Sonntag, 19. Februar 2017

Werden unsere Abiturienten immer schlauer?

Gute Kunde erreicht uns aus den Gymnasien. Die Zahl der Schüler mit Abitur steigt und steigt. Anfang der 50er Jahre waren es erst 5 Prozent, jetzt bestehen schon bald 50 Prozent eines Schülerjahrgangs die Abiturprüfung und erlangen damit die Hochschulreife.

Spitzenwerte gibt es auch bei der Notengebung. Eigentlich müssten die Durchschnittsnoten sinken, wenn die Alterskohorte größer wird - aber das Gegenteil ist der Fall. Die Noten im Bereich 1 und 2 haben sich dramatisch vermehrt. In Bayern hat sich, während der vergangenen 6 Jahre, die Anzahl der 1er-Abiturienten glatt verdoppelt. Und in Berlin - bitte die Luft anhalten - ist sie sogar um den Faktor fünf angestiegen. Sind die Schüler heute klüger als zu früheren Zeiten oder sind die Prüfungen zu leicht? Sind wirklich alle Schüler, die ein Abi-Zeugnis vorweisen können, reif für ein Studium?

Tricksereien bei der Notengebung

Das Abitur moderner Prägung wurde erst um 1900 eingeführt. Vorher gab es vereinzelt Matura-Prüfungen als Zulassung für die Staatsexamina in den Geisteswissenschaften und der Jurisprudenz. Selbstverständlich hat sich im Laufe eines guten Jahrhunderts der Bildungsstand der Gymnasialabsolventen deutlich erhöht, insbesondere im Bereich der Naturwissenschaften. Aber die Inflation an Bestnoten während der vergangenen ein bis zwei Jahrzehnte wird damit noch nicht erklärt. Früher war ein 1er-Abitur der Ausweis besonderer Befähigung. Heute schaffen diese Note - beispielsweise im Bundesland Thüringen - bereits 18,5 Prozent des Schülerjahrgangs.


Glückwunsch auch von mir

Der Grund für diese Supernoten ist, dass an allen Ecken und Kanten getrickst wird. Das geschieht im vollen Einverständnis mit der Politik, denn jeder der 16 Kultusminister will, dass in seinem Bundesland die Abiturientenquote hoch ist und die Abiturienten mit guten bis sehr guten Noten entlassen werden. Dann hat er am wenigsten Streit mit den Eltern. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen.

Lange hat es gedauert, bis die 15 Bundesländer (außer Rheinland-Pfalz) das "Zentralabitur" endlich eingeführt haben. Um nicht gegenüber den Südländern Bayern und Baden-Württemberg zu schlecht auszusehen, haben Berlin,  Hamburg und NRW vorher durchgesetzt, dass die Aufgaben erleichtert wurden, was insgesamt die Abiturnoten deutlich "verbesserte". Auch bei der überstürzten Einführung der "Turbostufe G8" hat man die Bedingungen "liberalisiert"; Sitzenbleiber gab es kaum noch. Beim "Ablegen von Fächern" sind in Bayern eines von vieren erlaubt, in Hamburg zwei von vieren. Bei den "Referaten zur mündlichen Prüfung" gilt in Bayern eine Vorbereitungszeit von 30 Minuten, in Hamburg werden die Themen 2 Wochen(!) vorher mitgeteilt. Außerdem hat man in fast allen Bundesländern den Wert der mündlichen Prüfung" (im Verhältnis zur schriftlichen) von 1:2 auf 1:1 erhöht, was die Gesamtprüfung natürlich leichter macht. Schließlich: in die Abiturnote gehen zusätzlich die Noten der vier letzten Schulhalbjahre ein; durchfallen beim Abitur ist da schon fast ein Kunststück.

Fragwürdige Hochschulreife : Additur statt Abitur?

Die rund hundert deutschen Hochschulen kommen mit den vielen Abiturienten, die zum Studium strömen und mit ihren "fabelhaften" Noten nicht mehr zurecht. Sie wehren sich teilweise durch die Anwendung des Numerus Clausus (NC), insbesondere in der Medizin und den geisteswissenschaftlichen Fächern. Mittlerweile ist fast die Hälfte der Uni-Institute von der Zugangsbeschränkung durch den NC "bedroht". Das Abiturzeugnis wird nicht mehr als hinreichende sondern allenfalls als ergänzende Voraussetzung zum Studium - unter mehreren anderen - angesehen.

Einige Hochschulen stemmen sich gegen den Abiturientenzulauf, indem sie eigene Zugangsprüfungen einführen. Dagegen gibt es massiven Widerstand aus den Reihen der Gymnasien, die sich in ihrem ureigenen Bereich bedroht fühlen, wenn das klassischen Abitur von den Universitäten nicht mehr solo akzeptiert wird. "Diese Uniprüfungen schlagen den Gymnasien den Kopf ab; das bedeutet Additur gegen Abitur", klagte kürzlich ihr eloquenter Verbandsfunktionär  Josef  Kraus in einem Radiointerview. Aber der Bayer kann gelassen bleiben, denn die ständig unterfinanzierten deutschen Hochschulen haben weder die Finanzmittel noch die personelle Ausstattung für einen solchen permanenten Kraftakt, den die Zugangsprüfungen darstellen.

Stattdessen richten manche Hochschulen sogenannte Brückenkurse ein, in denen Studienbewerber für Volks- und Betriebswirtschaft, welche fälschlicherweise glauben, dort ohne sonderliche Mathematikkenntnisse auszukommen, in genau diesem Fach nachgeschult werden. Auch einsemestrige Schnupperkurse sollen den künftigen Studenten angeboten werden, um ihnen eine Orientierung im akademischen Leben zu verschaffen. Schließlich fordert Horst Hippler, der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, von den Gymnasien immer wieder die Einführung der relativen Noten an. Darunter versteht er einen Notenspiegel, zusätzlich zu dem üblichen Abiturzeugnis. Bei dieser Zusatzinformation stünde beispielsweise hinter jeder 1 in einem Fach die Anzahl der Klassenschüler (z. B. 50) und wieviel davon ebenfalls eine 1 erhalten haben. Wären es zum Beispiel 25 Schüler (wie vielleicht in manch thüringschen Gymnasium), dann stünde für den Professor fest, dass eine solche 1 nur begrenzten Wert hat.

Magnifizenz Hippler und seine Kollegen sitzen allerdings im Glashaus. Denn auch an den Hochschule und insbesondere den Universitäten, wird milde geurteilt. Besonders bei den Master- und Doktorzeugnissen wimmelt es geradezu von Einsen und Zweiern. Die Professoren wollen sich eben keinen Prozessen aussetzen, zu denen die Eltern heute allzu leicht bereit sind.

Ungeachtet der manchmal etwas fragwürdigen Notengebung, scheint es beim Lehrstoff an den Gymnasien aber durchaus Fortschritte zu geben. Insbesondere auf dem Gebiet der Physik, welches ich in etwa überblicken kann. Dort kam man früher - vor 30 bis 40 Jahren - noch mit der Newton´schen Mechanik aus, heute muss man schon Kenntnisse auf dem Gebiet der Einstein´schen Relativitätstheorie vorweisen.
Dies scheint nicht für das Fach Deutsch/Germanistik zu gelten. Laut "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 11. Februar 2017 wurde eine Studentin an der Düsseldorfer Universität nach Goethe befragt. Ihre Antwort:

"Keine Ahnung, irgend so´n Toter".

1 Kommentar:

  1. Die Dienstleistungsgesellschaft und der laufende technische und wirtschaftliche Wandel erfordert viele Hochschulabsolventen. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten kann man zudem anders lernen als früher. Vieles im traditionellen Stoffkanon eines Studiums hat wenig Praxisbezug. Letztlich kommt es nur darauf an, ob der Hochschulabsolvent später sein berufliches Tätigkeitsfeld in Forschung, Lehre, als Führungskraft oder spezialisierter Sachbearbeiter ausfüllen kann. Darüber gibt es m. E. keine Klagen.

    Auch früher wurde von den Älteren schon über die Jugend geschimpft, wobei das Verständnis zwischen den Generationen heute glücklicherweise viefach ein Freundliches ist:


    Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.

    Sokrates
    *469 vChr † 399 vChr

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