Sonntag, 13. Juli 2014

Der Vater aller Dinge

Dass der Krieg der Vater aller Dinge sei, ist ein Ausspruch, der dem griechischen Philosophen Heraklit zugesprochen wird. Genau weiss man es nicht, denn die Werke dieses vorsokratischen Denkers, welcher um 500 vor Christus in Ephesus wohnte, sind nur noch in Rudimenten vorhanden. Das meiste ist nur in Zitaten späterer Philosophen enthalten - und das auch nur in der Form von Aphorismen, Paradoxien und Wortspielen. Eine andere Kurzformel seines Denkens ist panta rhei (alles fliesst), in welcher der ständige natürliche Prozess des Werdens und des Wandels zum Ausdruck kommt.

Dass der Krieg Erfindungen und technische Entwicklungen anstösst, wird heute nicht mehr in Frage gestellt. Auch nicht, dass sich das Tempo der kriegerischen Aufrüstung immer mehr erhöht hat. Im Mittelalter kämpfte man Jahrhunderte lang mit Schwert, Lanze und Bogen. Nach der Erfindung des Gewehres wurden die Entwicklungsschritte immer kürzer, was insbesondere die Österreicher in der Schlacht bei Königsgrätz leidvoll erfahren mussten: die Zündnadelgewehre der gegnerischen Preussen schossen schneller und waren zielgenauer. Im 1. Weltkrieg (1914 - 1918) gab es ein ganzes Arsenal an neuen Waffen; zu nennen sind Panzer, Granaten, Flammenwerfer, Giftgas, U-Boote und Flugzeuge. Sie wurden häufig von Physikern, Chemikern und Ingenieuren in Universitätslabors entwickelt und nicht selten stellten sich weltbekannte Wissenschaftler sogar freiwillig für den  Kriegsdienst zur Verfügung. Im folgenden werden einige dieser Koryphäen genannt, wobei ich mich u. a. auf das Physik Journal 13 (2014) Nr. 7 beziehe.

Physiker an die Front.  Max Born, der für seine Arbeiten zur Quantenmechanik später mit den Nobelpreis ausgezeichnet wurde, war 1914 wegen eines Asthmaleidens eigentlich vom Wehrdienst freigestellt. Trotzdem verzichtete er bei Kriegsbeginn auf seine Professur an der Berliner Universität  und meldete sich als Funker zum Einsatz beim Heer. Zusammen mit dem Physikprofessor Max Wien wurde er von einen altgedienten Feldwebel in Hochfrequenz "ausgebildet", was angesichts des Wissensabstands dieses Trios ziemlich grotesk gewesen sein muss.

Dem Göttinger Mathematiker und Physiker Richard Courant wurde bei den verlustreichen Kämpfen an der Marne schnell klar, dass es dem deutschen Militär an grundlegendem technischen Sachverstand fehlte. Bereits ein Spiegel hätte genügt, einen gefahrlosen Blick aus dem Schützengraben zu wagen. Das Kommunikationschaos an der Front versuchte er durch die Entwicklung eines "Erdtelegraphen" zu lösen. Zusammen mit dem (neutralen) Holländer Peter Debye Nobelpreis 1936) und dessen Schweizer Assistenten Paul Scherrer entwickelte er einen tragbaren Telegraphen, der 1916 bei der Somme-Schlacht mit Erfolg eingesetzt wurde. Ein halbes Jahr später bemerkte er beim Testen seines Telegraphen, dass ähnliche Signale von der Gegenseite kamen. Offensichtlich besassen seine Wissenschaftler-Kollegen in Frankreich und England nunmehr ein ähnliches Gerät.

Der Atomphysiker Arnold Sommerfeld beschäftigte sich erfolgreich mit der Ballistik der Minenwerfer. Der Strömungsforscher Ludwig Prandtl stand in vorderster Reihe bei der Hydraulikforschung für die damals aufgekommenen Flugzeuge. Seine ballistischen Experimente zum Bombenabwurf aus Luftschiffen und Flugzeugen leiteten den Luftkrieg ein, der für militärische Ziele, aber auch für die Zivilbevölkerung eine neue Dimension der Vernichtung bedeutete.

Chemiker an die Front.  Der Physiko-Chemiker Walter Nernst, der den 3. Hauptsatz der Thermodynamik entdeckte ("Der absolute Nullpunkt der Temperatur ist unerreichbar")  und 1920 dafür den Nobelpreis erhielt, war bei Kriegsbeginn als 31-jähriger  schon jenseits des Rekrutenalters. Aber er wollte unbedingt den Krieg erleben und bot sich als Automobilbesitzer freiwillig den Heeresbehörden als Meldefahrer an. Er beteiligte sich an der Entwicklung von "Reizstoffen", die - in Granaten verbracht - die Augen und Atemwege der gegnerischen Soldaten reizen sollten. Nernst, von den Offizieren etwas spöttisch als "Benzinleutnant" bezeichnet, versuchte dies durch den Zusatz von Nickel-Pulvermischungen zu erreichen, was aber nur geringen Erfolg hatte. Nernst verlor im Krieg gegen Frankreich zwei Söhne und revidierte später seine euphorische Einstellung zum Krieg.

Grossen Einfluss auf den Ablauf des 1. Weltkriegs hatte der (einer jüdischen Familie entstammende) Chemiker Fritz Haber, der zeitweise an der Technischen Hochschule Karlsruhe lehrte und später Direktor am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin war. Er entdeckte die Synthese von Ammoniak aus dem Luftstickstoff, die von überragender Bedeutung für die Herstellung von Kunstdünger, aber auch für Sprengstoff war. Man schätzt, dass sich dadurch der Krieg um mindestens zwei Jahre verlängert hat. (1918 erhielt er dafür den Chemie-Nobelpreis). Berüchtigt wurde er jedoch für die Entwicklung des Phosgen und Chlorgases zum Einsatz als Giftgas. In der Schlacht bei Ypern wurde es erstmals angewendet - im Beisein von James Franck und Otto Hahn (beides spätere Nobelpreisträger) und Lise Meitner, die sich als Krankenschwester betätigte. Professor Haber liess fortan als "Vater der Giftgaswaffe" preisen; seine Frau war darüber so entsetzt, dass sie sich noch am gleichen Tag (mit der Dienstpistole ihres Mannes) erschoss.

Epilog. Auch im Zweiten Weltkrieg hat ein Maschinenbau-Ingenieur sein Genie dafür eingesetzt, dass London mit mehr als tausend V2-Sprengstoffraketen beschossen werden konnte. Dafür erhielt er von Hitler das Ritterkreuz und wurde zum Sturmbannführer der Waffen-SS ernannt. Wenige Jahre später verhalf er den Amerikanern zur Fahrt zum Mond, wofür er vom Präsidenten John F. Kennedy mit höchsten Ehren bedacht wurde.

Es war Wernher Magnus Maximilian Freiherr von Braun, der auf seinem Grabstein folgenden Psalm-Spruch einmeißeln ließ: "Die Himmel erzählen von der Herrlichkeit Gottes und das Firmament verkündet seiner Hände Werk".

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