Sonntag, 20. August 2017

"Stummer Frühling" - 2. Auflage?

Die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks muss es wissen: "Seit 1982 hat sich der Bestand an Insekten um 80 Prozent verringert. Wer heute mit dem Auto übers Land fährt, findet kaum noch tote Insekten auf der Windschutzscheibe".  Einige mögen diese Feststellung trotzdem bezweifeln, indem sie auf die viel größere Windschlüpfrigkeit der modernen Autos verweisen oder auf die nanobeschichteten Autoscheiben, wo kein Insekt mehr hängen bleibt. Indes, betrachtet man das vordere Nummernschild, das ohne Nanobedeckung senkrecht im Wind steht - und ebenfalls kaum mit zerklatschten Fliegen bedeckt ist - so ist man geneigt, der Ministerin recht zu geben.

33.000 verschiedene Insektenarten soll es in Deutschland geben - aber nur noch ca. 33 ausgewiesene Insektenforscher - seit die jungen Studenten fast alle zum Fach Informatik drängen. Wer soll da wirklich belastbare Daten zur Entomologie vorlegen, wie dieses Gebiet benannt ist. Sicherlich nicht die Schmetterlingsfänger mit Netzen, wie von Carl Spitzweg liebevoll gemalt. Nein, die heutigen Fangmethoden mit sog. Malaise Fallen sind viel raffinierter; aber die Artenbestimmung und das mühsame Dokumentieren ist immer noch Handarbeit. In Krefeld gibt es eine kompetente Vereinigung von Entomologen, die sich dieser Mühe unterzieht und ihre Erkenntnisse sind eindeutig: Je nach Standort hat der Bestand der Insekten um 70 bis 90 Prozent abgenommen. Als Folge fehlt es vielen Vögeln an Nahrung, sie verhungern.

Die Ursache für diesen Sachverhalt wird in Deutschland - siehe unten - derzeit noch kontrovers diskutiert. Vertreter der Landwirtschaft, der Chemie und der Biologie bringen verschiedenartige Argumente vor.

Rachel Carsons "Stummer Frühling" und das DDT

Vor der nahezu gleichen Situation, kaum zu glauben, stand man - in den USA -  schon vor 65 Jahren. Rachel Carson, einer Biologin aus Pittsburg fiel auf, dass es kaum mehr Mücken in ihrer Umgebung gab. Und auch der früher jubelnde Chor der Singvögel war verstummt. Die wenigen, welche es noch gab, hockten zitternd mit schütterem Federkleid irgendwo in Mauernischen. Unter dem Eindruck dieser Beobachtungen schrieb Carson das Buch "Silent Spring" (Stummer Frühling), welches im Jahr 1962 erschien. Das spannende Sachbuch war von Anfang an ein Publikumserfolg und avancierte bald zur "Bibel" der damals entstehenden Ökologie-Bewegung. Rachel Carson starb nur zwei Jahre danach an einem Herzinfarkt. 1980 wurde ihr posthum die Presidential Medal of Freedom, die höchste zivile Auszeichnung der USA, verliehen.


Rachel Carsons Buch, ein Bestseller

Das Hauptverdienst von Carson war jedoch, dass sie den Mut hatte in ihrem Buch die Ursache für das Insekten und Vogelsterben zu benennen. Sie tippte auf das Gift DDT (abgekürzt von Dichloro-diphenyl-trichloro-ethan), welches seit den 40er Jahren in den USA großflächig zur "Ausrottung" von Kartoffelkäfern, aber auch zur Malariabekämpfung eingesetzt wurde. Von Flugzeugen aus wurden Tonnen des billigen DDT (0,25 Cent pro Pfund) über die Felder abgesprüht. Nach dem Erscheinen des Buches "Stummer Frühling" wurden erstmals Toxizitätsuntersuchungen beim DDT in den USA angestellt. Dabei kam heraus, dass es bei den Vögeln dünnerschalige Eier verursachte, die nicht zur Fortpflanzung geeignet waren. Von 1972 an wurde in den USA der Gebrauch von DDT für die Landwirtschaft verboten. 1977 zog die Bundesrepublik Deutschland nach.

Sind´s die Neonicotinoide ?

Inzwischen haben wir in Deutschland (und ganz Europa?) eine Situation wie in Pittsburg, USA vor 65 Jahren. Die Mücken sind verschwunden und die Vögel weitgehend verstummt. Da aber seit vielen Jahrzehnten auch hier kein DDT mehr versprüht worden ist müssen andere totbringende chemische Stoffe daran beteiligt sein. Der Verdacht der Biologen fällt auf das Nervengift Neo-Nicotin-oide, einem Verwandten des Nikotins. Es zählt, seit den 90er Jahren, zu den meistverkauften Pestiziden weltweit - gleich hinter dem Glyphosat, einem Unkrautvernichtungsmittel, das wahrscheinlich krebserregend ist. Die Neonics, (so wird der Zungenbrecher abgekürzt), vernichten in den bäuerlichen Betrieben u. a. den Kartoffelkäfer und die Blattläuse; gelegentlich wird es sogar den Haustieren ins Fell geträufelt.

In der Regel kaufen die Bauern Saatgut, das bereits "gebeizt" ist, d. h. mit Neonic ummantelt ist. Die Kulturen sind gewissermaßen "geimpft", wobei sich die Beize im ganzen Gewebe der Pflanze ausbreitet, also auch in den Pollen. Aus Laborversuchen weiß man, dass die Arbeitsbienen, sobald sie so behandelte Blüten anfliegen, bald darauf ihre Orientierung verlieren. Sie finden nicht mehr zu ihrem Volk zurück, sondern irren (gleichsam wie ein "Betrunkener") bis zur völligen Erschöpfung umher und fallen schließlich tot zur Erde. Ihr Nervensystem wurde durch das Neonic zerstört.

Da sich dieses Gift erst in 1.000 Tagen zur Hälfte abbaut und außerdem wasserlösslich ist, gelangen große Mengen in den Boden, wo sich diese Substanz über Jahre hinweg ausbreitet. Hinzu kommt der steigende Absatz der Neonics: seit dem Jahr 2007 stieg der Verkauf von 657 Jahrestonnen auf nunmehr 1.665 Tonnen an. Nach Jörn Wogram, einem Abteilungsleiter im Umweltbundesamt, haben sich die Bauernhöfe "zu lebensfeindlichen Orten entwickelt". Vielleicht steuern wir auf die Situation  in China zu, wo es praktisch keine Honigbienen mehr gibt und die Bauern gezwungen sind - durch kräftiges Schütteln - ihre Obstbäume selbst zu bestäuben.
Schöne neue Welt!

Ante portas: das Sulfarex

Gesetzt den Fall, die Neonicotinoide werden verboten, wie es die meisten Forscher und große Teile der Öffentlichkeit fordern? Nun dann steht schon eine Nachfolgesubstanz bereit, die ebenfalls als Nervengift einzuordnen ist: Sulfoxaflor, aus der chemischen Familie der Sulfoximine. Es ist ein weißes Pulver, jedoch in Wasser schwer löslich. In der Europäischen Union ist es seit zwei Jahren zugelassen, allerdings bislang noch in keinem Mitgliedsstaat. In den USA wird es schon seit vier Jahren ausgebracht; wegen seiner Bienenschädlichkeit plant die amerikanische Umweltbehörde allerdings zusätzliche Schutzmaßnamen. In Deutschland liegen dem zuständigen Bundesamt derzeit drei Anträge auf Genehmigung sulfoxaflorhaltiger Insektizide vor.

"Jedes Mittel, das den Ertrag steigert, führt gleichzeitig zu einem Verlust der Arten", sagt Teja Tscharntke, Professor für Agrarökologie an der Universität Göttingen. "Am Ende müssen wir uns als Gesellschaft entscheiden, in welcher Welt wir leben wollen."

"In einer ausgeräumten Landschaft oder in einem bunten, lebendigen Mosaik".

1 Kommentar:

  1. "Jedes Mittel, das den Ertrag steigert, führt gleichzeitig zu einem Verlust der Arten"....gemäß Bundesgesundheitsblatt ist die zul.Feinstaubbelastg.am Arbeitsplatz mit 960MAK angegeben,an der Strassenkreuzung jedoch plötzlich mit nur 40MAK.Das Herbizid "REGLONE"(Diquatdibromid),ein schnell wirkendes Kontaktgift,ist laut Sicherheitsdatenblatt(Raifeisen)hochgiftig für Bienen und Wasserorganismen und darf nicht in Naturschutzgebieten bzw.Naturparks eingesetzt werden!Mit 4m Abstand zu Wohngegenden, wie in unserem Fall,wo es zum sog."Totspritzen"von Kartoffelkraut eingesetzt wird,offensichtlich doch.
    Wie sollte in disem Zusammenhang eine Vernünftige Debatte möglich sein???

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