Sonntag, 8. September 2013

"Strictly Kosher"

Rechtzeitig zum jüdischen Neujahrsfest (am 5./6. September) konnte man in einem Karlsruher Supermarkt koschere Lebensmittel kaufen. Im "Scheck-In" werden eine ganze Reihe von Nahrungsmittel angeboten, die den Stempel des Rabbiners der Jüdischen Kultusgemeinde tragen und deshalb den strengen jüdischen Speisegesetzen entsprechen, also "koscher" sind.  Die ca. tausend jüdische Mitbürger in Karlsruhe und Umgebung müssen zukünftig zum Einkaufen also nicht mehr nach Strassburg oder Frankfurt fahren.

Interessant ist, dass diese Produkte nicht auf einer speziellen Aktionsfläche präsentiert werden, sondern in den normalen Regalen zu finden sind; koschere Kekse befinden sich also unter den sonstigen Keksen. Angeboten werden u. a. Schokoladekuchen, Wein, Milch und Oliven, aber auch Gummibärchen, die mit zertifizierter Gelatine hergestellt sind. Im Tiefkühlbereich gibt es abgepacktes Fleisch und Wurst, wobei letzterer - siehe unten - garantiert kein Pferdefleisch zugesetzt ist.


Erlebnisse in Florida

Aus bekannten Gründen sind die jüdischen Speisegesetze dem deutschen Normalbürger auch heute noch nicht recht geläufig. Total unbekannt waren sie mir selbst, als ich vor gut 50 Jahren in den USA zu einem Post-Doc-Aufenthalt weilte. Im Winter 1962 besuchte mich ein deutscher Bekannter in Washington D. C. und wir beschlossen, eine Urlaubswoche im sonnigen Florida zu verbringen. Telefonisch buchte ich ein Hotel in Miami Beach, bei dem wir nach abendlichem Flug spät ankamen und sofort ins Bett fielen.

Am nächsten Morgen hatten wir tüchtig Hunger und suchten eilig den Frühstücksraum auf. Als ich beim Tischkellner "ham and eggs" bestellte, blickte ich in seine erstarrten Augen und etwas verdattert machte er mir klar, dass ham (also Schinken) nicht verfügbar sei, wohl aber Steak. Also revidierte ich meine Order zu "steaklet and milk-coffee", was den Kellner noch mehr aufstöhnen liess. "We are strictly kosher", erklärte er mir und verwies auf ein entsprechendes Schild am Eingang des Restaurants. Ich hatte es in der Eile leider übersehen, sonst wäre mir klar gewesen, dass ich mich in einem der vielen jüdischen Hotels in Miami befand, die zur Wintersaison vorzugsweise von jüdischen Touristen aus New York gebucht werden. Mein Bekannter hatte die Warnung "Strictly Kosher" übrigens gelesen, war aber aufgrund seiner defizitären Englischkenntnisse der Ansicht, dass es sich dabei um den Namen des Restaurantsbesitzers handele!

Nun, trotz dieses fundamentalen Missverständnisses gleich zu Beginn, verlief unser Urlaub durchaus zufriedenstellend. Die etwa hundert Hotelgäste - allesamt Juden - betrachteten uns zwei Deutsche ungefähr wie Eskimos in der Sahara und da wir hinreichend jung waren (beide in den Zwanzigern) konnte uns auch keine Mitschuld an den unsäglichen Taten der Nazis angelastet werden.


Viele sonderbare Vorschriften

Wieder zurück in Washington kam ich öfters in Kontakt mit jüdischen Wissenschaftlern und lernte allmählich deren rigide Speisegesetze kennen, die ihren Ursprung in den fünf Büchern Mose haben. Nicht alle Juden halten sich an diese Vorschriften, den sog. Kaschrut, aber die Orthodoxen sehr wohl. Zusammengefasst unterscheiden sie zwischen erlaubten und unerlaubten Tieren, verbieten den Blutgenuss und teilen die Lebensmittel auf in die drei Kategorien "fleischig", "milchig" und "neutral".

Nach dem dritten Buch Mose sind koschere (und damit essbare) Tiere solche, die zweigespaltene Hufe haben und Wiederkäuer sind, also Rinder, Schafe, Ziegen Damwild etc. Schweinefleisch - und damit auch der genannte ham - ist nicht koscher, da Schweine zwar gespaltene Hufe haben, aber nicht Wiederkäuer sind. Auch Pferde sind nicht koscher - obwohl sie Wiederkäuer sind - denn sie besitzen keine gespaltenen Hufe. Geflügel ist in der Regel koscher, ebenso wie die Fische. Ausgenommen ist hier der Aal, weil er (angeblich) keine Schuppen aufweist. Wegen des strengen Blutverbots werden die Tiere geschächtet, damit das Blut möglichst vollständig ausfliesst. Als weitere Regel gilt, dass fleischige Speisen nicht gleichzeitig mit milchigen Speisen verzehrt werden dürfen, weswegen auch meine Bestellung von Steak und Milchkaffee nicht ausgeführt werden konnte.

Was im Prinzip noch einfach klingt, bereitet im täglichen Umgang erhebliche Probleme. Für einen orthodoxen Juden muss alles koscher sein - sogar die Möbelpolitur. Den Rabbinern obliegt es, diese Produkte zu beurteilen und zu zertifizieren. Gegen gutes Geld, selbstredend. Gläubige Juden in einen christlichen Haushalt einzuladen ist praktisch nicht möglich, da sie sogar koschere Lebensmittel auf einem "Normalteller" nicht essen dürfen. (Kein Wunder, dass koschere Sternelokale im Guide Michelin kaum auftauchen). In einer koscheren Küche gibt es darüberhinaus getrenntes Geschirr und Töpfe für fleischige und milchige Speisen. In der Spülmaschine müssen sie in verschiedenen Einsatzkörben gewaschen werden (mit einem Leergang dazwischen), damit sich nichts vermischt. Zu trennen sind ebenfalls die Handtücher und die gesamte Küchenwäsche.

Gemäss einer weiteren Essvorschrift dürfen sich Fleisch und Milchprodukte nicht im Magen mischen. Zwischen fleischig und milchig - in dieser Reihenfolge - müssen in der Regel sechs Stunden liegen. Aber diese Vorschrift wird unterschiedlich gehandhabt: deutsche Juden haben sich auf drei Stunden geeinigt, holländische sogar auf nur 72 Minuten! Massgeblich ist die Meinung des jeweiligen Rabbiners.

Ganz rigide sind die Gesetze zum Pessach-Fest, das alljährlich an den Auszug aus Ägypten erinnert. Während dieses sieben Tage dauernden Festes ist es nicht erlaubt "Gesäuertes" zu geniessen. Kein Krümel an Getreide darf im Haus sein, egal in welch verwandelter Form. Reiche Juden leisten sich deshalb eigens eine Pessach-Küche, die für den Rest des Jahres nicht benutzt wird, ja sogar abgeschlossen ist. Dabei werden sogar die Türritzen verklebt, damit ja nichts Unerlaubtes hineindringt.

Im täglichen Leben befolgen keinesfalls alle Juden diese alten Speisevorschriften. Die sogenannten säkularen Juden essen das Gleiche wie jeder Europäer oder Amerikaner. Das gilt insbesondere für die Jugend. Während meines USA-Aufenthalts hatte ich einen jüdischen Bekannten, der aus einer orthodoxen Familie stammte. Jedes Mal, wenn er mich aufsuchte, inspizierte er meinen Kühlschrank und verzehrte mit besonderem Genuss die dort lagernden Schinken-Sandwiches. Einmal waren sie gerade ausgegangen und er stellte enttäuscht fest:

"No ham to-day, Bill?"











2 Kommentare:

  1. Allerdings mache von uns säkularen Juden essen ziemlich viel Knoblauch. Gruss Drazen

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  2. Pferde sind Wiederkäuer??

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