Sonntag, 24. Februar 2013

Auch Physiker tricksen - gelegentlich

Fälschungen und Plagiate in wissenschaftlichen Arbeiten gibt es nicht nur bei Ärzten und Geisteswissenschaftlern, nein, auch die Naturwissenschaftler sind nicht immun gegen üble Tricksereien. So behauptete der amerikanische Biologe William Summerlin in den 1970er-Jahren, dass es ihm gelungen sei, auf eine weisse Maus das Fell einer (genetisch nicht verwandten) schwarzen Maus zu transplantieren. Später stellte sich heraus, dass Summerlin einfacherweise die weisse Maus mit einem schwarzen Textmarker angefärbt hatte. Als Motivation gab er "extremen Produktionsdruck" an und den gefühlten Zwang "immer wieder überraschende Entdeckungen vorweisen zu müssen".

Berühmt und berüchtigt gleichermassen wurde der Fall des deutschen Physikers Jan Hendrik Schön, der mit herausragenden Publikationen auf dem Gebiet der Nano- und Festkörperphysik die wissenschaftliche Welt mehrere Jahre in Atem hielt und damit fast zum Nobelpreisträger aufgestiegen wäre. Nach der Aufdeckung der Falsifikate wurde er als der grosse Bösewicht dargestellt, seine Historie beweisst jedoch, dass er bei dieser Affäre keineswegs der Alleinschuldige war.

Aufstieg und Fall des "Ikarus"

Jan Hendrik Schön, geboren 1970, legte seine Matura am österreichischen Gymnasium Feldkirch ab und studierte anschliessend Physik an der Universität Konstanz, wo er 1993 das Diplom erwarb. Bei dem Photovoltaik-Experten Professor Ernst Bucher promovierte er 1997 mit einer Arbeit über die "Nutzbarmachung von Kupfergalliumdiselenid zur Herstellung von Solarzellen" und erhielt dafür die Note magna cum laude. Noch im gleichen Jahr wechselte er als sogenannter Post-Doc an die Bell Laboratories in die USA, wo er in der Arbeitsgruppe von Bertram Batlogg beschäftigt war.

In Amerika entwickelte sich Dr. Schön - der in Konstanz kaum mehr als Durchschnitt war - zum wissenschaftlichen Überflieger. In vier Jahren, von 1998 bis 2002, publizierte er über 70 wissenschaftliche Arbeiten mit zum Teil bahnbrechenden Erkenntnissen aus den Gebieten der Hochtemperatur-Supraleiter, der organischen Laser und über innovative Transistoren von der Grösse eines einzigen Moleküls. In dem kurzen Zeitabschnitt zwischen den Jahren 2000 und 2001 erschienen von ihm nicht weniger als 17 Veröffentlichungen in den beiden hochrenommierten wissenschaftlichen Zeitschriften Science und Nature. Sein Arbeitgeber Bell meldete zahlreiche Patente auf der Basis dieser vermeintlichen Entdeckungen an.


Dr. Schön beim Forschen

Vollkommen aus dem Häuschen war Schöns Chef Bertram Batlogg, ein drahtiger Österreicher und ehemaliger Gebirgsjäger. Die beiden entwickelten eine perfekte Symbiose: Während der Eigenbrötler Jan Hendrik in seinen Labors einsam vor sich hin forschte, reiste sein Meister Bertram rund um den Globus und "verkaufte" auf zahlreichen Wissenschaftlerkongressen die immer spektakuläreren Resultate. Klugerweise hatte sich Batlogg bei praktisch allen Publikationen als Co-Autor an die zweite Stelle hinter seinem Schüler Schön gesetzt. Mentor Batlogg telefonierte mit Schön oft stundenlang - traf sich mit ihm aber kaum jemals in dessen Labors bei den Versuchseinrichtungen.

Als Schön in der wissenschaftlichen Community schon als heisser Kandidat für den künftigen Nobelpreis der Physik gehandelt wurde, schaltete sich auch die deutsche Max-Plank-Gesellschaft ein. Sie wollte den berühmten Sohn nach Deutschland zurückholen und bot ihm die Stelle als Direktor am Stuttgarter Institut für Festkörperforschung an. Dr. Schön wäre der bislang jüngste Stelleninhaber geworden. Der Ikarus hatte fast die Sonne erreicht!

Seinen Niedergang leitete ein sogenannter "whistleblower" ein. Ein anonymer Informant gab der Firmenleitung einen diskreten Hinweis, wonach "bei Jan Hendik nicht alles stimmen konnte". Gleichzeitig verwies der Hinweisgeber darauf, dass Schön bei zwei Aufsätzen in Science und Nature, die gleiche Grafik verwendet habe, obwohl beide Artikel nichts miteinander zu tun hatten. Davon aufgeschreckt, richtete Bell im Jahr 2002 einen internen Untersuchungsausschuss ein, der zu dem Ergebnis kam, das Schön praktisch alle Experimentierdaten gefälscht hatte. Die Rohdaten waren  nicht mehr verfügbar, weil sie Schön - angeblich aus Platzgründen - in seinem Computer gelöscht hatte.

Das bedeutete den Absturz des Ikarus. Sein Arbeitgeber Bell kündigte Schön fristlos, nicht ohne ihm die Adresse eines Psychiaters zu nennen. Aber schon nach zehn Tagen musste der einst Hochgelobte als unwillkommener Ausländer die USA verlassen und nach Deutschland zurückkehren. Viele Publikationen, insbesondere in den genannten Renommierjournalen, wurden in den darauffolgenden Monaten peinlicherweise zurückgezogen.

Für die Firma Bell Lab war dieser Skandal eine Katastrophe. Ihr Aktienkurs fiel ins Bodenlose, von den damals 30.000 Mitarbeitern mussten 20.000 entlassen werden. Bell hat sich im Ansehen seitdem nicht mehr erholt. Gefeuert wurde auch Bertram Batlogg, der danach in der Schweiz tätig war und sogar noch im Jahr 2004 den "Vorarlberger Wissenschaftpreis" erhielt. Ihm wurde (zu Recht) vorgeworfen, dass er seinen Mitarbeiter Schön zu wenig kontrolliert habe und offensichtlich nur auf dessen "Erfolgswelle" mitschwimmen wollte.

Auch die Begutachtungsverfahren (Peer Review) der wissenschaftlichen Zeitschriften gerieten unter  Kritik. Nature zog daraus Konsequenzen und verlangt seitdem von allen Autoren, dass sie ihren persönlichen Beitrag im jeweiligen Artikel benennen und von den übrigen Co-Autoren abgrenzen. Geradezu entgeistert war der Stuttgarter Max-Planck-Forscher und Nobelpreisträger Klaus von Klitzing. Er hatte in Schön eines der "grössten Physikertalente unserer Zeit" gesehen, meinte nun aber: "Wenn einer meiner Studenten zu mir käme mit einem weltbewegenden Ergebnis, dann würde ich mir das sofort im Labor zeigen lassen und selbst an den Knöpfen drehen".

Die alemannische Hetzjagd

Im fernen Konstanz am Bodensee war man anfangs stolz auf die steile Karriere "ihres Doktor Schön", später aber um so enttäuschter, ja geradezu schockiert, als die Nachrichten über sein Fehlverhalten um den Globus gingen. Der Verdacht stieg auf, dass der Physiker auch schon bei seiner Doktorarbeit an der kleinen, aber feinen Reformuniversität getrickst haben könnte. Aber die genaue Überprüfung dieser Arbeit förderte nichts Ehrenrühriges zutage, von einigen geringfügigen handwerklichen Nachlässigkeiten abgesehen.

Trotzdem fühlte sich die Universität irgendwie befleckt durch die Untaten ihres Promovenden in den USA. Sie forderte ihn deshalb im Juni 2004 schriftlich auf, seine im Jahr 1998 verliehene Promotionsurkunde zurückzugeben. Schön kam diesem Petitum nicht nach, sondern legte Widerspruch ein.


Die Universität Konstanz über dem Bodensee

Nun tat sich fünf Jahre lang nichts mehr. Im Oktober 2009 aber beklagte die Universität Dr. Schön beim Verwaltungsgericht (VG) in Freiburg. Sie begründete dies mit der bekannten Datenmanipulation in den USA, weswegen sich Schön - im Sinne des Landeshochschulgesetzes - als unwürdig zur Führung des Doktortitels erwiesen habe.

Das Urteil des Verwaltungesgerichts erging ein Jahr später, im September 2010. Das Gericht liess die Universität abblitzen und stellte fest: "Der Doktorgrad darf nicht wegen nachträglichen wissenschaftlichen Fehlverhaltens entzogen werden". 

Damit war die Hexenjagd aber noch nicht zu Ende. Die Universität legte Berufung bei der nächsthöheren Instanz, dem Verwaltungsgerichtshof  (VGH) in Mannheim ein. Dieses Gericht gab der Hochschule mit seinem Urteil vom September 2011 recht, indem es feststellte: "Schwerwiegendes wissenschaftliches Fehlverhalten rechtfertigt die Entziehung des Doktorgrades wegen Unwürdigkeit". Damit hatte der VGH das Urteil des Freiburger Verwaltungsgerichts aufgehoben und Jan Hendrik war seinen Doktortitel los.

Gegen dieses Urteil haben die Mannheimer Richter keine Revision mehr zugelassen. Das Verfahren ist also zum Ende gekommen - sofern Schön nicht vor das Bundesverfassungsgericht zieht.

Jan Hendrik Schön hat an den Gerichtsverhandlungen persönlich nicht teilgenommen und sich in den vergangenen zehn Jahren auch nicht bei Talk-Shows im Fernsehen präsentiert.
Er arbeitet heute als Ingenieur bei einem Chemieunternehmen.

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