Samstag, 1. September 2012

Meine unmassgebliche Meinung zur Euro-Schulden-Krise

Über den Euro, die Gemeinschaftwährung von 17 europäischen Staaten, wird seit Jahren heftig diskutiert. Die einen möchten sie abschaffen, die anderen beibehalten. Manche denken über einen "Nord-Euro" nach und wollen damit die Südstaaten ausschliessen. Im Folgenden möchte ich die wichtigsten Probleme unserer Gemeinschaftswährung darlegen.


1.  Der Euro, keine unvernünftige Idee

Vor 20 Jahren wurden im holländischen Maastricht die gesetzlichen Grundlagen für eine zukünftige Währungsunion im Rahmen der Europäischen Union (EU) gelegt. Bundeskanzler Helmut Kohl und sein Finanzminister Theo Waigel waren bei den Verhandlungen die ranghöchsten deutschen Vertreter. Bestimmend war dabei die Überzeugung, dass ein so grosser Wirtschaftsraum wie die EU auch eine eigene Währung haben müsse, um im globalen Handel keine Nachteile durch Kleinmärkte verschiedener Währungen zu erleiden. Dass die Deutschen im Nachgang der Wiedervereinigung von den Franzosen gezwungen wurden ihre starke D-Mark aufzugeben, wird immer wieder als Vermutung geäussert, ist wohl eher ein Märchen. Die Stärke der DM beruhte auf der Stärke der deutschen Wirtschaft und sonst nichts. Dies gilt bis heute - auch unter der Eurowährung.

Da schon damals die Mittelmeeranrainer als "unsichere Kantonisten" galten, wurden zwei Klauseln im Vertrag verankert: jeder Staat sollte für seine eigenen Schulden aufkommen müssen ("no bail out") und es sollten keine Finanzausgleiche zwischen den Mitgliedsstaaten stattfinden ("no transfer"). Beide Bedingungen wurden in der Folge verletzt, wie wir weiter unten sehen werden. Im Jahr 2002, also zehn Jahre später, wurde in 17 Staaten der Euro als Geldwährung eingeführt. Griechenland schaffte es durch Betrug in die Währungsunion zu kommen. Die europäische Kommission in Brüssel ist dafür zu rügen, dass dort nicht besser aufgepasst wurde, aber auch die damalige rot-grüne deutsche Regierung (mit Finanzminister Hans Eichel) war in fahrlässiger Weise sorglos.





2.  Der Weg ins Schuldenloch und zum Vertrauensverlust

In den Jahren nach 2002 waren die Zinsen sehr niedrig - international und auch in der EU. Die Regierungen verschiedener Länder in der Euro-Währungsunion nutzten dies, indem sie sich über Staatsanleihen extrem verschuldeten und dabei auch die grossen nationalen Banken involvierten. Zu nennen sind insbesondere die sogenannten "PIIGS"-Länder, nämlich Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien. Genutzt wurden diese "Staatseinkünfte", um riesige Bauprogramme aufzulegen (Spanien), oder geradewegs zur betrügerischen Bestechung der eigenen Wähler (Griechenland).

Seit etwa drei Jahren wurden die Käufer dieser Staatsanleihen (deutsche Rentenversicherungen, amerikanische Pensionsfonds etc.) zunehmend skeptischer bezüglich der Rückzahlfähigkeit der Schuldnerländer, insbes., weil auch deren Bewertungen durch die internationalen Ratingagenturen immer schlechter wurden. Es war bald erkennbar, das einige Länder praktisch zahlungsunfähig waren und im privaten Bereich eigentlich Insolvenz hätten anmelden müssen. Die Staaten sassen im selbst bereiteten Schuldenloch. Sie hatten - und das war besonders wichtig - das Vertrauen ihrer Investoren verloren. Ihre Staatsanleihen wurden entweder überhaupt nicht mehr gekauft oder nur noch zu hohen Risikoaufschlägen. Der Zinssatz für mehrjährigen "Schuldscheine" dieser Art war bei 8 Prozent angelangt.

Trotzdem: die relative Verschuldung dieser Länder - bezogen auf die Einwohnerzahl - wird zumeist stark überschätzt. Nehmen wir Deutschland als Beispiel, das, besonders unter der Regierung Schröder, auch einen grossen "Schluck aus der Pulle" nahm. Inzwischen sind wir in der Staatsverschuldung bei 2.000 Milliarden Euro angelangt. Diese Zahl klingt ungeheuerlich, wird aber schnell relativiert, wenn man sie auf die 80 Millionen deutsche Einwohner bezieht. Wie leicht durch Division zu errechnen ist, beträgt die (fiktive) Verschuldung jedes Deutschen - vom Säugling bis zur Grossmutter, vom Hartzempfänger bis zum Milliardär - überschaubare 25.000 Euro. Ähnlich ist dieses Verhältnis in den meisten anderen Schuldnerstaaten. In den USA liegt die Verschuldung sogar bei satten 50.000 Dollar und in Japan ist sie ähnlich hoch.

Diesen 25.000 Euro Staatsverschuldung pro deutschem Bürger steht aber - und das ist wichtig - ein enormes staatliches und privates Vermögen gegenüber. Man könnte diese Verschuldung durch drastische Massnahmen sofort auf Null bringen - anders als in den Inflationsjahren 1923 und 1948, als praktisch alle Vermögenswerte in Deutschland vernichtet waren.





3.  Selbstfinanzierung der Euro-Länder wäre möglich

Eigentlich sollte es die Angelegenheit der Schuldnerländer sein, für die Gesundung ihrer Staatsfinanzen selbst zu sorgen. So ist es in den Verträgen von Maastricht angelegt. Das könnte auf verschiedene Weisen geschehen. In erster Linie über allgemeine Steuererhöhungen, z. B. auf Vermögen und Erbe, was im souveränen Recht jeden Staates liegt. (In Spanien wird gerade die Mehrwertssteuer von 18 auf 21 Prozent angehoben). Man kann aber auch die Wohlhabenden gesondert herausgreifen, indem man sie mit einer "Reichensteuer" belegt. Voraussetzung ist, dass sie ihren Wohnsitz noch im Schuldnerland haben und nicht (wie die meisten griechischen Oligarchen) bereits nach London ausgewichen sind. Im Gespräch sind auch "Zwangsanleihen" für die Reichen, welche den Charme haben, dass sie rückgezahlt werden. In Spanien und Italien sind die Privatvermögen vier Mal so hoch wie die Staatsschulden; warum also der Ruf nach deutschem Geld?

Ein interessanter Vorschlag zur Senkung der Zinslast finanzschwacher Eurostaaten kommt aus Finnland. Dort wurden die sogenannten "Pfandanleihen" ins Spiel gebracht. Spanien und vergleichbare Länder sollen ihre Anleihen mit Beteiligungen an staatlichen Unternehmen koppeln, was die Sicherheit erhöhen und die Zinsen erniedrigen würde. Im Falle der Insolvenz würde der Investor zum Eigentümer des jeweiligen Pfandes.



4.  Die derzeitige Rettungsarchitektur der Währungsunion

Erstaunlicherweise hat man sich schon bald nach Eintreten der Euroschuldenkrise in Brüssel auf die sogenannten Eurobonds verständigt. Der Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker, ehemals luxemburgischer Ministerpräsident, war einer ihrer heftigsten Verfechter. Eurobonds sind Zinspapiere, die von allen Eurostaaten begeben werden und für die alle gemeinsam haften. Sie würden das Prinzip von Risiko und Haftung in eklatanter Weise aushebeln. Bundeskanzlerin Merkel hat sie zur Bewältigung der anstehenden Krise abgelehnt und allenfalls als spätere Möglichkeit erwogen, wenn wieder Stabilität eingekehrt ist.

Die Mittel der Wahl zur Rettung der Währungsunion sind derzeit der Fiskalpakt und der Rettungsschirm ESM. Der Europäische Fiskalpakt soll die verstärkte Zusammenarbeit der EU-Staaten auf dem Gebiet der Finanzpolitik erreichen. Insbesondere sollen die Staatsschulden zurückgeführt werden (Schuldenbremse!) durch verstärkte Überwachung  und Genehmigung neuer Kredite durch die Brüsseler Kommission. Die Verpflichtungen müssen in den jeweiligen nationalen Verfassungen ihren Eingang finden.

Der Europäische Stabilitätsmechanismus, kurz ESM,  wird auch Euro-Rettungsschirm genannt. Er ist eine Finanzinstitution in Luxemburg, die mit einem Kapital von 700 Milliarden Euros ausgestattet ist. Der ESM soll Notkredite und Bürgschaften an zahlungsunfähige Mitglieder gewähren, allerdings unter rigiden Bedingungen . (Deswegen windet sich derzeit Spanien noch, sich unter diesen Rettungsschirm - bzw. seinen Vorläufer EFES -  zu begeben). Der ESM ist eine Art Bank und soll von einem Deutschen geleitet werden. Gegen den ESM wurde beim Bundesverfassungsgericht Klage erhoben. Das Urteil soll am 12. September 2012 verkündet werden. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass die Richter dieses 700-Seiten Vertragswerk in toto kippen werden. Wahrscheinlich sind allerdings einige zusätzliche Auflagen. Der ESM wurde inzwischen von allen Staaten der Währungsunion ratifiziert, ausser Estland, Italien und Deutschland. Das deutsche Risiko beim ESM liegt bei unter 200 Milliarden Euro; ich betrachte das Geschrei darüber für überzogen.

Dann gibt es noch diejenigen, welche die Integration der EU zu einem einzigen Staatenbund wollen. Dieser Megastaat wird noch lange nicht kommen. Ausserdem: wäre ein Bundeskanzler oder ein Präsident in Brüssel für alle eigentlich wünschenswert? Die Geschichte der einzelnen europäischen Länder, ihre verschiedenen Sprachen und Mentalitäten lassen sich nicht so schnell in einen Gesamtstaat vereinigen - sicherlich nicht in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts.



5.  Die Europäische Zentralbank als Retter in der Not

Die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt ist für die Geldwertstabilität innerhalb der Eurozone verantwortlich, allerdings - im Nebenzweck - auch für die Vermeidung konjunktureller Verwerfungen, wie einer Rezession. Sie kam in letzter Zeit in die Kritik, weil sie finanzklammen Staaten gelegentlich aus der Patsche half, indem sie ihre Anleihen (zu einem moderaten) Zinssatz aufkaufte und dafür Euros aushändigte. Im Ganzen sollen es 211 Milliarden Euro sein. Das war bei ihrer Gründung nicht vorgesehen, weswegen die deutschen Direktoriumsmitglieder Axel Weber und Jürgen Stark aus Protest schon dieses Gremium verliessen. Derzeit streitet sich der Bundesbankchef Jens Weidmann mit dem italienischen EZB-Chef Mario Draghi. Vielleicht wir auch Weidmann bald das Weite suchen. Es ist ein Konstruktionsfehler für die EZB, dass Malta das gleiche Stimmgewicht besitzt wie Deutschland mit seinen 27 Prozent des Risikos.

Betrachtet man das Ganze mit weniger Aufregung, so muss man sagen: Draghi (und sein Vorgänger Trichet) haben das Notwendige in einer schwierigen Situation getan. Wenn man den schlimmsten Schuldnerländer solidarisch, also mit Hilfe der Währungsunion helfen wollte, so blieb nur die Soforthilfe der EZB übrig. Weder der ESM noch der Fiskalpakt wirken in einen Notsituation spontan, sondern ihre Medikamente helfen nur mittel- und längerfristig. Nur die unabhängige EZB kann in kürzester Frist Hilfestellung geben, notfalls innerhalb eines Tages. Allerdings haben auch die Kritiker dieser Notfallmassnahmen nicht ganz unrecht: die EZB muss mit ihrer Kompetenz zur Geldschöpfung vorsichtig und sparsam umgehen, weil sie praktisch keine Bedingungen daran knüpfen kann. Aber die Inflationsgefahr ist in der nicht ausgelasteten europäischen Wirtschaft zur Zeit noch kein allzu grosses Risiko.



6.  Der Ausblick: eher optimistisch

Was die Lösung der Euroschuldenkrise anlangt, bin ich eher optimistisch. Die geschilderten Massnahmen beginnen zu greifen. In allen Ländern (ausgenommen vorläufig noch Italien) beginnen die Lohnstückkosten zu sinken, was ein wichtiger Gradmesser für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes ist. Entsprechend ziehen die Exporte an. Alle Schuldnerländer konnten in den vergangenen zwei Jahren ihre Ausfuhren steigern. Auch Italien bemüht sich. Der Premierminister Mario Monti will im nächsten Jahr seinen Haushalt ausgleichen, womit er auf einem ähnlichen Niveau wie Deutschland läge. Portugal hat sein Minus in den öffentlichen Kassen seit 2009 halbiert und auch Spanien kommt voran. Merklich besser geht es Irland; es kann sich schon wieder Geld auf den internationalen Märkten leihen. Früher oder später werden sich die guten Nachrichten durchsetzen und das Vertrauen der Investoren wird zurückkehren.

Ein Sonderfall ist Griechenland. Dieses Land ist extrem verschuldet und es wird noch lange dauern, bis es sich wieder auf dem Pfad der Tugend befindet. Sofern die kontrollierende Troika im Oktober nichts Allzuschlimmes entdeckt hat, sollte man auch dieses Land in der Eurozone belassen. Die (psychologischen) Vorteile wiegen schwerer als die monetären und ein paar weitere Jahre Zeitaufschub.

Wir gehen spannenden Zeiten entgegen. Vielleicht könnten auch die einmal Sorgen bekommen, die zuviel Gold und Immobilien gehortet haben.

2 Kommentare:

  1. Lieber Willy,
    als der Euro aus der Taufe gehoben wurde verkundete die Chicago School of Economics mit Friedman an der Spitze, das kann nicht gut gehen, in 10 Jahren gibt es Krach und genau so kam es. Behebt der Finanzplan langfristig die urspruenglichen Konstuktionsfehler,-vielleicht vielleicht auch nicht. Wie kann man z.B.in Griechenland die Wirtschaft ankurbeln? Es waere eine intensive Zusammenarbeit mit den Griechen notwendig. Draghi hat kurzfristig den Euro gerettet und Weidmann musste auch dagegen sein. Es ist schliesslich nicht die Aufgabe der EZB ohne Auflagen das Geld zu vermehren. Was blieb schon anderes uebrig. Die Politik war handlungsunfaehig.

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  2. Der Autor hat leider die wichtigen Tatsachen nicht beachtet:
    1. Die durchschnittlichen Reallöhne und Renten in den Südstaaten der Eurozone wurden in der Eurozeit um bis zu 40% angehoben Griechenland 39,6%, Spanien 35%...). In der selben Zeit wurden in Deutschland die Reallöhne um 0,8 gekürzt und die Realrenten um 8%. Das Schlaraffenland im Süden, das durch die Eurozone entstanden ist, wird vom deutschen Steuerzahler finanziert. Die Südländer werden reicher, wir ärmer.
    2. Der Anteil der deutschen Exporte in die Staaten der Eurozone ist seit der Einführung des Euro von 45 auf 41% gesunken. Das Märchen von einem positiven Einfluss des Euro auf unsere Exporte bleibt ein Märchen.
    3. Die EZB hat uns mit vielen Milliarden Euro in die Haftung genommen. Kein Wunder daß es so ist, denn die Südländer beherrschen den EZB Rat und wollen für immer in diesem von uns finanzierten Schlaraffenland, das sich Eurozone nennt, leben bleiben.
    4. Der Autor, wie auch viele deutsche Politiker glauben, daß die Südländer fiskal diszipliniert werden können. Das ist ein Irrglaube, denn die tausendjährigen Sitten eines Volkes lassen sich nicht in wenigen Jahrzehnten ändern. Trichet hat sich ja vor dem Einkauf der italienischen Staatsanleihen mit Berlusconi über die Bedingungen geeinigt gehabt. Sieben Bedingungen gab es. Bis heute wurden die sechs dieser Bedingungen allerdings nicht erfüllt. Unser gutes Geld ist aber weg! Die Unterschriften der Südländer unter dem Fiskalpakt sind einen Pfifferling wert.

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