Sonntag, 1. Februar 2009

Was wissen wir über Homer? Nichts.

Im Karlsruher Schloss wird derzeit eine sehenswerte archäologisch-historische Ausstellung über "Die dunklen Jahrhunderte Griechenlands" gezeigt, welche sich von 1.200 bis 700 v. Chr. erstreckten. Die mykenische Hochkultur, welche sich im 2. Jahrtausend v. Chr. in Griechenland sowie im östlichen Mittelmeerraum ausgebreitet hatte und durch prachtvolle Paläste (z. B. in Kreta) und imposante Burgen ( Tyrins) charakterisiert war, verschwand um 1.200 v. Chr. ganz plötzlich von der Bildfläche. Über die Gründe für diesen Kulturkollaps rätseln die Archäologen noch immer. Schwere Erdbeben, verheerende Dürren, tötliche Epidemien, interne Aufstände oder kriegerische Eindringlinge werden als mögliche Ursachen genannt. Der Zusammenbruch dieser Kultur dauerte 5 Jahrhunderte - bis um 700 v. Chr. , nahezu spontan, die Hochzivilisation des uns bekannten klassischen Griechenland entstand.

Diese dunkle Periode war aber auch eine "Zeit der Helden". In dieser Epoche lässt der griechische Ur-Dichter Homer nämlich seine Helden Achilles, Hector und Odysseus agieren. Bei der "Ilias" (Gymnasiasten kennen ihren Anfang: "Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus") beschreibt er in 16.000 Hexameterversen den Kampf um Troja und in der "Odyssee" ("Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes") fast ebenso lang die Irrfahrten des listenreichen Odysseus und seine glückliche Heimkehr.

Wer war der Schriftsteller-Titan Homer, der diese gewaltigen Epen schuf? Das ist die berühmte "homerische Frage", die auch heute noch niemand schlüssig beantworten kann. Der Sage nach soll es ein blinder Sänger gewesen sein, der zwischen 700 und 850 v. Chr. im griechischen Kleinasien (der heutigen Westtürkei) gelebt hat. Aber das ist wohl Legende.

Die sog. homerische Frage ist in realiter ein ganzes Bündel. So kann man zum Beispiel fragen: Sind Ilias und Odyssee das Werk nur eines einzigen oder das von mehreren Dichtern? Ist Homer überhaupt eine geschichtliche Person oder ist er nachträglich nur fingiert? War Homer der Dichter der beiden Epen oder nur ein sammelnder Ordner? Wann sind die beiden Werke entstanden? Usw. usf.

Heute geht man davon aus, dass Homer zumindest der Schöpfer der Ilias, wahrscheinlich auch der Odyssee war. Analytische Sprachuntersuchungen mit Hilfe des Computers legen diese Hypothese nahe. Die Unterschiede im Erzählstil erklärt man dadurch, dass die Ilias das Jugendwerk, die Odyssee das Alterswerk war. Manche Exegeten favorisieren allerdings die 2-Dichter-Vermutung, ähnlich der Gebrüder Grimm in der Neuzeit. Die Entstehungsperiode der Epen sieht man im 8. Jahrhundert. Ziemlich sicher ist, dass Homer auf vorhandenen Stoff fahrender Sänger (Rhapsoden) zurückgegriffen, aber die Inhalte dichterisch strukturiert und aufgeschrieben hat.

Harte Beweise gibt es für diese aufgestellten Thesen nicht. Aber die Erzählungen Ilias und Odyssee existieren seit fast drei Jahrtausenden; irgend jemand muss schliesslich die 28.000 Hexameter gedichtet haben - auch wenn wir von Homer (fast) nichts wissen.

Ein noch grösseres Rätsel der Weltliteratur ist, dass die Lebens-und Schaffensgeschichte des grössten dramatischen Genies aller Zeiten - William Shakespeare - ebenfalls weitgehend im Dunkeln liegt. Und dieser lebte nicht in der grauen Vorgeschichte, sondern bereits in der Neuzeit, von 1564 bis 1616 n. Chr. 36 Theaterstücke (14 Komödien, 12 Tragödien und 10 Historiendramen) soll er angeblich geschrieben haben; sie sind fester Bestandteil der Spielpläne der Weltbühnen. Als Sohn eines armen Landwirts im englischen Stratford-on-Avon besuchte er gerade mal die Grundschule, wurde ein mittelmässiger Schauspieler und schliesslich Teilhaber des Globe-Theaters. Dazwischen lagen sieben Jahre, während der er völlig abgetaucht war. ("dark ages") Es gibt keine einzige Handschrift von ihm, trotz der vielen ihm zugeschriebenen Dramen sowie einiger hundert Sonette von allerhöchster literarischer Güte.

Kein Wunder, dass immer wieder Zweifel aufkommen, ob er wirklich der Schöpfer dieser Werke sein konnte. Alfred Kerr, der berühmte Theaterkritiker mit der spitzen Feder fragte einmal ganz verzweifelt "ob ein Landlümmel aus dem Drecksnest Stratford sowas allein gemacht haben kann?" Namen, wie Marlowe (ein Schauspielerkollege) oder Bacon (ein Adeliger), werden von einigen als "ghostwriter" vermutet; ja, selbst vor der Queen Elizabeth I macht man nicht halt. Egal, wir wissen es nicht und die Mehrheit der Literaturgeschichtler sieht - mangels überzeugender Alternativen - in William Shakespeare immer noch den Dichter des Hamlet und des Sommernachtstraum.

Wie hätte Shakespeare wohl reagiert, wenn ihm diese Zweifel an seiner Person bekannt gewesen wären?

Vermutlich hätte er ein "homerisches ( lautes, lang andauerndes) Gelächter" angestimmt.

2 Kommentare:

  1. Lieber Herr Marth,
    Nochmals vielen Dank für den Link zu Ihrem Rentner-Blog, den ich regelmässig mit grossem Vergnügen lese.

    Besonders mit den Geschichten von KIT, zur Kernfusion und den Ewigkeitslasten des Steinkohlebergbaus hatte ich viel Freude und Sie haben mir aus der Seele gesprochen.

    Zur Trüffelgeschichte aus Aqualagna hatte ich einen direkten Bezug, weil wir dort erst im Mai 2008 durchgeradelt sind und die marquesischen Trüffel einschließlich dem köstlichen Rosso Conero genossen haben. Vielleicht sollte ich mal wieder im Herbst dorthin fahren.

    Mit Wehmut habe ich ihren Nachruf auf den von mir hoch geschätzten Friedrich Arendt gelesen, dessen lockeres Mundwerk ich heute sehr vermisse. Ich konnte mich mit ihm ohne Unterlass über den Sinn/Unsinn der Biotreibstoffe streiten und habe ihm schon vor acht Jahren empfohlen besser in die Entwicklung der Elektroautos zu investieren, als in das unglückliche Bioliq-Verfahren, das bis heute keine Tropfen Treibstoff produziert hat.

    Ihre Lobeshymnen auf das deutsche Rentensystem kann ich noch (!) nicht so nachvollziehen, weil mir jedes Monat 20% meines Gehalts abgezogen werden um die von Ihnen so hochgelobte Umlage zu finanzieren. Aber hoffentlich gibt es ja später auch noch ein paar Arbeitswütigen dami ich in neun Jahren noch die Rente so geniessen kann, wie Sie.

    Etwas weniger begeistert war ich von Ihren Ausführungen zur Grundlast. Sollte wirklich die großtechnische Energieerzeugung aus Braunkohle und Uran die Lösung unseres Energieproblems sein? Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die Menschheit den Strom eines Tages nachhaltig erzeugen wird. Die untertägige Lagerung von radioaktiven Abfällen oder noch absurder die Lagerung von CO2 kann doch nicht der Weisheit letzter Schuss sein! In diesem Zusammenhang fand ich ihre Artikel zu AsseII und Morsleben interessant. Vielleicht wird man über Gorleben in dreissig Jahren genauso urteilen? Zumindest wenn die Elbe als Folge des Klimawandels zu weit gestiegen ist, das auch Gorleben absäuft.

    Freuen würde ich mich über weitere Blogs zu den Themen, die (nicht nur) mich in den letzen Monaten bewegten : Nordtangente; Biotreibstoffe; Elektroauto, Rotwein, Gutes Essen; Italien; Homer etc.

    Also nochmals vielen Dank


    Mit freundlichen Grüssen

    Dr. Hanns-R. Paur

    PS: Vielen Dank für den schönen Artikel über Homer der mich heute erreichte. In meiner Jugend habe ich neun Jahre auf dem altehrwürdigen Wilhelmsgymnasium in München zugebracht und ich muss gestehen, dass mir das Altgriechische damals sehr schwer fiel. Die alten Griechen faszinierten mich dagegen sehr und ich habe schon als Student und auch später auf Reisen die griechische Kultur bewundert. Zu Weinachten schenkte mir nun mein jüngerer Sohn die Übersetzung der Ilias von Raoul Schrott und ich habe die Weihnachtsferien genutzt um die Karlsruher Austellung und die Mannheimer Homer-Ausstellung zu besuchen. Die These von Raoul Schrott, Homer sei ein Dichter in assyrischen Diensten gewesen, ist provokativ - aber meines Erachtens realistischer als die Vorstellung die abendländische Kultur sei erst mit dem Dichtergenie Homer entstanden. Bereits zu Homers Zeiten gab es eine regen Austausch der Griechen mit den Assyreren, wie auch einzelne Exponate der Karlsruher Ausstellung zeigen. Es ist faszinierend wie wenig wir über unsere Vergangenheit wissen, aber gleichzeitig glauben, dass wir die Zukunft der Menschheit vorraussagen können.

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  2. Eucharisto soi!

    Ich hab mir die Ausstellung über Homer in Mannheim angesehen und war hellauf begeistert. In Karlsruhe habe ich mit Sicherheit was verpasst.

    VG
    Frank

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