Sonntag, 26. Juni 2011

Japanisches Durcheinander

Preisfrage:  Gesetzt den Fall, ein Kernkraftwerk gerät in eine bedrohliche Lage - sei es,dass die Abschaltstäbe nicht funktionieren oder, dass die Kühlung versagt - wem traut man dann am ehesten zu, diese Situation zu beherrschen? Dem Betriebsleiter der Anlage, dem Generaldirektor des Konzerns oder gar dem Ministerpräsidenten des Landes? Bei allem Respekt für die beiden Letztgenannten: die allermeisten würden wohl hilfesuchend auf den Betriebsleiter blicken und ihm das grösste Vertrauen entgegen bringen. Wenn ein Schiff beim Kap der Guten Hoffnung in Seenot gerät, wird man auch nicht den Reeder in Hamburg um Hilfe ersuchen.

Das war anders bei den wohlbekannten Reaktorstörfällen in Fukushima. Und das hängt zusammen mit der andersartigen Mentalität der Japaner.

Als am 11. März 2011, einem Freitag Nachmittag um 14 Uhr 46 (japanischer Zeit), ein Seebeben der Magnitude 9,0 die vier Kernkraftwerke im Ortsteil Daiichi durchrüttelte, war die Welt, vergleichsweise, noch in Ordnung. Drei Reaktoren schalteten sich selbsttätig ab, der vierte war wegen Wartungsarbeiten gar nicht in Betrieb. Die elektrische Stromversorgung des umliegenden Netzes war zwar ausgefallen, aber die für solche Fälle bereitstehenden Diesel sprangen automatisch an und sicherten die Kühlung der Reaktorkerne mit Wasser.

Eine Stunde später traf ein Tsunami von 14 Metern Höhe ein und überschwemmte den nur 5,7 Meter hohen Schutzwall sowie alle Dieselaggregate. Die Notstromversorgung kam zum Erliegen, die Urankerne der Reaktoren heizten sich wegen der verbliebenen Nachwärme stetig auf. Der generierte heisse Wasserdampf reagierte chemisch mit dem Zirkonmetall der Brennstabhüllen unter Freisetzung von Wasserstoff. Einen Tag danach kam es beim Reaktor Fukushima 1 (später bei 2 und 3) zu einer heftigen Knallgasexplosion, welche die Reaktorgebäude massiv beschädigte und undicht machte. Die Urankerne waren inzwischen ganz oder teilweise geschmolzen und setzten die radioaktiven Gase Jod, Cäsium und Strontium in die Umgebung frei.

Hier setzt die Kritik ein, die man unseren japanischen Freunden nicht ersparen kann. In den überaus wichtigen Stunden unmittelbar nach dem Ausfall der Notkühlung wurde zuviel Zeit verschwendet. Statt mobile Notstromgeneratoren und Pumpen schnellstens per Hubschrauber aus dem 300 Kilometer entfernten Tokio heranzuschaffen, liess man die vergleichsweise schwachen betrieblichen Akkus leerlaufen. Die Konzernmutter TEPCO in Tokio war nicht in der Lage die Betriebsleute vor Ort wirkungsvoll zu unterstützen. Zur gleichen Zeit offerierte die US-Regierung - welche die Gefährlichkeit der Lage von Anfang an richtig einschätzte - der japanischen Regierung ihre Hilfe. Aus militärischen Beständen auf den japanischen Stützpunkten bot man Pumpenwägen, unbemannte Drohnen und Messroboter an. Doch der Ministerpräsident Naoto Kan lehnte höflich ab; ein Asiate will eben nicht sein Gesicht verlieren.


Ministerpräsident Naoto Kan;
Fukushima brachte ihn ins Schwitzen

Auch zwischen Tepco und dem Regierungschef funktionierte die Kommunikation nicht. Als Kan die Konzernmanager am Samstag abend (12. März) zur Berichterstattung empfing, erzählten ihm diese alles Mögliche - nur nicht, dass es wenige Stunden vorher bei Block 1 zu einer Wasserstoffexplosion gekommen war. Der Ministerpräsident erfuhr das nach der Sitzung von den Presseleuten und war entsprechend wütend. Nach weiteren Explosionen bei den Reaktoren 2 und 3 tags darauf, marschierte der Naoto Kan - einmalig für japanische Verhältnisse - um 5 Uhr 30 früh(!)  samt Gefolge zur Tepcozentrale und verlangte sofortige Aufklärung über alle Vorkommnisse. Gleichzeitig liess er seinen Vertrauensmann Goshi Hosono dort, der zukünftig an allen wichtigen Vorstandssitzungen  teilnehmen sollte, um Kan Bericht zu esrtatten. (Geheimnisse konnten ab dann also nur noch in der Herrentoilette besprochen werden.)

Ein Drama für sich war die Entscheidung zum Bespritzen der Reaktorkomponenten mit Meerwasser aus Feuerwehrschläuchen. Der Betriebs- und Anlagenleiter Masao Yoshida forderte die Genehmigung für diese  Massnahme von seinen Chefs in Tokio an, insbesondere um die hochgefährdeten Reaktortanks sowie die innenliegenden Brennelemente abzukühlen. Tepco sträubte sich längere Zeit dagegen, gab aber schliesslich doch die Zustimmung - um sie 21 Minuten später wieder zurück zu ziehen. Angeblich hatte man "aus der Umgebung des Ministerpräsidenten gehört", dass dieser ebenfalls dagegen sei. Das war jedoch nur vorgeschoben; in Wirklichkeit wusste Tepco, dass nach dem Einpumpen des korrosiven Seewassers die Kernkraftwerke nicht mehr zu gebrauchen waren. Den Betriebsleiter Yoshida im fernen Fukushima focht dies jedoch nicht an. Geradezu einmalig für japanische Verhältnisse ignorierte er den Stopp-Befehl aus Tokio und besprühte weiterhin seine Reaktoren mit Meerwasser. Auch der Anordnung zum Verlassen der Anlage kam er nicht nach, wobei er die Unterstützung des Ministerpräsidenten hatte, der darin ein unheilvolles Fanal gesehen hätte.


Masao Yoshida, Betriebschef der Fukushima-Kernkraftwerke

Die früher hoch angesehene Firma Tepco hat sich bei der bisherigen "Bewältigung" des Fukushima-Desasters nicht mit Ruhm bekleckert. Besonders zu kritisieren ist ihre verspätete und lückenhafte Informationspolitik. Beispielhaft dafür ist, dass Tepco erst Mitte Mai - also zwei volle Monate nach Beginn des Unglücks - der Öffentlichkeit mitteilte, dass in allen drei Reaktoren die Urankerne zumindest angeschmolzen sind.

Es wird noch viele Monate dauern, bis die Anlagen in Fukushima in einen stabilen Zustand überführt sind - und noch viele Jahre, bis die Reaktorkerne gesichert entladen sind.

Postscriptum:
Fukushima ist offensichtlich überall. Nun  haben die Folgen des Bebens und des Tsunamis auch den Ort Naka erreicht. Dort, nördlich von Tokio, werden die Supraleitungsmagnete des Fusionsprojekts ITER erforscht. Wegen der Zerstörung der Gebäude und der Labors rechnet der japanische Vizeminister für Forschung mit einer Unterbrechung der Arbeiten um ein Jahr oder sogar länger. Die Errichtung des ITER, (derzeit auf 2018 geplant) und die Volllastinbetriebnahme (auf 2026 geschätzt), wird sich also weiter hinauszögern und die Kosten (bisher 16 Milliarden Euro) werden sich entsprechend erhöhen.

Sonntag, 12. Juni 2011

Töpfers Jugendsünden

 Professor Klaus Töpfer ist ein 63-jähriger älterer Herr, der Freundlichkeit und Bonhommie ausstrahlt. Inmitten der Kardinäle, Bischöfe und Philosophen seiner Ethik-Kommission war er wohlgelittener Vorsitzender und mit ihr kam er zu dem Ergebnis, dass die deutschen Kernkraftwerke aus ethischen Gründen abgeschaltet werden sollten. Angela Merkel und ihren Wadlbeisser Norbert Röttgen hat´s gefreut.


Der freundliche Professor Klaus Töpfer

Wer würde vermuten, dass der studierte Volkswirtschaftler und Leutnant der Reserve früher einmal ein knochenharter Verfechter der Kernenergie war. Doch, doch es stimmt! Während seiner Zeit als Bundesminister für Umwelt und Reaktorsicherheit (1987 - 94) im Kabinett Helmut Kohl ging Töpfer keinem Streit gegen die Roten und die Grünen in Sachen Kernenergie aus dem Weg - zum Beispiel beim Schnellen Brüter SNR 300 in Kalkar am Niederrhein. Dieses Kraftwerk war für viele Atomgegner ein Symbol des Widerstands, insbesondere weil es Plutonium als Brennstoff nutzte und mit flüssigem Natrium gekühlt wurde, das vielen als besonders gefährlich galt.

Als Töpfer im Mai 1987 in Bonn sein Amt als Reaktorminister antrat, war der Schnelle Brüter gerade fertig geworden und harrte der atomrechtlichen Genehmigung zum Beladen mit  Plutoniumbrennelementen und zur Inbetriebnahme. Unglücklicherweise war kurz vorher der schwere Reaktorunfall in Tschernobyl passiert. Der für die Genehmigung zuständige Landesminister Reimut Jochimsen - Töpfers Pendant - weigerte sich deshalb die Genehmigung zu unterschreiben und wollte ganz offensichtlich auf Zeit spielen.

Töpfer liess sich von Jochimsen aber nicht lange hinhalten, sondern erteilte ihm am 24. April 1988 eine sogenannte ministerielle Weisung. Das war nichts anderes als der knallharte Befehl auf die Position des Bundes einzuschwenken und zwar innerhalb der Frist von einem halben Jahr. Der technische Teil dieses Schriftstücks stammte weitgehend aus dem Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK), wo ganze Heerscharen von Forschern an dem sogenannten Bethe-Tait-Störfall arbeiteten, einer besonders widerlichen Art des Kernschmelzenunfalls. (Der damals verantwortliche Projektleiter im KfK - den ich persönlich gut kenne - berichtete mir, dass aus dem Ministerium Töpfer zu jener Zeit praktisch täglich technische Anfragen zur Lösung von Brüterproblemen kamen.)

Minister Jochimsen schien sich der Weisung des ranghöheren Bundesminister zu beugen, aber buchstäblich einen Tag vor Ablauf der Halbjahresfrist reichte das Land Nordrhein-Westfalen Klage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Begründung: der Bund habe mit seiner Weisung die Eigenstaatlichkeit des Landes verletzt und stütze sich zu sehr auf die Expertise der am Projekt beteiligten Techniker. Besonders zum Bethe-Tait-Störfall wolle man ein eigenes Gutachten in Auftrag geben.

Am 22. Mai 1988 erging das Urteil des Bundesverfassungsgericht (2. Senat unter Mahrenholz) . Die Klage des Landes wurde in allen Punkten zurückgewiesen, der Bund hatte seine Weisungskompetenz rechtmässig in Anspruch genommen. Töpfer hatte gesiegt und die Arbeiten am SNR 300 konnten weitergehen. Allerdings nicht mehr lange, denn schon ein halbes Jahr später kam die Wiedervereinigung mit der DDR und der Brüter wurde aus finanziellen Gründen auf Eis gelegt.

Die Karriere von Klaus Töpfer hatte eine kleine Delle erlitten, denn die grossen Projekte mit denen er jeden Tag in der Zeitung stand (Kalkar, Wackersdorf) waren vorzeitig beendet worden und mit der Angliederung der Ostgebiete standen ganz andere Themen auf der politischen Tagesordnung. Aber Töpfer liess nicht locker. Als Landesvorsitzender der CDU im Saarland versuchte er nun Ministerpräsident dieses Bundeslands zu werden. Gleich zwei Mal trat er gegen Oskar Lafontaine an und beide Male verlor er krachend. Seine stramme Ausrichtung pro Kernenergie verfing beim Wahlvolk nicht. Nach der zweiten Niederlage befreite ihn Helmut Kohl von der Last des Ministeriums für Reaktorsicherheit und ernannte ihn zum Bundesbauminister. Nach Beendigung der Ära Kohl fand Töpfer Unterschlupf bei der UN in Nairobi als Umweltdirektor.

Selbstredend,  dass eine Persönlichkeit wie Professor Töpfer in seinem Leben viele Orden und Auszeichnungen erhielt. Zu erwähnen ist der Eselorden der Stadt Wesel, das Goldene Lot, eine Ehrung der deutschen Vermessungsingenieure und der Fahrradpreis "best of bike" als fahradfreundlichster Promi. Ach ja, und 1990 verlieh ihm Bundeskanzler Kohl auch noch das Grosse Bundesverdienstkreuz - nicht zuletzt für seine Bemühungen um den Schnellen Brüter.


Helmut vergisst keinen.

Sonntag, 5. Juni 2011

Merkel´s Salto rückwärts

Am Sonntag vormittag , dem 12. März 2011 hatte die Bundeskanzlerin Angela Merkel ihr Saulus/Paulus-Erlebnis: am Fernseher konnte sie beobachten, wie das erste Kernkraftwerk in Fukushima explodierte. "Das war´s mit der Kernenergie", soll sie damals zu ihren engeren Mitarbeitern gesagt haben. Am darauffolgenden Dienstag rief sie die Ministerpräsidenten der "Atomländer" zusammen und verkündete - als Moratorium -  die sofortige Stilllegung der sieben ältesten deutschen Kernkraftwerke sowie des "Pannenreaktors" Krümmel. Die restlichen neun Kraftwerke jüngeren Datums sollten in den kommenden zehn Jahren abgeschaltet werden.

Geistlicher Beistand

In der darauffolgenden Woche beauftragte die Regierung zwei Kommissionen mit der Klärung technischer und ethischer Fragen. Die Reaktorsicherheitskommission (RSK) überprüfte mit rund 100 Fachleuten in wenigen Wochen die 17 deutschen Atomkraftwerke. Im Fokus stand der "worst case", das Zusammentreffen mehrere Unglücke wie in Japan, etwa ein Erdbeben und eine Sturmflut. Die RSK  kam zu dem Ergebnis, dass die Kernkraftwerke in Deutschland besser als in Japan gegen etwaige Unglücksfälle gewappnet sind. Fündig wurde man allerdings beim Risikogebiet Flugzeugabsturz. Manche Altmeiler, wie Philippsburg I, können offensichtlich dem Aufprall eines grossen Verkehrsflugzeig mit anschliessendem Kerosinbrand nicht standhalten. Aber das war bereits seit Jahren bekannt und ist international nicht anders.

Die von Merkel und Umweltminister Röttgen handverlesene Ethikkommission bestand aus 17 Ratgebern. Darunter waren drei Kirchenvertreter, drei Risikoforscher und Philosophen sowie vier Wissenschaftler der Richtung Umwelt. Die deutsche Wirtschaft, die am Ende alles finanzieren und möglich machen muss, war nur mit einem Manager vertreten (Hambrecht, BASF). Zum Leiter der Ethikkommission wurde der frühere Umweltminister Klaus Töpfer ernennt.

Die Ethikkommission legte ihren 48-Seiten-Bericht Ende Mai vor, worin sie den "schnellstmöglichen Ausstieg" aus der Kernenergie empfahl. Die acht Reaktoren des Moratoriums sollten nicht mehr ans Netz gehen und die restlichen neun innerhalb der nächsten zehn Jahre abgeschaltet werden. Bei der Endlagerung der hochradioaktiven Abfälle riet die Kommission zu Konzepten, die eine spätere Rückholbarkeit des Abfalls ermöglichen. Des weiteren sollte ausserhalb von Gorleben nach alternativen Lagerorten gesucht werden.

Schwarz-gelber Atomausstieg 2011

In den letzten zehn Jahren wurde drei Mal - mehr oder weniger konsensual -  aus der Kernenergie ausgestiegen. Für das gemeine Publikum ist das einigermassen verwirrend. Ich beginne mit den Hauptdaten des derzeit gültigen Atomausstiegs.

Die Restlaufzeiten (bzw. die Abschaltung) der 17 deutschen Kernkraftwerke orientieren sich an folgender Tabelle:

1. Biblis A:                   bis:  Juni 2011
2. Neckarwestheim 1:  bis:  Juni  2011
3. Biblis B:                   bis  Juni  2011
4. Brunsbüttel:              bis: Juni  2011
5. Isar 1:                      bis:   Juni 2011
6. Unterweser:             bis:   Juni 2011
7. Philippsburg 1:         bis:   Juni 2011
8. Krümmel:                 bis:  Juni 2011

9.   Grafenrheinfeld:        bis:  Anfang 2015
10. Gundremmingen B:   bis:  Anfang 2016
11. Gundremmingen C:   bis:  Ende  2016
12. Grohnde                  bis:  Ende 2017
13. Philippsburg 2          bis:  April  2017
14. Brockdorf                bis:  Anfang 2018
15. Isar 2                       bis:  Anfang 2020
16. Emsland                   bis:  Ende  2020
17. Neckarwestheim 2:   bis:  Ende 2021

Drei Alternativen zu obiger Tabelle sind in der Diskussion:

a. Bei den sofort abzuschaltenden Kraftwerken 1 bis 8 soll eines bis 2013 in "Kaltreserve" d. h. Standby, gehalten werden, um eine Reserve für kalte Winter zu haben. Man spricht von Philippsburg 1 oder Biblis B.

b. Falls aus Versorgungsgründen erforderlich, sollen die drei jüngsten KKW der zweiten Gruppe ein Jahr länger, also bis 2022 weiter betrieben werden.

c. Da die Energieversorgungsunternehmen RWE und Eon gegen dieses Ausstiegsszenario und die Brennelementesteuer Klage einreichen wollen, ist - als Entgegenkommen der Bundesregierung - eine gleichzeitige Abschaltung der KKW 9 bis 17 im Jahr 2021 in der Diskussion.


Beim Endlager soll der Salzstock Gorleben weiter erkundet werden. Zusätzlich will man auch andere endlagerfähige Erdformationen untersuchen. Auch weitere Endlageroptionen, z. B. die direkte Endlagerung mit der Möglichkeit zur Rückholung der Abfälle, sollen betrachtet werden.


Konsequenzen,  Risiken,  Chancen

Bei aller Skepsis vor Superlativen: die Entscheidung zum schnellen und kompletten Ausstieg aus der Kernenergie kann man getrost "historisch" nennen. Sie war nur möglich, weil alle politischen Parteien und ein Grossteil der Bevölkerung - sowie fast alle Medien -  Deutschland nach Fukushima ebenfalls am Rande einer nationalen Nuklearkatastrophe wähnte. Umfragen ergaben, dass dieser Ausstieg von einer grossen Mehrheit der Deutschen getragen wird. Trotzdem: auch wenn er Chancen bietet, er ist nicht risikolos. Die ersten kritischen Stimmen sind bereits zu hören. Immer wieder klingen Zweifel an über die Versorgungssicherheit und die Wirtschaftlichkeit für die Zeit danach.

Unruhe verbreitet sich bei der Industrie, welche fast die Hälfte des Stroms verbraucht. Insbesondere die energieintensiven Industriebranchen, wie Aluminium, Papier, Glas bis hin zur Chemie ist in Sorge. Die sicherlich nicht atomfreundliche Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen fürchtet bereits die schleichende Deindustrialisierung ihres Landes, indem solche Firmen nach Frankreich abwandern, wo es billigen Atomstrom gibt. Die Bundesregierung will  entgegenwirken, indem sie Steuererleichterungen in Aussicht stellt, was natürlich das Geld der Bürger kostet,

Die privaten Stromverbraucher, die etwa ein Viertel der Elektrizität abnehmen, werden künftige Strompreiserhöhungen besonders hart spüren. Die Regierung wiegelt bereits ab und spricht nur von durchschnittlich einem Cent pro Kilowattstunde, Wirtschaftsinstitute, indes, kommen bei ihren Berechnungen bis auf vier Cent. Wer die Musik bestellt, muss sie eben bezahlen.

Eindeutige Verlierer der Energiewende sind die grossen Stromversorger RWE, Eon, EnBW und Vattenfall. Sie verlieren mit ihren abgeschriebenen Kernkraftwerken die "Gewinnmacher" in ihren Bilanzen. Ab 2013 müssen sie sogar noch teuer die sog. Verschmutzungzertifikate kaufen, um das CO2 in die Luft blasen zu dürfen. Die Börse reagiert darauf bereits mit heftigen Kursverlusten für diese Unternehmen. Wenn es schief läuft können sie zu Übernahmekandidaten für ausländische Konkurrenten, wie EdF und Gazprom, werden. Gewinner in dieser Situation sind viele Stadtwerke, welche sich aus der bisherigen Abhängigkeit von den Oligopolisten befreien, ihre lokalen Netze zurückkaufen und zukünftig als eigenständige Stromanbieter auftreten.

Die Strategie der Bundesregierung sieht vor, die auslaufende Atomenergie bis zum Jahr 2021/22 durch regenerative Energie, vorzugsweise Windkraft, zu ersetzen. Insbesondere in den Südländern wird man sich auf eine weitere "Verspargelung" der Landschaft (und auch des Schwarzwaldes) einstellen müssen. Besondere Gesetze sind in der Vorbereitung, um Hochpannungstrassen und Pumpspeicher schneller planen und realisieren zu können. Man wird sehen, wie die Bevölkerung darauf reagiert.



Atomenergie und erneuerbare Energie;
Beiträge zur Stromerzeugung bis 2022  (BMU,FAZ)



Kurz- und mittelfristig werden die 8.500 Megawatt abgeschaltete Kernenergiekapazität durch Kohle und Erdgas ersetzt werden. Mehr als ein Dutzend grosser Kohlekraftwerke sind derzeit bereits in Bau; weitere werden folgen. In Bayern setzt man sehr stark auf Erdgas. Bei Ingolstadt wurde kürzlich ein grosses Gaskraftwerk in Betrieb genommen. Weitere sollen folgen, wobei man insbesondere die aufgegebenen Standorte ehemaliger Kernkraftwerke nutzen will. Von den schädlichen Klimaauswirkungen redet man nur noch hinter vorgehaltener Hand.

Die internationale Reaktion auf den deutschen Atomausstieg ist von Skepsis bis Entsetzen geprägt. Die Schweden, welche schon 1980 mal ihren Ausstieg propagierten, aber 2009 davon zurückgetreten sind, glauben nicht, dass Deutschland dieses Ziel sschaffen wird. Die Franzosen betrachten den Ausstieg als überstürzt und prophezeihen, dass Deutschland in Zukunft viel Strom importieren wird. Anne Lauvergeon, die Chefin des französischen Atomkonzerns Areva, sieht Deutschland sogar als "blinden Passagier" der Atomenergie.

In Deutschland hat Merkel mit dem Coup des Ausstiegs alle Parteien hinter sich gebracht und den Grünen sogar ihr Alleinstellungsmerkmal "Atomkraft, nein danke" geraubt.

Mutti hat es wieder einmal allen gezeigt.

Sonntag, 29. Mai 2011

Tabus und Lücken in der Nuklearforschung

 Mit dem Bau von kommerziellen Kernkraftwerken begann man weltweit Ende der fünfziger Jahre, nachdem der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower bei der Genfer Atomkonferenz 1955 seine Nukleararchive für die friedliche Nutzung der Kernenergie öffnen liess. In Deutschland entstanden u.a. die Kleinkraftwerke VAK Kahl, MZFR Karlsruhe und KWL Lingen; in Japan baute die US-Firma General Electric (GE) dem Betreiber TEPCO  in den sechziger Jahren das schon beträchtlich grössere Siedewasserkernkraftwerk Fukushima 1- Mark 1. Die Sicherheitsphilosophie für diese wassergekühlten Anlagen war geprägt von den Vorgaben der Amerikaner und beruhte zum Teil auf den Erfahrungen mit den nuklear angetriebenen U-Booten des US-Admirals Rickover.

"Der Reaktortank platzt nicht"

Ein Kernkraftwerk besteht (neben viel Elektrik) im wesentlichen aus einer grossen Anzahl von Behältern und Rohrleitungen. All diesen Komponenten wurde zugestanden, dass sie im Betrieb kaputt gehen können - nur nicht dem Reaktortank. Im allgemeinen ist dies ein zylindrischer Behälter von zwölf Metern Länge, fünf Metern Durchmesser und einer Wandstärke von über hundert Millimetern. Es war quasi ein Axiom dieser frühen Jahre, dass ein solcher Tank, welcher die Brennelemente beinhaltet und unter einem Druck von 70 bis 150 Atmosphären steht, nicht spontan aufreissen durfte. Sein Versagen ist  - bis zum heutigen Tag - gewissermassen tabuisiert. Die Folgen wären nicht beherrschbar, denn die Trümmer würden den umgebenden Sicherheitsbehälter durchschlagen und und die Radioaktivität der Brennelemente  in die Umgebung freisetzen. Bei einem geplanten Kernkraftwerk in Ludwigshafen hat die deutsche Reaktorsicherheitskommission (RSK) später sogar einen sog. Berstschutz für den Reaktortank verlangt, worauf die BASF dankend auf dieses (teure) Projekt verzichtete.

In den siebziger Jahren kam die Tabuisierung des Reaktordruckbehälters (RDB) - so nannte man den Reaktortank fortan - zunehmend ins Visier der kritischen Wissenschaftler. Zu nennen ist besonders der Engländer Frank R. Farmer, der die Integrität des RDB skeptisch beurteilte, weil diese Komponente während des Betriebs durch die Neutronenbestrahlung zunehmend versprödet. Das war auch der Grund, weswegen die Briten so lange zögerten, den Druckwassereaktor in ihrem Land zuzulassen. Die wassergekühlten Reaktoren schienen ein ernstes Problem zu haben.

In der Folge wurden deshalb weltweit gigantische Forschungsprogramme aufgelegt, um die Sicherheit des Reaktordruckbehälters auch noch nach dreissig, vierzig oder gar fünfzig Jahren Laufzeit garantieren zu können. Es entstand ein völlig neues Forschungsgebiet: die Bruchmechanik. Der Zähbruch und der Sprödbruch wurden analysiert, dazu die Rissbildung und Rissausbreitung. Die "kritische Risslänge" wurde definiert und das "Leck-vor-Bruch-Kriterium" geboren. Die Wartungsvorschriften ("in-service-inspection") wurden auf ein hohes technisches  Niveau gehoben. Die technischen Spezifikationen für die Fertigung eines solchen RDB (welche zumeist in Japan erfolgt) besteht aus mehr als tausend Blatt Papier!

Die kerntechnische Community ist inzwischen von der Integrität de Reaktordruckbehälter während der Laufzeit überzeugt und rechnet ihr hypothetisches Bersten dem Restrisiko zu, das nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts der Bevölkerung zuzumuten ist.

Die unterschätzte Nachwärme

Wenn ein Kernkraftwerk nach längerem Betrieb abgeschaltet wird, dann vermindert es nicht schlagartig seine Leistung auf Null, sondern es produziert - ähnlich wie ein Küchenherd - noch eine geraume Zeit die sog. Nachwärme. Dies dauert in der Regel drei bis sechs Monate, währendessen der Reaktorkern sich ständig aufheizt, als wären dort einige zehntausend Tauchsieder installiert. Ursächlich dafür ist die radioaktive Strahlung, welche beim Durchgang durch den Uranbrennstoff diesen erhitzt. Um die Nachwärme gefahrlos abzuführen, werden die Kühlkreisläufe auch bei abgeschalteten Reaktor noch eine zeitlang (bei gedrosselter Fahrweise) in Betrieb gehalten.

Bei den havarierten Kernkraftwerken in Fukushima hat dies offensichtlich nicht funktioniert. Vermutlich beschädigte bereits das erste schwere Erdbeben am 11. März die Reaktorkühlkreisläufe so stark, dass sie den Betrieb aufgaben. Das für solche Ausfälle installierte Notkühlsystem war ebenfalls nicht funktionstüchtig, da die Notdiesel durch den nachfolgenden Tsunami weggeschwemmt wurden und somit keine Notstrom zur Verfügung stand. Der Reaktorkern wurde also über Stunden und Tage nicht gekühlt, sondern durch die Nachwärme immer mehr aufgeheizt. Schliesslich kam es in drei Reaktoren zu einer Kernschmelze; 30 bis 50 Prozent des Kernmaterials vermutet man auf dem Boden des Reaktortanks. Gleichzeitig wurden radioaktive Isotope wie Jod 131 und Cäsium 137 freigesetzt, welche das umgebende Gebiet kontaminierten und die Evakuierung vieler Menschen erzwangen.


Schemazeichnung der Reaktoren in Fukushima

Die Nachwärme, welche nur ca. ein Prozent der betrieblichen Leistung darstellt, wird in den kerntechnischen Sicherheitsanalysen meist recht stiefmütterlich behandelt. Dort stehen im Vordergrund die "grossen Störfälle" welche sich im vollen Reaktorbetrieb ereignen können, z. B. das Abreissen einer Hauptkühlmittelleitung oder das Durchgehen des Reaktors. Beispielhaft dafür ist das Standardwerk "Reaktor-Sicherheitstechnik" (D. Smid), erschienen 1979 im Springer-Verlag. Dort sind die von General Electric in Fukushima gebauten Siedewasserreaktoren zwar erwähnt, aber das Kapitel "Not- und Nachkühlsystem" umfasst gerade mal drei Seiten. In dieser komprimierten Darstellung findet sich kein Hinweis auf die dramatischen Störfallkonsequenzen, die oben beschrieben sind.

Auch das Risiko von Brennelement-Lagerbecken wird in den meisten Sicherheitsanalysen nur am Rande behandelt. In Fukushima befindet sich beim Reaktorblock 4 ein riesiges Becken mit 1.331 abgebrannten Brennelementen auf der Höhe des vierten Stockwerks, teilweise unter freiem Himmel. Brechen die Tragestrukturen (z. B. durch ein Nachbeben ) zusammen, so könnte es, wegen ausfallender Kühlung, auch heute noch zu einem ausgedehnten Brand mit massiver Freisetzung von radioaktiven Nukliden kommen.

Evakuierung versus "walk-away".

Das Stichwort "Evakuierung" vermisst man ebenfalls in den Registern der allermeisten kerntechnischen Veröffentlichungen. Dabei ist es eine der allerschlimmsten Folgemassnahmen bei katastrophalen Reaktorstörfällen; Tschernobyl und Fukushima haben das gelehrt. Hinzu kommen noch die nicht geringe Zahl verängstigter Menschen, die - obschon ausserhalb der Evakuierungszone - aus eigenem Antrieb fliehen und ihr Besitztum zumindest zeitweise aufgeben. Sogar die deutsche Botschaft in Tokio, ein jammervolles Beispiel, hat ihren Sitz derzeit nach Osaka verlegt.

Die grossen Entwicklungsfirmen für moderne Kernkraftwerke haben dieses Defizit früherer Anlagen gesehen und einen "supersicheren" Reaktor kreiert. Er soll unter allen Umständen sicher sein, selbst ohne Eingriff der Betriebsmannschaft. ("walk-away"-Prinzip). Volle zwei bis sechs Tage nach einem Störfall kann dieser Reaktortyp sich selbst überlassen werden, währenddessen er sich automatisch in eine sichere Betriebsposition steuert. Die Firma Siemens und der französische Partner Framatome haben in den neunziger Jahren (mit Unterstützung des Kernforschungszentrums Karlsruhe) den sog. "Evolutionary Power Reactor" (EPR)  entwickelt, welcher diese Sicherheitseigenschaften besitzen soll. Ähnliche Konzepte gibt es in Asien. Der EPR  hat ein doppelwandiges Containment aus Stahlbeton mit der Gesamtdicke von 2,6 Metern; der Reaktortank besitzt eine Wandstärke von satten 250 Millimetern. Ein keramisches Auffangbecken unterhalb des Reaktorkerns ("core-catcher" genannt) soll im Falle eines GAU die Kernschmelze aufhalten. Viele weitere Sicherheitsvorkehrungen müssen hier unerwähnt bleiben.


Die sogenannten Einwirkungen von aussen auf Kernkraftwerke

Zwei Kernkraftwerke vom Typ EPR werden derzeit in Finnland und Frankreich gebaut. Schon melden sich die Kritiker zu Wort, insbesondere aus England. Sie bestreiten u.a., dass das Containment dem Aufprall eines grossen Verkehrsflugzeug standhalten kann sowie dem nachfolgenden Brand von 100 Tonnen Kerosin und verweisen dabei auf die eingestürzten Türme des World Trade Centers in New York. Auch bei Kernschmelzen im Bereich des Fundaments könne es zu nicht beherrschbaren Dampfexplosionen kommen und sogar zur Verseuchung des Grundwassers. Ganz wird man diese Argumente nicht ausräumen können, da Forschungsexperimente im Massstab 1:1 eben nicht möglich sind. Auch Laborversuche mit Kernschmelzen sind ausserordentlich schwierig. Unbestreitbar ist aber, dass diese neuen Reaktorkonzepte einen riesigen Sicherheitsschritt, verglichen mit Fukushima Mark I, bedeuten. Dass bei ihnen Evakuierungen unter keinen Umständen mehr erforderlich sein werden, beruht aber auch auf einem Stück Hoffnung.

Umzingelt von Nuklearstandorten

Logischerweise sind die Folgemassnahmen bei einem sehr schweren Reaktorunfall auch abhängig vom Standort und der Anzahl von Kernkraftwerken oder  nuklearen Anlagen. Hier ist das vergleichsweise kleine und gebirgige Land Japan besonders gehandikapt. Die kerntechnischen Standorte liegen wegen der Kühlungserfordernisse fasst alle an der Küste, wo wegen der geologischen Struktur häufig starke Erdbeben zusammen mit Tsunamis auftreten können. Zieht man um die Metropole Tokyo mit ihren 30 Millionen Einwohnern einen Kreis mit dem Radius von 200 Kilometern, so befinden sich darin (jetzt schon) folgende Nuklearanlagen:

-  21 kommerzielle Kernkraftwerke,
-  11 Forschungsreaktoren,
-  3 Brennelementfabriken,
-  1 Wiederaufarbeitungsanlage,
-  1 Zwischenlager für bestrahlte Brennelemente.

Inzwischen hat die Regierung die Abschaltung dreier Kernkraftwerke (am Standort Hamooka) wegen unmittelbarer Erdbebengefahr verfügt; am Ausbau der Kernenergie auf das doppelte der jetzigen Kapazität hält sie jedoch fest. Das heisst: die gegenseitige Beeinflussung der Nuklearanlagen bei Störfällen steigt. Siehe Fukushima, wo aus einer Ursache heraus vier Kernkraftwerke zerstört wurden.

Ähnlich ist die Bilanz in der zweiten japanischen Metropolregion um die Grosstädte Kyoto, Osaka und Nagoya. Knapp hundert Kilometer von Kyoto entfernt befindet sich sogar ein  Kernkraftwerk vom Typ Schneller Brüter ("Monju").  Es ist mit Plutoniumbrennstoff gefüllt und wird mit 550 Grad heissem, flüssigen Natrium gekühlt.

Im Falle einer Havarie wäre Bespritzen mit Meerwasser nicht empfehlenswert.

Sonntag, 22. Mai 2011

Vorsicht Sushi!

Inzwischen werden sich die japanischen Hausfrauen der Präfekturen Fukushima,Ibaraki und Tokio daran gewöhnt haben, dass sie bei ihren Lebensmitteleinkäufen nicht nur auf die Frische und Menge, sondern auch auf die radioaktive Strahlung - gemessen in Bequerel - zu achten haben. Die Regierung hat schon bald nach den Reaktorstörfällen Grenzwerte für die wichtigsten strahlenden Isotope erlassen, im wesentlichen für das Jod 131 und das Cäsium 137. Flüssige Lebensmittel, wie Milch, sollten nicht mehr als 300 Bequerel pro Kilogramm (Bq/kg) an Jod enthalten; bei Kleinkindern ist dieser Grenzwert auf 100 Bq/kg herabgesetzt. Bei den allermeisten anderen Nahrungsmitteln, wie Fisch und Fleisch, gilt ein Limit vom 500 Bq/kg, das nicht überschritten werden sollte. Aber wenn ein hungriger Holzfäller mal ein Steak von 600 Gramm vertilgen sollte, dann wird er auch nicht daran sterben.

Die Europäische Union hat diese Grenzwerte übernommen, wodurch es nun nicht mehr zu der absonderlichen Situation kommen dürfte, dass der gleiche Salatkopf im Elsass gegessen werden darf, während er in Baden ungeniessbar ist. Da Japan wegen seiner gebirgigigen Topografie nur wenige Agrarflächen besitzt, kann es auch nur wenige Nahrungsmittel exportieren. Das Risiko, in Deutschland oder Europa auf japanische Lebensmittel zu stossen, ist also gering. Doch halt, es gibt eine Ausnahme: die Sushi-Restaurants. In jeder grösseren deutschen Stadt findet man sie, so zum Beispiel auch in Karlsruhe am Marktplatz. Die kleinen Reisbällchen, belegt mit Fisch, Garnelen, Seetang oder Tofu sind als Abschluss einer Einkaufstour sehr beliebt. Und nicht selten rühmen  die Esslokale, dass ihre Vorprodukte direkt aus Japan kommen.




Die Sushi-Box "Freundschaft" für 3-5 Personen zu 29,95 Euro

Gestern war ich mit Brigitte mal wieder in unserem Sushi-Lokal und die kleinen Leckereien schmeckten delikat wie immer. Als ich den Sushi-Meister beim Bezahlen fragte, wie er nach Fukushima mit seinen Lieferanten zurecht käme, drückte er mir (etwas verschämt) einen Flyer in die Hand. Beim Hinausgehen las ich folgendes:
Liebe Gäste, wir hoffen natürlich, dass das Schlimmste in Japan überstanden ist, möchten Sie aber dennoch über die Herkunft unserer wichtigsten Produkte informieren. Unseren Thunfisch beziehen wir aus Sri Lanka, den Lachs aus Norwegen. Viele Delikatessen kommen aus Thailand, Indonesien und China; der Sushireis wird in Südeuropa angebaut. Der Tee wurde bereits im Jahr 2010 geerntet. Wegen extrem gestiegener Einkaufspreise dieser Produkte mussten wir unsere Preise leider anpassen.

Nun hat mich der japanische Reaktorstörfall auch noch persönlich in Karlsruhe erwischt. Wenn ich über die besagten "Delikatessen aus Thailand" nachdenke und mir die dortigen Pools mit der medikamentösen Überversorgung vorstelle, dann wäre mir japanischer Thunfisch - selbst aus den Gewässern von Fukushima -  fast noch lieber.

Insbesondere, weil dort Radioaktivität des Jod 131 inzwischen auf ein Tausendstel abgeklungen ist.

Sonntag, 8. Mai 2011

Wohin mit dem Schrott aus Fukushima?

Die vier havarierten Kernkraftwerke in Fukushima sollen nicht mehr in Betrieb genommen, sondern abgerissen werden. Zumindest nach den Vorstellungen der japanischen Regierung. Der Betreiber TEPCO hat sich dazu noch nicht so eindeutig geäussert; vielleicht hält er die Wiederinbetriebnahme des einen oder anderen Blocks doch noch für möglich. Da die Kraftwerke jedoch wochenlang mit hochkorrosivem Meerwasser besprüht wurden, ist dies eher unwahrscheinlich.

Der Rückbau eines lange betriebenen Atomkraftwerks unterliegt anderen Regeln als beispielsweise der Abriss eines Hochhauses. Deutschland hat auf diesem Gebiet weltweit den grössten Erfahrungsschatz, ist gewissermassen Weltmeister im Abreissen von Kernkraftwerken. Von den ursprünglich 36 Meilern sind nur noch 17 in Betrieb, wobei 8 von der Bundesregierung aufgrund der Fukushima-Störfälle zur Stilllegung verpflichtet wurden. Von den schon seit längerem ausser Betrieb gestellten 19 Kernkraftwerken sind drei bereits bis zu der berühmten "Grünen Wiese" vollständig abgebaut (VAK Kahl, KKN Niederaichbach, HDR Grosswelzheim); der Rest befindet sich in den verschiedenen Stadien des Rückbaus.



Der ehemalige Standort des KKN Niederaichbach bei Landshut, nunmehr "Grüne Wiese" mit Gedenkstein und neu gepflanzten Baum.
(Im Bild der Verfasser)

Die strahlende Bratpfanne

Wie baut man ein Kernkraftwerk ohne Gefahr für die mitwirkenden Arbeiter und die Umwelt ab? Nun, dafür gibt es mittlerweile wohlerprobte Regeln. Zuerst werden die Brennelemente und das Kühlmedium entfernt. Die Brennelemente bringt man zu einer Wiederaufarbeitungsanlage (in England oder Frankreich) oder in ein externes Zwischenlager. Das Kühlmittel, zumeist Wasser - in seltenen Fällen auch Natrium - wird aus den Kreisläufen entfernt und in Spezialanlagen von der Strahlung befreit. Was dann an Materialien noch übrig bleibt ist im wesentlichen Metall aus den Kreisläufen und Betonschutt aus den Reaktorgebäuden, zuzüglich geringen Mengen an Plastik.

Der Rückbau eines weitläufigen Kernkraftwerks wird so organisiert, dass man zuerst  die äusseren - nichtradioaktiven - Gebäude (mit der Abrissbirne) abreisst und sich von dort ins Innere (Richtung Reaktortank) vorarbeitet. Ab einer gewissen Stelle ist die "hands on - Methode" aus Gründen der Strahlung nicht mehr möglich und man muss ferngesteuerte Abrissroboter einsetzen. Die abgebrochenen Materialien werden sortiert, sodass man zum Schluss - bildlich gesprochen - im wesentlichen zwei Haufen vorliegen hat: den Metallschrott und den Betonschrott.

Diese Haufen werden nun feinsortiert je nach der Stärke ihrer Strahlung. Die stark strahlenden Materialien werden zur (späteren) Endlagerung vorgesehen, die nichtstrahlenden können wie jedes normale Abbruchmaterial weiterverwendet werden und die dazwischen liegenden Chargen müssen vor ihrer Rezyklierung gesondert behandelt werden, insbesondere von der Strahlung (so gut wie möglich) befreit werden. Der Laie macht sich häufig ein falsches Bild von den Quantitäten dieser drei Kategorien. Im Falle des KKN Niederaichbach waren insgesamt 75.000 Tonnen Schrott angefallen. Davon waren 92 Prozent nicht radioaktiv und konnten sofort wiederverwendet werden. Zwei Prozent, also weniger als 2.000 Tonnen mussten dem Endlager zugeführt werden; sechs Prozent, also etwa 5.000 Tonnen, wurden nach der Dekontamination wieder verwendet.

Grosse Sorgfalt ist darauf zu legen, dass die strahlenden Chargen keinesfalls mit den nichtstrahlenden  vermengt werden. Radioaktiver Eisenschrott darf nicht in normale Hochöfen gelangen und von dort zu Bratpfannen oder Blechen für Automobile verarbeitet werden. Die Hausfrau bzw. der Taxifahrer würden sich sonst unbewusst permanent bestrahlen. Da am Ende der Rezyklierungskette im allgemeinen nicht mehr auf Radioaktivität kontrolliert wird, hat dies am Anfang, also gleich beim Rückbau der Kernkraftwerke zu geschehen. Dafür gibt es bindende Richtwerte, die von der Bundesregierung erlassen und von den Aufsichtsgremien überwacht werden.

Grenzwerte und Freigabe

Die Internationale Atombehörde in Wien (IAEO) hat einige grundlegende Empfehlungen für die Beseitigung und Verwertung von radioaktiven Stoffen aus zurückgebauten Kernkraftwerken aufgestellt. Die wohl Wichtigste ist, dass die Strahlendosis, welche auf die Kerntechnik zurückzuführen ist, sich im Bereich der Schwankungen der natürlichen Radioaktivität bewegen soll. Die Strahlendosis, welcher jeder Mensch in Deutschland im Mittel aufgrund der kosmischen und terrestrischen Stahlung ausgesetzt ist, beträgt im Mittel 2.400 Mikro-Sievert plus/minus 10 Prozent. Den rechnerischen Wert von 240 Mikro-Sievert hat die Deutsche Strahlenschutzkommision (SSK) nochmals auf 10 Mikro-Sievert reduziert.

Die SSK hat auch Regeln für die tägliche Praxis erlassen. So erhält beispielsweise der Metallschrott aus Kernkraftwerken die Freigabe zur Wiederverwertung, wenn seine Aktivität weniger als 0,1 Becquerel pro Gramm (Bq/g) beträgt. Bequerel ist ein Mass für die pro Sekunde ausgesandten Strahlen. Liegt die Aktivität (oder die Oberflächenkontamination) über 1 Bq/g, so muss der Schrott zu einer speziellen Giesserei gegeben werden, welche die Lizenz zur Handhabung solcher Materialien besitzt. Interessant ist, das die Radioaktivität von Eisenschrott nur zum geringen Teil aus dem Eisen selbst stammt, sondern grösstenteils von dem zulegierten Cobalt. Das im Reaktor generierte Nuklid Co-60 sendet eine intensive Gammastrahlung aus und besitzt eine Halbwertszeit von 5,3 Jahren. Das bedeutet, dass die Strahlung des Eisenschrotts nach etwa 25 Jahren auf 4 Prozent des Ausgangswerts abgeklungen ist.

Die Freigabe von Betonschutt erfolgt sinngemäss nach den gleichen Regeln. In Falle seiner Wiederverwertung wird er häufig für den Unterbau von Strassen bzw. zur Auffüllung von Hohlwegen verwendet. Stark strahlender Schutt und Schrott werden dem Endlager zugeführt.

Die genannten Bequerel-Grenwerte lassen sich am besten durch den Vergleich mit natürlichen radioaktiven Stoffen beurteilen, von den einige in der untenstehenden Tabelle zusammengestellt sind.


Bq/Gramm
Mensch0,1
gedüngter Ackerbodem0,4
Zement0,2 bis 1,0
Beton0,3 bis 2,2
natürlicher Gips0,1 bis 1,3
Granit0,9 bis 1,2
Phosphat0,3 bis 10,0
Kalidünger15


Tabelle einiger "natürlich" radioaktiverStoffe


Die wichtigsten natürlichen Radioisotope im menschlichen Körper sind die Betastrahler, wie Kalium-40. Ihre Zerfallsenergie wird nahezu vollständig im Körper absorbiert. Baumaterialien, wie Beton und Gips, geben Radon ab und belasten hauptsächlich die Lungen der Hausbewohner. Die im Boden, z. B. im Granit enthaltenen Radionuklide sind die Ursache des terrestrischen Anteils der natürlichen Strahlenbelastung des Menschen. Sie wird vorallem durch Gammastrahlung verursacht. Der Kalidünger, schliesslich, ist ein Beispiel für für den langen Weg eines Radioisotops vom Boden über die Pflanze und das Tier zum Menschen.

Deshalb: den Rasen mit Kalidünger aufbessern und auf der granitenen Steinbank den Blumen beim Wachsen zusehen, ist nicht ganz ungefährlich.

Sonntag, 1. Mai 2011

Ethikkommission vs. Realität

Die Bundesregierung hat im Gefolge von Fukushima eine Ethikkommision eingesetzt. Politische Rentner, angereichert mit dem nuklearen Sachverstand von Bischöfen und gar leibhaftigen Kardinälen, sollen über die Risiken der Atomkraftwerke befinden und Frau Merkel Vorschläge machen für einen schnellen Ausstieg aus der ungeliebten Kernenergie. In vier Wochen will die Kommission ihren Abschlussbericht vorlegen, der die Basis für ein Gesetzespaket bilden wird, mit dem - noch vor dem Sommer - die Wende in der deutschen Energiepolitik eingeläutet werden soll. Ich habe mir am vergangenen Donnerstag im TV-Kanal "Phönix" die sogenannte Expertenbefragung angehört und war verblüfft, wie einfach der Wechsel zum Sonnenzeitalter ist. Mit Ausnahme von E.ON-Chef Johannes Teyssen ("spricht nur pro domo") und weniger anderer, waren die allermeisten der geladenen Experten der Meinung, dass der Übergang keine sonderlichen Probleme bereiten würde. Eine ganz Reihe - die mir bislang als Energiefachleute noch gar nicht bekannt waren - hatten sogar  Mut zu der Feststellung, dass die besagte Energiewende ohne Strompreiserhöhungen, ohne Importe oder gar Blackouts, und bei vollem Erhalt der industriellen Wettbewerbsfähigkeit und des globalen Klimaschutzes implementiert werden könnte.

Die Situation in Baden-Württemberg

Da hatte ich vor einer Woche, bei der Aktionärsversammlung der EnBW, noch ganz anderes gehört. Der Konzernchef Hans-Peter Villis beklagte mit bewegten Worten die vom Moratorium der Kanzlerin verursachte Abschaltung seiner beiden Kernkraftwerke in Philippsburg und Neckarwestheim. KKP 1 (930 Megawatt) und GKN I (840 MW) produzierten bislang fast 2 Gigawatt Strom, den er nun aus Frankreich und Tschechien  zukaufen muss. In beiden Fällen sind die Lieferanten Kernkraftwerke jenseits der deutschen Grenze, deren Sicherheitsstandards die der heimischen nicht übertreffen. Übertreffen wird dieser Importstrom jedoch die Kosten der eigenen Produktion - weshalb das EnBW  diese Mehrkosten an ihre Kunden weitergeben wird.

In ein bis zwei Jahren werden sich diese Stromimporte reduzieren, weil dann zwei Steinkohleblöcke in Karlsruhe und Mannheim in Betrieb gehen sollen. RDK 8 (910 Megawatt) und GKM 9 (820 MW) besitzen zwar annähernd die gleiche Kapazität wie die stillgelegten Meiler - aber sie spucken viele Tonnen Kohlendioxid aus, was die deutsche Klimagasbilanz merklich verschlechtern wird. (Eine praktische Faustformel sei verraten: von der Leistung des Kraftwerks die letzten beiden Ziffern streichen, die restliche Ziffer bzw. Zahl durch 2 dividieren, dann erhält man den Jahresausstoss  an Kohlendioxid in Millionen Tonnen. Beispiel RDK 8:  = 4,5 Mio Tonnen pro Jahr.)

Ausserdem, das ist auch nicht allseits bekannt:  die Emission radioaktiver Stoffe im Normalbetrieb ist bei fossilen Kraftwerken drei Mal höher als bei den genannten Atomkraftwerken! Schliesslich, nicht ganz unwichtig, sind die Kosten der Stromproduktion bei Kohlekraftwerken signifikant höher als bei abgeschriebenen Kernkraftwerken.


Das Rheinhafendampfkraftwerk RDK 8 in Karlsruhe

Damit sind vorläufig die Standorte für Kohlekraftwerke in Baden-Württemberg ausgeschöpft. Wegen der Anlieferung der riesigen Mengen an Brennmaterial braucht man grosse Hafenanlagen, die nicht überall verfügbar sind. Mancher wird vielleicht auf den Neckar verweisen, aber dieser Fluss ist praktisch nicht mehr schiffbar. Zwischen Stuttgart und Mannheim befinden sich nicht weniger als 26 Laufwasserkraftwerke, die zwar "ökologische" Wasserkraft erzeugen, aber gleichzeitig den schönen Fluss zu einer Anreihung von Teichen machen.

Trotzdem: die Zeit drängt. In etwa zehn Jahren sollen auch die restlichen Kernkraftwerke der EnBW  abgeschaltet sein. ( Der Experte des World Wild Life Fund hielt sogar den Atomaustieg bis 2017 für möglich). Das trifft  die beiden grossen Blöcke KPP 2 (1.460 Megawatt) und GKN II (1.400 MW). Fast 3 Gigawatt sind dann zu ersetzen - und wenn es nach der Ethikkommission geht -  vorzugsweise durch Solar- und Windenergie. Bilanzieren wir diese Kapazitäten, wobei ich mich auf den Geschäftsbericht der EnBW berufe, sowie sonstige Firmenunterlangen:

Derzeit betreibt unser Landes-EVU Solarkraftwerke auf eigenen Dächern sowie auf Wiesen in den schönen Orten Leibertingen und Eggingen. Etwa 10 Megawatt kommen dabei zusammen - wenn die Sonne scheint. Den Windstrom sammelt die EnBW ausserhalb des Ländles. Im niedersächsischen Buchholz, kurz hinter Hanover drehen sich - onshore - 18 Windräder. In der Ostsee, also offshore, wird derzeit nördlich von Zingst der Windpark Baltic 1 mit 48 MW in Betrieb genommen. Weiter östlich soll die vier mal so grosse Anlage Baltic 2 folgen, in einer Meerestiefe zwischen 23 und 44 Metern. Die Ingenieure klagen über die technischen Probleme bei der Fixierung der Monopiles und über die horrenden Umweltauflagen. Die Dänen und Briten sind in dieser Hinsicht wesentlich smarter: sie installieren ihre Windgeneratoren im Seichtwasser des Ufergebiets.

Damit ist der Strom aber noch nicht in Baden-Württemberg. Neue Hochspannungsleitungen sind erforderlich und mindestens 4 Pumpspeicherkraftwerke von der Grösse des Walchenseekraftwerks. Geografisch infrage kommt dafür eigentlich nur der Schwarzwald. Das Geschrei der Anlieger und Naturfreunde ist jetzt schon zu hören.

Fassen wir zusammen: die Umstellung des EnBW-Konzerns von der bisherigen Stromerzeugung auf Erneuerbare Energien ist eine Herkulesaufgabe für den Vorstandsvorsitzenden Villis. Sie wird in dieser Dekade nicht zu schaffen sein. Bei weiteren politischen Eingriffen, etwa durch den designierten Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und seiner Crew, besteht die reale Gefahr, dass der Konzern in Schieflage gerät und nicht mehr zu steuern ist. Dass dies negative Auswirkungen auf die heimische Industrie haben wird, liegt auf der Hand.

Die Situation im übrigen Deutschland

Ausserhalb von Baden-Württemberg, im Westen, Norden und Osten Deutschlands, liegt das Verbreitungsgebiet der übrigen drei Stromgiganten. Es ist der Beritt von RWE, E.ON und Vattenfall. Dort wurden aufgrund des Fukushima-Moratorium sechs weitere grosse Kernkraftwerke urplötzlich abgeschaltet, nämlich: Biblis A (mit 1.250 Megawatt), Brunsbüttel (800 MW), Isar 1 (910 MW), Biblis B (1.240 Mw), Krümmel (1.400 MW) und Gundremmingen B (1.350 MW). Nochmals sieben Anlagen, zumeist die grösseren Schwesterkraftwerke, stehen bis zum Jahr 2020 zur Stillegung an.

An deren Stelle sollen etwa zwei Dutzend Stein- und Braunkohlekraftwerke treten, die schon im Bau bzw. zumindest in der Planung sind. Viele sind - verglichen mit den Kohlekraftwerken der EnBW in Karlsruhe und Mannheim - wahre Giganten (um nicht zu sagen Monster). In Stade, bei Hamburg, neben dem stillgelegten Atomkraftwerk, entstehen gleich drei Steinkohleeinheiten mit 800 und zwei Mal 1.100 MW. Darüberhinaus baut Vattenfall im benachbarten Moorburg ein riesiges Kraftwerk mit 1.650 MW, das noch in diesem Jahr in Betrieb gehen soll. Und in Schlewig-Holstein, neben dem abgeschalteten Atomkraftwerk Brunsbüttel, wird nächstes Jahr ein Steinkohleblock mit 1.800 MW angefahren werden. In Hamm, Westfalen, in der Umgebung des  in den achziger Jahren auf politischen Druck hin abgeschalteten Hochtemperaturreaktors, werden ebenfalls nächstes Jahr zwei Steinkohleblöcke mit insgesamt 1.600 MW in Betrieb gehen. Den Vogel schiesst aber RWE mit seinen zwei Braunkohleanlagen von insgesamt 2.200 MW ab, die letztes Jahr in Neurath in Betrieb gesetzt wurden. Neurath kann wahrscheinlich nicht jedermann geografisch verorten: es liegt mitten zwischen Köln, Düsseldorf und Mönchengladbach. Hier wird in einem Superkraftwerk Braunkohle der übelsten Sorte verbrannt. Man schätzt seinen CO2-Austoss auf 15 Millionen Tonnen pro Jahr. Das ist so viel wie ganz Boliven produziert!

Steinkohlekraftwerke sind, über das Jahr gesehen, nur halb so lang mit Volllast an Netz wie Kernkraftwerke. In Zukunft wird diese Verfügbarkeit sogar noch sinken, weil nach dem deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetz sie den alternativen Technologien untergeordnet sind. Wenn ein Windmüller Strom anliefert und das Netz ausgelastet ist, dann muss ein Kohlekraftwerk zurückgefahren oder ganz abgeschaltet werden, um Netzüberlastung zu vermeiden. Auch wenn das Kohlekraftwerk seinen Strom billiger anbietet. Daraus ergibt sich, dass die Elektrizitätserzeugung bei fossilen Kraftwerken inhärent teurer ist. Ganz abgesehen von den Kapitalkosten, welche bei den heutigen Kernkraftwerken nicht mehr zu Buche schlagen, da sie abgeschrieben sind, während sie bei den genannten Neuinvestitionen noch jahrzehntelang finanziell wirksam sind.


Volllaststunden der deutschen Kraftwerke im Jahr 2009

Die Braun- und Steinkohlekraftwerke (nebst einigen Gaskraftwerken) werden die deutsche Stromproduktion in den kommenden Jahrzehnten bestimmen. Wind- und Sonnenenergie ist demgegenüber untergeordnet, solange nicht effiziente Stromspeicher installiert sind. Dafür wären im genannten Verbreitungsgebiet etwa 20 Pumpspeicherkraftwerke von der Grösse des oben genannten Walchenseekraftwerks erforderlich. Dafür infrage kämem die deutschen Mittelgebirge vom Fichtelgebirge bis zum Hunsrück. Von den 3.600 Kilometern neuer Stromtrassen ganz zu schweigen.

Fazit

Die Ethikkommission mag entscheiden wie sie will:  kurzfristig wird es in Deutschland kaum zu Abschaltungen kommen, weil wir umgeben sind von vielen Nachbarländern, die bereit sind, ihre Produktion hochzufahren und Strom an uns zu exportieren. Mittel- und längerfristig wird die deutsche Atomstromerzeugung ausgetauscht werden durch die fossile Produktion aus Braun- und Steinkohle. CO2-freier Strom wird zu schmutzigem Strom! Und der Strom wird teurer werden mit allen Konsequenzen für den industriellen Wettbewerb unserer Firmen im weltweiten Bereich.

Die politischen Implikationen dieser Energiewende sind enorm: die Risiken eines regional begrenzten Atomunfalls werden ausgetauscht gegen die globalen Risiken einer Klimakatastrophe. Bei zukünftigen internationalen Klimakonferenzen wird die Bundeskanzlerin nicht mehr als Hüterin des Weltklimas auftreten können. Die Chinesen und Inder werden sagen:

"Madam, mind your own business"

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