Renner. Bislang sollen bereits 100.000 Exemplare ausgeliefert worden sein. Trotzdem steht er heftig in der Kritik, weil er den Autor angeblich in der Nähe von (politisch) rechtem Gedankengut zeigt.

"Imperium" erzählt von dem (historisch verbürgten) Nünberger August Engelhardt, der sich zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts mit einer kleinen Erbschaft in die Südsee einschiffte, um in Papua-Neuguinea (damals noch Deutsch-Guinea) ein Fleckchen Land zu kaufen, wo er ungestört der Kokosnuss, dem Freikörperkult und der Sonne frönen konnte. Der sehnlichste Wunsch des etwas verklemmten Auswanderers war es, die Kolonie Kokovaren zu schaffen, worin er sich als Missionar und Prophet und Vegetarier sah. Eigentlich eine harmlose Geschichte, aber poetisch hinreissend geschrieben.

Der Schriftsteller Kracht ein Nazi?

Doch kaum war dieser 250-Seiten-Roman veröffentlicht, als der Chefkritiker des "Spiegel", Georg Diez, seine ganz grosse Keule auspackte. Wenn man genau hinschaut, so Diez, ist der Roman von Anfang an durchdrungen von einer rassistischen Weltsicht...hier gibt es noch Herren und Diener...Weisse und Schwarze... Da Engelhardt Vegetarier und Maler war, sieht Diez in dem Werk eine Stellvertreter- und Aussteiger-Saga über Hitler (!). Und zum Schluss seiner Philippika resümiert Diez: Was will Christian Kracht? Er ist ganz einfach der Türsteher der rechten Gedanken. An seinem Beispiel kann man sehen, wie antimodernes, demokratiefeindliches , totalitäres Denken seinen Weg findet hinein in den Mainstream.




Der Roman "Imperium"

Die Replik

Starker Tobak, was der Kritiker da von sich gab. Und die Antworten liessen nicht lange auf sich warten. Verständlich, dass Helge Malchow, der Verlagsleiter von Kiepenheuer & Witsch seinem Autor sekundierte und Diez in die Parade fuhr. Er verweist auf einige andere Schriftsteller, welche das Genre der Kolonialisierung im 19. Jahrhundert ebenfalls beschrieben haben - ohne als geistige Wegbereiter Hitlers gebrandmarkt zu werden. Malchow fasst zusammen: So wird aus Literaturkritik der Versuch der Ausgrenzung eines der begabtesten deutschsprachigen Schriftstellers und aus einer Buchbesprechung wird eine Denunziation, gegen die das Opfer sich rechtfertigen muss. McCarthy reloaded.

Auch die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek sprang Kracht bei, indem sie feststellte: Einer von uns ist verrückt, entweder Herr Diez oder ich. In der Folge unterstützten 17 Schriftstellerinnen und Schriftsteller Frau Jelinek, indem sie einen geharnischten Brief an die Redaktion des Spiegels schrieben. Nun ruderte auch der Chefkritiker Diez (partiell) zurück. Er liess in seinem Hausblatt verlauten, dass seine Türsteher-Formulierung zugespitzt war und bekannte ferner: ...das Bild ist schief, es sollte Kracht nicht verletzen...vielleicht bin ich wirklich verrückt, wie Elfriede Jelinek vermutet...in der Literatur ist nichts verboten...es ist auch nicht rechtsradikal, dieses Spiel von Kracht.

Die schweizer Zeitungen z. B. die Tageswoche, registrieren diese bierernste deutsche Debatte mit Verwunderung bis Amüsement. Die Literaturwelt hat endlich wieder einen Skandal. Sie kennen ihren Landsmann Kracht seit langem und sind stolz auf ihn. Kracht steht in der Schweiz für gebrochene Anti-Helden und wer daraus Antisemitismus herauslesen will, ist selbst schuld. In Wirklichkeit sind es zumeist bitterböse und grandiose Satiren. Er lässt keine Gelegenheit aus, um einigen Zeitgenossen heftige Seitenhiebe zu verpassen Zu diesen gehört auch ein kleiner Vegetarier mit einer absurden schwarzen Zahnbürste unter der Nase. Was ist Spiel, was ist Ernst, fragt man sich bei Kracht immer wieder. Am Schluss ist es eine Mischung aus beidem. Kracht ist eben ein Gesamtkunstwerk. Alles an ihm ist Inszenierung,

Momentan herrscht Funkstille bei den Kontrahenten der Feuilletons. Ich empfehle, während dieser Ruhephase Krachts beide Romane "Faserland" und "Imperium" zu lesen. Viel Spass!

Samstag, 12. Mai 2012

Mit Schummeln zum Doktor?

Nun hat es also auch Deutschlands oberste Professorin, die Bildungsministerin Frau Professor Dr. Annette Schavan, erwischt. In ihrer vor 32 Jahren an der Universität Düsseldorf eingereichten Doktorarbeit wollen Internetjäger auf ca. 50 der 350 Seiten Stellen gefunden haben, in denen sie nicht korrekt zitiert hat. Damit ist Frau Schavan in guter (politischer) Gesellschaft, wie wir weiter unten sehen werden.

Derzeit werden in Deutschland pro Jahr etwa 25.000 Doktorarbeiten angefertigt und von den Fakultäten angenommen. Da es etwa auch 25.000 Professoren gibt, die berechtigt sind Doktorthemen zu vergeben, so produziert ein Professor - im Schnitt! - pro Jahr einen Doktor. Das ist eigentlich nicht viel und bei einem funktionierenden Doktorandenseminar sollte sich die (zuweilen übertrieben dargestellte) Arbeitsbelastung für die Profs in Grenzen halten.

In der öffentlichen Kritik stehen vor allem Doktorarbeiten aus den Geisteswissenschaften, also Philosophie, Jura, Wirtschaftswissenschaften, Politik etc. Aber auch bei Veröffentlichungen in den Naturwissenschaften wird zuweilen heftig getrickst; die voreiligen Veröffentlichungen angeblich überschneller Neutrinos in Italien sind dafür ein Beispiel. Die Mediziner sind nach allgemeiner Einschätzung aussen vor, weil die Qualität des deutschen Dr. med. - ausser er wurde in Biochemie erlangt - zumeist "sub standard" ist.


Sünder nur in Regierungsparteien?

Das öffentliche Theater mit den Doktorarbeiten begann im Februar 2011, als dem CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg von einer Internetplattform vorgeworfen wurde, er habe wesentliche Teile seiner Dissertation abgeschrieben. Guttenberg hatte die Arbeit von 450 Seiten mit dem Titel Verfassung und Verfassungsvertrag - Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und in der EU  im Jahr 2007 bei der Universität Bayreuth eingereicht und dafür die Bestnote summa cum laude erhalten. Nach massiven Vorwürfen, auch von Frau Schavan ("ich schäme mich dafür...") musste er bekanntlich von allen politischen Ämtern zurücktreten; die Universität erkannte ihm den Doktortitel rückwirkend ab.

Kurze Zeit darauf verloren aus ähnlichen Gründen die FDP-Politiker Frau Silvana Koch-Mehrin und Georgios Chatzimarkakis ihre Dr.-Titel, behielten aber die Ämter als Abgeordnete bei. Der Gründer von VroniPlag, Martin Heidingsfelder, ein Mitglied der SPD,  hatte sie "enttarnt".

Ende 2011 geriet der niedersächsische Minister Bernd Althusmann ins Visier der Plagiatsjäger. Dieser Fall war besonders heikel, denn Althusmann war damals nicht nur Kultusminister dieses Landes, sondern auch noch amtierender Präsident der Kultusministerkonferenz KMK. Er hatte es besonders toll getrieben, indem er sogar aus den Werken seines Doktorvaters abgeschrieben hatte und dabei auch noch falsch zitierte. (Seite 257, obwohl der Band nur 186 Seiten hatte). Der Reserveoffizier Althusmann, auch "Panzer" genannt, erhielt für seine Forschungsleistung von der Universität Potsdam das wohl angemessene Prädikat rite (ausreichend) und war damit zufrieden. Zufrieden konnte er auch mit der Entscheidung der Gutachter seiner Universität sein: sie bestätigten ihm zwar zahlreiche formale Mängel in der Dissertation, aber er durfte seinen Dr.-Titel behalten.

Dieses Glück hatte der ungarische Staatspräsident Pal Schmidt nicht. Der einstige Olympia-Fechter war als treuer Parteigänger seines politischen Ziehvaters und Ministerpräsidenten Viktor Orbán in dieses hohe Amt gelangt. Als eine Expertenkommission der Budapester Semmelweis-Universität zu der Feststellung kam, dass Pal Schmidt mindestens 197 der 215 Seiten starken Dissertation von anderen Autoren abgeschrieben hatte, war der Präsident als Staatsoberhaupt nicht mehr zu halten.

Auffallend ist, dass sich das Interesse der deutschen Plagiatjäger ausschliesslich auf Politiker der Regierungsparteien konzentriert. Dabei gibt es auch bei den Oppositionsparteien eine Vielzahl von Bundestagsabgeordneten, die mit hoffentlich berechtigtem Stolz den Doktortitel tragen. Ich nenne nur bei der SPD: Dr. Frank-Walter Steinmeier, Dr. Karl Lauterbach und Dr. Dieter Wiefelspütz.
Bei den Grünen fallen mir ein: Dr. Harald Terpe, Dr. Gerhard Schick und Dr. Konstantin von Notz. Bei der Fraktion der Linken ragen heraus: Dr. Gregor Gysi, Dr. Gesine Lötsch und Dr. Dagmar Enkelmann.


Was kann man tun?

Eine besondere Verantwortung trifft sicherlich den Doktorvater und seine beiden Co-Referenten. Sie bekommen als erste das Werk zu sehen und sollten es gründlich durchlesen. Das war zumindest bei   Guttenberg nicht der Fall. Dem Doktorvater Professor Peter Häberle hätten eine Reihe von Ungereimtheiten auffallen müssen und in der Anfangsphase wären diese noch ganz diskret zu eliminieren gewesen. Als die öffentliche Diskussion anbrach - vieles davon politisch inszeniert -  zog sich die Universität Bayreuth in ihren Elfenbeinturm zurück. Ein Professorenkreis sprach sich selbst von aller Schuld frei und entzog Guttenberg, dem Alleinschuldigen, den Doktortitel.

Ein besonderes Problem stellen die überlangen Dissertationen bei den Geisteswissenschaftlern dar. Sie erstrecken sich über 4 - 500 Seiten, manchmal streifen sie sogar die Tausendergrenze. Um diese Textflut zu bändigen, hat der Altbundespräsident Roman Herzog, ein Jurist, einen bemerkenswerten Vorschlag gemacht. Er erwägt, eine Obergrenze für diese Dissertationen einzuführen, die bei maximal 250 bis 300 Seiten liegt und welche sicherlich ausreicht, das originale Eigenwissen des Kandidaten darzustellen.

Mit einem Augenzwinkern möchte ich den Vorschlag von Herzog ergänzen. Man könnte diese langen Dissertationen grundsätzlich in zwei Abschnitte teilen und auf verschiedenfarbiges Papier schreiben: im ersten Band, auf weissem Papier, stünde das Fremdwissen, welches wie bislang zitiert werden müsste; der zweite Band, auf grünem Papier, würde zitatfrei das Eigenwissen des Kandidaten dokumentieren, also den Fortschritt der Wissenschaft darstellen.  Im allgemeinen bräuchten die drei Gutachter also nur den (wohl wesentlich dünneren) zweiten Band zu lesen und zu bewerten.

Einen bemerkenswerten Vorschlag zur Entkriminalisierung relativ alter Doktorarbeiten hat kürzlich der Bonner Professor Wolfgang Löwer ins Spiel gebracht. Er schlägt eine Verjährungsfrist für Plagiatsvergehen bei Dissertationen vor. "Wir müssen über einen Zeitraum nachdenken, nach dem wir uns die Arbeiten amtlich nicht mehr ansehen müssen" sagt der Jurist, welcher gleichzeitig Ombudsmann der Deutschen Forschungsgemeinschaft für wissenschaftliches Fehlverhalten ist. Alle Straftaten verjähren, selbst Verbrechen, auf die lebenslange Haft steht, können nach nach dreissig Jahren nicht mehr geahndet werden (ausser Mord). Es ist unverhältnismässig, dass dies nicht für Vergehen bei Dissertationen gilt. Professor Löwer schlägt bei Promotionen eine Verjährungsfrist von zehn Jahren vor


Schavans Gewissensfrage

Die Causa Schavan ist derzeit noch weitgehend offen. Der Titel ihrer 1980 an der Universität Düsseldorf angefertigten Doktorarbeit lautet Person und Gewissen - Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung. Schavan wurde im Jahr 2009 zur Honorarprofessorin an der Freien Universität Berlin ernannt. Eine Gruppe von Plagiatsjägern beschäftigte sich seit Anfang 2012 mit Recherchen zur Dissertation der Ministerin und kam zu der Ansicht, dass ausser kleinen Verfehlungen nichts zu kritisieren sein. Ein Mitglied dieser Gruppe war jedoch anderer Meinung, stellte dies als "unsaubere Zitierweisen" (anonym) ins Netz und brachte damit den Stein ins Rollen.

Schavan wird vorallem vorgeworfen, dass sie Primärquellen, wie Texte von Sigmund Freud, die sie in der Sekundärliteratur gelesen hatte, nur mit der Primärquelle zitierte und die Autoren der Sekundärliteratur unterschlug. Der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Professor Bernhard Kempen, warnt vor Vorverurteilungen mit dem Hinweis, dass die Zitiertechniken in den Geisteswissenschaften unterschiedlich seien und auch die von Schavan gewählte Variante zuliessen. Das hindert Politiker wie Oppermann (SPD) nicht, Schavan heftig zu krisieren. Und selbst in ihrer eigenen Partei, der Jungen Union Baden-Württemberg, werden offensichtlich alte Rechnungen vorgelegt, wenn der Landesvorsitzende Nikolas Löbel die Ministerin daran erinnert, dass ihre eigene harte Kritik an Guttenberg der "Todeskuss" für diesen Minister gewesen sei und, dass für sie jetzt die gleiche Messlatte zu gelten habe.

Im Moment liegt der Ball bei der Universität Düsseldorf. Sie hat darüber zu entscheiden, ob Schavan der Doktortitel für Zitierungsfehler (die sie als 25jährige begangen hat) aberkannt wird oder nicht. Die Universität wird sich ihr Votum nicht leicht machen, denn Schavan ist inzwischen eine hochwichtige Person für alle deutsche Universitäten. Sie wird demnächst über die Finanzzuwendungen der dritten Exzellenzinitiative massgeblich mitentscheiden und ausserdem eine Verfassungsänderung auf den Weg bringen, die den Hochschulen mehr Bundesmittel gewähren wird. Daneben ist bekannt, dass Schavan das volle Vertrauen der Kanzlerin besitzt.

Aber vielleicht machen es sich die Düsseldorfer Professoren auch ganz leicht: Schavan hat nur mit der zweitbesten Note promoviert (magna cum laude), was man auch so interpretieren kann, dass man ihr den einen oder anderen kleinen Klops in ihrer Dissertation nach 32 Jahren nicht mehr ankreiden muss.










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