Sonntag, 3. April 2016

Die Malaise der französischen Nuklearindustrie

Die beiden einst so stolzen Flaggschiffe der französischen Nuklearindustrie - der Reaktorbauer AREVA und der Reaktorbetreiber Electricité de France (EdF) - bewegen sich in rauer See. Areva hat erkennbar Schlagseite, EdF hält sich nur noch mit Mühe über Wasser. Wie konnten diese global agierenden Konzerne in so eine schlimme Situation geraten?

Die aktuellen Probleme gehen von der Areva aus. Bei dem weltweit größten Reaktorbauer bleiben seit den Unfällen von Fukushima die Aufträge aus. Zudem kommt man mit den beiden Kernkraftwerksprojekten im finnischen Olkiluoto und im heimischen Flamanville nicht zurande. Die innovativen EPR-3-Vorhaben übersteigen offenbar die technischen Kräfte der Areva, die (zusammen mit den Vorläuferfirmen) immerhin fast hundert Reaktorprojekte erfolgreich gestemmt haben. Dazu kommen wirtschaftliche Probleme: Areva hat die beiden genannten Projekte zu 3 Milliarden Euro in die Bücher genommen, inzwischen sind die Kosten allerdings auf 9 Milliarden angestiegen, welche möglicherweise zum größten Teil beim Reaktorbauer verbleiben werden. Außerdem hat sich der sehr stark diversifizierte Konzern auch noch beim Kauf von Uranminen finanziell  verhoben.

Im Geschäftsjahr 2014 kam es zur Krise. Areva hatte einen Verlust von 5 Milliarden Euro angehäuft - bei einem Jahresumsatz von nur knapp 10 Milliarden! Der Aktienkurs brach um 20 Prozent ein, die Beschäftigung der 45.000 Mitarbeiter weltweit war gefährdet; in Deutschland standen die Arbeitsplätze an den Standorten Erlangen, Offenbach und Karlstein auf der Kippe. Der französische Staat war gefordert, immerhin gehören ihm 85 Prozent des Aktienkapitals der Areva.

Die EdF soll´s richten

Die wichtigsten Entscheidungen zur Sanierung der französischen Nuklearindustrie wurden in der ersten Hälfte des Jahres 2015 getroffen - unter Mitwirkung des Präsidenten Francois Hollande und des Ministerpräsidenten Manuel Valls. Der direkteste Weg zur Konsolidierung der Areva wäre eine Geldspritze der Regierung in der Höhe von einigen Milliarden Euro gewesen. Dafür gab es jedoch nie eine Chance, denn Frankreich ist seit Jahren hoch verschuldet und muss deshalb alle Anstrengungen unternehmen, um mittelfristig wieder die Maastrichtkriterien zu erfüllen. Eine weitere Möglichkeit, an frisches Geld zu kommen, wäre die (ganze oder teilweise) Privatisierung der Areva gewesen. Dies hielt die Regierung jedoch für ausgeschlossen, weil Areva auf dem militärischen Sektor (Kernwaffen!) hoheitliche Aufgaben erfüllt, welche aus Geheimhaltungsgründen privaten Investoren nicht zugänglich gemacht werden dürfen. So blieb zum Schluss nur noch die Option übrig, die Reaktorsparte der Areva mit dem anderen (ebenfalls 85-prozentigen) Staatsbetrieb Electricité de France zu vereinigen und die EdF mit der Führerschaft zu beauftragen.

Beide Partner, die sich bisher stets in "herzlicher Abneigung" gegenüber standen, wehrten sich intensiv gegen diese Auflage zur Fusion. Aber die Regierung drückte natürlich ihren Willen durch. Trotzdem: es ist weltweit einzigartig, dass der größte Reaktorbauer und der größte Reaktorbetreiber in einer einzigen Superfirma vereinigt sind. Der Zusammenschluss von Lieferant und Kunde ist organisatorisch grundsätzlich kritisch zu bewerten. Außerdem: wenn es Areva nicht gelingt, die besagten Probleme bei den Kernkraftwerken Olkiluoto und Flamanville zu lösen, warum sollte der Betreiber EdF dies schaffen, der doch viel weniger tief in der technischen Materie steckt?


Landkarte der französischen Kernkraftwerke

Hinzu kommt, dass die EdF auf ihrem ureigenen Betreibersektor Probleme en masse hat. Die EdF muss mehr als 50 heimische Reaktorstandorte sanieren, um die atomrechtliche Genehmigung zum Weiterbetrieb der Reaktoren über 40 Jahre hinaus zu erlangen. (Der Investitionsbedarf für die Sanierung der Kraftwerke und der Netze sowie für die drastische Aufstockung des Entsorgungsetats wird auf über hundert Milliarden Euro abgeschätzt und bei ihrer Realisierung den Strompreis gewaltig in die Höhe treiben). Hinzu kommt die Stilllegung der beiden Reaktoren in Fessenheim, welche Deutschland regierungsseitig zugesichert wurden. Daneben soll die EdF, nach Pariser Wunsch, künftig mehr in erneuerbare Energien investieren und, bei alle dem, den Franzosen die derzeit günstigen Strompreise auch weiterhin erhalten. An den üppigen Personalkosten soll der Konzern aber, auf Forderung der starken Gewerkschaften, nur dann feilen, wenn der Stellenabbau freiwillig erfolgt - sprich bei Gewährung saftiger Abfindungen.

Das Super-Risiko Hinkley Point C

Als seien diese Probleme noch nicht ausreichend, zerrt ein Großprojekt ganz besonders an den Nerven des Topmanagements der EdF: das Riesenvorhaben Hinkley Point C. Dessen Lieferverträge sollen im April, also in den nächsten Tagen, unterschrieben werden. Bei Hinkley Point C handelt es sich um den Bau von zwei 1.600 MW Druckwasserkernkraftwerke der gefürchteten Klasse EPR-3 für den Kunden British Energy im Südwesten Englands. EdF/Areva sollen darüber hinaus auch 35 Jahre lang den Betrieb dieser Reaktoren garantieren. Das alles zu einem - aus heutiger Sicht! - auskömmlichen Preis und zusammen mit einer chinesischen Reaktorbaufirma als Minderheitspartner.

Das Vertragskonvolut ist so verschachtelt und komplex, dass der frühere deutsche EU-Kommissar für Energie, Günther Oettinger, welcher mit der Prüfung beauftragt war, es als "sowjetisch" bezeichnete.

Im Vorstand der EdF sind die Meinungen über Hinkley Point gespalten. Logischerweise steht der Vorsitzende Jean-Bernard Lévy entschlossen dahinter. Er betrachtet es als eine Chance, die EdF langfristig von ihren Schulden (man spricht von fast 40 Milliarden Euro!) zu befreien. Die konträre Ansicht vertritt Thomas Piquemal, seit sechs Jahren geachteter Finanzvorstand der EdF. Er fürchtet die angesichts von Olkiluoto und Flamanville sichtbar gewordenen technischen Risiken und glaubt, dass dieses Projekt den Riesenkonzern EdF in den finanziellen Abgrund reißen könnte. Die beiden Herren konnten sich nicht einigen und nach der Regel der Ober sticht den Unter trat Thomas Piquemal vor einigen Wochen vom Amt des obersten Finanzaufsehers bei EdF zurück. Als Nachfolger wurde Xavier Girre nominiert, der vor einem Jahr - von der französischen Post! - zur EdF gewechselt war.

Die Aktienanleger  haben ihr Urteil über Hinkley Point C längst gesprochen. Seit einem Jahr fällt der Kurs der EdF-Aktie rasant, von 25 Euro auf derzeit 9 Euro. Die dadurch reduzierte Marktkapitalisierung hatte für EdF gravierende Folgen: zum Jahresende 2015 nahm die Börsenleitung in Paris das Unternehmen Electricité de France aus dem französischen Leitindex CAC 40 (vergleichbar mit dem deutschen DAX 30).

Eine Blamage sondergleichen.
In etwa so, wie wenn Bayern München in die Regionalliga absteigen müsste.

2 Kommentare:

  1. Das wird den Kernkraftgegnern Aufwind geben. Sind es nicht nur die viel diskutierten Gefahren im laufenden Betrieb und die Endlagerung? Der Blog vermittelt den Eindruck, daß Planung und Bau mehr und mehr unabsehbare finanzielle Risiken dieser Technik aufzeigen.
    Umsomehr sollte man allerdings deutschen KKWs die einen hohen Sicherheits-Standard aufweisen eine vernünftige Restnutzungsdauer zu billigen; es sei den mat keine Angst vor CO2.

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  2. Hoffentlich wird EdF keinen Schaden nehmen. Denn ich bezahle heute bei EdF 11Cent inkl. aller Abgaben für eine kWh Atomstrom. Die meisten französischen Nachbarn heizen elektrisch.
    Gruss Drazen

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