Sonntag, 6. November 2011

Die EnBW in Schieflage

Die Energiewerke Baden-Württemberg (EnBW) mit Sitz in Karlsruhe ist das drittgrösste deutsche Energieversorgungsunternehmen (EVU). Es war eine kerngesunde Aktiengesellschaft und machte in den zurückliegenden Jahren stets um die zwei Milliarden Euro Gewinn bei einem Umsatz von 17 Milliarden. Der Aktienkurs bewegte sich stetig in der Spanne zwischen 35 bis 40 und konnte Witwen und Waisen wegen seines geringen Risikos durchaus empfohlen werden.

Das hat sich seit einem halben Jahr dramatisch verändert. Der Vorstand der EnBW musste im Sommer einen Halbjahresverlust von 600 Millionen Euro verkünden und deutete dabei dunkel an, dass er die Belegschaft an diesem Minus "beteiligen" und eine Reihe von Firmen, die zum Konzern gehören, verkaufen wolle. Manche Wirtschaftsblätter sahen die EnBW schon an der Grenze zur Insolvenz - aber so weit wird es (hoffentlich) nicht kommen.

Zwei Gewinnbringer fehlen

Was war geschehen? Nun, nach dem Atomunfall von Fukushima wurde bekanntlich durch die Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Moratorium für die deutschen Kernkraftwerke verfügt. Die EnBW, welche 51 Prozent ihres Stroms aus Kernkraftwerken erzeugt, traf dies besonders heftig. Aus rein politischen Gründen wurden die beiden Meiler Philippsburg 1 und Neckarwestheim I abgeschaltet. Das waren  insgesamt 1.766 Megawatt (MW) an Kapazität, wodurch sich die Kernenergieproduktion der EnBW spontan um 20 Prozent verringerte. Beide Kraftwerke waren während ihrer Laufzeit sehr zuverlässig, und hatten eine Arbeitsverfügbarkeit von über 90 Prozent - bei Erzeugungskosten von 2 bis 3 Cent pro Kilowattstunde (!). Um die laufenden Stromlieferverträge erfüllen zu können, musste die EnBW alte (und teure) fossile Kraftwerke hochfahren, sowie Strom aus dem benachbarten Ausland einkaufen.


Die Kernkraftwerke Philippsburg 1 (oben) und Neckarwestheim I (unten)

Die Abschaltung dieser Kraftwerke hat auch Auswirkungen auf das Steueraufkommen der Standortgemeinden. Philippsburg kann dieses Jahr nicht mit Gewerbesteuereinnahmen rechnen; der Bürgermeister Stefan Martus will sich "revanchieren", indem er seine EnBW-Aktien verkauft.

Umsteuern - doch wohin?

Im Frühjahr 2011 kam es - im Gefolge von Fukushima - auch zu einem Wechsel der Landesregierung. Erstmals seit mehr als einem halben Jahrhundert wird diese nicht mehr von der CDU (und der FDP) gestellt, sondern von den Grünen und der SPD. Ministerpräsident Winfried Kretschmann und sein roter Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid sitzen nun an den Hebeln der Energiewirtschaft in Baden-Württemberg.

Kurz vor dem Regierungswechsel, nämlich Ende 2010, hatte das Land ein EnBW-Aktienpaket von 45,01 Prozent für 4,7 Milliarden Euro vom französischen Stromkonzern EdF erworben. Die jährlichen Zinsen in Höhe von 110 Millionen Euro sollten aus den Dividendenzahlungen der EnBW bezahlt werden. Nach dem Atomausstieg und der damit verbundenen finanziellen Schieflage der EnBW, war dies jedoch nicht mehr möglich.

Seit Monaten tobt im "Ländle" ein heftiger Politikerstreit darüber, ob der Kaufpreis dieser Anteile gerechtfertigt war und ob der frühere Ministerpräsident Stefan Mappus berechtigt war, diesen Deal ohne vorherige Zustimmung des Landtags einzufädeln. Fakt ist, dass die EdF dieses Aktienpaket abgeben wollte und Mappus hat zugegriffen, damit es nicht die Hände zockender Hedgefonds gelangte. Die jetzige Aktionärsstruktur - Land 46,55 %, Kommunale Versorger OEW 46, 55 %,  Rest: Gemeinden und Kleinaktionäre - sollte dem Land die ideale Möglichkeit geben, den Konzern nach seinen Vorstellungen auszurichten.

Stattdessen gibt es nur Streit im Aufsichtsrat. Der Vorstandsvorsitzende Hans-Peter Villis und die OEW mahnen die Deckung des Konzerndefizit an, z. B. über eine Kapitalerhöhung, während die klammen Stuttgarter Regierungsvertreter dagegen halten. Gleichzeitig drängen diese den Vorstand auf eine stärkere Ausrichtung des Konzerns in Richtung erneuerbarer Energien. Das würde jedoch erheblich Investitionsmittel erfordern, wie sich bereits an dem Ostsee-Windpark Baltic 2 gezeigt hat. Je nach Wassertiefe werden dort die Windräder entweder auf Monopiles oder (ab 33 Meter Tiefe) auf Jackets montiert. Das Windprojekt wird eine Gesamtkapazität von 288 MW haben und soll 2013 in Betrieb gehen. Sowohl hinsichtlich der Leistung als auch der Verfügbarkeit ist diese Anlage aber kein Ausgleich für die abgeschalteten Blöcke KPP 1 und GKN I.


Windräder beim Projekt Baltic 2; Gründung in Jackets (links) und Monopiles (rechts)

Noch bescheidener ist der Stromertrag beim Solarpark Leibertingen, der bereits im Dezember 2009 im Landkreis Sigmaringen in Betrieb ging. Auf einem Feld von 7,3 Hektar ist eine Anlage  von der bescheidenen Leistung von 2,1 MW platziert, die etwa 10 Prozent des Jahres Strom produzieren dürfte.

Villis braucht Geld

Bis jetzt wird in den alle zwei Monate stattfindenden Aufsichtsratssitzungen zwar viel diskutiert, aber wenig entschieden. Zu der von Villis angemahnten Kapitalerhöhung ist es jedenfalls noch nicht gekommen. Die OEW würde der Aufstockung zwar zustimmen, aber das Land legt sich quer. Frisches Geld benötigt der Vorstand auch zur Abdeckung möglicher Risiken bei der Beteiligungsfirma EWE. Mit dem Kauf dieses Oldenburgischen Energieversorgers wollte sich die EnBW einen besseren Zugang zum Gasmarkt sichern, aber irgend etwas ging wohl schief. Möglicherweise muss sich die EnBW auf Risiken in Millionenhöhe einstellen.

In den letzten Wochen hat Villis angekündigt, dass er die 20.000 Mitarbeiter der EnBW in die Pflicht nehmen werde. Rund 250 Millionen Euro soll der "Verzicht" auf freiwillige Leistungen einbringen, weitere 500 Millionen will der Konzern durch Umstrukturierungen und den Verkauf von Beteiligungsfirmen einsparen. Die Gewerkschaften, insbesondere Verdi, befinden sich bereits auf den Barrikaden.

Richtig viel Geld soll eine Anleihe in die leeren EnBW-Kassen spülen, die der Konzern letzte Woche auf den Markt gebracht hat. Es handelt sich um eine sogenannte Hybrid-Anleihe im Volumen von 750 Millionen Euro und einer Laufzeit von 60 Jahren. Die Rückzahlung ist für den 2. April 2072 vereinbart. Der Zinskoupon von 7,375 Prozent wird so manchen Investor anlocken.
Aber Vorsicht: bei Hybridanleihen darf die Zinszahlung unter bestimmten Umständen verschoben bzw. ganz ausgesetzt werden. Der relativ hohe Zins ist ein Ausgleich für das erhöhte Risiko - das bis zum Totalverlust des Kapitals im Falle einer Insolvenz reicht.

Lehmann lässt grüssen!

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