Sonntag, 20. November 2011

"Nein" bedeutet "Ja" für Stuttgart 21

Am kommenden Sonntag, den 27. November 2011, wird im Land Baden-Württemberg darüber abgestimmt, ob der neue Durchgangsbahnhof Stuttgart - abgekürzt S21 - weiter gebaut werden soll. Die Bauarbeiten sind sind zwar schon seit knapp zwei Jahren im vollem Gange, aber die vor wenigen Monaten ans Ruder gekommene Partei der Grünen schert das wenig. Sie wollen den Abbruch des Projekts und die Kündigung der Verträge. Mit ihrem Koalitionspartner, der (eigentlich bauwilligen) SPD, haben sie sich darauf geeinigt, dass in einer Volksabstimmung alle Baden-Württemberger dazu befragt werden sollen. In der 50-jährigen Landesgeschichte ist es das erste Mal, dass Politiker das Wahlvolk über ein Bauprojekt abstimmen lassen.

Komplizierter Stimmzettel

Die Wahlprozedur ist keineswegs so einfach wie bei den alle paar Jahre stattfindenden Parteiwahlen, wo die Bürger im allgemeinen nur ein Kreuz bei der CDU oder der SPD oder einer anderen Partei anzubringen haben. Bei dieser Volksabstimmung wird im Kern über ein vorher vom Landtag beschlossenes "Kündigungsgesetz" befunden, was die Sache kompliziert macht. Die Abstimmungsfrage lautet nämlich:
Stimmen Sie der Gesetzesvorlage "Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21 (S21-Kündigungsgesetz)" zu?

Verstanden? Möglicherweise nein! Nun das befürchten wohl auch die Stuttgarter Koalitionäre, weswegen sie auf dem Stimmzettel "Hinweise" für den ratlosen Wähler gegeben haben.

Ausriss aus dem amtlichen Stimmzettel

Aber auch diese Hinweise sind für Nichtjuristen - und das ist wohl die Mehrzahl - schwer verständlich. Jedenfalls ist es so, dass die Befürworter des Bauprojekts S21 mit "Nein" stimmen müssen, während die Ablehnenden bei "Ja" ankreuzen dürfen. Ein trickreiches Prozedere des Herrn Kretschmann. Honny soit qui mal y pense!

Fünf gute Gründe für Stuttgart 21

1.  Der bisherige Kopfbahnhof wird in einen 11 Meter tiefer gelegten Durchgangsbahnhof umgewandelt. Die Kapazität des neuen Bahnhofs erhöht sich damit um ca. 50 Prozent, was durch einen Stresstest nachgewiesen wurde. Der markante Bahnhofsturm und das Hauptgebäude ("Bonatzbau") bleiben erhalten. Die berühmten Mineralquellen in 70 Metern Tiefe werden nicht beeinträchtigt.

2.  Der Verkehrsknoten Stuttgart wird neu geordnet. Er enthält den Hauptbahnhof, den Bahnhof Flughafen/Messe und eine zusätzliche S-Bahnstation. Darüberhinaus wird zwischen Wendlingen und Ulm eine neue leistungsfähigere Bahnstecke gebaut. Damit wird die "Europäische Magistrale" zwischen den Städten Paris-Karlsruhe-Stuttgart-Wien-Budapest verwirklicht.

3.  Das Gleisvorfeld des bisherigen Kopfbahnhofs wird abgebaut. Dadurch werden etwa hundert Hektar Grundstücksfläche für die Stadt Stuttgart gewonnen auf denen Immobilien und Parklandschaften entstehen können.

Bahnbewegungen im bisherigen Gleisvorfeld

4.  Das Bahnprojekt S21 hat seit 1995 alle demokratischen (und juristischen) Etappen erfolgreich durchlaufen; der Finanzierungsvertrag wurde am 2. April 2009 geschlossen. Die Kostenbeteiligung des Landes liegt bei 930 Millionen Euro. Bei Vertragskündigung muss Baden-Württemberg mit Schadensersatzkosten zwischen 500 und 2.000 Millionen Euro rechnen ( lt. Ministerpräsident Kretschmann in der Ludwigsburger Kreiszeitung vom 3. Septemer 2011).

5.  Bei Bruch des derzeitigen Projektvertrags verfallen alle Finanzmittel der übrigen Projektteilnehmer, insbesondere der Deutschen Bahn und des Bundes. Ein alternative Planung würde bei Null anfangen und 15 bis 20 Jahre bis zur Erstellung baufähiger Unterlagen dauern. Währenddessen bestünde die Gefahr, dass Stuttgart durch nördliche Gleisführungen umgangen wird und seine Position als grosser deutscher Bahnhof verlieren würde.

Möglicherweise gehen manche Befürworter des Bahnprojekts S21 gar nicht zur Wahl, weil sie auf das sogenannte Quorum spekulieren. In der Landesverfassung ist nämlich festgelegt, dass bei Volksabstimungen ein Drittel der Stimmberechtigten gegen S21 stimmen müssten, damit das Kündigungsgesetz seine Wirksamkeit entfaltet. Das sind 2,5 Millionen Bürger, was nach den Prognosen der Wahlforscher sehr unwahrscheinlich ist.

Hinzu kommt, dass der Wahlsonntag auf den 1. Advent fällt, den viele Menschen zur Glühweinprobe auf den Weihnachtsmärkten nutzen.

1 Kommentar:

  1. Lieber Herr Marth,

    vielen Dank für diese exzellente Zusammenfassung der Sachlage. Ich persönlich bin ja kein Fan von Bahnprojekten aller Art, weil ich Personen- und Gütertransport über die Schiene für ineffizient und teuer halte.

    Aber wer für die Schiene als tragfähige Alternative für den Straßenverkehr ist, kann eigentlich nicht gegen S21 sein.

    Und wer für ein lebenswertes Stuttgart ist, auch nicht - die Schneise, die das jetzige Gleisgewirr am Hauptbahnhof in die Stadt schlägt, kann doch nun wirklich keiner gut finden. Und mit der "Alternative" K21 würde das noch schlimmer werden, inklusive abenteuerlicher Anbindung für den ICE über eine aufgeständerte Fahrbahn am Neckar entlang!

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