Sonntag, 9. Juni 2013

Die Väter des Schnellen Brüters in Kalkar

Professor Wolf Häfele wird in der Öffentlichkeit häufig als "der Vater des Schnellen Brüters" bezeichnet. Nicht selten geschieht dies in der (boshaften) Absicht, ihm die Verantwortung und die Schuld für das Scheitern des teuren Grossprojekts SNR 300 in Kalkar in die Schuhe zu schieben. Das ist nicht gerechtfertigt. Häfele war längst aus der organisatorischen Verantwortungskette, als der Schnelle Brüter in Kalkar seinen Lauf nahm. Die Verantwortung für dieses Projekt trugen - im Guten wie im Unguten - sehr ranghohe deutsche Politiker, wie im Folgenden dargelegt werden soll.


Die sozialdemokratischen Väter

Das Kernkraftwerk SNR 300 Kalkar war vom Beginn bis zu seinem Ende eine Unternehmung, bei dem die Politiker das Sagen hatten und die Richtung sowie seinen Ausgang bestimmten. Nur wenige wissen, dass es der ehemalige sozialdemokratische Bundeskanzler Willy Brandt war, der das Projekt SNR 300 aus der Taufe hob. Bei einer Kabinettssitzung im Februar 1972 verwies Brandt auf die knappen Uranreserven in der Bundesrepublik Deutschland und beauftragte seinen damaligen Forschungsminister Klaus von Dohnanyi, den Bau des Schnellen Brüters in Kalkar am Niederrhein (vorwiegend) aus Bundesmitteln zu finanzieren. Dohnanyi gelang es, die Belgier und Holländer ins Boot zu holen und schon im November des gleichen Jahres standen den Industriekonsortien fast zwei Milliarden DM für den Bau des SNR 300 zur Verfügung. Im Dezember 1972 wurde Horst Ehmke (SPD) Forschungsminister; unter seiner Ägide erteilte die Genehmigungsbehörde die hochwichtige erste atomrechtliche Teilerrichtungsgenehmigung (1. TEG), womit gleichzeitig das Grundkonzept des Reaktors genehmigt war.


Als Ende 1974 Brandt wegen der Guillaume-Affäre zurücktreten musste, wurde der Sozialdemokrat Helmut Schmidt zum Bundeskanzler gewählt. Die Fortführung des Brüterprojekts war im Koalitionsvertrag mit der FDP verankert. Sein Forschungsminister Hans Matthöfer (SPD), ein knorriger Gewerkschaftler, war ein besonders standfester Vertreter des SNR 300. In einem Interview aus dem Jahr 1976 brachte er die Idee des Brüters in nur zwei Sätzen voll auf den Punkt: „Der Schnelle Brüter soll das in den Leichtwasserreaktoren erzeugte hochradioaktive Abfallprodukt Plutonium sinnvoll wiederverwerten. Zudem soll er die knappen Vorräte an Uran so wirtschaftlich nutzen, dass dessen Bedarf in einigen Jahrzehnten nahezu gegen Null geht.“ Matthöfer gelang es, seine Parteigenossen zur Finanzierung der sich schon damals abzeichnenden Mehrkosten zu bewegen. Im Februar 1978 wurde der ehemalige Frankfurter Oberbürgermeister Volker Hauff (SPD) zum Bundesforschungsminister ernannt. Er konnte erreichen, dass das Bundesverfassungsgericht die Gültigkeit des Atomgesetzes auch für den Schnellen Brüter bestätigte. Im November 1980 folgte (als letzter SPD-Forschungsminister) Andreas von Bülow nach. Unter ihm gab der Deutsche Bundestag seine politische Zustimmung zur (späteren) Inbetriebnahme des SNR 300. Ausserdem konnte Bülow die Industrie zu einer signifikanten finanziellen Eigenbeteiligung am Projekt bewegen. Dafür gab er öffentlich die Versicherung ab: „Kalkar wird keine Ruine sozialdemokratischer Forschungspolitik werden.“ 



Die christdemokratischen Väter
Im Oktober 1982 erfolgte in Bonn ein Regierungswechsel. Im Zuge der sogenannten Wende wurde Helmut Kohl (CDU) zum Kanzler der Bundesrepublik ernannt. Er bestimmte Heinz Riesenhuber (CDU) zum Forschungsminister. Im Dezember des gleichen Jahres hob der Deutsche Bundestag die letzten Vorbehalte gegen die Inbetriebnahme des Brüters in Kalkar auf.  Durch Einschiessen neuer Finanzmittel kam es zu einem kräftigen Anstieg der Baustellentätigkeit. Nach dem Einfüllen des Natriums in die Reaktorkreisläufe (1985) und einigen Restarbeiten war das Kernkraftwerk Kalkar 1986 zur Gänze errichtet. Mittlerweile waren bereits 17 Teilerrichtungsgenehmigungen für den SNR 300 erteilt worden; die 18. TEG – für die Beladung des Reaktors mit Brennelementen und seine Inbetriebnahme – war in Bearbeitung. Das Projekt schien auf dem besten Weg zu seiner Vollendung zu sein.




                               Der SNR 300 in Kalkar am Niederrhein (um 1985)


Der böse Stiefvater Johannes Rau
Aber weit gefehlt! Im Mai 1985 gewann Johannes Rau, SPD-Genosse, gelernter Buchhändler und Freizeitprediger, die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen (NRW) und wurde damit Ministerpräsident des Landes, welches für die Erteilung der Betriebsgenehmigung zuständig war. Er schien der richtige Gegenkandidat zu Helmut Kohl bei der 1987 anstehenden Bundestagswahl zu sein, nachdem Hans-Jochen Vogel zwei Jahre zuvor dem Pfälzer unterlegen war. Rau formulierte die „Kohle-Vorrang-Politik“, bei gleichzeitigen Ausstieg aus dem Schnellen Brüter und der Wiederaufarbeitung. Sein Parteikollege Friedhelm Farthmann kündigte an: „…dass man notfalls solange prozessieren werde, bis der sanfte Tod des Brüters eintreten wird“. So geschah es denn auch. Der für die Genehmigung des Betriebs zuständige Wirtschaftminister Reimut Jochimsen liess die gleichen technischen Sachverhalte immer wieder durch neue Gutachter bewerten. "Kalkarisieren" nannte die Wochenzeitung "Zeit" diese hinterhältige Methode. Nach fünf Jahren des Tretens auf der Stelle zog Kohls Forschungsminister Riesenhuber die Reissleine und beendete das Projekt Kalkar. In seiner Presserklärung vom 21. März 1991 steht der Satz. "Die Verantwortung für das Ende von Kalkar liegt eindeutig beim Land Nordrhein-Westfalen."


Betrachten wir, im Rückblick, die Ergebnisse der Rau´schen Kohlepolitik, getrennt nach Braunkohle und Steinkohle. Zur Nutzung der Braunkohle zwischen Köln und Düsseldorf genehmigte Rau 1987, also unmittelbar nach Amtsantritt, die Ausbeutung des Feldes Garzweiler II. Es umfasst etwa 50 Quadratkilometer, auf denen bis zum Jahr 2045 rund 1,3 Milliarden Tonnen Braunkohle abgebaut werden sollen. Dafür war die Enteignung und Umsiedlung von 7.000 Bewohnern erforderlich. Einige verharren noch auf ihren Grundstücken und klagen sich seit 20 Jahren durch alle Instanzen. „Bergrecht bricht Grundrecht“ hält man ihnen zynisch entgegen. Doch inzwischen sind sie beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe angelangt und mit einem höchstrichterlichen Urteil zu Garzweiler II ist noch in diesem Jahr zu rechnen. Mittlerweile ist sogar das Umweltbundesamt auf die Seite der Kläger getreten. Im Zeichen der Energiewende und der Abkehr von den fossilen Energieträgern ist es geradezu absurd, soviel schmutzige Braunkohle für die deutsche Stromversorgung einzuplanen.
Noch schlimmer ist die wirtschaftliche und ökologische Bilanz für die Nutzung der Steinkohle in Nordrhein-Westfalen.  Die Förderung der Steinkohle im Ruhrgebiet ist nur bei Kosten von 150 Euro pro Tonne möglich. Auf dem Weltmarkt kann man aber die gleiche Menge schon für 50 Euro  kaufen. Rau beharrte trotzdem auf der Ausbeutung seiner heimischen Flöze und liess sich die Differenzkosten von der Bundesregierung subventionieren. Bisher sind (umgerechnet) mehr als 130 Milliarden Euro an Subventionen für die Steinkohle aufgewendet worden, weitere 40 Milliarden wird der Abbau noch bis zum Jahr 2018 kosten, wenn endlich diese unsinnige Kohleförderung zu Ende gehen soll. Zur Erinnerung: in den SNR 300 sind (umgerechnet) 2 Milliarden an öffentliche Fördergelder geflossen, woraus man aber ein völlig neues Energieerzeugungssystem entwickelt hat. Das Land Nordrhein-Westfalen hat übrigens den Brüter mit Null Euro unterstützt, sondern nur Vorteile aus den Bundesgeldern gezogen, die für den SNR 300 nach NRW geflossen sind.


Vollends katastrophal wird die Kohlebilanz in Nordrhein-Westfalen, wenn man die langfristigen Kosten und Schäden dieser Technologie betrachtet. Bis zu 2.000 Meter Tiefe ist das Kohlegebiet wie ein Schweizer Käse von Schächten und Stollen durchsetzt. Auf der bebauten Erdoberfläche entstehen immer wieder Schäden an Gebäuden und Strassen, wenn das darunter liegende Abbaugebiet durch Bildung von Rissen und Trichtern wegsackt. Inzwischen hat sich die Erdoberfläche im Bergbaugebiet um bis zu 40 Meter abgesenkt, in der Innenstadt von Essen allein um 16 Meter.  Die Hausbesitzer in NRW reichen pro Jahr  40.000 Schadensmeldungen ein, zumeist vergeblich. Das allergrösste Problem stellt jedoch das Grubenwasser dar. Es dringt von unten in die Schächte und Stollen ein und verseucht ausserdem das Trinkwasser. Ohne ständiges Abpumpen wäre das Ruhrgebiet längst eine Seenlandschaft. Eine grosse Anzahl mächtiger Pumpen muss Tag und Nacht laufen; allein bei Walsum liegt die Fördermenge bei 20 Milliarden Kubikmetern jährlich.
Man bezeichnet diese Lasten – auch offiziell – als Ewigkeitslasten und die damit verbundenen Kosten als Ewigkeitskosten. Sie gehen einher mit einem unbegrenzten Energieverbrauch. Da der Energieinhalt der geförderten Steinkohle endlich ist, der Stromverbrauch für die Pumpen aber „ewig“ anfällt, wird dessen Energieinhalt dem der geförderten Steinkohle bald übertreffen. Damit haben Rau und Genossen ein ökologisches Desaster geschaffen, welches die Problematik der nuklearen Endläger bei weitem übertrifft.

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