Sonntag, 6. Juli 2014

Dumm gelaufen?

Am 28. Juli 1914 endete eine über vierzigjährige Friedensphase in Westeuropa. Mit der Beistandsversicherung des deutschen Kaiserreichs im Rücken ("Blankoscheck") erklärte Österreich-Ungarn,  genau einen Monat nach dem tödlichen Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand, Serbien den Krieg. Dieser vermeintlich lokale Konflikt löste eine fatale Kettenreaktion aus: Der Generalmobilmachung Russlands, das Serbien beisprang, folgte die Kriegserklärung Deutschlands welches - auf dem Wege zur Eroberung Frankreichs - mit der Besetzung Luxemburgs und Belgiens auch Grossbritannien in den Konflikt zwang. Am Ende beteiligten sich 40 Staaten am bis dahin umfassendsten Krieg der Geschichte, annähernd 70 Millionen Menschen standen unter Waffen. Der Erste Weltkrieg, wie er fortan genannt wurde, forderte 17 Millionen Menschen und wurde in Europa, dem Nahen Osten, in Afrika, Ostasien und auf den Weltmeeren geführt.


Am Anfang eine Provokation.   Das Attentat von Sarajevo als Ursache für den Ersten Weltkrieg zu bezeichnen, wäre wohl zu hoch gegriffen - ein Anlass war es allemal. Am Morgen des 28. Juni 1914, einem Sonntag, trafen Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie mit dem Zug in der serbischen Stadt Sarajevo ein. Die Österreicher hatten für ihren Besuch ein unglückliches Datum gewählt: Ausgerechnet an diesem Tag, dem Veitstag, hatten im Jahr 1389 osmanische Verbände ein serbisches Heer auf dem Amselfeld im Kosovo vernichtend geschlagen und damit die Ära des serbischen Reiches auf dem Balkan beendet. Für die Ultranationalisten in Serbien und Bosnien war die Ankunft des Thronerben ein Affront, der nicht unbeantwortet bleiben durfte.


Sieben, in zwei Zellen organisierte Terroristen, versammelten sich in den Tagen vor dem Besuch in der Stadt Sarajewo und stellten sich in Abständen entlang des Kais auf, wo das Thronfolgerpaar vorbeifahren sollte. Um ihre Hüfte hatten sie Bomben gebunden, die nicht grösser als Seifenstücke waren, in ihren Taschen steckten Pistolen. Falls ein Mann durchsucht und verhaftet worden wäre, stand ein anderer bereit, um seinen Platz einzunehmen. Jeder Terrorist hatte ausserdem ein Tütchen Zyanidpulver bei sich, um sich damit nach dem Anschlag das Leben nehmen zu können.


Das missglückte Attentat.  Es gab kaum offizielle Sicherheitsvorkehrungen. Der Erzherzog und seine Frau (es war übrigens ihr Hochzeitstag) fuhren im offenen Wagen an einer jubelnden Menschenmenge vorbei, noch dazu auf einer Route, die hinlänglich bekannt war. Die Kolonne bestand aus sieben Automobilen, wobei das Thronfolgerpaar im dritten sass, bei zurückgeklapptem Verdeck. Auf der Höhe des Appelkais passierten sie den serbobosnischen Attentäter Nedeljko Cabrinovic. Dieser holte seine Bombe hervor, zerschlug das Zündhütchen an einem Laternenpfahl und warf die Waffe - man sollte wohl eher von einer Handgranate sprechen - in Richtung des erzherzoglichen Autos. Die Granate verfehlte jedoch ihr Ziel und explodierte erst unter einem nachfolgenden Wagen, wo sie mehrere Offiziere und umstehende Zuschauer verletzte.


Sobald Cabrinovic die Bombe geworfen hatte, nahm er das Zyanidpulver ein, das er bei sich trug und warf sich über die Uferbrüstung in den Fluss. Beides hatte nicht den gewünschten Effekt. Das Gift war von einer schlechten Qualität, sodass es dem jungen Mann nur die Kehle und die Magenschleimhaut verbrannte und der Fluss hatte zur Sommerzeit nur einen niedrigen Wasserstand, sodass er auf dem sandigen Flussufer liegen blieb. Dort wurde er schnell von einem Barbier und zwei Polizisten gefasst und zum Gefängnis gebracht.


Das Attentat.  Der Erzherzog reagierte erstaunlich kaltblütig auf diesen Vorfall. Anstatt den Besuch abzubrechen, entschied der Erzherzog, das Programm protokollgemäss fortzusetzen und liess sich zum geplanten Empfang ins Rathaus fahren. Als dieser nach einer knappen Stunde beendet war, wurde die Route spontan noch einige Male geändert, u. a. deswegen um die Verletzten im Militärkrankenhaus zu besuchen. Als der Militärgouverneur dies bemerkte liess er die Kolonne stoppen um zur früheren Route zurückzukehren. Doch just an der Stelle, , wo das Auto mit Franz Ferdinand und Sophie anhielt, stand der bosnische Serbe Gavrilo Princip. Als einziger der Attentäter hatte er nach dem Fehlschlag des ersten Attentatsversuch seine Position nicht aufgegeben, sondern auf eine zweite Chance gewartet.


Diese bot sich ihm jetzt und er feuerte auf das zum Stillstand gekommene Fahrzeug zwei oder drei Schüsse ab. Ein Schuss traf den Erzherzog in die Halsvene, ein anderer die Erzherzogin in den Bauch. Der Wagen raste nun zum Palast des Militärgouverneurs, der sich nur wenige Minuten vom Ort des Attentats befand. Von einem Begleiter nach seinem Befinden gefragt, versicherte Franz Ferdinand, es sei nichts und wiederholte dies mehrfach. Als die Fahrzeugkolonne die Residenz erreichte, war Herzogin Sophie bereits ihren schweren Verletzungen erlegen. Eine Viertelstunde später starb auch der österreichisch-ungarische Thronfolger.


Derweil wurde Gavrilo Princip von österreichischen Gendarmen festgenommen. Er hatte versucht, die Pistole gegen sich selbst zu richten, aber dabei war ihm einer der Umstehenden in den Arm gefallen. Daraufhin schluckte Princip seine Giftkapsel, musste sich aber sogleich übergeben, sodass das Gift keine Wirkung entfalten konnte. Er wurde von den Menschen in seiner Nähe geschlagen und getreten und wäre wohl gelyncht worden, hätten ihn die Polizisten nicht davor bewahrt und abgeführt. Als, kurz nach 11 Uhr, sich die Nachricht vom Tod des Thronfolgerpaares vom Palast aus verbreitete, begannen in ganz Sarajevo die Kirchenglocken zu läuten.


Gavrilo Princip, der Sohn eines Postmeisters, wurde, da er zum Zeitpunkt der Tat noch Jugendlicher war, zu 20 Jahren Haft in der Festung Theresienstadt verurteilt. Dort starb er im April 1918 an Knochentuberkulose.


Epilog.  Der Amerikaner George F. Kennan hat mit Blick auf Sarajewo von der "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" gesprochen. Als die Bundesrepublik im Oktober 2010 die letzte Rate (200 Millionen Euro) der Reparationen zahlte, die Deutschland im Frieden von Versailles auferlegt worden waren, nahm die Öffentlichkeit aber davon schon keine Notiz mehr.

1 Kommentar:

  1. Zitat: "Als die Bundesrepublik im Oktober 2010 die letzte Rate (200 Millionen Euro) der Reparationen zahlte, die Deutschland im Frieden von Versailles auferlegt worden waren, nahm die Öffentlichkeit aber davon schon keine Notiz mehr".

    Schon richtig, weder ARD, ZDF und Printmedien hatte das auch nur erwähnt.
    Auch das ist Geschichtsschreibung!

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