Sonntag, 14. August 2016

Das Karlsruher "Fescht", ein Erfolg

Nicht nur das Dorf Wacken, im entlegenen Schleswig-Holstein, nein, auch die Großstadt Karlsruhe (mit über 300.000 Einwohnern), richtet alljährlich im Sommer ein Open-Air-Festival aus, von den Einheimischen kurz "Fescht" genannnt.  Während in Wacken die Besucher meist (freiwillig!) mit Gummistiefeln in einer verschlammten Kiesgrube stehen müssen, um die von weither angereisten Heavy Metal Bands hören zu können und dafür 190 Euro bezahlen, wird das Rock- und Pop-Festival in Karlsruhe in einer gepflegten städtischen Parkanlage (liebevoll "Klotze" genannt) aufgeführt - für nur 5 Euro Eintritt. Kein Wunder, dass es an Zuhörern nicht mangelt. Dieses Jahr kamen, trotz eines verregneten Freitags, insgesamt 230.000 Besucher über drei Tage. Das sind wohl ebenso so viele, wie der heimische Fußballklub KSC in 17 Heimspielen anlockt und kommt nahe an die 300.000 jährlichen Besucher des Staatstheaters heran.

Und Karlsruhe bemüht sich zudem, für alle Bevölkerungsschichten gefällige Musik aufzubieten - sogar für die Anhänger der Klassik. Der Sonntagvormittag ist deshalb traditionsgemäß für die Freunde von Mozart, Beethoven und Wagner reserviert. Sie kommen in hellen Scharen, breiten nicht selten damastene Tischdecken auf der Grasfläche aus, stellen barocke Kerzenleuchter darauf und genießen das Konzert bei Champagner in edlen Gläsern, wobei sie Isoldes Liebestod lauschen. Welch ein Kontrast zum Klientel der darauf folgenden Rockkonzerte!

Die Top - Acts

Die Höhepunkte des Karlsruher Musikfestivals finden auf dem sogenannten Hügel der Klotz-Anlage statt. Vom frühen Nachmittag bis zum späten Abend spielen an jedem Tag 7 bis 8 bekannte Bands auf. Den Älteren unter uns sagen ihre Namen meist recht wenig, bei den Jugendlichen sind die Partymusiker indes wohl bekannt. Und das trotz ihrer schrägen Namen, wie Voodoo Kiss, Mother Tongue, Razz, Django 3000, Dellé, Milky Chance etc. Die heurigen Favoriten unter diesen, die sogenannten "Top - Acts" waren am Samstag (23. Juli) die Gruppe Fettes Brot und am folgenden Sonntag Element of Crime. Einen Hit-Song von jeder der beiden letztgenannten Bands kann man, mit Hilfe von Youtube, unten abspielen.

Die Band "Fettes Brot" rekrutiert sich aus drei Hamburger Hip-Hop-Dinosauriern, die schon seit 1992 gemeinsam auf Tour sind.  Ihre Namen sind Dokter Renz, König Boris und Björn Beton; daneben benutzen sie noch ein halbes Dutzend Künstler- und Aliasnamen. Im Jahr 2005 gelang der Gruppe mit dem Song "Emanuela" ein großer Hit, der rasch die Charts eroberte. Emanuela ist das Lied von einem Mädchen, in das alle Jungs verknallt sind, die aber keiner zu "kriegen" vermag. Die Strophen werden abwechselnd von den Bandmitgliedern gerappt, den Refrain "Lass die Finger von Emanuela" singen sie gemeinsam.



Auch die Musiker der Band "Elements of Crime" kommen aus dem hohen Norden, nämlich aus Bremen. Ihr Gründer Sven Regener (1985) wurde später auch als Autor des Buches "Herr Lehmann" bekannt. In ihrer Originalbesetzung mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang spielen sie melancholische Pop- und Rockmusik. In ihrer Anfangszeit waren sie oft im Vorprogramm von Herbert Grönemeyer zu hören. Der Song "Delmenhorst" ist eine Hommage an den gleichnamigen Vorort von Bremen. Er wurde im Jahr 2005 kreiert und erlangte bald auf der Single-Chart den ersten Platz. Der Text "Ich bin jetzt immer da, wo du nicht bist und das ist Delmenhorst" ist nicht gerade intellektuell, gefällt aber den Menschen und gehört deshalb immer noch zum Repertoire dieser Band.


Das Karlsruher Fest gibt es schon seit 31 Jahren.
Mit Martin Wacker als Eventmanager werden wir - hahaha - demnächst Wacken überholen.

Sonntag, 7. August 2016

Roland Koch - als Manager gescheitert

Roland Koch war ein begnadeter Redner und über zehn Jahre hinweg auch ein durchaus erfolgreicher Ministerpräsident für das Bundesland Hessen. Er galt als "Rechtsausleger" seiner Partei CDU, wobei er sich vor allem gegen die doppelte Staatsbürgerschaft der damals noch 2,5 Millionen Türken in Deutschland wandte. (Wertet man die kürzliche Veranstaltung in Köln, wo 40.000 "Deutsch-Türken" auf Weisung von Erdogan spontan und - nur türkische - Fahnen schwenkend auf die Straße gingen, so war Kochs damalige Warnung wohl nicht ganz unberechtigt.) Indes, der Landeschef glaubte den Marschallstab zu "noch Höherem" im Gepäck zu haben. Als Angela Merkel jedoch im Jahr 2009 ihre zweite Kanzlerschaft antrat, musste er erkennen, dass ihm eine weitere Karriere in der Bundespolitik versagt bleiben würde. Er verließ die hohe Politik und wandte sich der Wirtschaft zu.

Der ehemalige Dresdner Bank-Chef Bernhard Walter lotste Roland Koch am 1. August 2011 als Vorstandsvorsitzenden zu der damals renommierten Baufirma Bilfinger Berger mit Hauptsitz in Mannheim, einem Umsatz von ca. 10 Milliarden Euro und mit mehr als 70.000 Beschäftigten. Neben Hochtief war Bilfinger Berger eines der größten deutschen Bauunternehmen. Sein Ministerpräsidentengehalt konnte der Newcomer durch diesem Stellenwechsel in etwa verzehnfachen. In diesen Tagen - der Grund für meinen Blog - läuft Kochs Fünfjahresvertrag ab und (samt einiger Kontrollmandate bei UBS und Vodafone) wird er währenddessen um ca. 10 Millionen Euro reicher geworden sein. Wir brauchen uns also keine Sorgen um Roland machen - auch wenn er bei Bilfinger grandios gescheitert ist, weil er bereits nach drei Jahren, im August 2014, vom Aufsichtsrat dieser Firma gefeuert worden ist.

Auf dem Weg nach unten

Im Nachhinein kann man zwei Gründe benennen, weshalb Roland Koch so schnell als Manager bei Bilfinger Berger erfolglos bleiben musste und das Unternehmen heute vor dem Zusammenbruch steht: Der ex-Ministerpräsident hatte keine glückliche Hand bei der Neustrukturierung seiner Firma und er fand nicht die richtigen Antworten auf die äußeren Entwicklungen. Kochs erster Fehler war wohl, dass er das traditionelle und gewinnbringende Hoch- und Tiefbaugeschäft (im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat) aufgab und das Unternehmen radikal auf Dienstleistungen hin umstrukturierte. Konsequenterweise strich er bald den Namensbestandteil Berger, firmierte nur noch unter Bilfinger (mit einer blaugelben Endlosschleife als Logo) und steckte das Geld in die drei Servicebereiche für Gebäude, Industrieanlagen und Kraftwerke. Wegen der Energiewende und der Ölkrise erbrachten die beiden letztgenannten aber statt Gewinne nur heftige Verluste. Schon bald war das neuformierte Unternehmen kein integrierter Baukonzern mehr, sondern ein Sammelsurium unzusammenhängender Kleinbetriebe. Die FAZ schrieb: "Bilfinger fährt im Dunkeln, ein Unternehmen ohne Strategie". Der sinkende Aktienkurs minderte den Firmenwert drastisch.


Roland Koch mit Bilfinger-Logo; erklärt (vergebens) den Abwärtskurs

Zum erheblichen Teil scheiterte Koch auch an der Energiewende. Ganz plötzlich wurden keine Kraftwerke mehr gebaut und die Betreiber sparten bei ihren Industrieanlagen, indem sie die Wartungsintervalle verlängerten. Hinzu kam der Ausfall eines Großauftrags aus Südafrika, der schon eingebucht war.  Der Flickenteppich aus 250 Einzelfirmen war kaum mehr zu überblicken, das Unternehmen war zu komplex geworden. Als Koch zum wiederholtem Male die mit den Gesellschaftern vereinbarten Ziele nicht erreichte und sogar in kurzer Zeit zwei "Gewinnwarnungen" herausgeben musste, war seine Stunde gekommen: der 56-jährige musste am 8. August 2014 gehen; das Gehalt für die restlichen zwei Jahre wurde ihm zugebilligt.

Nach dem erzwungenen Rücktritt von Roland Koch hat Bilfinger nun bereits den dritten CEO. Übergangsweise war dies der frühere Vorstand Herbert Bodner, ihm folgte der Norweger Per Utegaard, welcher nur 11 Monate blieb, dafür aber 4,5 Millionen löhnen durfte. Jetzt wurde der Brite Thomas Blades angeheuert. Es scheint als wolle er den Konzern zerlegen, um ihn dann stückchenweise zu verkaufen. Damit wäre das Ende von Bilfinger gekommen. Die Laufzeit von Blades´Anstellungsvertrag wurde öffentlich nicht bekannt gemacht. Der Brite hat eine bewegte Vergangenheit. Unter anderem war er Chef des Freiberger Unternehmens Choren, welches aus Abfallholz und Stroh Sprit für Autos herstellen wollte. Trotz renommierter Partner (Daimler, VW, Shell) ist dies nicht gelungen und das Unternehmen ging 2011 schließlich in die Insolvenz. Eine ähnliche Zielsetzung verfolgt man übrigens seit ca. 15 Jahren im Forschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT) mit dem Projekt Bioliq.

Politik versus Wirtschaft

Für die Medien war es überraschend, dass so ein ausgefuchster Politmanager wie Roland Koch in der Wirtschaft (so früh) scheitern konnte. In einen Interview mit der ZEIT im Jahr 2015 hat er die aus seiner Sicht wesentlichen Unterschiede zwischen der Politik und der Wirtschaft dargelegt. Einige Fragen und Antworten seien daraus entnommen:
Herr Koch, wo ist das Scheitern härter, in der Wirtschaft oder der Politik?
Koch: Wenn es sich um eine wirklich schwere Niederlage handelt, etwa den Verlust eines hohen Amtes, dann ist das in der Politik in der Regel eine gefährlichere Sache, weil die Chance auf Wiederkehr meist sehr gering ist.
Wo wird härter gekämpft, in der Politik oder in der Wirtschaft?
Politik ist viel interaktiver. Man muss große Gruppen auf unterschiedlichen Ebenen von seinem Anliegen überzeugen. In einer Partei gibt es keinen Befehl und keinen Gehorsam, sondern nur Bitte und Danke. In der Wirtschaft spielen Hierarchien eine größere Rolle. Da können Führungspersonen Mitarbeiter anweisen, befördern oder entlassen. Bei Krisen gibt es irgendwann keine Demokratie mehr, sondern nur noch Befehle.
Wo werden Fehler eher verziehen?
In der Politik ist es oft schwer zu definieren, was eigentlich ein Fehler war. Wenn Politiker die Staatsverschuldung nach oben treiben, aber mit dem Geld ein tolles Bildungssystem aufbauen, dann können die Wähler entscheiden, was ihnen wichtiger war. Bei einem Unternehmen geben Menschen hundert Euro für eine Aktie und fragen: wann ist diese 101 oder 105 wert?  Und die Antwort sollte belastbar sein.

Die Schlaumeier

Roland Koch hätte sich sein Leben (nach der Politik) viel leichter und genau so ertragreich gestalten können, wenn er dem Beispiel einiger seiner Politkollegen gefolgt wäre. Die Schlitzohren in diesem Genre verkaufen einfach ihr Gesicht, indem sie sich als "Türöffner" beziehungsweise als "Grüß-August" anheuern lassen. Oder sie reisen mit einem Manuskript aus ihrem ehemaligen Fachgebiet umher, das sie (für zumeist 25.000 Euro) dem staunenden Publikum vortragen wobei sie zum Schluss noch einige Autogramme verteilen.

Einer höheren Liga gehören die beiden ehemaligen Politiker Gerhard Schröder und Joschka Fischer an. Der Altbundeskanzler Schröder ließ sich von der russischen Erdölfirma Gazprom engagieren, wo er für die Ostsee-Pipeline Nord Stream tätig sein soll. Was er wirklich vollbringt, ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt - wohl aber, dass er immer wieder mit seinem Männerfreund Wladimir Putin in einer Kremlbar zusammen sitzt und dort deutsches Bier trinkt. Joschka Fischer, von 1998 bis 2005 deutscher Außenminister, gründete nach seinem Ausscheiden eine Consultingfirma, wo er u. a. den Energiekonzern RWE zum Bau der Nabucco-Pipeline berät, welche Erdgas vom Kaspischen Meer über die Türkei zur EU leiten soll. Daneben gehört BMW zu seinem Klientel, was schon deshalb spaßig ist, weil Joschka während seiner "grünen Epoche" diese Firmen aufs Heftigste befehdet hat.

Roland Koch hat sich von solch windigen, wenn auch einträglichen Jobs stets fern gehalten und stattdessen den harten und risikoreichen Weg in der Managerexekutive gesucht. Dort ist er zunächst einmal gescheitert, hat dabei aber weder sein Gesicht noch sein Ansehen verloren. Man möchte ihm wünschen, dass er wieder in die deutsche Politik zurückkehrt. Er ist ein Politprofi, ein "political animal", dem man zutrauen kann, dass er beispielsweise die Zersplitterung der konservativen Parteien auf der rechten Seite auflösen könnte.

Vielleicht schon 2017.
In Berlin.


Ein Bild aus ferner Zeit

Sonntag, 31. Juli 2016

RWE wird grün

Wer jetzt noch Aktien des Energieversorgers RWE hält, muss leidensfähig sein. Seit der Energiewende vor fünf Jahren sind diese Papiere zweitweise um 80 Prozent in den Keller gerauscht. Bei den Ratingagenturen rangieren sie nur noch knapp über "Ramsch". Die Hedgefonds wetten bereits auf die Pleite dieses Konzerns, denn seine Schulden liegen ein Mehrfaches über dem Eigenkapital. Die Strompreise im Großhandel sind auf 2 Cent pro Kilowattstunde abgerutscht, womit man in der Produktion kein Geld mehr verdienen kann.

Hinzu kommt der "Brexit" und der Niedergang des englischen Pfundes, was deswegen drückt, weil RWE 21,5 Prozent seines Umsatzes in Großbritannien erwirtschaftet. Kein Wunder, dass die Dividendenzahlung bei der letzten Hauptversammlung auf Null Euro festgesetzt wurde; im Jahr 2011 hat sie noch stolze 7 Euro betragen. Aber nicht nur die Aktionäre leiden, auch die aktiven Mitarbeiter hat man inzwischen "gebeten", auf Weihnachts- und Urlaubsgeld zu verzichten.

Innogy:  das grüne Wunder

Seit einigen Monaten hat RWE einen Strategiewechsel vollzogen, der Hoffnung für den Weiterbestand des Unternehmens aufkommen lässt. Früher haben sich die Gespräche mit den Investoren zumeist um die Kernkraft sowie die Kohlekraftwerke gedreht und nur am Rande um das, was zu rund zwei Drittel das eigentliche RWE-Geschäft ausmacht, nämlich:  die Netze, die Erneuerbaren Energien und der Vertrieb. Betrachtet man die letzten drei Jahre, so sind 60 Prozent des Ertrags aus den Stromnetzen gekommen, also aus einen regulatorischen Geschäft, das eng mit der Energiewende zusammenhängt und das auch in den kommenden 5 bis 7 Jahren eine stabile Rendite verspricht. Wo gibt es so einen Gewinnbringer anderweitig bei RWE?

Das veranlasst den RWE- Vorstand in den kommenden Monaten diesen Teil der Firma auszugründen und an die Börse zu bringen, in der Hoffnung auf frisches Kapital. Ein Name für diese Tochtergesellschaft ist auch schon gefunden: Innogy. Kein unbekannter Name, denn Innogy - eine Wortschöpfung aus Innovation und Energy - existiert bereits seit dem Jahr 2008. Das Kleinunternehmen wurde damals gegründet, um die erneuerbaren Energieformen im Konzern zu bündeln. Jetzt wird der Name "rezykliert" und die neue Firma gleichzeitig gewaltig aufgeblasen. Aus ursprünglich 750 Mitarbeitern werden jetzt volle 40.000! RWE bleibt zwar Hauptaktionär, verfügt aber nur noch über 20.000 Angestellte und Arbeiter. Eine Absurdität am Rande: RWE als Ganzes hat heute einen Börsenwert von 8 Milliarden Euro, die neue Firma Innogy - also der grüne Teil davon - beziffert man allein auf 15 bis 20 Milliarden Euro!

Und den neuen Chef von Innogy gibt es auch schon. Es ist der alte Chef der RWE, also Peter Terium. Er wird das Tochterunternehmen dirigieren - unter einem neuen RWE-Vorsitzenden. Scheibchenweise soll Terium die Tochter an die Börse bringen und mit dem erlösten Kapital den Fortbestand der Mutter sichern. Wer denkt da nicht an Münchhausen, der sich einstmals selbst am Schopfe aus dem Sumpf zog? Als geschäftstüchtiger Holländer wird (der Dreibanden-Hobby-Billardspieler) Terium dabei wohl nach dem Wahlspruch seines Heimatlandes verfahren: Der Kaufmann grüßt den König. (Sprich: Auseinandersetzungen mit der Legislative in Berlin sind zukünftig tabu).


Berufsdemonstranten im Braunkohlegebiet

Vor wenigen Wochen hat die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen beschlossen, den eigentlich bereits genehmigten Braunkohle-Tagebau Garzweiler II zu verkleinern. Statt 1,2 Milliarden Tonnen Braunkohle dürfen nur noch 800 Millionen abgebaggert werden. Diese Maßnahme wird die dortigen 14.000 Arbeitsplätze um 2.300 verringern. Vor drei Jahren zählte die Braunkohle-Kraftwerkssparte noch 17.750 Mitarbeiter.

Die Ökolobby wird nicht müde, die Braunkohle als "Klimakiller" zu verteufeln. Ein möglicherweise voreiliges Urteil, wenn man die gesamte Energiebilanz ("footprint") vergleicht. Für das Heranschaffen der Braunkohle zum Kraftwerk braucht man nicht Tausende Kilometer Stahlröhren wie beim Erdgas, sie muss auch nicht mit (dreckigen) Dieselmotoren über die Weltmeere geschippert werden wie die Steinkohle aus Kolumbien oder Australien. Im übrigen bedeutet Energiegewinnung immer einen Eingriff in die Natur, auch bei Wind und Sonne!


Peter Terium (noch Chef der RWE) denkt über Innogy nach

Trotzdem tummeln sich seit Jahren besonders viele Berufsdemonstranten im Tagebaugebiet des Hambacher Forsts. Sie kommen aus Osteuropa sowie einer bestimmten Szene in England und sind straff organisiert. RWE-Mitarbeiter müssen um ihr Wohl und das ihrer Familie fürchten, wenn vermummte Gestalten mit Molotowcocktails bewaffnet sind und Autofenster mit Baseballschlägern zertrümmern. Viele dieser Radikalen haben keinen Pass und oft auch keine Fingerabdrücke - weil diese weggeätzt (!) sind. Wer aber keine Identität hat, kann (aus polizeilicher Sicht) auch nicht strafrechtlich verfolgt werden.

Netzstabilität nur durch Dynamos

Die ständige Forderung der Grünen nach sofortiger Abschaltung aller Kohlekraftwerke korrespondiert leider nicht mit den Gesetzen der Physik und der Elektrotechnik. So müssen allein zur Sicherstellung der sogenannten Sekundenreserve im Netz mindestens 20 Prozent der Stromnachfrage durch konventionelle  Generatoren (Dynamos) erzeugt werden. Wenn ein ICE den Bahnhof verlässt, wenn ein Stahlwerk angefahren wird oder wenn im Stadion das Flutlicht angeht, dann muss in dieser Sekunde ein Kraftwerk hochgefahren werden und zwar nicht per Hand, sondern gesteuert durch den Frequenzabfall im Stromverbund. Alle Stromgeneratoren, von Spanien bis Polen, sind gewissermaßen auf einer einzigen Achse montiert; die Umdrehungen der Generatoren aller Kraftwerke sind so starr und kraftvoll, dass überall eine gemeinsame Netzfrequenz von 50 Hertz eingehalten wird. Sonne und Wind können diese Sekundenreserve und Netzstabilität nicht zuverlässig leisten. Fossile Kraftwerke sind, um ein Bild aus der Bankenwirtschaft zu gebrauchen, systemisch wichtig.

In der gegenwärtigen Situation neue Windkraftwerke in Regionen wie zwischen Rostock und Stralsund aufzustellen, ist reiner Unsinn. Im Starkwindfall sind die Leitungen bis zum Anschlag voll, sodass für jedes neue Windkraftwerk ein bestehendes vom Netz genommen und trotzdem bezahlt werden muss! Erst wenn in Zukunft die Netzengpässe beseitigt sind, erst wenn es wettbewerbsfähige Speichertechnologien gibt, ist ein weiterer Ausbau von Wind- und Solarkraftwerken sinnvoll.

Aber wie oft wurde das schon - vergebens - von mir und anderen gesagt!

Sonntag, 24. Juli 2016

Die Sparkassen in der Krise

Einst gehörten die Sparkassen zum Ortsbild, wie die Kirche und das Wirtshaus. Mittlerweile verschwindet diese Trias - aus verschiedenen Gründen. Die Sparkassen wurden vor rd. 200 Jahren gegründet, als Bank der "kleinen Leute", welche bis dato für Kredite den Wucherern und "Finanzjuden" ausgeliefert waren.

Das Geschäftsmodell der Sparkassen war einfach und hat sich über Jahrhunderte hinweg kaum verändert: das Geld der Kunden wurde via Sparbuch eigesammelt, zu ca. 3 Prozent verzinst und über Kredite weiter gegeben - aber zu ca. 6 Prozent. Von der Spanne um 3 Prozentpunkte konnten die Beteiligten gut leben. Seit der EZB-Chef Mario Draghi jedoch die Nullzinsphase ausgerufen hat, funktioniert dieses Schema nicht mehr, denn die Differenz aus den beiden genannten Positionen, also der Rohgewinn, wird immer kleiner. In Zukunft, wenn die meisten Anleihen mit hohen Kupons auslaufen, wird der Überschuss an Zinseinnahmen und Zinsausgaben weiterhin drastisch sinken. Die Sparkassen stehen vor dem Umbruch; bei ihnen selbst ist Sparen angesagt, insbesondere beim Kostenblock Immobilien und Personal.

Immer weniger Filialen

Die Sparkassen schließen zunehmend ihre bombastischen Hauptsitze und Filialen. Zum Beispiel wie die beiden Sparkassen Karlsruhe und Ettlingen, die jahrelang scharf konkurrierten. Nun haben sie, vor zwei Jahren, zur einzigen Sparkasse Karlsruhe-Ettlingen fusioniert. Das Gleiche geschieht überall in der Republik: aus 500 Sparkassen wurden in zehn Jahren derzeit 410 und der Konzentrationsprozess geht weiter. Auch die Filialen und Geschäftsstellen haben sich auf 14.500 reduziert, die Beschäftigten von 284.000 auf  234.000.

Die Sparkassenfiliale im Fußgängernähe könnte schon bald eine Rarität sein. Für ältere Kunden ohne Auto bieten manche Sparkassen bereits Bustickets zur nächsten Filiale an. In Bayern wird alten Menschen zuweilen sogar das Geld ins Haus gebracht. Die jüngeren Kunden nutzen ohnehin das Internet und setzen manchmal nur ein Mal im Jahr ihren Fuß in eine Geldfiliale. Hinzu kommen die Geldautomaten, die immer öfters in Supermärkten anzutreffen sind. In Bayern sollen in diesem Jahr von 2200 Geschäftsstellen 220 schließen.

Arme Bundeskanzlerin

Weitaus weniger rigoros sind die Sparkassenmanager beim Stutzen ihrer eigenen Gehälter und Boni. Nach einer FAZ-Auswertung zahlen 60 Prozent der Sparkassen ihren Chefs ein höheres Gehalt als es der Bundeskanzlerin zusteht. Angela Merkel erhält ein Jahresgehalt von 282.000 Euro, inklusive ihrer Bezüge als Abgeordnete. Von diesem Bruttogehalt geht knapp die Hälfte als Steuern ab. (Die beiden vorzeitig zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler und Christian Wulff erhalten monatlich 20.000 Euro - netto! - bis an ihr Lebensende). Bundesweiter Spitzenreiter ist die Hamburger Sparkasse, die ihren Topmanagern im Jahr 2014 je 853.000 Euro auszahlte. Es folgt die Kreissparkasse Köln-Bonn mit 704.280 Euro und die Berliner Sparkasse (651.833 Euro). Selbst die relativ kleine Sparkasse Saarpfalz entlöhnte ihre Manager mit 305.000 Euro. In Bayern verdienen die Sparkassenbosse übrigens am wenigsten!

Auch bei den Bonuszahlungen sind die Verwaltungsräte der Sparkassen nicht zimperlich. Ungeachtet einer Empfehlung ihres Verbandes, dass diese Boni 15 Prozent des Festgehalts nicht überschreiten sollen, genehmigten die mit Kommunalbeamte besetzten Aufsichtsorgane in Leverkusen 26 Prozent. Den Vogel schoss die Sparkasse Märkisches Sauerland Menden ab, die ihrem Vorstandvorsitzenden  sogar einen Bonus von 23 Prozent zubilligte - obwohl seine Kasse im fraglichen Jahr kaum Gewinn gemacht hatte. (Womit die "braven" Sparkassen aber noch meilenweit entfernt sind von den Perversionen der einstmals renommierten Deutschen Bank;  dieses - nunmehr vor der Pleite stehende Institut -  hat einem ihrer Geldhändler in London einen Bonus von, sage und schreibe, 80 Millionen Euro ausgezahlt).

Die Sonderstellung der Sparkassen

Sparkassen sind besondere Institutionen, weil sie Anstalten des öffentlichen Rechts sind. Sie erhalten in der Regel von ihren Kommunen, den Trägern, kein Eigenkapital. Sie können daher auch nicht verkauft werden, wie vor etwa zehn Jahren Stralsunds Bürgermeister leidvoll erfahren musste. Diese Sonderstellung verleitet viele Sparkassenvorstände dazu, ziemlich selbstherrlich zu agieren und sich als Sponsor und Mäzen feiern zu lassen. Etwa durch Geldspenden an den Sportverein A, das Museum B oder für das Konzert C. Dadurch wird - wie durch überhöhte Vorstandsgehälter - der zu versteuernde Jahresreingewinn maximal klein gehalten. Für die zumeist klammen Kommunen fällt in der Regel viel zu wenig ab. Im Jahr 2015 machten die 410 deutschen Sparkassen zwar 2 Milliarden Euro Gewinn, zahlten aber nur 250 Millionen Euro, also ein Achtel, an ihre Träger aus. Den Vogel schoss in dieser Beziehung die Stadtsparkasse Düsseldorf ab. Von den 104 Millionen Jahresgewinn wollte sie 101 Millionen in die Rücklagen (ver-) stecken. Es kam zum Prozess mit der Stadt und die Sparkasse musste (bloße) 25 Millionen für ein Museum rausrücken.

Bedenkt man, wie vor allem ältere Menschen, die schon im Ruhestand sind, bei der Kreditvergabe durch Sparkassen im Hinblick auf die EU-Richtlinie Basel III geradezu schikaniert werden, so ist dieses Geschäftsgebahren unverständlich, ja geradezu verwerflich.

Schlussendlich: ein Sieg der Sparkassen

Seit mehreren Jahren streiten sich die deutschen Sparkassen mit der spanischen Bank Santander, wer mit der Farbe "rot" Werbung machen darf. Farben dürfen seit 1995 beim Patentamt als "Marken" eingetragen werden. Bekannte Beispiele sind Magenta (Telekom) und Blau (Nivea). Am 21. Juli 2016 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Santander mit der Farbe rot nicht mehr werben darf - auch nicht mit einem leicht anderen roten Ton. Grund: die meisten Menschen in Deutschland verbinden die Farbe rot mit dem Logo der Sparkassen. Die Bank Santander muss sich - zumindest für Deutschland - eine neue Farbe suchen.


Wie man die Sparkassen-Werbung kennt

Sonntag, 17. Juli 2016

Die Schlacht bei Königgrätz


Am 3. Juli 2016 war ein bedeutsamer Gedenktag, der von den deutschen Medien aber nur am Rande gewürdigt wurde - und von den österreichischen praktisch überhaupt nicht. Für letzteres gibt es Gründe, denn am 3. Juli 1866, also vor genau 150 Jahren, wurden bei Königgrätz die österreichisch-habsburger Truppen von der preußischen Armee vernichtend geschlagen. Dieser Sieg der Preußen ebnete den politischen Weg zur sogenannten kleindeutschen Lösung des künftigen Deutschen Reiches unter der Führung des Hauses Hohenzollern. Die von den Habsburgern angestrebte großdeutsche Lösung wurde erst 1938 realisiert und war zum Glück nur von kurzer Dauer.




Wilhelm I. trifft während der Schlacht auf den preußischen Kronprinzen



Nach den Napoleonischen Kriegen und auf den Trümmer des Heiligen Römischen Reiches war auf dem Wiener Kongress 1815 der Deutsche Bund  als loser deutscher Staatenverband hervorgegangen. Er wurde dirigiert durch eine instabile duale Hegemonie zwischen Habsburg und Preußen. Das katholische dominierte Österreich und das protestantische Preußen zogen jedoch in verschiedene Richtungen und nach dem gemeinsam gewonnenen Krieg gegen Dänemark 1864 brachen die Gegensätze offen aus. Auf Seiten Österreichs standen u. a. die Mittelmächte Bayern, Hannover, Sachsen, Baden und Württemberg, auf preußischer Seite die thüringischen Kleinstaaten und die meisten norddeutschen Länder; außerdem Italien, dem Bismarck, im Falle eines Sieges über Österreich, die Provinz Venetien zugesprochen hatte.


Der Bruderkampf

Es mag verwundern, dass bei der Schlacht von Königgrätz die damaligen Großmächte Frankreich, Russland und England Neutralität übten - im Gegensatz zur sogenannten Völkerschlacht gut fünfzig Jahre vorher. Dies war vor allem dem preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck zu verdanken. Er brachte das diplomatische Kunststück fertig, die genannten Staaten "ruhig zu stellen", indem er den sich offenkundig anbahnenden Krieg als einen "Familienstreit" darzustellen vermochte. Allgemein gingen die genannten Großmächte von einem Sieg der Österreicher aus; das Zurückstutzen der Newcomer-Großmacht Preußen lag genau in ihrem Interesse.

Am 3. Juli 1866 kam es zur entscheidenden Schlacht bei Königgrätz in Böhmen. Auf einem Gelände von nur zehn Kilometern Breite und fünf Kilometern Tiefe standen sich zwei Heere von je ca. 200.000 Soldaten gegenüber. Die preußische Militärmacht wurde von Generalstabschef Helmut von Moltke geführt, die Habsburger Truppen vom Feldzeugmeister Ludwig von Benedek. Über 17 Stunden hinweg lieferten sich die Soldaten einen erbitterten Kampf entlang einer Frontlinie, die zwischen der Festung Königgrätz und dem böhmischen Dorf Sadowa verlief. (In Frankreich wird die Schlacht deshalb auch nach dem Ort Sadowa benannt, wo sie als eigene Niederlage wahrgenommen wurde und in der Folge den Ruf nach Revanche pour Sadowa aufkommen ließ).

Mehrmals gerieten die preußischen Truppen in Bedrängnis, aus der sie sich aber immer wieder befreien konnten. Als am Nachmittag die Einkesselung der gesamten österreichischen Armeen - mit der Elbe im Rücken - drohte, gab General Benedek den Befehl zum Rückzug. Die Verluste der Habsburger an Menschen und Material waren drei Mal so hoch wie die der Preußen und ihre Niederlage war offenkundig. Beim Friedensvertrag in Prag musste Österreich 40 Millionen Taler als Kriegsentschädigung zahlen. Preußen war damit finanziell saniert und ab jetzt die Nr.1 im Deutschen Bund.


Gründe für den Ausgang der Schlacht

Wie konnte es geschehen, dass Preußen diese Schlacht gegen Österreich - einem allseits als überlegen eingeschätzten Gegner - so klar gewinnen konnte? Nun, die Militärhistoriker geben dafür vor allem drei Gründe an, nämlich: die Nutzung der Eisenbahn, des Zündnadelgewehrs und der Telegrafie. General Moltke verwendete die damals gerade aufgekommene Eisenbahn, um sein 200.000-Mann-Heer, unterteilt in kleine Einheiten, schnell an die Kampfstätten zu befördern. Über die wenigen, schlecht ausgebauten Straßen, hätte dies viel länger gedauert. Einen bösen Streich spielten ihm jedoch die mit Österreich verbandelten sächsischen Lokomotivführer; sie verbrachten eine große Zahl ihrer Loks ins (heute) tschechische Eger, wo sie dem Zugriff der Preußen entzogen waren. Trotzdem: Moltkes innovatives Logistikkonzept war letztlich erfolgreich. In kleinen Einheiten trafen die preußischen Soldaten ausgeruht in Königgrätz ein und wurden dort rechtzeitig vor der Schlacht zu Bataillonen und Divisionen zusammengestellt. Getrennt marschieren, vereint schlagen, war das Motto für dieses Vorgehen.

Mit kriegsentscheidend war auch das preußische Zündnadelgewehr. Bei ihm wurde eine pulvergefüllte Patrone in eine Metallkammer geladen und durch einen Schlag des "Hammers" (wegen seiner länglichen Form auch "Zündnadel" genannt) zur Zündung gebracht. Der Vorteil lag darin, dass dieser Hinterlader im Liegen bedient und bis zu sieben Mal in der Minute abgefeuert werden konnte. Mit dem österreichischem Vorderlader, der stehend und ungeschützt geladen werden musste, waren nur zwei Schuss pro Minute möglich. Den Österreichern war diese neue Technik ihrer Gegner zwar bekannt, aber nach ihrer Meinung "so schnell schießen die Preußen nicht" , glaubte sie nicht an deren Überlegenheit. Im Gegenteil: sie vertrauten bei den damals üblichen Mann-gegen-Mann-Kämpfen noch weitgehend auf ihre "Stoßtechnik". Dabei stürmten die Infanteristen mit aufgepflanzten Bajonetten auf die Gegner zu und versuchten sie abzustechen. Diese Massaker funktionierten bei Königgrätz nicht mehr, weil die Österreicher preußischen Gewehrschützen gegenüber standen, die sie nicht in Bajonettnähe kommen ließen.

Ebenfalls technisch überlegen waren die Preußen bei der militärischen Kommunikation. Die früher üblichen Meldereiter waren bereits weitgehend durch Telegrafen ersetzt, was eine viel schnellere und präzisere Führung der Truppen ermöglichte. Demgegenüber bestand das Heer der Habsburger aus zahlreichen Polen, Ukrainern, Rumänen und Venetiern, welche häufig die Kommandosprache der österreichischen Offiziere nicht verstehen konnten. Deshalb wurden die Anweisungen zumeist "pantomimisch" erteilt, also durch Armbewegungen, die aber in der Dämmerung oder im Gebüsch oft nicht erkennbar waren. Die planmäßige Führung der Kampfeinheiten war dadurch kaum möglich, jeder machte was er wollte und es gab haufenweise Deserteure.


Ausblick

 Mit dem preußischen Sieg von 1866 ging die lange Geschichte des preußisch-österreichischen Zweikampfes um die Hegemonie über die deutschen Staaten zu Ende. Preußen herrschte nun über ein zusammenhängendes Territorium, das von Frankreich und Belgien im Westen bis nach Russland-Litauen im Osten reichte. Preußen stellte auch vier Fünftel der Bevölkerung des neugegründeten "Norddeutschen Bundes", dem alle 23 norddeutschen Länder angehörten und der seinen Sitz in Berlin hatte. Den süddeutschen Ländern  Baden, Württemberg und Bayern blieb zwar die Annexion erspart, aber sie mussten Bündnisverträge abschließen.

In Frankreich wurde die Expansion Preußens mit Misstrauen beäugt und man bereitete sich dort auf einen Waffengang vor. Nach einer diplomatischen Ungeschicklichkeit von Napoleon III ("Emser Depesche") erklärte Frankreich im Juli 1870 Preußen den Krieg. In der Schlacht von Sedan am 2. September 1870 wurde die französische Armee geschlagen und Napoleon gefangen genommen. Am 18. Januar proklamierte Preußen im Spiegelsaal von Versailles das Neue Deutsche Reich mit der Krönung von Wilhelm I als Deutschen Kaiser.

Über Jahrhunderte hinweg war die deutsche Mitte politisch zersplittert und schwach gewesen. Durch zwei Kriege innerhalb von fünf Jahren war - zum ersten mal in der Geschichte - diese Mitte vereint und stark. Doch das sollte nur kurze Zeit dauern, denn nach zwei desaströsen Weltkriegen verlor Deutschland wieder diese Position. In den Ersten Weltkrieg stolperte Deutschland noch hinein ("Attentat von Sarajewo"); den Zweiten Weltkrieg begann Hitler mit dem Einmarsch in Polen ("Ab 4 Uhr wird zurück geschossen") und wurde vernichtend geschlagen. All diese Ereignisse vollzogen sich innerhalb von nur 79 Jahren  (1866 bis 1945).

Wir schreiben jetzt das Jahr 2016. Seit 1945 ist eine ähnliche Zeitspanne vergangen, nämlich 71 Jahre. In dieser Zeit hat Deutschland auf eigenem Boden keinen weiteren Krieg erlebt, sondern erholte sich wirtschaftlich und wurde zu einem geachteten Mitglied der Völkergemeinschaft.
Wir haben, trotz mancher Problemchen, allen Grund zu Dankbarkeit und Zufriedenheit.

Samstag, 9. Juli 2016

Der "arme" Brexiteer Nigel Farage

Nigel Farage ist kein Mäuschen - auch wenn er sich jetzt klein macht und sogar ganz verschwinden will. Im Gegenteil: er ist ein politischer Zündler, der sich nun vom Acker schleicht, wie tags zuvor Boris Johnson, sein Bruder im Geiste. Im Alter von 52 Jahren überlässt Farage, der Populist und Opportunist, Großbritannien "in seiner schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg" (sic Financial Times) einem unbestimmten Schicksal. Führende EU-Politiker rügen seinen Rücktritt als "feige, zynisch und verantwortungslos".


Nigel Farage, wohl beim Schwur (linkshändig)

Dabei hat Nigel seit mehr als drei Jahrzehnte nur um ein einziges Ziel gekämpft: den Austritt des Königsreichs Großbritannien aus der Europäischen Union. Er war der Mitbegründer der rechtspopulistischen Partei UKIP, deren einziges Bestreben es war, sein Land aus der EU herauszulösen. Seit 1999 war er Mitglied dieser Partei im EU-Parlament, wo er als scharfzüngiger - und nicht selten - als rüpelhafter Debattenredner galt. Den ehemaligen EU-Ratspräsidenten Hermann van Rompuy bezeichnete er einmal als einen Mann " mit der Ausstrahlung eines nassen Lappens". Die EU-Parlamentarier provozierte er mit der Feststellung: "Keiner von euch hat jemals einen vernünftigen Job gehabt oder überhaupt einen Job geschaffen. Ihr unterstützt die EU nur, weil sie euch ein sicheres Einkommen gewährt".

Im Glashaus

Mit diesen Bemerkungen begibt sich Nigel Farage aber selbst ins Glashaus. Nach einem abgebrochenem Studium und einer zeitweiligen Tätigkeit als Börsenhändler für Rohstoffe wandte er sich schon in jungen Jahren der Politik zu. Bei den konservativen Tories konnte er wenig werden, wohl aber bei der radikalen Kleinpartei UKIP, deren langjähriger Vorsitzender er bald war. Seit er im EU-Parlament sitzt, hat er ausgesorgt. Er steckt ein Monatsgehalt von über 9.000 Euro ein, wozu noch einmal 4.300 Euro für Büroauslagen kommen. Seine Mitarbeiter darf er bis zu einer Gesamtsumme von 23.000 Euro selbst anheuern. Aus diesem Budget entlohnt er unter anderem seine (deutsche) Ehefrau Kirsten Mehr, die damit als Sekretärin immerhin zusätzliche 33.000 Euro zu jährlichen Familieneinkommen beiträgt. Nepotismus zu Lasten der Steuerzahler!

Selbstredend fährt Nigel bei der Eisenbahn 1. Klasse und im Flugzeug steht ihm die Business-Class zu. Schon nach einer einzigen Wahlperiode hatte er einen Rentenanspruch von 1.400 Euro monatlich erreicht; inzwischen ist es ein Mehrfaches geworden. Clever, wie Nigel so ist, beteiligte er sich an einem (eigentlich illegalen) Pensionsfond des EU-Parlaments. Der europäische Rechnungshof hat dieses Konstrukt zwar für rechtswidrig erklärt, was einige Abgeordneten (wie ihn) aber offensichtlich nicht bekümmert. Immerhin erhalten sie dadurch - zusätzlich - 50.000 Euro Rente, wenn sie in den "verdienten" Ruhestand gehen.

Nigel Farage, der bis (mindestens)  2019 noch dem EU-Parlament angehören wird, hat also ausgesorgt. Egal, ob die EU durch ihn zugrunde gehen wird, oder nicht.

Sonntag, 3. Juli 2016

Der BREXIT - in literarischer Nachbetrachtung

Der Austritt der Briten aus der Europäischen Union (EU) - Brexit genannt - ist eine politische Sensation allerersten Ranges. Für die meisten, mich eingeschlossen, kam er vollkommen überraschend. Seit Tagen bemühen sich kundige Leitartikler dieses politische Beben einzuordnen und seine Folgen abzuschätzen - bislang ohne überzeugende Wirkung.

In dieser Not habe ich mich den Dichtern und Denkern zugewandt, welche die Menschen in all ihren Widersprüchen besonders gut kennen und daraus kunstvolle Geschichten und Gedichte verfertigt haben. Dabei bin ich in der griechischen Mythologie fündig geworden, aber auch bei Altvater Goethe und bei Hermann Hesse. Einige dieser Erzeugnisse kann man direkt auf den Brexit übertragen, was im Folgenden versucht werden soll.

Die Büchse der Pandora

In grauer Vorzeit ließ der griechische Göttervater Zeus eine wunderschöne Frau, die Pandora, aus Lehm gestalten und führte sie Epimetheus, dem Bruder von Prometheus, als Gattin zu. Auf letzteren war der Olympier schon seit längerem sauer, weil dieser ihm jüngst das Feuer gestohlen hatte. Als Brautgeschenk brachte Pandora eine kleine, kunstvoll gestaltete Büchse mit, in der alle Plagen dieser Welt versammelt - aber sicher eingedost waren. Diese Büchse sollte die liebreizende Pandora nie, nie, nie öffnen. Wir Irdische wissen seit Evas Zeiten, dass Frauen auf solche Ratschläge nicht hören und so geschah es auch in diesem Fall. Die schöne Pandora öffnete das goldbeschlagene Büchslein und - flugs - entwichen daraus alle Plagen und Übel der Welt, welche die Menschheit seither bis in unsere Zeit schikanieren. Die Erde wurde damit zu einem trostlosen Ort. Das "Goldene Zeitalter", in dem die Menschheit vor Arbeit, Krankheit und Tod verschont blieben, war für immer vorbei.

Es mag etwas hochgegriffen klingen, aber das Entweichen der Briten aus der EU erinnert mich an die mythologische Geschichte der Pandora. Ob es möglich ist, den Geist (von UK) in die Büchse zurückzubringen ist - aus heutiger Sicht - mehr als fraglich. Viel politisches Unheil wurde damit in die Welt gesetzt und Heerscharen von Politikern werden sich viele Jahre anstrengen müssen, um die politische Lage wieder zu stabilisieren.

Der Zauberlehrling

Wenn man das derzeitige Tohuwabohu im Vereinigten Königreich Großbritannien betrachtet, dann wird man auch an Goethes Ballade "Der Zauberlehrling" erinnert. In rhythmischer Form wird dort beschrieben, wie die Kleingeister - eben die Lehrlinge - die Dinge durcheinander bringen, wenn der Chef außer Haus ist:

Hat der alte Hexenmeister
sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
auch nach meinem Willen leben...

Es fällt nicht schwer, in David Cameron den Zauberlehrling zu erkennen, welcher ohne Not die verhängnisvolle Volksabstimmung zum Austritt aus der EU angezettelt hat. Ein weiterer Kleingeist seines Kalibers ist der strubbelige Blondschopf Boris Johnson, einstmals immerhin Bürgermeister der Finanzmetropole London. Im Gedicht ist es ein alter Besen, der zum Wasserholen geschickt wird:

Walle, walle
manche Strecke,
dass zum Zwecke
Wasser fließe
und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße.

Aber die Sache geht schief. In London, weil das Wahlvolk die Heilsversprechungen des Brexit von Johnson nun tatsächlich einfordert, dieser aber nicht liefern kann und in der Ballade, als der Zauberlehrling ob der Wasserflut stöhnt:

Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los...

Zum Schluss wendet sich - zumindest bei Goethe - alles wieder zum Guten, als der zurückgekehrte Hexenmeister die erlösenden Worte spricht:

"In die Ecke,
Besen, Besen!
Seids gewesen.
Denn als Geister
ruft euch nur zu seinem Zwecke,
erst hervor der alte Meister".

In (Groß- bzw. Klein-) Britannien, wo sich Cameron und Johnson inzwischen aus dem Staube gemacht haben, wartet man noch auf den Meister. Oder die Meisterin.

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Kurz nach dem Brexit-Referendum schien es, als wollten die Briten sofort aus der EU aussteigen. Davon ist, nur eine Woche später, keine Rede mehr. Im Gegenteil: aus der Kakaphonie der Statements kann man sogar heraushören, als wollten die Insulaner den Exit um Wochen - wenn nicht  um Monate, oder gar Jahre - verschieben. Vielleicht würde man den voreiligen Beschluss sogar ganz kassieren wollen, was aber kaum geht, denn: "Volkes Stimme, ist Gottes Stimme". (Wobei mir der vulgär-lateinische Spruch in den Sinn kommt: vox populi, vox Rindvieh).

In diese verquere Situation passt ein lyrisches Gedicht des Schriftstellers Hermann Hesse. Er hat es 1941, nach einer langen Krankheit geschrieben und zuerst unter dem Titel "Transzendieren" veröffentlicht. Heute heißt es, etwas banal, "Stufen" und beschreibt das menschliche Leben als einen fortwährenden Prozess, bei dem auf jedem durchschrittenen Lebensabschnitt (Stufe, Raum) ein neuer Abschnitt folgt. Für die sich anbahnenden Zeitläufte, angesichts der britischen Hängepartie, scheint es mir einigen Trost zu spenden.

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andere, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.   

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden,
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde.

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