Sonntag, 30. Juni 2013

Die Kroaten kommen

Vorbemerkung:  Das äusserliche Format meiner Posts hat sich etwas verändert. Dafür können nun alle Blogs ausgedruckt werden.





Am 1. Juli 2013 wird Kroatien der  28. Mitgliedsstaat der Europäischen Union (EU) werden. Es ist ein Beitritt ohne Begeisterung - auf beiden Seiten. Die ohnehin schon kränkelnde Gemeinschaft fürchtet ein neues Problemkind aufgehalst zu bekommen; Bundestagspräsident Norbert Lammers sprach es sogar öffentlich aus: "Kroatien ist noch nicht beitrittsreif". Aber auch die Kroaten selbst bekunden eine erstaunliche Zurückhaltung: nur schlappe 21 Prozent der Bevölkerung beteiligten sich im vergangenen April an der Wahl ihrer Abgeordneten zum Europaparlament. Warum lässt die EU dann eigentlich die Kroaten in ihre Gemeinschaft? Nun, man will damit das Pulverfass Balkan langfristig entschärfen. Kroatien soll der Stabilitätsanker für die restlichen Balkanstaaten werden und Kriege früherer Art verhindern. Weitere Länder dieser Provenienz (Serbien, Bosnien-Herzegowina) werden folgen. Aber die Brüsseler Kommission sollte die Integrationsfähigkeit der EU nicht überschätzen. Eine grosse EU ist nicht unbedingt eine starke EU.


Desolate Wirtschaftslage, blühende Korruption

Die Wirtschaftslage im Beitrittsland Kroatien ist miserabel. Die maroden Werften haben in den letzten Jahren nur Verluste eingefahren, nun will man sie privatisieren und hofft auf zahlungskräftige Investoren. Ähnliches gilt für die Chemieanlagen und die Raffinerien südlich von Rijeka. Ihnen wurden die hohen Gaspreise und die fehlenden Genehmigungen zum Verhängnis.  Seit fünf Jahren befindet sich das Land in einer Rezession. Hoffnungsträger sind allein die Landwirtschaft (Wein, Tabak) und vor allem der Tourismus, der 20 Prozent zum Bruttosozialprodukt beiträgt.  Das glasklare Wasser der Adria und die vielen Inseln locken seit eh und je die deutschen Urlauber.


Kroatien im Überblick

Die Korruption ist in Kroatien eine alltägliche Plage. Im vergangenen Jahr wurde sogar der langjährige Premierminister Ivo Sanader wegen dieses Delikts zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er soll für Millionenbeträge österreichischen und ungarischen Firmen den illegalen Zutritt zum kroatischen Markt verholfen haben. Noch unheilvoller ist im Alltag die sogenannte Schalterkorruption. Auf Grundbucheintragungen muss man schon mal fünf Jahre warten, wenn man nicht bereit ist Schmiergeld zu entrichten. Die Organisation Transparency International hat festgestellt, dass auf den Sektoren Gesundheit, Polizei, Gerichte und Behörden Kroatien zu den korruptesten Ländern in Europa gehört. Inzwischen gibt es zwar Gesetze gegen Bestechung und Vorteilsnahme, aber in praxi werden sie nur mangelhaft umgesetzt. 50 Prozent der kroatischen Bevölkerung sind Rentner. Dies ist nicht erstaunlich, wenn man bedenkt, dass dort das Rentenalter mit 51 Jahren beginnt. Da muss sich nach dem EU-Beitritt einiges verändern und die Kroaten werden darüber kaum begeistert sein.


Subventionen am Horizont

Subventionen aus den EU-Fonds sollen der kroatischen Wirtschaft auf die Beine bringen. Noch in diesem Jahr fliessen 650 Millionen Euro, gewissermassen als "Mitgift", von Brüssel nach Zagreb. Zwischen 2014 und 2020 sind weitere 14 Milliarden an Subventionsgelder eingeplant, die zur Finanzierung von "Anpassungsmassnahmen" vorgesehen sind. Darunter versteht man u. a. die Umrüstung der Werften für höherwertige Spezialschiffe. Auch ins ehemalige Kriegsgebiet um Vukovar soll investiert werden. Dort stehen jetzt noch in jedem Ort abgebrannte Häuser mit umgestürzten Dachstühlen, als wäre der serbische Krieg erst gestern beendet worden.

Eines der grössten Projekte ist eine Brücke bei Dubrovnik. Diese Stadt ist zur Zeit praktisch nur mit dem Schiff erreichbar, da die kroatische Landzunge im Zuge der Friedensverhandlungen mit Bosnien-Herzegowina abgetrennt wurde. (Man wollte diesem Binnenstaat den Zugang zur Adria ermöglichen). Die EU soll nun eine Brücke - vielleicht auch einen Tunnel -  finanzieren, die von der Enklave zur kroatischen Halbinsel Peljisac führt. Das zweimalige Überqueren der EU-Aussengrenze mit entsprechenden Zollformalitäten wäre dann nicht mehr notwendig.


Als "Schwabe" in Kroatien

Die deutschen Touristen  nennen die Kroaten Svabo, also Schwaben. Im Sommer fliegen diese in grosser Anzahl  in Split an der Adriaküste ein (eine Stunde Flugzeit von Stuttgart), bevölkern an der Riva die Cafés und trinken ihren Kava. Die Riva ist das Herz der Stadt und, wenn man am Ufer entlang spaziert, muss man nicht einmal auf den Verkehr achten, denn diese Promenade gehört allein den Fussgängern. Gleich in der Nähe befindet sich die Altstadt mit dem Diokletian-Palast. Er zählt seit 1979 zum Weltkulturerbe der Unesco.  Diokletian, der einzige römische Kaiser der Geschichte, der vorzeitig in den Ruhestand trat, hatte sich den Ort um das Jahr 300 n. Chr. als Alterssitz erwählt und in einer Rekordzeit von zehn Jahren einen Palast direkt ans Meer bauen lassen. Von Split aus legen die Fähren ab zu den vielen kroatischen Inseln, z. B. Hvar und Korcula. Nach Hvar fährt man etwa eine Stunde, es ist ein wunderschönes langgestrecktes Eiland mit einem mondänen Hafen und dazugehöriger Flaniermeile. Trotzdem kann man dort, wenn man etwas sucht, noch eine Privatwohnung zum Tagespreis von 200 Kuna, entsprechend etwa 30 Euro anmieten. (Ich hab´s ausprobiert.)

Mehr Gedränge gibt es zur Sommerzeit in Dubrovnik. Auch dort kann man eine mittelalterliche Altstadt bewundern. Sie verkraftet eigentlich nur 7.000 Touristen, aber meistens tummeln sich dort 25.000. Das hängt vor allem mit den vielen Kreuzfahrtschiffen zusammen, die dort anlegen und ihre Gäste entladen. Dubrovnik ist im Sommer regelrecht besetzt, der angestrebte Qualitätstourismus ist in Massentourismus umgekippt. Deswegen werden - durch Spekulation und Korruption -  immer mehr Hotelbauten hochgezogen, die man groesstenteils, leider, als "architektonische Verbrechen" bezeichnen muss. Kroatien besitzt etwa tausend Inseln mit unzähligen Badestränden. Leider sind sie zumeist sehr steinig, Sandstrände sind Mangelware. Ebenfalls bedauerlich ist, dass so wenige Stege ins glasklare Wasser ragen.


Weitere EU-Kandidaten ante portas

Kroatien wird nicht das letzte Land sein, welches der EU beitritt. Es gibt noch etwa zwei Dutzend Staaten, die aufgrund ihrer geografischen Lage und ihrer Geschichte in weiterer Zukunft der Europäischen Union beitreten könnten. Der Artikel 49 des EU-Vertrags räumt jedem europäischen Land das Recht ein, einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft zu stellen. "Europäisch" wird dabei in einem diffusen politisch-kulturellen Sinne verstanden.

Derzeit führt die EU-Kommission Beitrittsverhandlungen mit drei Ländern: Island, Montenegro und der Türkei. Relativ unproblematisch verlaufen die Gespräche mit Island, von den Fischfangrechten in den dortigen Gewässern mal abgesehen. Die Staatsbürger von Montenegro dürfen bereits seit 2009 ohne Visum in die EU einreisen; grössere Problem für die Aufnahme dieses Landes sind nicht bekannt. Schwierig gestalten sich die Verhandlungen mit der Türkei, das schon seit 1999 offizieller Beitritttskandidat ist. Die Bundesrepublik und weitere Länder lehnen die türkische EU-Vollmitgliedschaft aus verschiedenen Gründen ab. Sie führen u. a. an, dass der Grossteil des Staatsgebiets der Türkei nicht in Europa, sondern in Asien liegt. Zudem sei die Türkei als vornehmliches muslimisches Land kulturell nicht zum christlichen Europa gehörig. Schliesslich werden auch Menschenrechtsfragen ins Feld geführt.

Weitere Beitrittskandidaten sind die Balkanländer Mazedonien, Serbien, Albanien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo.

Mögliche zukünftige Beitrittskandidaten sind Lichtenstein, Norwegen und die Schweiz, welche aber bislang keinen Aufnahmeantrag gestellt haben.

Im östlichen Bereich kämen Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien und Kasachstan infrage. Problematischer ist die Situation für die beiden ehemaligen Sowjetrepubliken Ukraine und Weissrussland. Beide sind derzeit noch so eng an Russland gebunden, dass man sich einen Beitritt zur EU nicht vorstellen kann.

Für die Zwergstaaten Andorra, Monaco, San Marino und Vatikanstaat ist ein EU-Beitritt kaum denkbar. Einige sind Steueroasen und deshalb für vermögende Ausländer als Wohnsitz sehr interessant. Der Vatikanstaat stellt in mehrfacher Hinsicht einen Sonderfall dar. Er ist eine absolute Monarchie bzw. Theokratie, was die Mitgliedschaft in der EU von vornherein ausschliesst.

Bleibt noch Russland. Dieser Staat  ist zwar Mitglied des Europarats, wird aber kaum je der EU beitreten. Russland betrachtet sich nach wie vor als Weltmacht und allenfalls pari mit Ganz-Europa.
Na, ja.

1 Kommentar:

  1. Ein sehr treffendes Blog. Man kann in den kroatischen Zeitungen lesen, wo und wie man das Geld aus Brüssel "ziehen" kann. Die Südländer bleiben Südländer.
    Gruß Drazen

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